Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriff der (renten-)versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Dieser Begriff ist auf die Person zu beziehen, die diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat; um eine "versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" iS dieser Vorschriften handelt es sich nur, wenn diese Beschäftigung oder Tätigkeit für diese Person versicherungspflichtig gewesen ist.

 

Normenkette

AVG § 36 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1259 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 28 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Juni 1963 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Mit Bescheid vom 19. Dezember 1960 bewilligte die Beklagte dem Kläger, geboren 1. September 1895, vom 1. September 1960 an Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres; die Zeit vom 12. September 1945 bis 2. Januar 1952, in der der Kläger nach einer Bescheinigung des Arbeitsamts W dort "als Arbeitsloser gemeldet war", berücksichtigte die Beklagte in diesem Bescheid nicht als Ausfallzeit im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), weil durch diese Zeit der Arbeitslosigkeit nicht eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen worden sei. Mit der Klage begehrte der Kläger die Berücksichtigung dieser Zeit als Ausfallzeit. Das Sozialgericht (SG) Aachen wies die Klage ab (Urteil vom 17. Oktober 1961). Die Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen zurück (Urteil vom 20. Juni 1963). Das LSG führte aus, der Kläger habe bis zum 31. Dezember 1941 Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung (AnV) entrichtet, ab Februar 1942 freiwillige Beiträge, den letzten Beitrag am 30. April 1943; seit Ende 1941 bis zum Beginn der Arbeitslosigkeit habe der Kläger keine versicherungspflichtige Tätigkeit mehr ausgeübt, sein Einkommen als Angestellter der Vergütungsgruppe TO A I habe damals die Jahresarbeitsverdienstgrenze (JAV-Grenze) überschritten, nach den §§ 1, 3 AVG aF habe er deshalb nicht mehr zu dem Kreis der versicherungspflichtigen Personen gehört, durch die Zeit der Arbeitslosigkeit sei deshalb nicht eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen worden; es könne dahingestellt bleiben, ob nach Inkrafttreten der Neufassung des AVG zurückgelegte Zeiten einer nur wegen Überschreitens der Versicherungspflichtgrenze versicherungsfreien Beschäftigung im Hinblick auf die gegenüber den §§ 1, 3 AVG aF geänderte Fassung der §§ 2, 4 AVG nF als "versicherungspflichtige Beschäftigung" im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG anzusehen sei. Das LSG ließ die Revision zu. Das Urteil wurde dem Kläger am 30. Juli 1963 zugestellt.

Am 27. August 1963 legte der Kläger Revision ein, er beantragte,

das angefochtene Urteil abzuändern und unter Abänderung des Urteils des SG Aachen vom 17. Oktober 1961 und teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 19. Dezember 1960 die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 1. Oktober 1945 bis zum 31. Dezember 1951 nach § 36 Abs. 1 Ziffer 3 AVG als Ausfallzeit anzurechnen und darüber einen entsprechenden Bescheid zu erteilen,

hilfsweise,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.

Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist begründete er die Revision am 30. Oktober 1963: Das LSG habe § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG unrichtig angewandt; nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 1248 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nF = § 25 Abs. 3 AVG nF komme es für die Frage, ob eine Versicherte noch eine "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" ausübe, nur darauf an, ob die Beschäftigung an sich versicherungspflichtig sei, ohne Rücksicht darauf, ob diese Beschäftigung im konkreten Falle aus einem besonderen Grund versicherungsfrei sei; dies spreche dafür, daß der Kläger "als Angestellter vor seiner Arbeitslosigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung" ausgeübt habe, obwohl er wegen Überschreitens der JAV-Grenze versicherungsfrei gewesen sei.

Die Beklagte beantragte,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); sie ist jedoch nicht begründet.

Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG sind Ausfallzeiten Zeiten, in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine länger als sechs Wochen andauernde Arbeitslosigkeit unterbrochen worden ist, sofern die sonstigen Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen; Feststellungen darüber, ob diese sonstigen Voraussetzungen vorliegen, hat das LSG im vorliegenden Fall deshalb nicht treffen müssen, weil auch dann, wenn dies der Fall ist, durch die Arbeitslosigkeit des Klägers nicht eine "versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG unterbrochen worden ist. Ob die Beschäftigung oder Tätigkeit, an die sich die Zeit der Arbeitslosigkeit angeschlossen hat, versicherungspflichtig gewesen ist, ist - wie das LSG zu Recht angenommen hat - nach dem Recht zu beurteilen, das während dieser Beschäftigung oder Tätigkeit gegolten hat (vgl. auch Urteil des BSG vom 10. Februar 1960, BSG 11, 274, 275), hier also nach den §§ 1, 3 AVG in der bis zum 31. Dezember 1956 maßgebenden Fassung (aF). Nach diesen Vorschriften ist der Kläger aber seit Ende 1941 bis zum Beginn seiner Arbeitslosigkeit im Jahre 1945 nicht mehr "versicherungspflichtig" beschäftigt gewesen; es ist unerheblich, ob dies deshalb nicht der Fall gewesen ist, weil der Kläger - wie das LSG meint - nach altem Recht wegen der Höhe seines damaligen Einkommens nicht zu dem Kreis der Personen gehört habe, denen nach § 1 AVG aF der Schutz der Sozialversicherung ua für den hier in Betracht kommenden Fall des Alters hat zuteil werden sollen, oder ob er auch nach altem Recht zwar "an sich" zu dem Kreis der versicherungspflichtigen Angestellten gehört hat, aber nur mit Rücksicht auf die Höhe seines Einkommens nach § 3 AVG aF versicherungsfrei gewesen ist. Der Begriff der "(renten-)versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit", der im AVG und in der RVO an zahlreichen Stellen verwendet ist (vgl. die Hinweise in den Urteilen des BSG vom 18. Februar 1964, BSG 20, 184, 185; vom 23. Juni 1964, BSG SozR Nr. 24 zu § 1248 RVO), hat nicht stets die gleiche Bedeutung; er ist nach dem konkreten Zusammenhang der Vorschrift auszulegen, in der er sich findet. Soweit die Ausübung einer "versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit" bei Berücksichtigung von "beitragslosen Zeiten" (Ersatzzeiten) für die Erfüllung der Wartezeit (§ 28 Abs. 2 AVG = § 1251 Abs. 2 RVO) und bei der Berücksichtigung von Ersatzzeiten und den ebenfalls "beitragslosen" Ausfallzeiten für die Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre (§§ 35, 36 AVG = §§ 1258, 1259 RVO) von Bedeutung ist, ist dieser Begriff auf die Person zu beziehen, die diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat; um eine "versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" im Sinne dieser Vorschriften handelt es sich nur, wenn diese Beschäftigung oder Tätigkeit für diese Person versicherungspflichtig gewesen ist. Mit der Berücksichtigung von Ersatz- und Ausfallzeiten ist das die Rentenversicherungsgesetze grundsätzlich beherrschende "Versicherungsprinzip" durchbrochen worden; solche Zeiten sollen - ausnahmsweise - bei der Ermittlung der "anrechnungsfähigen Versicherungsjahre" nach § 35 Abs. 1 AVG = § 1248 Abs. 1 RVO berücksichtigt werden, wenn sie in unmittelbarem oder doch engem zeitlichen Zusammenhang (vgl. die Zweijahresfrist in § 28 Abs. 2 Buchst. a AVG = § 1251 Abs. 2 Buchst. a RVO; in § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG = § 1259 Abs. 1 Nr. 4 RVO) mit einer "Beitragszeit" stehen. Zeiten, für die Beiträge weder entrichtet sind noch als entrichtet gelten, unterbrechen diesen Zusammenhang; dabei kommt es nicht darauf an, ob - wie hier für die Beschäftigungszeit von 1941 bis 1945 - Beiträge nach dem Gesetz nicht zu entrichten gewesen sind, weil die damals ausgeübte Beschäftigung für diese Person nicht versicherungspflichtig gewesen ist, oder ob Beiträge aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit zu Unrecht nicht abgeführt worden sind (vgl. BSG aaO; ferner ebenso zu dem Begriff der "rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit" in § 25 Abs. 3 Satz 1 AVG = § 1248 Abs. 3 Satz 1 RVO die Urteile des BSG vom 29. März 1962, BSG 16, 284, ff., 285. 286; vom 29. Januar 1963, SozR Nr. 14 zu § 1248 RVO; vom 3. März 1964, BSG 20, 251 ff.; vom 23. Juni 1964 aaO). An dieser Auslegung des Begriffs der "rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit" ist für die hier anzuwendende Vorschrift des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG festzuhalten; hieran ändert nicht das vom Kläger angeführte Urteil des BSG vom 23. Juni 1964 (SozR Nr. 27 zu § 1248 RVO); in diesem Urteil ist ausgeführt, der Begriff der "rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung" als Voraussetzung des Anspruchs einer Versicherten auf das "vorzeitige" Altersruhegeld sei in § 1248 Abs. 3 RVO (= § 25 Abs. 3 AVG) mehrfach verwendet, er habe selbst innerhalb dieser Vorschrift nicht stets die gleiche Bedeutung; (nur) insoweit als es sich um die Voraussetzungen handele, daß eine Versicherte eine "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" nicht mehr ausübe oder daß das Altersruhegeld mit dem Eintritt der Berechtigten in eine solche Beschäftigung wegfalle, komme es nicht darauf an, ob Beiträge entrichtet sind oder zu entrichten waren; dieses Urteil besagt nichts darüber, wie der Begriff der "rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung" in den Vorschriften über Ersatz- und Ausfallzeiten auszulegen ist.

Das LSG hat danach zu Recht entschieden, die Zeit der Arbeitslosigkeit des Klägers von 1945 bis 1952 sei nicht eine Ausfallzeit im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG, weil sie nicht eine "versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" des Klägers unterbrochen habe; es hat deshalb dahingestellt lassen dürfen, ob die Zeit der Arbeitslosigkeit, wie dies der Begriff der "Unterbrechung" erfordert (vgl. Urteil des BSG vom 18. Januar 1962, BSG 16, 120 ff.), sich "unmittelbar" an die letzte Beschäftigung angeschlossen hat, oder ob dies, wie die Beklagte meint, deshalb nicht der Fall gewesen ist, weil das Beschäftigungsverhältnis schon im Mai 1945 und damit mehrere Monate vor der Arbeitslosmeldung am 12. September 1945 beendet worden sei; es kommt auch nicht mehr darauf an, ob der Kläger die Voraussetzungen des § 36 Abs. 3 AVG für die Anrechnung der Zeit der Arbeitslosigkeit ("Halbdeckung") erfüllt. Das LSG hat die Berufung des Klägers zu Recht zurückgewiesen, die Revision des Klägers ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2379747

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