Entscheidungsstichwort (Thema)
Werkstatt für Behinderte. überwiegendes Interesse des Betriebes an Teilnahme. überwiegendes Interesse des Betriebes an Maßnahme. besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse. Betrieb. Beurteilungsspielraum. betriebliche Bindung
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses (§ 43 Abs 2 S 2 AFG), wenn es um die Förderung der Teilnahme von Gruppenleitern einer Werkstatt für Behinderte an einer sonderpädagogischen Zusatzausbildung geht.
Normenkette
AFG § 43 Abs. 2 Fassung: 1975-12-18, § 2; SchwbG § 54 Abs. 1 (Fassung: 29.9.1990), § 57 (Fassung: 26.8.1986), § 54b (Fassung: 23.7.1996); AFuU 1976 § 9 Fassung: 1991-03-08; SchwbWV §§ 9, 11, 17; GG Art. 3 Abs. 3 S. 2 (Fassung: 27.10.1994)
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. September 1995 (L 6 Ar 149/94) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten (Lehrgangsgebühren, Prüfungsgebühren und Fahrkosten) für die Teilnahme an dem Lehrgang “Sonderpädagogische Zusatzausbildung für Gruppenleiter in Werkstätten für Behinderte” (in der Zeit vom 7. September 1992 bis 26. November 1993).
Der 1960 geborene Kläger ist von Beruf Werkzeugmachermeister und seit Dezember 1989 (als Gruppenleiter) in den Caritas-Werkstätten M.… tätig. Förderungsleistungen aus anderem Anlaß hat die Beklagte bereits im Jahre 1983 und von September 1988 bis Mai 1989 sowie von September 1989 bis Juli 1990 erbracht.
Im März 1992 beantragte der Kläger die Förderung der Zusatzausbildung, die der Landesverband Rheinland-Pfalz der Lebenshilfe für geistig Behinderte eV in der Zeit vom 7. September 1992 bis 26. November 1993 durchführte. Die Beklagte lehnte die Förderung ab, weil die Teilnahme des Klägers an der Bildungsmaßnahme überwiegend im Interesse des Betriebes liege und ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse an der Teilnahme des Klägers nicht angenommen werden könne (Bescheid vom 12. Februar 1993; Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 1993). Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 13. September 1994; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 15. September 1995). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Begriff des Betriebes umfasse auch eine Werkstatt für Behinderte (WfB). Die Teilnahme des Klägers an der Maßnahme liege überwiegend im Interesse der Caritas-Werkstätten M., … weil diese als anerkannte WfB in der Regel Facharbeiter, Gesellen oder Meister mit einer mindestens zweijährigen Berufserfahrung in Industrie und Handwerk beschäftigen müsse, die sonderpädagogisch geeignet seien und über eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation verfügen müßten (§ 9 Abs 3 Satz 3 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes ≪Werkstättenverordnung Schwerbehindertengesetz – SchwbWV≫). Ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse zur Teilnahme des Klägers an der Maßnahme sei nicht zu bejahen (§ 43 Abs 2 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫ iVm § 13 Abs 2 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung ≪AFuU≫).
Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung von § 43 Abs 2 AFG iVm § 9 Abs 3 SchwbWV. Eine WfB sei schon kein auf Erwerbswirtschaft ausgerichteter Betrieb im herkömmlichen Sinne, sondern eine Einrichtung zur Eingliederung Behinderter in das Arbeitsleben (§ 54 Abs 1 Schwerbehindertengesetz ≪SchwbG≫). Demgemäß sei die Ausbildung von Behinderten in einer WfB auch keine betriebliche Berufsausbildung iS des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) und des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Die Teilnahme an der Sonderpädagogischen Zusatzausbildung liege zudem nicht im überwiegenden Interesse einer WfB. Sie sei zwar Voraussetzung für die Anerkennung als Fachkraft in einer WfB (§ 9 Abs 3 Satz 5 iVm Abs 2 Satz 3 SchwbWV); doch diene sie nicht nur Gruppenleitern einer WfB, sondern auch Mitarbeitern in sonstigen Bereichen der Behindertenbetreuung.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Mai 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Teilnahme an der am 7. September 1992 begonnenen Maßnahme im gesetzlichen Umfang zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das zweitinstanzliche Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist iS der Aufhebung des zweitinstanzlichen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG); mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen vermag der Senat keine abschließende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Bescheids der Beklagten vom 12. Februar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Mai 1993 zu treffen, und zwar schon im Hinblick auf § 43 Abs 2 AFG.
Nach dieser Vorschrift (hier idF des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des AFG und des Bundesversorgungsgesetzes ≪HStruktG-AFG≫ vom 18. Dezember 1975 – BGBl I 3113) gilt für die Förderung beruflicher Fortbildungsmaßnahmen folgende Ausschlußklausel: Liegt die Teilnahme eines Antragstellers an der Maßnahme überwiegend im Interesse des Betriebes, dem er angehört, so wird die Teilnahme nicht gefördert, dies gilt insbesondere, wenn der Antragsteller an einer Maßnahme teilnimmt, die unmittelbar oder mittelbar von dem Betrieb getragen wird oder im überwiegenden Interesse des Betriebes liegt (Satz 1). Die Teilnahme wird jedoch gefördert, wenn dafür ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht (Satz 2). Diese Regelungen werden durch § 9 AFuU vom 23. März 1976 (hier idF der 19. Änderungsanordnung vom 8. März 1991 – ANBA S 454), die ihrerseits auf § 39 AFG fußt, wie folgt konkretisiert:
(1) Ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse iS des § 43 Abs 2 AFG besteht, wenn die Teilnehmer an der Maßnahme für Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen fortgebildet oder umgeschult werden, die
- für die Sicherung oder Bereitstellung von anderen Arbeits- oder Ausbildungsplätzen notwendig sind,
- benötigt werden, um arbeitsmarkt- und strukturpolitisch unerwünschte Betriebsan-, siedlungen oder Erweiterungen durchführen zu können,
und Fachkräfte mit beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten, die durch die Teilnahme an der Maßnahme vermittelt werden, nicht oder nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen …
(2) Die Förderung der Teilnahme an einer Maßnahme nach Abs 1 setzt voraus, daß die Maßnahme mit einer allgemein anerkannten Prüfung abschließt und die Teilnahme an der Maßnahme nicht von betrieblichen Bindungen abhängig gemacht wird.
(3) Ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht auch an der Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen, die ein Betrieb bei einer besonders ungünstigen Beschäftigungslage für seine Arbeitnehmer, die andernfalls von Arbeitslosigkeit bedroht wären, durchführt oder durchführen läßt und die nicht länger als 24 Monate dauern. Eine Förderung ist nur dann zulässig, wenn der Betrieb seine Einrichtungen hierfür unentgeltlich zur Verfügung stellt.
(4) …
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Teilnahme des Klägers an der Maßnahme überwiegend im Interesse des Betriebes lag, dem er angehörte (§ 43 Abs 2 Satz 1 AFG).
Die Anwendung des § 43 Abs 2 Satz 1 AFG scheitert vorliegend – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht schon daran, daß es sich bei einer WfB nicht um ein auf Gewinnerzielung gerichtetes Unternehmen handelt. Der Begriff des Betriebes iS der erwähnten Bestimmung ist vielmehr weit auszulegen; er umfaßt alle Einrichtungen, die Arbeitnehmer beschäftigen (Gagel, Komm zum AFG, Stand Januar 1996, § 43 Rz 9; Hennig/Kühl/Heuer/Henke, Komm zum AFG, Stand Dezember 1996, § 43 Anm 8.1, Knigge/Schmidt/Marschall/Wissing, Komm zum AFG, 3. Aufl 1993, Stand 7. Ergänzungslieferung 1996, § 43 Anm 10; Niesel, Komm zum AFG, 1995, § 43 Rz 8; Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm zum AFG, 2. Aufl, Stand September 1996, § 43 Rz 5). Das ergibt sich vornehmlich aus der rechtsgeschichtlichen Entwicklung des § 43 Abs 2 AFG.
