Entscheidungsstichwort (Thema)
Merkzeichen "H". Hilflosigkeit. Heimdialyse wegen Nierenleiden
Orientierungssatz
Für die Annahme von Hilflosigkeit iS des § 35 Abs 1 BVG, der in ausführlichen Maßstäben die Hilflosigkeit iS des § 3 Abs 1 Nr 2 SchwbAwV und des dort in Bezug genommenen § 33b EStG bestimmt, wird das Erfordernis "fremder Hilfe in erheblichem Umfang" allein wegen eines dialysepflichtigen Nierenleidens nicht erfüllt. Es genügt nicht, daß fremde Hilfe nur bei einem einzigen, wenn auch längere Zeit dauernden, Vorgang, der Dialyse, benötigt wird (Festhaltung an BSG vom 6.11.1985 9a RVs 10/84 = BSGE 59, 103 = SozR 3875 § 3 Nr 2 und BSG vom 7.5.1986 9a RVs 54/85 = SozR 3100 § 35 Nr 16).
Normenkette
BVG § 35 Abs 1 S 1; EStG § 33b Abs 3 S 3; SchwbAwV § 3 Abs 1 Nr 2; SchwbG § 3 Abs 4
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 05.12.1984; Aktenzeichen L 1 Vs 81/83) |
SG Bayreuth (Entscheidung vom 02.08.1983; Aktenzeichen S 1 Vs 410/83) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Voraussetzungen der Hilflosigkeit bei Heimdialyse-Patienten, die als gesundheitliches Merkmal einen Anspruch auf Eintragung des Merkzeichens "H" in den Ausweis für Schwerbehinderte begründet.
Wegen einer chronischen Nierenerkrankung, die im Jahre 1979 dekompensierte, stellte das Versorgungsamt bei dem 1945 geborenen Kläger eine "dialysepflichtige Niereninsuffizienz" mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vH nach § 3 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) fest (Bescheid vom 9. Juli 1979). Später erkannte es einen "Herz-Kreislaufschaden" als zusätzliche Behinderung an, lehnte aber die Eintragung des Merkzeichens "H" in den Schwerbehindertenausweis ab: Nach dem versorgungsärztlichen Gutachten vom 21. Januar 1983 verursache die zusätzliche Behinderung keine wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (10 vH MdE). Die Heimdialyse nehme dreimal in der Woche ca sechs Stunden in Anspruch. Der Kläger gehe einer geregelten, leichten Vollbeschäftigung nach und bedürfe zwischen den Dialysen keiner dauernden Überwachung (angefochtener Bescheid vom 7. Februar 1983, Widerspruchsbescheid vom 30. März 1983). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des Sozialgerichts -SG- vom 2. August 1983 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 5. Dezember 1984). Das LSG hat seine Entscheidung darauf gestützt, daß der Kläger nicht hilflos im Sinne des § 35 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) sei. Abgesehen von dem Nierenleiden und der zu seiner Behandlung erforderlichen Dialyse erfordere der Zustand des Klägers gleichbleibend keine besondere Hilfe.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger, das LSG habe den Begriff "Hilflosigkeit" in § 3 Abs 1 Nr 2 der Ausweisverordnung Schwerbehindertengesetz (SchwbAwV) verkannt, nach dem bei einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz mit einer MdE um 100 vH grundsätzlich das Merkzeichen "H" einzutragen sei. Im übrigen seien auch die §§ 103 und 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt. Das LSG hätte weiter aufklären müssen, ob sein Zustand dauernd die Bereitschaft fremder Hilfe erfordere. Es habe insofern zwei schriftliche Auskünfte unter Verletzung des § 128 Abs 1 SGG falsch ausgewertet.
Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Urteile und Bescheide zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, daß der Kläger trotz seiner dialysepflichtigen Niereninsuffizienz nicht hilflos ist und nicht die Eintragung des Merkzeichens "H" in seinen Schwerbehindertenausweis verlangen kann.
Die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob Heimdialyse-Patienten wie der Kläger regelmäßig hilflos im Sinne des Schwerbehindertenrechts sind, so daß sie das Merkzeichen "H" nach der SchwbAwV beanspruchen können, hat der Senat in seinem Urteil vom 6. November 1985 verneint (BSGE 59, 103 ff = SozR 3875 § 3 Nr 2) und später an dieser Entscheidung festgehalten (SozR 3100 § 35 Nr 16). Der Senat hält auch im vorliegenden Rechtsstreit daran fest, daß für die Annahme von Hilflosigkeit im Sinne des § 35 Abs 1 BVG, der in ausführlichen Maßstäben die Hilflosigkeit im Sinne des § 3 Abs 1 Nr 2 SchwbAwV und des dort in Bezug genommenen § 33b des Einkommensteuergesetzes bestimmt, das Erfordernis "fremder Hilfe in erheblichem Umfang" allein wegen eines dialysepflichtigen Nierenleidens nicht erfüllt wird. Es genügt nicht, daß fremde Hilfe nur bei einem einzigen, wenn auch längere Zeit dauernden, Vorgang, der Dialyse, benötigt wird (BSG aaO). Entgegen der Meinung des SG Hamburg im Urteil vom 7. August 1986 - 32 Vs 732/85 -, das im übrigen keinen Heimdialysefall betrifft, bestätigt die Rechtsprechung des Senats das Urteil des 10. Senats des Bundessozialgerichts vom 6. Februar 1973 - 10 RV 72/72 -.
Nach den Feststellungen des LSG trifft das auch für den Einzelfall des Klägers zu. Auch er ist nicht hilflos im Sinne des § 35 Abs 1 BVG. Denn das LSG hat festgestellt, daß keine weiteren Gesundheitsstörungen über die dialysebedingten Erfordernisse hinaus besondere Hilfeleistungen notwendig machen. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden (§ 163 SGG). Die vom Kläger dagegen vorgebrachten Verfahrensrügen sind unbegründet. Das LSG hat seine Überzeugungsbildung auf das Gesamtergebnis des Verfahrens gestützt und dazu ausdrücklich auch das versorgungsärztliche Gutachten vom 21. Januar 1983 herangezogen. Die dort angeführten medizinischen Gründe ergeben in einer Gesamtschau mit den übrigen vom LSG eingeholten Auskünften, daß weder die Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 SGG) noch die Pflicht zur Ermittlung von Amts wegen (§ 103 SGG) verletzt worden sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen