Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristsetzung für Nachreichen der Vollmacht

 

Leitsatz (amtlich)

Ist die Klage als unzulässig abgewiesen worden, weil keine Prozeßvollmacht vorgelegt worden ist, so kann der Mangel im nachfolgenden Rechtsmittelverfahren geheilt werden, wenn die Vorinstanz den Prozeßvertreter nicht unter einer Fristsetzung zur Vorlage der Prozeßvollmacht aufgefordert hatte (Fortentwicklung von Beschluß des Gemeinsamen Senats vom 17.4.1984 GmSOGB 2/83 = SozR 1500 § 73 Nr 4; BSG 24.3.1971 6 RKa 16/70 = BSGE 32, 253 = SozR Nr 17 zu § 73 SGG).

 

Orientierungssatz

Im sozialgerichtlichen Verfahren gilt über § 202 SGG der § 89 Abs 1 ZPO entsprechend (vgl BSG 19.7.1961 11 RV 604/58 = SozR Nr 1 zu § 14 OVAO). Danach kann bei einstweiliger Zulassung eines Prozeßbevollmächtigten vor dem Nachweis der Vollmacht (Satz 1) das Endurteil erst erlassen werden, nachdem die für die Beibringung der Genehmigung zu bestimmende Frist abgelaufen ist (Satz 2). Dem SGG ist jedenfalls kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß im sozialgerichtlichen Verfahren in einem solchen Fall ein Prozeßurteil ohne eine befristete Aufforderung zur Vorlage der Vollmacht oder Genehmigung der Prozeßführung ergehen dürfe.

 

Normenkette

SGG § 73 Abs 2 S 1, § 202; ZPO § 89 Abs 1 S 1; ZPO § 89 Abs 2 S 2

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 08.11.1984; Aktenzeichen L 5 A 60/84)

SG Koblenz (Entscheidung vom 12.06.1984; Aktenzeichen S 7 A 203/83)

 

Tatbestand

Im Revisionsverfahren ist noch die Anrechnung einer Ersatzzeit streitig.

Die Klägerin bezieht seit 1949 die Witwenrente aus der Versicherung ihres Ehemannes, der seit 1944 als Soldat vermißt ist. Ihren 1982 gestellten Antrag, dabei eine weitere Beschäftigungszeit und die noch streitige Zeit des Wehrdienstes im Memelland (Litauen) als Ersatzzeit anzurechnen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 29. April 1983; Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1983). Das Sozialgericht (SG) hat die von Prozeßbevollmächtigten erhobene Klage mangels vorgelegter schriftlicher Prozeßvollmacht als unzulässig abgewiesen (Urteil vom 12. Juni 1984). Auf die von der Klägerin selbst eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte zur Anrechnung beider streitiger Zeiten verurteilt (Urteil vom 8. November 1984). Die 1 1/2 jährige Militärdienstzeit von November 1929 bis Mai 1931 in Litauen sei nachgewiesen. Bei diesem Militärdienst handele es sich - wie § 28 Abs 1 Nr 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) voraussetze - um einen militärischen Dienst im Sinne des § 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG), der aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht geleistet worden sei. Nach § 2 Abs 2 BVG stehe bei Vertriebenen, die Deutsche oder deutsche Volkszugehörige sind, die Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht nach den Vorschriften des Herkunftslandes vor dem 9. Mai 1945 dem Dienst in der deutschen Wehrmacht gleich.

Mit der vom Senat hinsichtlich der Ersatzzeit zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des Art 2 § 8 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG); nach dieser Übergangsvorschrift gelte die Ersatzzeitregelung in § 28 AVG nicht für Versicherungsfälle aus der Zeit vor 1957, nach dem damit anzuwendenden zuvor geltenden Recht sei eine ausländische Militärdienstzeit nicht als Ersatzzeit anzurechnen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG abzuändern, soweit sie zur Berücksichtigung einer Ersatzzeit verurteilt worden ist, und die Berufung der Klägerin insoweit zurückzuweisen.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision der Beklagten war die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG hinsichtlich der streitigen Ersatzzeit zurückzuweisen.

Das LSG hat die Klage im Ergebnis zu Recht als zulässig angesehen, was der Senat von Amts wegen zu prüfen hatte (BSGE 42, 212, 215 = SozR 1500 § 144 Nr 5). Dem stand nicht entgegen, daß das SG die von Prozeßbevollmächtigten eingelegte Klage mangels Vorlage einer schriftlichen Vollmacht als unzulässig abgewiesen hatte. Nach § 73 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist allerdings die Vollmacht schriftlich zu erteilen und zu den Akten "bis zur Verkündung der Entscheidung einzureichen", womit die nächstfolgende Entscheidung gemeint ist. Damit ist jedoch nicht für alle Fälle schlechterdings eine Heilung des Mangels in dem nachfolgenden Rechtsmittelverfahren ausgeschlossen. Nach dem Urteil des 11b Senats vom 28. November 1985 - 11b/7 RAr 103/84 - kann der Mangel der nicht vorgelegten Vollmacht auch nach Erlaß des erstinstanzlichen Urteils noch durch Nachreichung der Vollmacht oder anderweitige Genehmigung der Prozeßführung geheilt werden, wenn die Vorinstanz trotz der nicht vorgelegten Prozeßvollmacht in der Sache entschieden hat. Aber auch wenn diese die Klage wegen des Mangels als unzulässig abgewiesen hat, ist die Genehmigung der Prozeßführung im Rechtsmittelverfahren dann zulässig, wenn die Vorinstanz den Prozeßvertreter nicht unter Fristsetzung zur Vorlage der Prozeßvollmacht aufgefordert hatte.