Nach der bis zum Inkrafttreten des HStruktG-AFG ab 1. Januar 1976 geltenden Fassung des § 43 Abs 2 AFG wurde die “Teilnahme an Maßnahmen, die auf die Zwecke eines Betriebes oder Verbandes ausgerichtet” waren, “nur gefördert, wenn dafür ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse” bestand. Aus dieser Formulierung folgerte das Bundessozialgericht (BSG), daß eine Förderung nur ausgeschlossen sei, wenn die Maßnahme als solche interessengebunden sei, nicht jedoch schon dann, wenn der Teilnehmer mit der Teilnahme lediglich Interessen eines Betriebes verfolge (BSG SozR 4100 § 43 Nr 15). Mit der Neufassung des § 43 Abs 2 AFG am 1. Januar 1976 ergab sich zwar eine gewisse Verschiebung der Interessengebundenheit; seither ist nicht allein der (objektive) Charakter der Maßnahme selbst ausschlaggebend. Es reicht vielmehr aus, wenn die Teilnahme daran schon überwiegend im Interesse des Betriebes liegt, dem der Antragsteller angehört (§ 43 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 AFG), wenn auch die Trägerschaft des Betriebes oder sein überwiegendes Interesse an der Maßnahme kraft gesetzlicher Fiktion (§ 43 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 AFG) das Interesse des Betriebes an der Teilnahme belegt (BSG, Urteil vom 20. März 1984 – 7 RAr 56/82 –, DBlR Nr 2990 zu § 43 AFG). Im übrigen hat die Vorschrift, durch die eine ungerechtfertigte Verlagerung von Kosten der beruflichen Bildung von der Wirtschaft auf die Bundesanstalt für Arbeit (BA) ausgeschlossen werden sollte (BT-Drucks 7/4243 S 8 zu Art 20 § 1 Nr 5a), aber keine Änderung hinsichtlich ihres Zweckes und ihrer inhaltlichen Bedeutung erfahren (BSG aaO), also auch soweit sie – anstelle der früheren Wendung “Betrieb oder Verband” – nur noch den Begriff des “Betriebes” gebraucht. Damit folgte der Gesetzgeber der Rechtsprechung des BSG, die die Doppelbezeichnung “Betrieb oder Verband” nicht als Alternativen, sondern als allgemeinen Sammelbegriff für alle die Einrichtungen angesehen hatte, die überhaupt als Träger von Fortbildungsmaßnahmen in Betracht kamen. Der Begriff des “Betriebes” war somit schon nach § 43 Abs 2 AFG aF im weitesten Sinne zu verstehen (vgl nur: BSG, Urteil vom 20. März 1984 – 7 RAr 56/82 –, DBlR Nr 2990 zu § 43 AFG) und erfaßt auch eine WfB (BSG, Urteil vom 23. Januar 1997 – 7 RAr 38/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; Urteil vom 23. Januar 1997 – 7 RAr 34/96). Gegenüber diesem Ergebnis kann sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, die Ausbildung von Behinderten in einer WfB sei keine betriebliche Berufsausbildung iS des § 1 Abs 5 BBiG und des § 5 Abs 1 BetrVG (BSG, Urteil vom 23. Januar 1997 – 7 RAr 38/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; Urteil vom 23. Januar 1997 – 7 RAr 34/96).
