Leitsatz (amtlich)
Aus dem Umstand, daß in der SBZ eine Vorschrift nach Art des RVO § 537 Nr 10 aF (RVO § 539 Abs 2 nF) nicht gilt und deshalb insbesondere gelegentlich in der Landwirtschaft mitarbeitende Familienangehörige vom Unfallversicherungsschutz ausgeschlossen sind, kann nicht gefolgert werden, daß in der SBZ eine ordnungsmäßig geregelte Unfallversicherung nicht durchgeführt worden ist (SVFAG § 17 Abs 8; FRG § 5 Abs 1 Nr 2 Buchst b).
Normenkette
SVFAG § 17 Abs. 8; FRG § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b; RVO § 537 Nr. 10 Fassung: 1942-03-09, § 539 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. November 1962 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der im Dezember 1884 geborene Kläger bewirtschaftete bis zum Sommer 1944 sein landwirtschaftliches Anwesen in N. Kreis H. . Am 1. August 1944 übergab er das Anwesen seinem Sohn und lebte fortan im Altenteil auf dem Hof, wo er nur noch gelegentlich mitarbeitete. Am 13. Februar 1946, als der Kläger beim Schweineschlachten half, verletzte er sich den kleinen Finger der linken Hand; wegen einer hierdurch auftretenden Entzündung mußte schließlich der linke Unterarm amputiert werden. Für diesen Unfall erhielt der Kläger keine Entschädigung. Im Juni 1952 mußte der Kläger seinen in der Sperrzone gelegenen Wohnsitz verlassen und in den Kreis T... umziehen. Von dort begab er sich am 1. September 1952 über West-Berlin nach Nordrhein-Westfalen. Im Juni 1953 beantragte er unter Schilderung des Unfallereignisses Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) und gab dabei an, der Unfall sei seinerzeit sofort in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) der zuständigen Sozialversicherungsanstalt gemeldet worden, diese habe jedoch eine Entschädigung wegen des zum Hofbesitzer bestehenden Verwandtschaftsverhältnisses abgelehnt, obwohl sein Sohn UV-Beiträge entrichtet habe; für den Kläger als Altenteiler habe der Sohn allerdings keine UV-Beiträge abgeführt. Die Beklagte erhielt von der Kreisgeschäftsstelle T. der Sozialversicherungsanstalt die Auskunft, es könne nicht zutreffen, daß dem Kläger die seinerzeit beantragte Unfallrente wegen des Verwandtschaftsverhältnisses zum Betriebsunternehmer versagt worden sei; wahrscheinlich seien für den Kläger keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt und der Unfall nicht als Betriebsunfall anerkannt worden. Die Arbeitsschutzinspektion des Kreises H. teilte der Beklagten mit, Unfallunterlagen aus dem Jahre 1946 lägen nicht vor. Durch Bescheid vom 9. April 1956 lehnte die Beklagte eine Entschädigung des Unfalls vom 13. Februar 1946 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 1 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (FAG) seien nicht erfüllt, da für den Kläger in der SBZ kein Versicherungsschutz bestanden habe.
