Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung der Leistungspflicht zwischen Kranken- und Rentenversicherung bei Tuberkulose-Heilmaßnahmen
Leitsatz (amtlich)
Bei Erstattungsstreitigkeiten nach BSHG § 59 gegen Träger der Rentenversicherung wegen gewährter Tbc-Hilfe ist der Träger der Krankenversicherung auch dann beizuladen (SGG § 75 Abs 2 Alternative 2), wenn er bereit ist, nach seinen Vorschriften zu leisten, falls die Klage gegen den Träger der Rentenversicherung abgewiesen wird.
Leitsatz (redaktionell)
Bei Tuberkulose-Heilmaßnahmen ist die Leistungspflicht zwischen Kranken- und Rentenversicherung dahingehend abgegrenzt, daß für die stationäre Heilbehandlung vor allem der Rentenversicherungsträger und für die ambulante Heilbehandlung in erster Linie der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zuständig ist (RVO § 1244a Abs 3 S 2 und Abs 6 S 3). Die Leistungspflicht der Krankenkasse ist bei stationärer Heilbehandlung jedoch dann gegeben, wenn ein Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger auf Gewährung von Tuberkulose-Heilmaßnahmen nicht besteht.
Normenkette
RVO § 1244a Abs. 3 S. 2 Fassung: 1959-07-23; AVG § 21a Abs. 3 S. 2 Fassung: 1959-07-23; RVO § 1244a Abs. 6 S. 3 Fassung: 1959-07-23; AVG § 21a Abs. 6 S. 3 Fassung: 1959-07-23; BSHG § 59; SGG § 75 Abs. 2 Art. 2
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 18. Oktober 1973 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem klagenden Land als dem Träger der öffentlichen Fürsorge die Kosten zu erstatten hat, die diesem durch die Gewährung von Tuberkulosehilfe (Tbc-Hilfe) für den Kaufmann Wilfried R (R.) in den Jahren 1959 bis 1969 in Höhe von insgesamt 18.822,50 DM entstanden sind.
Der am 3. Oktober 1917 geborene R. hatte keine Beiträge zur Rentenversicherung (RentV) geleistet. Seine Tbc wurde am 6. Juni 1943 im Anschluß an eine trockene Rippenfellentzündung entdeckt. Seit dem befand er sich in teils ambulanter, teils stationärer Behandlung. Am 24. Dezember 1947 heiratete er die Büroangestellte Margarete G. Für sie waren von 1935 bis 1948 für insgesamt 95 Kalendermonate Beiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) entrichtet. Auch war sie seit dem 1. Oktober 1960 erneut als Büroangestellte beschäftigt. R. bezog vom 1. Juli 1947 bis zu seinem Tode am 21. Juni 1969 Tbc-Hilfe. Außerdem erhielt er eine kleine Versorgungsrente. Im übrigen betrieb er eine Lotto- und Toto-Annahmestelle, die 1950 auf seine Ehefrau umgeschrieben wurde.
Die genannten Kosten von 18.822,50 DM waren im wesentlichen durch stationäre Behandlungen während der folgenden Zeiten verursacht:
a) 17. Oktober bis 31. Dezember 1959,
b) 1. Januar bis 15. Juni 1960,
c) 21. Februar bis 31. Dezember 1963,
d) 5. November 1968 bis 25. Mai 1969.
Außerdem hatte die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) Kosten für stationäre Behandlungen des R. in den Jahren 1966 bis 1968 getragen. Die DAK hat sich - nach Angaben des Klägers - unter Verzicht auf die Einrede der Verjährung diesem gegenüber verpflichtet, im Rahmen der für sie geltenden Vorschrift des § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Behandlungskosten zu erstatten, falls der Kläger in diesem Rechtsstreit keinen Erfolg haben sollte.
Mit Schreiben vom 3. August 1965 meldete der Kläger erstmalig Ersatzansprüche gegen die Beklagte mit der Begründung an, die Ehefrau des R. stehe, wie sich bei einer Überprüfung herausgestellt habe, unter Versicherungsschutz und habe ihren Ehemann seit Jahren überwiegend unterhalten. Nachdem die Beklagte die Erfüllung des Ersatzanspruchs abgelehnt hatte, erhob der Kläger am 1. Dezember 1970 vor dem Sozialgericht (SG) Hannover Klage. Er stützte seinen Ersatzanspruch auf § 59 Abs. 2 Satz 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) i.V.m. § 21 a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und machte vor allem geltend, R. habe seit 1950 kein eigenes Einkommen mehr erzielt. Vielmehr habe seine bei der Beklagten versicherte Ehefrau von diesem Zeitpunkt bis zum 28. Dezember 1962 die Lotto- und Toto-Annahmestelle betrieben und seit Oktober 1960 auch Einkünfte aufgrund eines Arbeitsverhältnisses erzielt und daraus sich und ihren Ehemann unterhalten, so daß die Beklagte nach § 21 a Abs. 2 AVG leistungspflichtig gewesen sei.
Die Beklagte vertrat demgegenüber die Ansicht, die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien nicht erfüllt. Nach Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit könne eine Eheschließung eines nicht rentenversicherten Betreuten mit dem Versicherten den bisher vom Fürsorgeträger Unterstützten nicht zum Ehegatten eines anspruchsberechtigten Versicherten im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung machen. Außerdem habe die Versicherte nicht den überwiegenden Unterhalt erbracht. Überdies sei der Ersatzanspruch nicht innerhalb der nach § 77 AVG i.V.m. § 1539 RVO gebotenen Frist von sechs Monaten angemeldet worden und nach § 29 Abs. 3 RVO verjährt.
Das SG wies die Klage durch Urteil vom 20. November 1972 ab.
Mit der hiergegen eingelegten Berufung begehrt der Kläger die Beklagte zu verurteilen, an ihn 18.822,50 DM zu zahlen. Durch Urteil vom 18. Oktober 1973 wies das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen entsprechend dem Antrage der Beklagten die Berufung zurück. Zur Begründung führt es u.a. aus, eine Beiladung der DAK sei nicht notwendig gewesen. Andere Versicherungsträger seien nach dem zweiten Halbsatz des § 75 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zwar auch dann beizuladen, wenn sie bei der Ablehnung des Anspruchs als leistungspflichtig in Betracht kämen. Diese Bestimmung solle aber nur in Verbindung mit § 75 Abs. 5 SGG dem Gericht die Möglichkeit eröffnen, aus prozeßökonomischen Gründen den in Wirklichkeit legitimierten, aber nicht verklagten Leistungsträger zu verurteilen (BSG 24, 103). Eine Beiladung sei danach nicht geboten, wenn - wie hier - der andere Leistungsträger zur Zahlung bereit sei und seine Verurteilung aus diesem Grunde nicht in Betracht komme.
Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 18.822,50 DM. Gerügt wird die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Ein wesentlicher Verfahrensmangel bestehe darin, daß die DAK nicht beigeladen worden sei. Sie habe nur bedingt ihre Zahlungsbereitschaft erklärt und habe ein eigenes Interesse daran, daß die Beklagte verurteilt werde. Dann müsse es ihr aber auch möglich sein, auf den Verfahrensverlauf einzuwirken.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
II.
Die Revision des Klägers muß zur Aufhebung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz führen.
Das BSHG enthält, abgesehen von seinen §§ 132 und 135, keine Vorschriften über die Zuständigkeit der KrV und der RentV und die Abgrenzung ihrer Leistungspflicht. Statt dessen regelt § 1244 a RVO, ebenso wie § 21 a AVG und § 43 a des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG), wann die Träger der RentV die Tbc-Hilfe zu erbringen haben, und zwar als Regelleistung der gesetzlichen RentV. Dabei ist gegenüber der allgemeinen Regelung in den § 1235 ff RVO (= § 12 ff AVG) einmal der berechtigte Personenkreis erweitert, insbesondere auf alle Rentner, ferner auf die Ehefrauen und die Kinder des Versicherten, andererseits aber auch die Leistungspflicht der RentV in sachlicher, räumlicher und persönlicher Hinsicht beschränkt, wie sich u.a. aus Abs. 7 und 9 der angeführten Vorschriften ergibt. Im Hinblick auf die historische Entwicklung der Tbc-Hilfe in Deutschland (vgl. hierzu VerbKomm. § 1244 a RVO Anm. 2 a sowie BSG, SozR Nrn. 2 und 5 zu § 1244 a RVO) enthält § 1244 a RVO darüber hinaus eine Abgrenzung der Leistungspflicht zwischen Krv und RentV auf der Grundlage, daß für stationäre Heilbehandlung vor allem die RentV-Träger und für die ambulante Heilbehandlung in erster Linie die KrV zuständig sind (vgl. § 1244 a RVO Abs. 3 Satz 2 und Abs. 6 Satz 3 sowie BSG 31, 122, 124), wobei jedoch wiederum die KrV auch bei stationärer Behandlung nach ihren Vorschriften leistungspflichtig sein kann, wenn ein Anspruch gegen den RentV-Träger nicht besteht.
Hiernach erweist sich die Verfahrensrüge des Klägers als berechtigt. Das LSG hätte die DAK nach der zweiten Alternative des § 75 Abs. 2 SGG beiladen müssen. Nachdem es Ansprüche gegen die Beklagte verneint hatte, kam die DAK als leistungspflichtig in Betracht. Die Frage der Abgrenzung der Leistungspflicht der KrV und der RentV ist in Fällen der vorliegenden Art sogar das eigentliche Problem des Rechtsstreits, da nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt sowohl die KrV als auch die RentV als leistungspflichtig in Betracht kommen. Unerheblich war dabei, daß der Kläger keine Anträge gegen den Träger der KrV gestellt hatte (vgl. dazu SozR Nr. 26 zu § 75 SGG). Die Beiladung ist zwingend vorgeschrieben, sie hätte nur dann unterbleiben können, wenn die DAK den Anspruch bereits anerkannt hätte (vgl. SozR Nr. 30 zu § 75 SGG). Hieran fehlte es jedoch, da die DAK nur für den Fall leisten will, daß die Klage gegen die Beklagte abgewiesen wird, und das auch nur nach den Angaben des Klägers, deren Richtigkeit vom LSG nicht nachgeprüft worden ist. Dieser Verfahrensfehler nötigt zur Aufhebung und zur Zurückverweisung nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG, da Beiladungen in der Revisionsinstanz nach § 168 SGG nicht nachgeholt werden können und im übrigen eine Sachentscheidung auch nicht möglich wäre, ohne den Anspruch des Beigeladenen auf rechtliches Gehör zu verletzen (§ 62 SGG). Der Senat ist somit nicht in der Lage, weitere, hier maßgebende Rechtsfragen schon jetzt zu entscheiden.
Bei seiner abschließenden Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen