Orientierungssatz
Indienstnahme Privater - Aufgaben der Zahlstelle der Versorgungsbezüge - Entstehen der Beitragspflicht von Versorgungsbezügen:
1. Die einem Arbeitgeber aufgrund seiner Indienstnahme obliegenden Mitwirkungspflichten (vgl hierzu BSG vom 29.4.1976 12/3 RK 66/75 = BSGE 41, 297) betreffen die Erfassung und Abführung der aus dem Arbeitsentgelt der einzelnen Arbeitnehmer (Versicherten) zu berechnenden Sozialversicherungsbeiträge. Diese Pflichten lassen sich nicht auf etwaige anderweitige beitragspflichtige Einnahmen des Arbeitnehmers außerhalb des Beschäftigungsverhältnisses ausdehnen. Das ist weder gesetzlich vorgesehen noch läßt es sich aus dem Wesen der "Indienstnahme Privater" ableiten, die ihrer Natur nach auf den Bereich des zwischen dem Arbeitgeber und dem Versicherten bestehenden Vertragsverhältnisses beschränkt ist.
2. Fehlt es an der Voraussetzung für eine Mitwirkung der Versorgungszahlstelle nach § 393a Abs 2 S 2 RVO am Beitragseinzug, so kann auch nicht von einer Funktionseinheit mehrerer, in den Verwaltungsablauf eingeschalteter Stellen gesprochen werden, unter deren Annahme allenfalls - analog zu den zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch entwickelten Grundsätzen - der Krankenversicherungsträger für das Fehlverhalten der anderen Stelle einzustehen hätte.
3. Die an den Erhalt von Versorgungsbezügen geknüpfte Beitragspflicht entsteht kraft Gesetzes und ist vom Wissen des Beitragspflichtigen unabhängig.
4. Die Krankenkasse kann Beiträge aus Versorgungsbezügen auch dann nacherheben, wenn die Zahlstelle zuvor gegenüber dem Versorgungsempfänger ohne Rentenbezug aus der gesetzlichen Rentenversicherung die Beitragspflicht der Versorgungsbezüge verneint hat.
Normenkette
RVO § 180 Abs. 6 Nr. 2 Fassung 1981-12-01, § 393a Abs. 2 S. 2 Fassung 1981-12-01
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 26.03.1986; Aktenzeichen L 4 Kr 78/84) |
SG Hildesheim (Entscheidung vom 06.11.1984; Aktenzeichen S 2 Kr 29/84) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht von der Klägerin Beiträge zur Krankenversicherung aus Versorgungsbezügen nachgefordert hat.
Die Klägerin ist bei der beklagten Ersatzkasse als Angestellte gegen Krankheit pflichtversichert. Sie bezieht nach ihrem im Jahre 1968 verstorbenen Ehemann beamtenrechtliche Versorgungsbezüge (Witwenbezüge), für deren Auszahlung das Niedersächsische Landesverwaltungsamt - Beamtenversorgung - zuständig ist. Diese Stelle schrieb ihr auf Anfrage am 3. Februar 1983 folgendes: "In Beantwortung Ihres Schreibens vom 11. Januar 1983 möchte ich Ihnen mitteilen, daß Ihre Versorgungsbezüge nicht zur gesetzlichen Pflichtversicherung der Krankenkasse herangezogen werden. Krankenbeiträge werden von mir nur abgeführt, wenn ein Versorgungsempfänger außer den Versorgungsbezügen eine Rente erhält." Hiervon erfuhr die Beklagte anläßlich einer Vorsprache der Klägerin am Kassenschalter am 30. April 1984. Sie stellte daraufhin mit Bescheiden vom 16. Mai 1984 und 20. Juni 1984 die Beitragspflicht der Versorgungsbezüge ab 1. Januar 1983 fest und forderte Beiträge in Höhe von insgesamt 1.672,92 DM nach. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. August 1984; Urteil des Sozialgerichts - SG - Hildesheim vom 6. November 1984).
Das Landessozialgericht - LSG - Niedersachsen hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG abgeändert und die Bescheide der Beklagten hinsichtlich der Nachforderung von Beiträgen für die Zeit vom 1. Januar 1983 bis zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 16. Mai 1984 aufgehoben (Urteil vom 26. März 1986). Zur Begründung hat es ausgeführt, einer rückwirkenden Beitragsberechnung stehe der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Die Klägerin habe sich aufgrund des Schreibens der Besoldungsstelle des Landesverwaltungsamtes darauf verlassen dürfen, daß Beiträge von den Versorgungsbezügen nicht zu zahlen seien. Dieses Schreiben des "Arbeitgebers" der Klägerin müsse sich die Beklagte zurechnen lassen. Da die Klägerin gewußt habe, daß die Besoldungsstelle stets die Beiträge zur Krankenversicherung zu berechnen und abzuführen gehabt habe, habe sie davon ausgehen können, daß diese Aufgabe auch die möglichen Beiträge von Versorgungsbezügen umfasse. Entscheidend sei, daß sich die Beklagte als Einzugsstelle beim Beitragseinzug stets der Mithilfe des Arbeitgebers bedient habe. Es sei auch nicht außer acht zu lassen, daß es sich bei der Besoldungsstelle um eine mit der Beklagten hinsichtlich des Beitragseinzugs eng zusammenarbeitende Dienststelle handele, deren Auskunft in besonderem Maße zutreffend und verbindlich habe erscheinen müssen.