Diese Auffassung entspricht einer sinngemäßen Fortentwicklung bisheriger einschlägiger Entscheidungen. Im Urteil vom 24. März 1971 (BSGE 32, 253 = SozR Nr 17 zu § 73 SGG) hatte der 6. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) nach einem Prozeßurteil der ersten Instanz noch die Möglichkeit der Heilung im Berufungsverfahren uneingeschränkt bejaht. Demgegenüber hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes in einem auf eine Kontroverse zwischen Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht ergangenen Beschluß vom 17. April 1984 (SozR 1500 § 73 Nr 4) die Möglichkeit einer Heilung im Revisionsverfahren verneint, wenn die Berufung deshalb als unzulässig verworfen worden war, weil trotz gerichtlicher Fristsetzung keine Vollmacht für den Vertreter des Rechtsmittelklägers vorgelegt worden ist. Das muß im Verhältnis der Berufung zur ersten Instanz genauso gelten, so daß das Urteil vom 24. März 1971 für die Fallgestaltung einer trotz Fristsetzung nicht vorgelegten Prozeßvollmacht als überholt anzusehen ist.

Der Senat hält es für angemessen, den Ausschluß der Heilung nach einem Prozeßurteil auf den Fall der vergeblichen Fristsetzung in der Vorinstanz zu beschränken, weil mit der Fristsetzung der Mangel in der Vorinstanz deutlich offengelegt und zu seiner Behebung aufgefordert worden war. Dabei geht er davon aus, daß auch im sozialgerichtlichen Verfahren über § 202 SGG der § 89 Abs 1 ZPO entsprechend gilt (so schon BSG SozR Nr 1 zu § 14 OVAO). Danach kann bei einstweiliger Zulassung eines Prozeßbevollmächtigten vor dem Nachweis der Vollmacht (Satz 1) das Endurteil erst erlassen werden, nachdem die für die Beibringung der Genehmigung zu bestimmende Frist abgelaufen ist (Satz 2). Dem SGG ist jedenfalls kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß im sozialgerichtlichen Verfahren in einem solchen Fall ein Prozeßurteil ohne eine befristete Aufforderung zur Vorlage der Vollmacht oder Genehmigung der Prozeßführung ergehen dürfe (vgl auch BT-Drucks I/4357 auf S 22 zu § 22). Die Notwendigkeit einer Fristsetzung hat der Gemeinsame Senat wohl auch im Rahmen von § 67 Abs 3 Satz 2 VwGO angenommen, obgleich nach dessen Formulierung das Gericht eine Frist bestimmen "kann".

Das SG hatte die Prozeßbevollmächtigten mit der Aufforderung zur Klagebegründung zur Prozeßführung einstweilen zugelassen. Dabei hat es zugleich um Vorlage der Vollmacht gebeten, ohne jedoch dafür eine Frist zu setzen. Die Klägerin konnte daher nach dem Erlaß des erstinstanzlichen Prozeßurteils den Mangel noch im Berufungsverfahren durch Genehmigung der Prozeßführung heilen. Das hat sie schon dadurch getan, daß sie selbst Berufung eingelegt hat mit dem Ziel, ein ihr günstiges Sachurteil zu erreichen.

In der Sache hat das LSG indessen zu Unrecht die Beklagte zur Anrechnung des Wehrdienstes im Memelland als Ersatzzeit iS des § 28 Abs 1 Nr 1 AVG iVm § 2 Abs 2 BVG verurteilt. Nach Art 2 § 6 AnVNG sind für Rentenansprüche aus Versicherungsfällen vor dem 1. Januar 1957 die bis dahin geltenden Vorschriften maßgebend, soweit in den folgenden Vorschriften nichts anderes bestimmt ist. Hier ist der Versicherungsfall der Witwenrente vor dem 1. Januar 1957 eingetreten, so daß nach der genannten Bestimmung die früheren Vorschriften maßgebend sind. Daran ändern auch die Art 2 § 6 AnVNG folgenden Bestimmungen nichts. Dies gilt insbesondere für den die Anwendung des § 26 AVG betreffenden Art 2 § 8 Satz 1. Nach seiner ursprünglichen Fassung vom 23. Februar 1957 galt § 26 AVG auch für Versicherungsfälle, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes, aber nach dem 31. März 1945 eingetreten sind. Nach der Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 gilt § 26 AVG auch für Versicherungsfälle, die vor dem 1. Juli 1965 eingetreten sind; die Einschränkung, "aber nach dem 31. März 1945", ist dort entfallen. § 26 AVG führt nämlich, soweit er nach Art 2 § 8 Satz 1 AnVNG auch für Versicherungsfälle aus der Zeit vor dem 1. Januar 1957 gilt, für diese nicht über § 27 AVG die Ersatzzeiten des § 28 AVG ein (so schon zur ursprünglichen Fassung BSGE 9, 92 = SozR Nr 1 zu § 1251 RVO; BSGE 10, 151 = SozR Nr 2 zu § 1251 RVO). Das gilt auch, soweit er nach der Neufassung des Art 2 § 8 AnVNG durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz auf alle Versicherungsfälle vor dem 1. Juli 1965 anzuwenden ist (BSG SozR Nr 9 zu § 1249). Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Das zuvor geltende Recht enthielt aber keine Verweisung auf § 2 BVG. Es gab dort keine Vorschrift, nach der der im Memelland abgeleistete Wehrdienst als Ersatzzeit angerechnet werden konnte. Damit muß es hinsichtlich der Ersatzzeit im Ergebnis bei der im Urteil des SG erfolgten Abweisung der Klage bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657430

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