Die Annahme des LSG, die Teilnahme des Klägers an der Maßnahme habe “überwiegend im Interesse” der WfB gelegen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Hierbei kann offenbleiben, ob die vom Gesetzgeber in § 43 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 AFG herausgestellten Beispiele, bei deren Vorliegen die teilnahmebezogene durch eine maßnahmebezogene Interessengebundenheit fingiert wird, eingreifen, nämlich, ob die vom Kläger durchlaufene Bildungsmaßnahme unmittelbar oder mittelbar von der WfB (finanziell) getragen wurde oder ob die Maßnahme selbst (objektiv) im überwiegenden Interesse des Betriebes lag (§ 43 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 AFG). Denn ungeachtet dieser Fallkonstellationen lagen bereits die Voraussetzungen des § 43 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 AFG vor. Nach dieser Regelung ist für die teilnahmebezogene Interessengebundenheit entscheidend, ob die Teilnahme des Klägers mehr im Interesse der WfB als in seinem eigenen Interesse lag (vgl BT-Drucks 7/4243 S 8 zu Art 20 § 1 Nr 5a). Daß sich die Frage nach dem Überwiegen des betrieblichen Interesses an der Teilnahme damit ausschließlich mittels Vergleichs zwischen Betrieb und Arbeitnehmer beantwortet, ist systemgerecht, weil die Interessen des Arbeitsmarktes als eines weiteren (denkbaren) Vergleichsobjekts durch das Kriterium des besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses eine eigene normative Bedeutung gewinnen.
Das überwiegende Interesse der WfB an der Teilnahme des Klägers folgt aus § 9 SchwbWV, selbst wenn die Maßnahme nach den Feststellungen des LSG nicht nur Gruppenleitern in einer WfB, sondern auch Mitarbeitern in sonstigen Einrichtungen für Behinderte eröffnet war und die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in allen Behinderteneinrichtungen verwertbar waren.
Nach § 9 SchwbWV muß nämlich die anerkannte WfB über Fachkräfte verfügen, die erforderlich sind, um ihre Aufgaben entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen der Behinderten, insbesondere unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer individuellen Förderung von Behinderten, erfüllen zu können (Abs 1). Die Fachkräfte sollen in der Regel Facharbeiter, Gesellen oder Meister mit einer mindestens zweijährigen Berufserfahrung in Industrie oder Handwerk sein; sie müssen pädagogisch geeignet sein und über eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation verfügen (Abs 3 Satz 3). Entsprechende Berufsqualifikationen aus dem pädagogischen oder sozialen Bereich reichen aus, wenn die für eine Tätigkeit als Fachkraft erforderlichen sonstigen Kenntnisse und Fähigkeiten für den Arbeitstrainings- und Arbeitsbereich anderweitig erworben worden sind (Abs 3 Satz 4). Die sonderpädagogische Zusatzqualifikation kann (zwar) in angemessener Zeit durch Teilnahme an geeigneten Fortbildungsmaßnahmen nachgeholt werden (Abs 3 Satz 5 iVm Abs 2 Satz 3), wobei die WfB dem Fachpersonal Gelegenheit zur Teilnahme an (den erforderlichen) Fortbildungsmaßnahmen zu geben hat (§ 11 SchwbWV). Unterbleibt jedoch der Erwerb einer notwendigen Zusatzausbildung, riskiert die WfB den Verlust ihrer Anerkennung (§ 57 SchwbG idF vom 26. August 1986 iVm § 17 Abs 1 Satz 1 SchwbWV). Daß das LSG bei seiner Interessenabwägung den vorgenannten rechtlichen Gesichtspunkten – insbesondere der Notwendigkeit, Gruppenleiter mit sonderpädagogischer Zusatzqualifikation zu beschäftigen – Vorrang vor den Interessen des Klägers an der Durchführung der Fortbildungsmaßnahme eingeräumt hat, steht mit der Zielsetzung des § 9 Abs 1 und Abs 3 SchwbWV voll in Einklang.