Das Sozialgericht (SG) Münster hat am 18. September 1959 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides verurteilt, den Unfall des Klägers vom 13. Februar 1946 als einen nach dem FAG zu entschädigenden Arbeitsunfall anzuerkennen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 20. November 1962 in Änderung des SG-Urteils die Klage abgewiesen: Der Kläger gehöre nicht zum anspruchsberechtigten Kreis der Personen, die bei einem deutschen UV-Träger außerhalb des Bundesgebiets versichert waren (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 FAG). In § 3 der Verordnung über Sozialpflichtversicherung vom 28. Januar 1947 (VSV) seien vier Gruppen von versicherungspflichtigen Personen aufgeführt; seiner sozialen Stellung nach könne der Kläger keiner dieser Gruppen zugerechnet werden, auch nicht den ständig mitarbeitenden Familienmitgliedern (§ 3 Buchst. d); nach seinem eigenen Vortrag habe er nämlich auf seinem Altenteil gelebt und nicht ständig, sondern nur hin und wieder mitgearbeitet. Nach § 4 Buchst. b VSV sei der Kläger von der Pflichtversicherung befreit gewesen, seinem eigenen Vortrag zufolge seien für ihn auch keine Versicherungsbeiträge abgeführt worden. Eine Vorschrift von der Art des § 537 Nr. 10 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF sei dem sowjetzonalen UV-Recht fremd. Der Umstand, daß der streitige Unfall sich vor dem Inkrafttreten der VSV (1. Februar 1947) ereignet habe, ändere nichts am Ergebnis, denn der VSV komme rückwirkende Kraft zu. Der nach dem UV-Recht der SBZ nicht vom Versicherungsschutz erfaßte Unfall sei demgemäß auch in der Bundesrepublik weder nach dem FAG noch auf Grund des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes vom 25. Februar 1960 (FANG) zu entschädigen. Entgegen der vom SG vertretenen Ansicht sei § 17 Abs. 8 Halbsatz 2 FAG hier nicht anwendbar, denn das Sozialversicherungssystem der SBZ sei nicht schon deshalb als nicht ordnungsmäßig im Sinne dieser Vorschrift zu bezeichnen, weil es die auf dem Altenteil lebenden Landwirte aus der UV herausgenommen habe; hierin sei eine dem ordre public der Bundesrepublik zuwiderlaufende Diskriminierung (BSG 9, 24, 29; 10, 56) noch nicht zu erblicken. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 11. Dezember 1962 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. Januar 1963 Revision eingelegt und sie am 8. Februar 1963 folgendermaßen begründet: Das LSG habe sich zu Unrecht vorwiegend mit § 3 Buchst. d VSV befaßt. Es sei nicht einzusehen, weshalb der Kläger, der gar nicht zur Familie seines Sohnes gehört habe, nicht dem in § 3 Buchst. a VSV aufgeführten Personenkreis - in unselbständiger Arbeit stehende ständig und unständig Beschäftigte sowie Arbeiter in der Land- und Forstwirtschaft - zugerechnet werden könne. Als Arbeiter in der Landwirtschaft sei der Kläger zur Zeit des Unfalls versichert gewesen, wobei es nicht darauf ankomme, ob er nur teilweise und zeitweilig tätig gewesen sei. Seine Tätigkeit sei als Hauptbeschäftigung anzusehen, da es sich um eine laufende, wenn auch beschränkte Tätigkeit gehandelt habe. Auf jeden Fall sei aber der Tatbestand des § 17 Abs. 8 Halbsatz 2 FAG gegeben. Der Ausschluß der großen Zahl älterer Landwirte aus dem UV-Schutz entspreche kommunistischem Gedankengut und sei daher mit der in der Bundesrepublik geltenden Regelung unvereinbar. Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt
Zurückweisung der Revision.
Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist statthaft durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, daher zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Gegen die vom LSG vertretene Auffassung, der Kläger gehöre nicht zu dem nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 FAG anspruchsberechtigten Personenkreis, weil er im Unfallzeitpunkt nach dem in der SBZ geltenden UV-Recht nicht dem Versicherungsschutz unterstanden habe, macht die Revision geltend, der Kläger sei im Unfallzeitpunkt als Arbeiter in der Landwirtschaft gemäß § 3 Buchst. a VSV unfallversichert gewesen, das LSG hätte bei der Beurteilung des Versicherungsschutzes diese Vorschrift anstelle des nicht einschlägigen § 3 Buchst. d VSV zugrunde legen müssen. Es kann unerörtert bleiben, ob es sich bei der Frage des Versicherungsschutzes nach den in der SBZ geltenden Vorschriften um die Anwendung irrevisiblen Rechts (§ 162 Abs. 2 SGG; vgl. BSG 16, 140, 143) handelt. Aus seiner von der Revision nicht angegriffenen Feststellung, der Kläger habe seit der Hofübergabe nur noch gelegentlich in der von seinem Sohn betriebenen Landwirtschaft mitgearbeitet, durfte das LSG jedenfalls bedenkenfrei folgern, der Kläger habe zu den Personen gehört, "die eine Gelegenheitsarbeit oder eine Arbeit ausführen, die nicht als Hauptquelle für ihren Lebensunterhalt anzusehen ist", er sei deshalb nach § 4 Buchst. b VSV von der Pflichtversicherung befreit gewesen. Keiner Nachprüfung bedürfen die Ausführungen des LSG zur Frage, ob die Rechtslage auch schon vor der Verkündung der VSV vom 28. Januar 1947 einem UV-Schutz für gelegentlich mitarbeitende Familienangehörige in der Landwirtschaft entgegenstand. Insoweit ist nämlich der erkennende Senat durch § 162 Abs. 2 SGG nicht gehindert, Rechtsnormen heranzuziehen, die das LSG überhaupt nicht berücksichtigt hat (BSG 7, 122; 13, 206, 212). Für den hier streitigen Unfall, den der Kläger am 13. Februar 1946 auf dem in M. gelegenen Bauernhof erlitt, regelte sich der Versicherungsschutz nach der vom Präsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern erlassenen Verordnung Nr. 35 zur Umgestaltung der Sozialversicherung vom 1. November 1945 (Amtsblatt der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern, 1946, S. 25). Diese Verordnung bestimmte die Auflösung der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, deren Tätigkeit von der Landesverwaltung, Abteilung Arbeit und Sozialfürsorge, übernommen wurde. Der Kreis der versicherten Personen wurde - im wesentlichen übereinstimmend mit der später ergangenen VSV - begrenzt auf ständig und unständig Beschäftigte, ferner Unternehmer und deren "nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige, soweit diese Tätigkeit ihren Hauptberuf bildet, und zwar mit dem Tage, an dem die ständige Mitarbeit beginnt"; in Abschnitt 8 der Verordnung wurden als versicherungsfrei u.a. bezeichnet: "Gelegenheitsarbeiten von weniger als einer Woche, Aushilfsarbeiten von höchstens drei Tagen sowie Nebenbeschäftigungen, deren Entgelt für den Lebensunterhalt unwesentlich ist". Unter keinem der in dieser Regelung aufgeführten Gesichtspunkte kann die gelegentliche Mitarbeit des Klägers als unter den Schutz der UV fallend angesehen werden, da seine Tätigkeiten im landwirtschaftlichen Betrieb das für die Versicherungspflicht erforderliche Ausmaß nicht erreichten. Das LSG ist somit zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß der streitige Unfall nach dem UV-Recht der SBZ nicht vom UV-Schutz erfaßt worden ist.
Es hat hieraus auch mit Recht gefolgert, daß der Kläger nicht zu dem nach dem FAG anspruchsberechtigten Personenkreis gehört. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats steht einem im Herkunftsland nicht in einer gesetzlichen UV versichert gewesenen und daher vom leistungsberechtigten Personenkreis gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 FAG ausgeschlossenen Unfallverletzten auch dann kein Anspruch nach dem FAG zu, wenn er - bei Eintritt des Unfalls im Geltungsbereich des FAG - auf Grund der Vorschriften des 3. Buches der RVO Entschädigung beanspruchen könnte; das gleiche gilt auch für die Rechtslage seit Inkrafttreten des § 5 des Fremdrentengesetzes (FRG) in der Fassung des FANG (vgl. BSG 21, 144). Zugunsten des Klägers kann also bei der Beurteilung seiner aus dem FAG bzw. dem FRG hergeleiteten Ansprüche nicht berücksichtigt werden, daß seine gelegentliche Mitarbeit als Altenteiler, falls er sie im Bundesgebiet verrichtet hätte, nach der hier gegebenen Rechtslage (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 25. August 1965, 2 RU 236/64) als unfallversichert anzusehen gewesen wäre.
Mit Recht hat schließlich das LSG auch die Anwendbarkeit des § 17 Abs. 8 FAG (bzw. § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b FRG) verneint. Dem UV-Recht, wie es damals und auch seither in der SBZ gegolten hat, ist allerdings eine dem § 537 Nr. 10 RVO aF (jetzt § 539 Abs. 2 RVO) entsprechende Regelung fremd, nach der auch vorübergehende Hilfeleistungen in den UV-Schutz einbezogen werden (vgl. BSG 21, 145). Die Behauptung der Revision, es handele sich hierbei um eine speziell gegen ältere, aus der Produktion ausgeschiedene Personen gerichtete Maßnahme, erscheint nicht ohne weiteres überzeugend. Dies bedarf indessen keiner näheren Prüfung; denn jedenfalls kann, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, aus dieser Einengung des dem UV-Schutz unterstehenden Personenkreises nicht gefolgert werden, daß in der SBZ eine ordnungsmäßig geregelte UV nicht durchgeführt worden ist.
Die Revision ist hiernach unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen