Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechtigung zur freiwilligen Versicherung im Zeitpunkt der Antragstellung
Leitsatz (redaktionell)
Das Recht zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen steht Personen, die nach AVG § 6 versicherungsfrei sind, nur zu, wenn sie für 60 Kalendermonate Beiträge entrichtet haben.
Orientierungssatz
Zur Frage, ob es bei der Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 S 1 (= ArVNG Art 2 § 51a Abs 2 S 1) auf den Status des Antragstellers (Beamter) im Zeitpunkt der Antragstellung oder auf den Status in der Zeit, für den die Beiträge gelten sollen, ankommt. .
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 49 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 2 S. 1 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1233 Abs. 1a Fassung: 1972-10-16; AVG § 10 Abs. 1a Fassung: 1972-10-16; RVO § 1229 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 6 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 26. Mai 1975 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger berechtigt ist, für die Zeit von Januar 1967 bis einschließlich November 1968 freiwillige Beiträge zur Angestelltenversicherung nachzuentrichten.
Der Kläger, für den vom 1. Dezember 1968 bis 3. Februar 1972 für 39 Kalendermonate Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet worden waren und der mit Wirkung vom 4. Februar 1972 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum wissenschaftlichen Assistenten an der Universität Konstanz ernannt worden war, beantragte bei der Beklagten, freiwillige Beiträge zur Angestelltenversicherung für die Zeit von Januar 1967 bis einschließlich November 1968 nach Art. 2 § 49 a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) nachentrichten zu können. Die Beklagte lehnte die Nachentrichtung nach Abs. 1 und 2 des Art. 2 § 49 a AnVNG ab. Die auf Abs. 2 des Art. 2 § 49 a AnVNG gestützte Ablehnung begründete die Beklagte damit, nur die nach § 10 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zur freiwilligen Versicherung berechtigten Versicherten könnten freiwillige Beiträge nachentrichten. Da der Kläger seit dem 4. Februar 1972 Beamter und damit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG in der Rentenversicherung der Angestellten versicherungsfrei sei, sei er zur freiwilligen Versicherung nur berechtigt, wenn er mindestens für 60 Kalendermonate Beiträge entrichtet habe (§ 10 Abs. 1 a AVG). Für ihn seien aber nur für 39 Kalendermonate Beiträge entrichtet. Da er somit nicht zur freiwilligen Versicherung berechtigt sei, sei er es auch nicht für die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG (Bescheid vom 21. Februar 1974). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 1974). Auf die Klage des Klägers hat das Sozialgericht (SG) Konstanz die Beklagte verurteilt, die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen vom 1. Januar 1967 bis 30. November 1968 zuzulassen. Es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 26. Mai 1975).
Die Beklagte hat gegen dieses Urteil unter Vorlage der vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers im ersten Rechtszug unterschriebenen Zustimmungserklärung Sprungrevision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG i.V.m. § 10 Abs. 1 a AVG.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
das Urteil des SG Konstanz vom 26. Mai 1975 aufzuheben und die Klage des Klägers gegen ihren Bescheid vom 21. Februar 1974 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 1974 abzuweisen.
Der Kläger ist nicht vertreten.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Sprungrevision der Beklagten ist statthaft. Zwar hat nicht der Kläger, sondern sein Prozeßbevollmächtigter im ersten Rechtszug der Revision schriftlich zugestimmt. Eine solche Zustimmungserklärung, die ohnehin nicht dem Vertretungszwang unterliegt (BSGE 3, 13, 14 f; Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, § 161, Anm. 2 - III/80-34-56 -; Zeihe, SGG, § 161, Anm. 8 c; BVerwG, MdR 1962, 605 = NJW 1962, 1125), kann auch von dem Prozeßbevollmächtigten des ersten Rechtszugs abgegeben werden (Peters/Sautter/Wolff, aaO; Schunck/de Clerck, VwGO, 2. Aufl. 1967, § 134, Anm. 2).
Die Revision der Beklagten ist auch begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hatte sich zu der begehrten Nachentrichtung nach Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG deshalb für berechtigt gehalten, weil es nach seiner Ansicht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf den Status des Antragstellers im Zeitpunkt der Antragstellung ankomme, sondern auf denjenigen der Zeit, für den die Beiträge gelten sollen. Das SG hat sich dieser Auffassung angeschlossen. Es hat den Wortlaut des Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG nicht für eindeutig gehalten. Der Relativsatz: "die nach § 10 AVG zur freiwilligen Versicherung berechtigt sind" beziehe sich weder auf den Antragszeitpunkt noch auf den Nachentrichtungszeitraum von Januar 1956 bis 31. Dezember 1973. Das SG hat die Vorschrift des Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG für auslegungsfähig und -bedürftig gehalten und dem Kläger das Recht zur Nachentrichtung zuerkannt.
Dem ist nicht zu folgen. Schon der Wortlaut des Art. 2 § 49 a Abs. 2 Satz 1 AnVNG: "Personen, die nach § 10 des Angestelltenversicherungsgesetzes zur freiwilligen Versicherung berechtigt sind, können auf Antrag abweichend von den Regelungen des § 140 des Angestelltenversicherungsgesetzes freiwillige Beiträge für Zeiten vom 1. Januar 1956 an bis 31. Dezember 1973, die noch nicht mit Beiträgen zur gesetzlichen Rente belegt sind, in der Weise nachentrichten, daß ein Beitrag für einen Monat erst dann entrichtet werden darf, wenn alle späteren Monate bereits mit Beiträgen belegt sind", rechtfertigt das Ergebnis nicht. Mit Recht verweist die Beklagte darauf, daß das Wort in dem Relativsatz "sind" die Gegenwarts- (Präsens) und nicht die Vergangenheitsform bezeichnet. Wenn letzteres beabsichtigt gewesen wäre, hätte es einer Wortfassung wie "berechtigt waren" oder "berechtigt gewesen sind" bedurft. Der Wortlaut weist also bereits darauf hin, daß der Gesetzgeber nicht irgendeine frühere Berechtigung zur freiwilligen Versicherung gemeint hat, sondern allein die gegenwärtige bei Inkrafttreten des Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG am 19. Oktober 1972 (Art. 6 § 8 Abs. 2 des Rentenreformgesetzes - RRG -). Zu diesem Zeitpunkt war § 10 AVG i.d.F. des RRG (Art. 1 § 2 Nr. 4 b, Art. 6 § 8 Abs. 2) in Kraft. Damit ist die die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge hindernde Vorschrift des § 10 Abs. 1 a AVG zu beachten. Danach steht das Recht der Nachentrichtung freiwilliger Beiträge solchen Personen, die nach § 6 AVG von der Versicherungspflicht befreit sind, nur zu, "wenn sie für sechzig Kalendermonate Beiträge entrichtet haben". Der Kläger war nach den Feststellungen des SG, die nicht angefochten worden sind und daher das Revisionsgericht binden (§ 163 SGG), Beamter auf Widerruf ab 4. Februar 1972. Demnach war er nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 AVG in der Angestelltenversicherung versicherungsfrei. Mit 39 Beitragsmonaten erreichte er die vorgeschriebene Mindestzahl von 60 Beitragsmonaten für eine freiwillige Versicherung nicht (§ 10 Abs. 1 a AVG).
Diesem bereits dem Wortlaut des Art. 2 § 49 a Abs. 2 Satz 1 AnVNG entnommenen Ergebnis stehen keine Hinweise aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift entgegen (BT-Drucks. VI/3806). Das mag damit erklärt werden können, daß diese Vorschrift erst in der zweiten Lesung in das RRG eingefügt worden ist. Von Bedeutung ist aber die allgemeine Zielsetzung des RRG, nämlich die Rentenversicherung für Gesellschaftsgruppen mit unzureichender Alterssicherung zu öffnen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 26. Oktober 1976 - 12 RK 13/76 - mit weiteren Nachweisen). Daraus ist der Sinn und Zweck der umstrittenen Regelung zu entnehmen. Mit der gesetzlich neu geschaffenen weiten Nachentrichtungsmöglichkeit sollte solchen Personen eine Sicherung durch die Rentenversicherung ermöglicht werden, die sie bisher nicht hatten. Beamten stand und steht ihre beamtenrechtliche Versorgung zu; insoweit haben sie eine hinreichende Sicherung. Wenn die freiwillige Versicherung nur unter der beschränkten Voraussetzung des § 10 Abs. 1 a AVG die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge durch Beamte ermöglicht hat, zeigt das, daß der Gesetzgeber wegen der schon vorhandenen Sicherstellung des Beamten durch die beamtenrechtliche Versorgung eine Nachentrichtungsmöglichkeit grundsätzlich nicht für erforderlich gehalten hat. Er wollte sie aber solchen Beamten nicht vorenthalten, die bereits eine vom Gesetzgeber für ausreichend erachtete Bindung an die Rentenversicherung durch die Vorleistung von mindestens 60 Beitragsmonaten besitzen. Diese Zielsetzung schließt es aus, daß dem Kläger, der eine solche Mindestvorleistung durch Beiträge zur Rentenversicherung nicht aufzuweisen hat, das Recht zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art. 2 § 49 a Abs. 2 Satz 1 AnVNG zuzugestehen ist. Unerheblich ist es hierbei, ob die Beklagte oder andere Rentenversicherungsträger einen gegenteiligen Standpunkt eingenommen haben, worauf sich der Kläger und das Vordergericht berufen haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen