Leitsatz (amtlich)
Hat ein Versicherter, der niemals nach den bundesrechtlichen Vorschriften versichert war, nach Reichsrecht Rentenversicherungsbeiträge nur an einen Versicherungsträger im Gebiet der heutigen Republik Österreich geleistet, so ist die Gewährung einer Rentenleistung an den Versicherten oder dessen Hinterbliebene nach dem SVFAG auch dann ausgeschlossen, wenn nach den Vorschriften des österreichischen Rechts kein Rentenanspruch gegeben ist.
Normenkette
SVFAG § 1 Abs. 1 Fassung: 1953-08-07; SVAbk AUT Fassung: 1951-04-21
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. April 1960 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der 1912 geborene Ehemann der Klägerin, D B (B.), war selbständiger Landwirt in Rumänien. Im Wege der Umsiedlung kam er 1940 zunächst nach Österreich, wo für ihn vom Oktober 1940 bis zum November 1941 als Arbeiter an der Autobahn Beiträge zum österreichischen Versicherungsträger geleistet wurden. Er wurde dann wieder als selbständiger Landwirt in F (Westpreußen) angesiedelt, 1943 zum Wehrdienst eingezogen und fiel im April 1944. Die Klägerin hat 1949 und 1954 vergeblich die Gewährung der Witwenrente aus der Invalidenversicherung (IV) ihres Ehemannes beantragt. Beide Ablehnungen begründete die Beklagte damit, daß die Klägerin noch nicht invalide sei. Während der erste Bescheid rechtskräftig geworden war, führte der zweite durch Klageerhebung vor dem Sozialgericht (SG) Hannover zu dem vorliegenden Rechtsstreit. Auf Grund eines im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachtens erkannte die Beklagte das Bestehen von Invalidität bei der Klägerin seit September 1954 an, hielt jedoch ihren ablehnenden Bescheid weiterhin für gerechtfertigt, weil der Versicherte Rentenversicherungsbeiträge nur im Gebiet der heutigen Republik Österreich entrichtet habe; diese Beiträge fielen nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 des Deutsch-österreichischen Abkommens über Sozialversicherung vom 21. April 1951 unter die österreichische Versicherungslast und seien von den deutschen Versicherungsträgern nicht zu berücksichtigen.
Die Klägerin hielt diese Rechtsauffassung für unrichtig. Sie behauptete darüber hinaus, ihr verstorbener Ehemann habe sich von 1942 bis 1943 freiwillig bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Westpreußen weiterversichert. Hierfür berief sie sich auf eidesstattliche Versicherungen des A G und des G W vom 26. Juni 1956, die beide - ebenso wie B. - als Landwirte nach F umgesiedelt waren und angaben (G zusätzlich unter Berufung darauf, er sei B's Nachbar gewesen), es sei ihnen bekannt, daß jener bis zu seiner Einberufung Beiträge zur IV gezahlt habe. Im Verhandlungstermin vor dem SG am 10. Dezember 1956 hatte G als Zeuge dagegen ausgesagt, er wisse lediglich, daß B. ebenso wie ihm selbst eine mit Marken beklebte Karte für die bei den Autobahnarbeiten verbrachten Zeiten von Österreich nach F nachgesandt sei, auf der sich der Hinweis auf die Möglichkeit weiterer freiwilliger Versicherung befunden habe. Ob B. von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, wisse er jedoch nicht. Die Klägerin erklärte darauf in der Niederschrift der gleichen Verhandlung, der von ihr benannte Zeuge W sei noch weniger orientiert als C, da er mehrere Kilometer von F entfernt gewohnt habe.
Das SG wies die Klage ab; es ging davon aus, daß die Beweisaufnahme keinen Nachweis für die Entrichtung von freiwilligen (Weiterversicherungs-) Beiträgen durch den Versicherten an die LVA Westpreußen erbracht habe und daß die in Österreich entrichteten Beiträge keinen Anspruch der Klägerin zu begründen vermöchten.
Auch mit ihrer Berufung hatte die Klägerin keinen Erfolg. Nachdem das erste, der Klägerin die Witwenrente zusprechende Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom erkennenden Senat durch Beschluß nach § 216 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wegen mangelnder Passivlegitimation der Beklagten aufgehoben worden war, wies das LSG durch das angefochtene Urteil am 6. April 1960 die Klage auch gegen die inzwischen beigeladene LVA Oberbayern ab.