Hinzu kommt ein Kriterium, dem der erkennende Senat sogar für die Frage der (objektiven) Interessengebundenheit der Maßnahme selbst iS des § 43 Abs 2 Satz 1 AFG schon früher Gewicht beigemessen hatte, nämlich das des Teilnehmerkreises (BSG, Urteil vom 20. März 1984 – 7 RAr 56/82 –, DBlR Nr 2990 zu § 43 AFG mwN). Der Kreis der Teilnehmer an dem vom Kläger durchlaufenen Lehrgang war von vornherein auf aktiv tätige Fachkräfte aus dem Bereich der Behindertenbetreuung beschränkt. Denn Zugangsvoraussetzung für eine Sonderpädagogische Zusatzausbildung war nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) neben einer abgeschlossenen (bestimmten) Berufsausbildung eine hauptberufliche Tätigkeit in einer Einrichtung für Behinderte während des Lehrgangs für mindestens die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit; etwa 50 % aller Teilnehmer des Lehrgangs arbeiteten sogar als Gruppenleiter in einer WfB. Dies belegt die Interessen der jeweiligen WfB an der Teilnahme selbst für den Fall, daß die normative Schwelle des § 43 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 Alt 2 AFG (überwiegendes Interesse des Betriebs an der Maßnahme) für die Annahme eines überwiegenden Interesses an der Teilnahme noch nicht überschritten sein sollte (vgl zur maßnahmebezogenen Interessengebundenheit: Gagel, aaO, § 43 Rzn 12 und 13 mwN zur Rechtsprechung).
Ob die Beklagte allerdings die Teilnahme des Klägers an der Fortbildungsmaßnahme trotz Vorliegens eines überwiegenden Interesses des Betriebes an der Teilnahme zu fördern hatte, weil dafür ein “besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse” bestand (§ 43 Abs 2 Satz 2 AFG iVm § 9 AFuU), kann der Senat mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen durch das LSG nicht entscheiden.
Wann ein “besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse” zu bejahen ist. läßt sich nicht abstrakt und allgemeinverbindlich definieren. Vielmehr hat sich jede einzelne Entscheidung an den Zielen des § 2 AFG iVm § 1 AFuU auszurichten. Dabei reicht die in § 36 Nr 3 AFG bezeichnete Zweckmäßigkeit nicht aus, sondern es müssen die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes dazu drängen, weitere Anreize für die Teilnahme von Arbeitnehmern an der betreffenden Bildungsmaßnahme zu schaffen (so auch Gagel, aaO, § 43 Rz 14). Bei dem “besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesse” handelt es sich damit um einen unbestimmten Rechtsbegriff, für dessen Anwendung der Beklagten ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (BSGE 38, 138, 143 f = SozR 4100 § 43 Nr 9; BSGE 39, 194, 198 = SozR 4100 § 41 Nr 19; BSG SozR 4100 § 43 Nr 18; Hennig/Kühl/Heuer/Henke, aaO, § 43 Anm 8.3; Gagel, aaO, § 43 Rz 14 mwN). Insoweit hat sich gegenüber der vor dem 1. Januar 1976 geltenden Rechtslage nichts geändert, wie die gesetzgeberische Zielsetzung zeigt; danach sollte “auch in Zukunft bei Vorliegen eines besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses eine Förderung möglich sein” (BT-Drucks 7/4243 S 8 zu Art 20 § 1 Nr 5a). Arbeitsmarktinteressen definieren sich allerdings, selbst wenn dies in § 43 Abs 2 Satz 2 AFG – anders als etwa in § 36 Nr 3 AFG – nicht unmittelbar zum Ausdruck kommt (vgl zu § 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG; BSG, Urteil vom 28. November 1996 – 7 RAr 58/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen), nur über die in § 2 AFG normierten Ziele arbeitsförderungsrechtlicher Maßnahmen. Die Bejahung eines besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses verlangt deshalb ebenso wie die