Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederaufleben einer Witwenrente aus der Angestelltenversicherung. Einfluß des Fremdrentenrechts
Orientierungssatz
1. Das Wiederaufleben einer Witwenrente nach § 68 Abs 2 AVG und Art 2 § 25 Abs 1 AnVG setzt voraus, daß durch eine Wiederheirat der Antragstellerin ein ihr zustehender Rentenanspruch weggefallen ist, im Zeitpunkt der Wiederheirat also ein Anspruch auf Witwenrente überhaupt bestanden hat. Bestand lediglich eine Aussicht auf Zuerkennung einer Witwenrente, kommt ein Wiederaufleben nach den genannten Vorschriften nicht in Betracht.
2. Weder das Fremd- und Auslandsrentengesetz vom 7.8.1953 (SVFAG) noch das vom 1.1.1959 an geltende Fremd- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz vom 25.2.1960 (FANG) kennen eine Vorschrift, die besagt, daß das zum Wiederaufleben einer Witwenrente nötige Tatbestandsmerkmal des im Zeitpunkt der Wiederheirat vorhandenen Witwenrentenanspruchs zu unterstellen wäre.
Normenkette
AVG § 68 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 25 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; SVFAG Fassung: 1953-08-07; FANG Fassung: 1960-02-25; RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 26 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 07.12.1961) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 13.03.1961) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 7. Dezember 1961 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin begehrt eine nach ihrer Ansicht wiederaufgelebte Witwenrente aus der Angestelltenversicherung (AnV) ihres seit 1944 verschollenen und zum 31. Juli 1949 für tot erklärten ersten Ehemannes (§ 68 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -). Sie wohnte bis 1958 in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und heiratete dort 1950 wieder. Der zweite Ehemann starb 1960 in der Bundesrepublik. Vor der Wiederheirat bezog die Klägerin keine Witwenrente; sie erfüllte nicht die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen des sowjetzonalen Rechts (§§ 56, 48 der Verordnung über die Sozialpflichtversicherung vom 28. Januar 1947, Arbeit und Sozialfürsorge 1947 S. 92).
Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 1. November 1960). Das Sozialgericht (SG) Lübeck sprach die Witwenrente von Juni 1960 an zu (Urteil vom 13. März 1961). Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hob das Urteil auf und wies die Klage ab, weil die Klägerin bei ihrer Wiederheirat keinen Anspruch auf Witwenrente gehabt habe, der nun wiederaufleben könne (Urteil vom 7. Dezember 1961).
Mit der zugelassenen Revision beantragte die Klägerin (sinngemäß),
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Sie rügte, das materielle Recht, insbesondere § 68 Abs. 2 AVG, sei verletzt.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Läßt man das Fremdrentenrecht vorerst außer Betracht, so kommen als Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin nur § 68 Abs. 2 AVG und Art. 2 § 25 Abs. 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes in Frage. Wie das Bundessozialgericht (BSG) schon zu den gleichlautenden Vorschriften der Arbeiterrentenversicherung entschieden hat (BSG 14, 238), setzen diese Vorschriften voraus, daß durch die Wiederheirat ein Rentenanspruch weggefallen ist, im Zeitpunkt der Wiederheirat also ein Anspruch auf Witwenrente bestanden hat. Damals - im Jahre 1950 - hatte die Klägerin aber auf eine Witwenrente keinen Anspruch.
Das ist unbestritten und nicht zweifelhaft, soweit es sich um das sowjetzonale Recht handelt; ob ein Anspruch dieser Art in der Bundesrepublik nach § 68 Abs. 2 AVG überhaupt "wiederaufleben" könnte, kann daher offenbleiben. Zur Zeit ihrer Wiederheirat konnte die Klägerin aber auch im Bundesgebiet keine Witwenrente beanspruchen. Im Jahre 1950 war die Klägerin noch von dem Sozialversicherungssystem der SBZ erfaßt (BSG 3, 286; 5, 60); solange sie dort wohnte, konnte sie keine Ansprüche im Bundesgebiet nach dem damaligen Bundesrecht erwerben; die Aufsplitterung Deutschlands nach 1945 in mehrere sich organisatorisch und materiell-rechtlich unterscheidende Sozialversicherungssysteme hatte auch den Untergang der nach dem früheren Reichsrecht entstandenen Ansprüche bewirkt, wenn das am Wohnsitz herrschende neue System - wie hier das sowjetzonale Recht - die Ansprüche nicht gegen ihm angehörende Versicherungsträger fortbestehen ließ; diese Ansprüche waren alsdann in allen Teilen des früheren Reichsgebietes untergegangen.