Auch das LSG stellte fest, es sei nicht erwiesen, oder wenigstens glaubhaft gemacht, daß der verstorbene Ehemann Beiträge an die LVA Westpreußen gezahlt habe. Der vom SG vernommene Zeuge G habe über derartige Zahlungen nichts aussagen können; weitere Zeugen habe die Klägerin nicht zu nennen vermocht, sie habe sich vielmehr insbesondere auch auf den früher benannten Zeugen W nicht weiter berufen. Ihre eigenen Behauptungen reichten für den Nachweis der Beitragszahlungen nicht aus, zumal sie diese Behauptungen erstmalig vor dem SG Hannover aufgestellt habe, während sie bei ihren Antragstellungen 1949 und 1954 auf Befragen des protokollierenden Gemeindebeamten die Frage nach den Leistungen freiwilliger Beiträge beide Male verneint habe.
Die Leistung von Pflichtbeiträgen in den Jahren 1940/41 nimmt das LSG zwar als erwiesen an, es verneint jedoch eine Verpflichtung irgendeines bundesdeutschen Versicherungsträgers aus diesen Beiträgen, da die Beiträge nach dem Deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommen von Österreich übernommen seien. Auch die Vorschrift des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) hülfen insoweit nicht weiter, da diese nach § 1 "unbeschadet zwischenstaatlicher Abkommen" anzuwenden seien; soweit derartige Sondervorschriften bestünden, gingen sie dem FAG voraus. Für diese Fassung spreche auch die eindeutige Fassung des § 2 Fremdrentengesetz idF des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG), die jetzt ausdrücklich Versicherungszeiten von der Berücksichtigung ausnehme, die nach zwischenstaatlichen Abkommen in der Rentenversicherung eines anderen Landes anrechnungsfähig seien. An diesem Ergebnis ändere auch der Umstand nichts, daß ein Witwenrentenantrag der Klägerin während des Berufungsverfahrens von dem österreichischen Versicherungsträger rechtskräftig abgelehnt sei, weil nach den dortigen Vorschriften die Wartezeit auf keinen Fall erfüllt sei.
Gegen das am 11. Mai 1960 zugestellte Urteil vom 6. April 1960 hat die Klägerin unter Antragstellung am 2. Juni 1960 die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und diese am 20. Juni 1960 begründet.
Sie greift zunächst die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts mit einer auf Verletzung des § 128 SGG gestützten Verfahrensrüge an: Das Berufungsgericht habe die Feststellung, W könne über die Beitragsentrichtung nichts aussagen, ohne dessen Vernehmung nicht treffen dürfen. Wenn die Klägerin sich auf jenen Zeugen nicht berufen habe, sei das nur auf ihre Anregung zurückzuführen; eine Vernehmung hätte die Bestätigung der eidesstattlichen Versicherung erbracht.
Materiell-rechtlich rügt die Klägerin eine Verletzung der Artikel 23, 24 des Deutsch-österreichischen Abkommens und des § 1 FAG sowie des § 1263 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF. Durch die Worte "unbeschadet zwischenstaatlicher Abkommen" im § 1 FAG solle nur erreicht werden, daß jene Sonderbestimmungen mit Vorrang anzuwenden seien; ergebe sich dagegen nur nach dem FAG ein Anspruch, so behalte es bei diesem sein Bewenden.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des ablehnenden Bescheids die Beigeladene, hilfsweise die Klägerin, zur Zahlung der Witwenrente seit der Antragstellung kostenpflichtig zu verurteilen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen demgegenüber Zurückweisung der Revision.
Klägerin, Beklagte und Beigeladene haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden. Sie ist vom LSG zugelassen und somit statthaft; sie ist jedoch nicht begründet.
Die verfahrensrechtliche Rüge greift nicht durch. Aus dem Sachverhalt, insbesondere aus den eigenen Erklärungen der Klägerin vor dem LSG im Verhandlungstermin vom 10. Dezember 1956, die sich aus der mit keiner Revisionsrüge angegriffenen Verhandlungsniederschrift ergeben, muß entnommen werden, daß die Klägerin nach der für sie ergebnislosen Zeugenaussage des Zeugen G mit durchaus einleuchtender Begründung auf eine Vernehmung des Zeugen W der noch weniger orientiert sei, verzichten wollte. Unter diesen Umständen brauchte sich das LSG, zumal die Klägerin sich während des ganzen Berufungsverfahrens auf W nicht mehr bezogen hatte, nicht gedrängt zu fühlen, diesen Zeugen noch zu vernehmen. Das LSG hat vielmehr aus dem ihm vorliegenden gesamten Verfahrensergebnis die Überzeugung gewonnen, daß der Ehemann der Klägerin in Westpreußen keine freiwilliger Beiträge mehr gezahlt hat; es durfte ohne Verletzung der Grenzen seines Würdigungsrechts auch so verfahren.
Sachlich entscheidend ist die Frage, ob trotz des Deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens die Vorschriften des FAG dann anzuwenden sind, wenn im Einzelfall in Österreich nach den dortigen Vorschriften (insbesondere infolge der fehlenden Wartezeitfiktion) kein Rentenanspruch besteht. Es ist zuzugeben, daß diese Frage, ausgelöst durch den nicht sehr glücklichen Wortlaut des § 1 FAG ("unbeschadet ...") zunächst recht umstritten war. Zwischenzeitlich dürfte sich als herrschende Ansicht die von der Beklagten vertretene Auffassung ergeben haben. Diese ist auch zutreffend.
Der Sinn aller zwischenstaatlichen Regelungen dieser Art geht dahin, zwischen den beteiligten Ländern und ihren Sozialversicherungsträgern Klarheit darüber zu schaffen, in wessen Bereich die früher abgeleisteten Versicherungszeiten (dieser Begriff im weitesten Sinne gebraucht) fallen und wer demnach für sie dann einzustehen hat, wenn infolge Verschiebung der Staatsgrenzen ein Wechsel der Staatshoheit und damit auch der gesetzlichen Grundlagen eingetreten ist. Hierbei kann sinnvoll immer nur darauf abgestellt werden, daß Zeiten, die durch ein derartiges Abkommen dem einen Land zugewiesen werden, damit auch ausschließlich und definitiv (auch rückschauend betrachtet) als Zeiten jenes Landes anzusehen sind und völlig aus dem Bereich des anderen Vertragspartners ausscheiden. Daß diese Zeiten sich dadurch bei der Verschiedenheit der Sozialversicherungsvorschriften und -systeme in den beiden Ländern sehr häufig nach dem nun anzuwendenden anderen Recht im Ergebnis für den Versicherten günstiger oder ungünstiger auswirken als dies bei einem Verbleib im alten Rechtsgebiet der Fall gewesen wäre, ist eine unumgängliche Folge derartiger Regelungen. Der Versuch, diesem für den Versicherten zweifelsfrei zuweilen ungünstigen Ergebnis dadurch auszuweichen, daß man einen - subsidiären - Anspruch gegen den an sich befreiten Versicherungsträger zuläßt, wenn bzw. soweit der Versicherte bzw. seine Hinterbliebenen nach dem jetzt für ihn geltenden Recht gar keine oder geringere Leistungen erhält, scheitert daher bereits an seiner mit dem Sinn derartiger zwischenstaatlicher Regelungen unvereinbaren Systemwidrigkeit.
Wenn danach die streitige Bestimmung des § 1 FAG ("unbeschadet") bereits aus sich heraus nur in dem Sinn des angefochtenen Urteils zu verstehen ist, so wird diese Auslegung vollends eindeutig, wenn man die - für die Zeit nach dem 1. Januar 1959 ohnehin sonst anzuwendende - Neufassung durch das FANG in die Betrachtung einbezieht. § 2 FRG in jener Fassung schließt nunmehr ausdrücklich die Gültigkeit jenes Gesetzes für die gedachten Zeiten aus. Dies spricht eindeutig dafür, daß die bisherige Rechtslage auch nach der Auffassung des Gesetzgebers mit der neu gefaßten Regelung übereinstimmte, da nicht angenommen werden kann, daß durch diese neue Vorschrift eine so erhebliche Verschlechterung der Ansprüche größerer Versichertenkreise gegenüber dem bisherigen Zustand geschaffen werden sollte.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Fundstellen
Haufe-Index 2014854 |
BSGE, 113 |