der sog arbeitsmarktpolitischen Zweckmäßigkeit eine Prognose unter Einbeziehung planerischer und wertender Elemente (§ 2 AFG) und unter Berücksichtigung nicht nur der aktuellen Lage, sondern auch der künftigen Entwicklung des Arbeitsmarktes (s zu § 36 Nr 3 bzw § 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG: BSG SozR 3-4100 § 36 Nr 1; BSG, Urteil vom 28. November 1996 – 7 RAr 58/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Kann es hierüber keine Kenntnis iS einer sicheren Feststellung geben, so kann dem nur die Annahme eines Beurteilungsspielraums Rechnung tragen (so auch zu § 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG: BSG, Urteil vom 28. November 1996 – 7 RAr 58/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Konsequenz hieraus ist es, daß der Beklagten zum einen ein Freiraum bei der gemäß § 39 AFG zulässigen Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben zuzubilligen ist, wie der Senat schon früher betont hat (BSGE 38, 138, 143 f = SozR 4100 § 43 Nr 9; BSGE 39, 194, 198 = SozR 4100 § 41 Nr 19; BSG SozR 4100 § 43 Nr 18). Zum anderen verbleibt ihr auch bei der Einzelentscheidung über das besondere arbeitsmarktpolitische Interesse ein Beurteilungsspielraum, wenn dieser nicht bereits ermächtigungskonform durch die AFuU selbst beschränkt worden ist oder wenn nicht im Einzelfall nur eine einzige Entscheidung möglich ist, sich der Beurteilungsspielraum also verdichtet hat. Hier gilt nichts anderes als bei der Anwendung der §§ 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4, 36 Nr 3 AFG (sog arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit der Maßnahme bzw der Teilnahme an einer Maßnahme); dort hat der Senat auf diese Rechtsfolge bereits erkannt (BSG, Urteil vom 28. November 1996 – 7 RAr 58/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Eine Konkretisierung des Begriffs des besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses ist in § 9 AFuU erfolgt. Ob die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind, vermag der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des LSG nicht zu beurteilen, weil das LSG zu Unrecht § 13 AFuU in der ab 10. Mai 1993 geltenden Fassung (§ 30 Abs 1 AFuU idF vom 29. April 1993 – ANBA-Sondernr vom 5. Mai 1993, S 1) angewandt hat. Diese Vorschrift ist indes für einen Antragsteller, der – wie der Kläger – vor Inkrafttreten dieser Anordnung in eine berufliche Bildungsmaßnahme eingetreten ist und Leistungen beantragt hat, nicht anwendbar (§ 30 Abs 2 AFuU nF).
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bedarf es auch keiner Entscheidung darüber, ob § 9 AFuU aF den beschriebenen Beurteilungsspielraum beseitigt hat und dies überhaupt zulässig wäre; denn es ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß sich ein auch nach § 9 AFuU aF generell verbleibender Entscheidungsfreiraum vorliegend auf nur eine einzige richtige Entscheidung verdichtet hat. Bei der Anwendung des § 9 AFuU aF wird das LSG jedenfalls zu beachten haben, daß sich die Vorschrift ermächtigungskonform an § 43 AFG auszurichten hat (vgl zu dieser Problematik im Rahmen des § 34 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG: BSG, Urteil vom 28. November 1996 – 7 RAr 58/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse kann sich unter diesem Blickwinkel nicht nur quantitativ wegen eines erheblichen Mißverhältnisses zwischen vorhandenen Arbeitsplätzen und qualifizierten Arbeitsuchenden (Mangel an Fachkräften iS des § 9 SchwbWV) ergeben, sondern auch unter qualitativen Gesichtspunkten, weil eines der in § 2 AFG iVm § 1 AFuU genannten Ziele vordringlich verfolgt werden soll, nämlich das Ziel, geistig oder seelisch Behinderte (§ 2 Nr 4 AFG) beruflich einzugliedern. Waren die Behinderten schon allgemein in der Vergangenheit Nutznießer von Arbeitsmarktprogrammen (vgl nur 4. Schwerbehinderten-Sonderprogramm vom 19. November 1981 – BAnz Nr 223 vom 28. November 1981), so stehen sie seit der Änderung des Grundgesetzes (GG) durch das Gesetz vom 27. Oktober 1994 (BGBl I 3146) unter dem besonderen Schutz des GG: Nach Art 3 Abs 3 Satz 2 GG dürfen sie wegen ihrer Behinderung nicht benachteiligt werden (vgl auch BT-Drucks 12/8165 S 28 f zu Art 1 Nr 1b). Vorliegend dient die vom Kläger besuchte Maßnahme mit ihrer Qualifizierung von Gruppenleitern einer WfB nicht einmal nur der Personengruppe der Behinderten allgemein, sondern innerhalb dieser Personengruppe den besonders benachteiligten Personen, die mit Hilfe einer WfB erst in das Arbeitsleben eingegliedert werden sollen (§ 54 Abs 1 SchwbG). Sie erfahren durch die Regelung des AFG und des Schwerbehindertenrechts ohnedies eine verstärkte Förderung durch die Beklagte (§§ 58 Abs 1a. 61 AFG, SchwbG, SchwbWV). Im Hinblick hierauf liegt die Annahme nahe, daß Arbeit und Ausbildung iS des 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFuU auch die Tätigkeit eines Behinderten in einer WfB ist (vgl auch § 54b SchwbG idF vom 23. Juli 1996 und zur Rechtsstellung behinderter Menschen in einer WfB Köhler, SdL 1996, 357, 433 ff mwN).
Weist der Arbeitsmarkt keine oder nicht genügend Arbeitslose mit den von der SchwbWV verlangten Qualifikationen auf, spricht vieles für eine Verdichtung eines evtl nach § 9 AFuU noch bestehenden Beurteilungsspielraums iS einer Förderungspflicht unter den weiteren gesetzlichen Voraussetzungen. Ob bei einer derartigen Situation § 9 Abs 2 AFuU ermächtigungskonform ist, soweit darin die Förderung voraussetzt, daß die Teilnahme an der Maßnahme nicht von betrieblichen Bindungen abhängig gemacht wird, muß das LSG ggf prüfen. Dabei wird es zu beachten haben, daß der in § 9 Abs 2 AFuU geregelte Förderungsausschluß in Fällen einer betrieblichen Bindung nur schwerlich Einfluß auf die Beurteilung des besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses haben dürfte. Eher ist diese Voraussetzung ein Kriterium für die Annahme eines überwiegenden Interesses des Betriebs an der Teilnahme des Klägers, weil sie den Beziehungen zwischen Betrieb und Maßnahmeteilnehmer zuzuordnen ist.
Sollte das LSG bei seiner erneuten Entscheidung zur Erkenntnis kommen, daß der Beklagten ein Beurteilungsspielraum verbleibt, kann es den angefochtenen Bescheid nicht allein wegen fehlender Begründung aufheben (BSG, Urteil vom 28. November 1996 – 7 RAr 58/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Das LSG wird vielmehr darauf zu achten haben, daß alle besonderen Voraussetzungen der beruflichen Fortbildung (§§ 41 ff AFG) verwirklicht sein müssen, um dem Kläger die begehrte Leistung zuzusprechen bzw die Beklagte zur Neubescheidung zu verurteilen (vgl hierzu: BSG, Urteil vom 28. November 1996 – 7 RAr 58/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Zu prüfen sind auch die allgemeinen Voraussetzungen der §§ 33 ff AFG, wobei die arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit iS des § 36 Nr 3 AFG bei Bejahung eines besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses ohnedies unproblematisch ist; insoweit bleibt kein Raum mehr für eine von § 43 Abs 2 Satz 2 AFG abweichende Wertung. Schließlich wird das LSG über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen