Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzicht auf die Befreiung von der Versicherungspflicht. Beiladung des Arbeitgebers
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Frage, ob ein Verzicht auf die Befreiung rückgängig gemacht werden kann, handelt es sich um eine Streitigkeit über die Versicherungspflicht, zu der der Arbeitgeber als notwendiger Streitgenosse beizuladen ist.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 1 Fassung: 1967-12-21; SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 13.02.1976; Aktenzeichen IV ANBf 48/75) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 14.04.1975; Aktenzeichen 12 AN 53/75) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Februar 1976 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger den der Beklagten gegenüber erklärten Verzicht auf die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung wirksam angefochten oder widerrufen hat.
Die Beklagte hatte den Kläger nach Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungsneuregelungsgesetzes mit Wirkung vom 1. Januar 1968 von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung befreit. Mit einem am 4. Januar 1973 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger, die Befreiung von der Versicherungspflicht aufzuheben. Die Beklagte nahm daraufhin Versicherungspflicht ab 1. Januar 1973 an. Mit einem weiteren am 1. Oktober 1973 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben erklärte der Kläger sinngemäß, er ziehe seinen Verzicht auf die Befreiung von der Versicherungspflicht zurück. Zur Begründung führte er an, daß er als Angestellter der Freien und Hansestadt Hamburg Anspruch auf eine Ruhegeldversorgung habe. Bei der Berechnung seines Ruhegeldes werde die Leistung aus der Rentenversicherung angerechnet, soweit sie auf Pflichtbeiträgen beruhe. Von dieser für ihn nachteiligen Rechtsfolge habe er erst nachträglich erfahren.
Die Beklagte lehnte den Antrag, die Aufnahme in die Versicherungspflicht rückgängig zu machen, ab (Bescheid vom 11. Oktober 1973). Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 19. April 1974, Urteil des Sozialgerichts - SG - Hamburg vom 14. April 1975, Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Hamburg vom 13. Februar 1976). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, ein Widerruf des Verzichts auf Befreiung sei im Gesetz nicht vorgesehen. Es komme nur die Anfechtung der Willenserklärung wegen Irrtums in Betracht. Der vom Kläger angegebene Irrtum über die Folgen seiner Erklärung sei ein Motivirrtum, der nach dem hier entsprechend anzuwendenden § 119 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht zur Anfechtung berechtige.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, daß ein sogenannter Kalkulationsirrtum, wie er bei ihm vorgelegen habe, im Rahmen des Sozialversicherungsrechts, anders als im Zivilrecht, einen Anfechtungsgrund darstelle. Außerdem sei der Kläger nach § 242 BGB zum Rücktritt wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage berechtigt. Hilfsweise sei der Antrag des Klägers als Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gem. § 7 des Angestelltenversicherungsgesetzes anzusehen, da der Kläger einen Anspruch auf Versorgung durch eine öffentlich-rechtliche Versorgungseinrichtung habe, die der beamtenrechtlichen Versorgung ähnlich sei.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Oktober 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 1974 festzustellen, daß der von ihm gegenüber der Beklagten erklärte Verzicht auf die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung rechtsunwirksam ist,
hilfsweise,
festzustellen, daß er ab 1. November 1973 von der Pflichtversicherung für Angestellte befreit ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß die zivilrechtlichen Grundsätze über die Irrtumsanfechtung auch im Sozialversicherungsrecht uneingeschränkt anzuwenden seien und folgt insofern dem Urteil des LSG.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Der Streit geht darum, ob der Kläger den von ihm erklärten Verzicht auf die Befreiung von der Versicherungspflicht wieder rückgängig machen konnte. Es handelt sich somit um eine Streitigkeit über das Bestehen der Versicherungspflicht. Bei einem solchen Rechtsstreit kann die Entscheidung gegenüber dem Arbeitgeber und Versicherten nur einheitlich ergehen. Beide sind daher notwendige Streitgenossen mit der Folge, daß der nicht als Kläger am Verfahren beteiligte Vertragspartner des die Versicherungspflicht begründenden Arbeitsverhältnisses nach § 75 Abs. 2 SGG beizuladen ist (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I/II, S. 234 w VI; BSG SozR Nr. 37 zu § 75 SGG; neuerdings Urteile des erkennenden Senats vom 16. Dezember 1976 - 12/3/12 RK 23/74 - und 27. Februar 1977 - 12 RK 8/76 -). Die Hansestadt Hamburg hätte daher als Arbeitgeber zwingend beigeladen werden müssen. Das Unterlassen der notwendigen Beiladung ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensfehler zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nr. 1).
Das auf dem Verfahrensfehler beruhende Urteil des LSG muß sonach aufgehoben und - da das Revisionsgericht die Beiladung nicht selbst vornehmen kann (§ 168 SGG) - der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden.
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
Fundstellen