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 393a Abs 2 Satz 7 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie eine Verkennung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Sie trägt vor, daß ihrer Beitragsnachforderung weder ein bindender Verwaltungsakt noch eine frühere Erklärung entgegenstehe, mit der sie sich in Widerspruch hätte setzen können. Die Beitragsnachforderung sei auch nicht verwirkt. Für die Verwirkung von Beitragsansprüchen sei allein auf das Verhalten der Einzugsstelle abzustellen, wobei das bloße Nichttätigwerden nicht ausreiche. Die nachträgliche finanzielle Inanspruchnahme der Klägerin für einen Zeitraum von knapp eineinhalb Jahren halte sich in einem wirtschaftlich vertretbaren Rahmen. Das Ausmaß der wirtschaftlichen Belastung werde grundsätzlich durch die Verjährungsvorschrift des § 25 Abs 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 4) mit der Verjährungsfrist von vier Jahren begrenzt. Eine solche Verjährungsvorschrift wäre sinnlos, wenn Beiträge lediglich sofort nach der Entstehung geltend gemacht werden dürften. Das Verhalten des Niedersächsischen Landesverwaltungsamtes müsse sich die Beklagte nicht zurechnen lassen. Es liege außerhalb des Bereichs der "Indienstnahme" des Arbeitgebers. Von einer "Funktionseinheit" verschiedener zur Entscheidung berufener Behörden sei insoweit nicht auszugehen. Daß allein die Krankenkasse verbindlich über Beitragspflicht und Beitragshöhe habe entscheiden können, sei der Klägerin nicht unbekannt gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG insoweit aufzuheben, als mit ihm das Urteil des SG abgeändert wurde.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten. Sie hat sich zur Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben, soweit es den Beitragsanspruch der Beklagten für den zurückliegenden Zeitraum verneint hat.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Versorgungsbezüge der Klägerin seit dem 1. Januar 1983 gemäß § 180 Abs 6 Nr 2 RVO zu dem für die Beitragsbemessung maßgeblichen Grundlohn gehören, soweit sie zusammen mit dem Angestelltengehalt die in § 180 Abs 1 Satz 3 RVO genannte Grenze nicht überschreiten. Der hierauf beruhenden und von der Beklagten geltend gemachten Beitragsnachforderung in der - von der Klägerin nicht bestrittenen - Höhe von 1.672,92 DM stehen keine Rechtsgründe entgegen. Voraussetzungen, unter denen es der Beklagten unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben verwehrt wäre, die objektiv begründete Beitragsforderung durchzusetzen, liegen nicht vor. Der Auffassung des LSG, die Beklagte müsse sich das fehlerhafte Verhalten des Niedersächsischen Landesverwaltungsamtes zurechnen lassen, kann nicht gefolgt werden. Dabei kann dahinstehen, ob diese Behörde überhaupt, wie das LSG ohne nachprüfbare tatsächliche Feststellungen angenommen hat, Arbeitgeber der Klägerin ist und in dieser Eigenschaft die Auskunft vom 3. Februar 1983 erteilte oder ob sie sich als die für die Hinterbliebenenversorgung der Klägerin zuständige Stelle äußerte. In beiden Fällen fehlte es an den Voraussetzungen eines gesetzlich vorgesehenen oder organisatorisch veranlaßten Zusammenwirkens dieser Stelle mit der Beklagten, sei es im Rahmen der sogenannten "Indienstnahme des Arbeitgebers", sei es innerhalb einer verwaltungsmäßigen Funktionseinheit.
Die einem Arbeitgeber aufgrund seiner Indienstnahme obliegenden Mitwirkungspflichten (vgl hierzu BSGE 41, 297) betreffen die Erfassung und Abführung der aus dem Arbeitsentgelt der einzelnen Arbeitnehmer (Versicherten) zu berechnenden Sozialversicherungsbeiträge. Diese Pflichten lassen sich nicht auf etwaige anderweitige beitragspflichtige Einnahmen des Arbeitnehmers außerhalb des Beschäftigungsverhältnisses ausdehnen. Das ist weder gesetzlich vorgesehen noch läßt es sich aus dem Wesen der "Indienstnahme Privater" ableiten, die ihrer Natur nach auf den Bereich des zwischen dem Arbeitgeber und dem Versicherten bestehenden Vertragsverhältnisses beschränkt ist. Dem Niedersächsischen Landesverwaltungsamt, sofern es Arbeitgeber war, oblag es demnach als solchem nicht, die Beitragspflichtigkeit der Versorgungsbezüge der Klägerin festzustellen, sie der Beklagten zu melden und die Beiträge hieraus abzuführen, geschweige denn über die Beitragspflichtigkeit der Versorgungsbezüge in einer die Beklagte bindenden Weise zu befinden. Seine Auskunft vom 3. Februar 1983 kann deshalb nicht als Fehlverhalten eines indienstgenommenen Arbeitgebers gewertet werden, so daß von vornherein eine Verantwortlichkeit der Beklagten nicht in Betracht kommt.