Eine "wiederaufgelebte" Witwenrente kann die Klägerin aber auch unter Berücksichtigung des Fremdrentenrechts nicht erreichen. Weder das Fremd- und Auslandsrentengesetz vom 7. August 1953 (FAG) noch das vom 1. Januar 1959 an geltende Fremd- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz vom 25. Februar 1960 (FANG) kennen eine Vorschrift, die besagt, daß das hier fehlende Tatbestandsmerkmal des Witwenrentenanspruchs im Zeitpunkt der Wiederheirat zu unterstellen wäre. Das kann auch nicht aus den Vorschriften herausgelesen werden, die auf das allgemeine Rentenversicherungsrecht verweisen (§§ 2 FAG, 14 Fremdrentengesetz - FRG - = Art. 1 FANG). Es bliebe darum nur die Möglichkeit einer Gesetzeslücke (vgl. BSG 14, 241 ff); aber auch eine solche ließe sich nicht im Wege der Analogie zugunsten der Klägerin schließen.
Es ist schon zweifelhaft, ob die dem FAG oder dem FANG (FRG) zugrunde liegenden Prinzipien sich für eine analoge Anwendung im vorliegenden Falle eignen. Beide Gesetze stellen ihre Berechtigten den übrigen Versicherten nicht in allen Leistungsvoraussetzungen gleich, sondern im wesentlichen nur in den Versicherungszeiten (§§ 4 FAG, 15 ff FRG) und in den die Versicherungsfälle auslösenden Ereignissen (nicht aber beispielsweise in den früheren Beiträgen, die an Fremdrentner nicht erstattungsfähig sind); soweit sie gleichstellen, knüpfen sie dazu stets an Umstände an, die in anderen Rechtsbereichen tatsächlich eingetreten sind (vgl. auch § 90 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes - BVFG -). Weder das FAG noch das FANG (FRG) enthalten somit einen allgemeinen Grundsatz, der die Berechtigten in allen versicherungsrechtlich bedeutsamen Beziehungen schlechthin so behandelt, als ob sie immer im Gebiet der Bundesrepublik gelebt hätten. Einer ergänzenden Rechtsfindung in dem von der Klägerin gewünschten Sinne stehen aber vor allem die Grundsätze entgegen, die im allgemeinen Rentenversicherungsrecht für das Wiederaufleben eines Witwenrentenanspruchs maßgebend sind. Die Klägerin hatte im Jahre 1950 allenfalls eine Aussicht auf Witwenrente. Sie steht somit den Witwen gleich (§ 90 Abs. 1 BVFG), die im Bundesgebiet wiedergeheiratet haben, damals jedoch keinen Anspruch, sondern höchstens eine Aussicht auf Witwenrente gehabt haben. Die bloße Aussicht auf eine Rente im Zeitpunkt der Wiederheirat wollte der Gesetzgeber aber in keinem Falle für das Wiederaufleben eines Witwenrentenanspruchs nach Auflösung der zweiten Ehe genügen lassen (BSG 14, 238). Der Klägerin könnte somit auch nicht im Wege der Analogie eine wiederaufgelebte Witwenrente nur deshalb zugesprochen werden, weil sie vor der Wiederheirat in der Bundesrepublik eine Witwenrente hätte beanspruchen können, sofern sie damals schon hier gewohnt hätte. Sie kann keine Gleichstellung mit den ehemaligen Witwen verlangen, die durch ihre Wiederheirat in der Bundesrepublik einen damals tatsächlich vorhandenen Rentenanspruch eingebüßt haben. Da sie im Gegensatz zu diesen bei der Wiederheirat noch nicht auf einen Rentenbezug eingestellt sein konnte, liegt in der Versagung der Witwenrente schließlich auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (BSG 110, 244).
Ob die Rechtslage derjenigen Witwen, die die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen einer Witwenrente des sowjetzonalen Rechts ebenfalls nicht erfüllten, in der SBZ aber erst nach dem 31. Dezember 1958 wiedergeheiratet haben, anders zu beurteilen ist - wie die Beklagte meint -, brauchte der Senat nicht zu prüfen, da die Klägerin schon im Jahre 1950 wiedergeheiratet hat.
Hiernach ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen