Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 25. Mai 1964 auf gehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits nicht zu erstatten.
Gründe
[XXXXX]
das Krankengeld für den 16. August 1963 zu versagen.
Durch Urteil vom 25. Mai 1964 hat das Sozialgericht (SG) die Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger auch für den 16. August 1963 Krankengeld zu zahlen; es hat die Berufung zugelassen.
Das SG ist der Auffassung, der Zweck des § 182 Abs. 3 RVO zwinge zu der Auslegung, daß demjenigen Versicherten, der alles getan habe, um nach einem Unfall möglichst bald einen Arzt aufzusuchen, das Krankengeld für diese Zeit auch dann nicht versagt werden könne, wenn er den Arzt erst nach Ablauf des Unfalltages erreiche.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte unter Beibringung einer Erklärung des Klägers, daß er mit der Einlegung der Sprungrevision anstatt der Berufung einverstanden sei, Sprungrevision eingelegt. Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 182 Abs. 3 Satz 1 RVO. Das am 1. August 1961 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) habe § 182 RVO eine neue Fassung gegeben, um eine den Bedürfnissen der Praxis entsprechende Regelung zu schaffen, die schnelle und zweifelsfreie Entscheidungen ermögliche. Die Auffassung des Vordergerichts, der Anspruch auf Krankengeld könne auch vor dem Tage der ärztlichen Feststellung beginnen, wenn eine verspätet getroffene Feststellung auf Umständen beruhe, die von dem Versicherten nicht zu vertreten sind, widerspreche dem Wortlaut und dem Zweck des § 182 Abs. 3 Satz 1 RVO. Unzutreffend sei auch die Ansicht des SG, der Heilgehilfe, der den Kläger am 16. August 1963 um 23.30 Uhr behandelte und schließlich dessen Einweisung in die Unfallklinik veranlaßte, habe ärztliche Aufgaben erfüllt und sei als Gehilfe des abwesenden Werkarztes tätig geworden. Der Heilgehilfe sei kein Arzt. Seine Tätigkeit komme auch keiner „ärztlichen Behandlung” gleich. „Ärztliche Feststellung” bedeute vielmehr, daß diese von einem Arzt auf Grund des Befundes einer ärztlichen Untersuchung getroffen worden sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 25. Mai 1964 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, daß eine wörtliche Auslegung des § 182 Abs. 3 RVO in denjenigen Fällen, in welchen die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ohne Verschulden des Versicherten objektiv erst am Tag nach dem Unfall möglich gewesen sei, zu einem unbilligen Ergebnis führe, das sozialrechtlichen Grundsätzen nicht entspreche. Dem Urteil des SG sei daher im Ergebnis jedenfalls dann zuzustimmen, wenn noch am Unfalltag die Arbeitsunfähigkeit durch einen Heilgehilfen festgestellt und diese später durch einen Arzt bestätigt worden sei.
II
Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung des SG hat der Kläger keinen Anspruch auf Krankengeld für den 16. August 1963. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 182 Abs. 3 Satz 1 RVO, der nach § 20 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) in der knappschaftlichen Krankenversicherung anzuwenden ist, wird Krankengeld bei einem Arbeitsunfall erst von dem Tage an gewährt, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des SG ist die Arbeitsunfähigkeit des Klägers erst am 17. August 1963 durch einen Arzt festgestellt worden. Der Heilgehilfe der Zeche ist kein Arzt, so daß eine von diesem etwa festgestellte Arbeitsunfähigkeit im Rahmen des § 182 Abs. 3 Satz 1 RVO selbst dann unberücksichtigt bleiben muß, wenn diese nachträglich durch einen Arzt bestätigt wird. Das SG hat dies auch nicht verkannt. Es hat seine Entscheidung vielmehr damit begründet, daß nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift diejenigen Fälle abweichend von dem Wortlaut zu behandeln seien, in welchen es dem Versicherten ohne Verschulden objektiv unmöglich gewesen sei, den Arzt früher aufzusuchen. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.
§ 182 Abs. 3 Satz 1 RVO ist durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl I, 913) neu eingefügt worden. Der Wortlaut dieser Vorschrift ist nicht nur eindeutig, sondern bringt auch – wie die Entstehungsgeschichte bestätigt – den Sinn und Zweck der Vorschrift unverkürzt zum Ausdruck, worauf bereits der 3. Senat des Bundessozialgerichts hingewiesen hat (vgl. BSG 24, 278 = SozR RVO Nr. 16 zu § 182). Der Gesetzgeber hat im Interesse der Klarheit und Praktikabilität – um Mißbräuche auszuschließen –, bewußt die Möglichkeit von Härten in Kauf genommen, die dadurch entstehen können, daß der Versicherte unverschuldet nicht in der Lage war, alsbald einen Arzt aufzusuchen, um seine Arbeitsunfähigkeit feststellen zu lassen. Eine von dem Wortlaut abweichende Auslegung dieser Vorschrift ist daher nicht möglich. Diese Regelung verstößt auch nicht gegen das Grundgesetz (GG). Insbesondere ist nicht der Verfassungsgrundsatz der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) verletzt. Der Gesetzgeber hat bei der Frage, ob für den Krankengeldanspruch auf das Ereignis selbst, nämlich die Arbeitsunfähigkeit, oder auf dessen Feststellung abzustellen sei, aus Gründen der Praktikabilität und der Mißbrauchsbekämpfung dieser Lösung den Vorzug gegeben und die sich dabei im Einzelfall ergebenden Härten gesehen und in Kauf genommen. Ebenso wie der Gesetzgeber in der Lage ist, Karenztage einzuführen, kann es ihm auch nicht verwehrt werden, im Interesse des Ausschlusses sonst drohenden Mißbrauchs den Anspruch erst von dem Tage an zu gewähren, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt ist. Solche Vereinfachungen und Vergröberungen sind im Rahmen einer generalisierenden Regelung unvermeidlich und nach dem GG zulässig. Auch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verstößt diese Regelung nicht. Sie ist weder willkürlich noch sachfremd, weil der Gesetzgeber sie zur Vermeidung von Mißbräuchen, die sich sonst erfahrungsgemäß einstellen und die auf andere Weise nicht vermieden werden können, getroffen hat. Der erkennende Senat hat sich aus diesen Gründen außerstande gesehen, eine für den Kläger günstigere Auslegung dieser Vorschrift vorzunehmen.
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat allerdings ausgesprochen, daß in einem Fall, in welchem der Versicherte geschäftsunfähig und ohne gesetzlichen Vertreter ist, ausnahmsweise der Beginn der Arbeitsunfähigkeit als der für die Berechnung des Krankengeldes maßgebenden Zeitpunkt anzusehen sei (SozR Nr. 18 zu § 182 RVO). Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob der erkennende Senat sich dieser Auffassung anschließt und ob etwa darüber hinaus auch in sonstigen außergewöhnlichen Fällen, von denen anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber sie bei Erlaß dieser Vorschrift nicht in seinem Blickfeld gehabt hat, solche Ausnahmen gerechtfertigt sind. Denn um einen solchen außergewöhnlichen Fall handelt es sich hier nicht. Vielmehr konnte der Kläger einen Arzt am Tage des Unfalls deshalb nicht mehr aufsuchen, weil sich der Unfall an diesem Tage kurz vor Mitternacht ereignet hatte. Fälle dieser Art, die täglich vorkommen können, hat der Gesetzgeber bei Erlaß seiner Vorschrift aber sicherlich als möglich vor Augen gehabt. Für diese Fälle kann daher eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit maßgebend ist, nicht gemacht werden.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Unterschriften
Richter, Dr. Witte, Dr. Dapprich
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 23.02.1967 durch Bittner, RegObersekretär Schriftführer
Fundstellen