Auch im Rahmen seiner Zuständigkeit für die Hinterbliebenenversorgung der Klägerin gehörte es nicht zum Aufgabenbereich des Niedersächsischen Landesverwaltungsamtes, die auf die Versorgungsbezüge der Klägerin entfallenden Krankenversicherungsbeiträge einzubehalten und an die Beklagte abzuführen. Nach § 393a Abs 2 Satz 2 RVO haben Zahlstellen, die regelmäßig an mehr als dreißig beitragspflichtige Versicherte Versorgungsbezüge auszahlen, für Versicherungspflichtige, die eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten, Beiträge von den Versorgungsbezügen einzubehalten und an die zuständige Kasse zu entrichten. Da aber die Klägerin eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht bezieht, lag diese Voraussetzung bei ihr nicht vor mit der Folge, daß sie die Beiträge aus ihren Versorgungsbezügen selbst einzuzahlen hatte (§ 393a Abs 2 Satz 7 RVO). Fehlte es somit an der Voraussetzung für eine Mitwirkung der Versorgungszahlstelle nach § 393a Abs 2 Satz 2 RVO am Beitragseinzug, so kann auch nicht von einer Funktionseinheit mehrerer in den Verwaltungsablauf eingeschalteter Stellen gesprochen werden, unter deren Annahme allenfalls - analog zu den zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch entwickelten Grundsätzen - die Beklagte für das Fehlverhalten der anderen Stelle einzustehen hätte.
Sofern die Klägerin durch die Auskunft des Niedersächsischen Landesverwaltungsamtes vom 3. Februar 1983 in den Glauben versetzt wurde, ihre Versorgungsbezüge seien nicht beitragspflichtig, weil sie daneben keine Rente beziehe, kann ihr dies im Verhältnis zur Beklagten nicht zugute gehalten werden. Die an den Erhalt von Versorgungsbezügen geknüpfte Beitragspflicht entsteht kraft Gesetzes und ist vom Wissen des Beitragspflichtigen unabhängig. Nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB 4 verjähren Beitragsansprüche in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Dabei handelt es sich um Beiträge, die von dem Zahlungspflichtigen unwissentlich oder versehentlich nicht entrichtet worden sind, denn Beiträge, die vorsätzlich vorenthalten werden, verjähren gemäß § 25 Abs 1 Satz 2 SGB 4 erst in dreißig Jahren.
Der Beklagten kann kein eigenes Fehlverhalten angelastet werden, das für die Unwissenheit der Klägerin hätte ursächlich werden können. Sie hat in ihrer Mitgliederzeitschrift Nr 3/1982 auf die bevorstehenden Änderungen im Beitragsrecht für Empfänger von Renten- und Versorgungsbezügen ab 1. Januar 1983 hingewiesen und "alle versicherungspflichtigen Mitglieder, die nicht der Krankenversicherung der Rentner angehören und die eine Rente oder Versorgungsbezüge erhalten" aufgefordert, den in der Zeitschrift abgedruckten Fragebogen herauszutrennen und ausgefüllt der BEK-Geschäftsstelle einzureichen. Trotz dieser Aufklärung etwa verbliebene Zweifel hätte die Klägerin durch Anfrage bei der Beklagten ausräumen müssen.
Die Beklagte durfte nach alledem die für den streitigen Zeitraum vom 1. Januar 1983 bis zur Zustellung des Bescheides vom 16. Mai 1984 angefallenen und nicht verjährten Beiträge von der Klägerin nachfordern, ohne sich hierdurch mit einem entgegenstehenden eigenen oder ihr zurechenbaren Verhalten in Widerspruch zu setzen und damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben zu verstoßen. Das SG hat zu Recht die Klage in vollem Umfange abgewiesen. Das Urteil des LSG ist aufzuheben, soweit das erstinstanzliche Urteil geändert worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 60344 |
RegNr, 17574 |
KVRS, A-3240/6 (OT1-3) |
BR/Meuer RVO § 180, 23-02-88, 12 RK 47/86 (OT1-3) |
USK, 8871 (T) |
BKK 1988, 190-191 (T) |
ErsK 1988, 233-235 (T) |