Orientierungssatz
Zum Begriff der Unterbrechung in RVO § 1259 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 3.
Normenkette
RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23, Nr. 2 Fassung: 1957-02-23, Nr. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. Oktober 1967 und des Sozialgerichts Itzehoe vom 11. April 1967 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind im Rechtsstreit nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der im Juli 1900 geborene Kläger war bis zum 30. März 1964 versicherungspflichtig als Fabrikarbeiter tätig. Danach war er arbeitsunfähig krank und erwerbsunfähig. Auf seinen im April 1964 gestellten Antrag erhielt er ab März 1964 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Diese Rente wandelte die Beklagte ab Juli 1965 in das Altersruhegeld um (Bescheid vom 9. September 1966).
Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, bei der Berechnung des Altersruhegeldes die Zeit vom April 1964 bis Juni 1965 als Ausfallzeit anzurechnen. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten zurück. Es hielt die Voraussetzungen für die Anrechnung der Ausfallzeit nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für erfüllt. Daß der Kläger zur gleichen Zeit Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen habe, schließe die Anrechnung nicht aus.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 1254 Abs. 2 RVO idF vor dem Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 und des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Die Beteiligten und die Vorinstanzen haben vornehmlich die Frage erörtert, inwieweit Zeiten, in denen ein Versicherter Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezog, überhaupt als Ausfallzeiten angerechnet werden dürfen. Damit braucht sich der Senat nicht zu befassen. Denn die Zeit vom April 1964 bis Juni 1965 stellt schon keine Ausfallzeit im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO dar.
Diese Vorschrift verlangt - in den Fassungen vor und nach dem RVÄndG vom 9. Juni 1965 -, daß eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit oder aus sonstigen dort genannten Gründen unterbrochen worden ist. Im vorliegenden Fall hat die Arbeitsunfähigkeit die versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers nicht unterbrochen, sondern beendet.
Für die gegenteilige Auffassung hat sich das LSG auf das Urteil des 1. Senats vom 18. Januar 1962 (BSG 16, 120) berufen. Dort ist zwar gesagt (S. 122), daß der in den Nr. 1 bis 3 des § 1259 Abs. 1 RVO gebrauchte Begriff der Unterbrechung die spätere Wiederaufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nicht zwingend fordere; von einer Unterbrechung könne auch gesprochen werden, wenn jedenfalls die Absicht der Wiederaufnahme nach dem Wegfall des Hindernisses bestanden habe und diese sich wider Erwarten nicht durchführen ließ. Ähnlich hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 13. Mai 1966 (BSG 25,16,18) den Begriff der Unterbrechung verstanden, wenn er die Möglichkeit oder Aussicht der Wiederaufnahme hat genügen lassen.
In diesen beiden Fällen hatte der Versicherte in der geltend gemachten Zeit indessen noch keine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen. Mit einem solchen Fall hat sich der 1. Senat des BSG erstmals im Urteil vom 3. Mai 1968 (SozR Nr. 20 zu § 1259 RVO) befaßt. Nach seiner Auffassung läßt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des einzelnen Falles beurteilen, ob eine Unterbrechung i. S. des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 RVO vorliegt. Die Ausführungen des 1. Senats lassen erkennen, daß er in der Regel eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit vor und nach dem Ausfallzeitentatbestand verlangt, daß er ihre spätere Wiederaufnahme ausnahmsweise jedoch dann nicht fordert, wenn der Versicherte noch nicht endgültig aus dem Kreis derer ausgeschieden war, die einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nachzugehen pflegen. Fälle dieser Art hielt der 1. Senat bei den Entscheidungen vom 18. Januar 1962 und vom 3. Mai 1968 für gegeben, weil der Versicherte im 1. Fall arbeitslos war und im 2. Fall nur eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bezog; zum letzten Fall wies er darauf hin, der Gesetzgeber gehe von der Vorstellung aus, daß ein solcher Rentenbezieher noch versicherungspflichtig tätig sein könne und solle. Gemäß diesen Grundsätzen verneinte also der 1. Senat in dem Urteil vom 3. Mai 1968 das Tatbestandsmerkmal "Unterbrechung", wenn der Versicherte arbeitsunfähig krank geworden war und auf Grund dieser Krankheit eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhalten hatte und wenn diese Rente später, ohne daß der Versicherte wieder erwerbsfähig geworden war, in das Altersruhegeld umgewandelt wurde. In diesem Fall sei die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr bloß unterbrochen gewesen, sie sei vielmehr mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, spätestens aber mit dem Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit beendet worden. Der Bezug der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sei ein Indiz für die Beendigung.
Der erkennende Senat schließt sich dieser Auslegung des Begriffs der Unterbrechung in § 1259 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 RVO an. Er läßt dahingestellt, ob es Fälle gibt, in denen ein Bezieher einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit versicherungspflichtig beschäftigt oder tätig sein könnte. Wenn überhaupt, so sind diese Fälle jedenfalls so selten, daß sie außer acht bleiben können. In aller Regel können die Bezieher von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit keine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit mehr ausüben; von dieser Vorstellung geht auch der Gesetzgeber aus, wie schon die Bemessung der Rentenhöhe (Gleichstellung mit dem Altersruhegeld) erweist. Die Bezieher von Renten wegen Erwerbsunfähigkeit - außer vielleicht die Bezieher solcher Renten auf Zeit - gehören darum nicht mehr dem Kreis derer an, die einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nachzugehen pflegen. Wenn solche Rentenbezieher die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit fortlaufend bis zum Bezug des Altersruhegeldes erhalten haben, dann ist ihre versicherungspflichtige Beschäftigung im Falle des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO durch die Arbeitsunfähigkeit nicht bloß unterbrochen worden, Die Arbeitsunfähigkeit bzw. die Erwerbsunfähigkeit hat die versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit alsdann vielmehr beendet, selbst wenn der Versicherte bis zum Beginn des Altersruhegeldes noch die Absicht hatte, nach Wegfall der Arbeitsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit wieder versicherungspflichtig beschäftigt oder tätig zu werden.
Die Urteile der Vorinstanzen sind somit aufzuheben.
Die Klage ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen