Leitsatz (amtlich)
Ein Volksdeutscher russischer Staatsangehörigkeit, der im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen aus der Ukraine mit unbekanntem Ziel abtransportiert wurde, sich heute in einem verhältnismäßig eng begrenzten Gebiet in Sibirien aufhalten muß und weder an seinen früheren Wohnort noch zu seiner in der Bundesrepublik lebenden Familie heimkehren darf, wird iS des UBG § 2 Abs 2 von einer ausländischen Macht festgehalten.
Leitsatz (redaktionell)
In UBG § 2 Abs 2 werden unter "ausländischer Macht" alle nicht-deutschen Mächte verstanden, so daß es nicht auf das staatsrechtliche Verhältnis zwischen dem Festgehaltenen und der festhaltenden Macht ankommt.
Der Begriff "Festhaltung" in UBG § 2 Abs 2 ist umfassender und daher weiter auszulegen als der völkerrechtliche feststehende Begriff der Internierung; mit ihm wird zugleich auch eine etwaige spätere Lockerung der Freiheitsbeschränkung erfaßt und es kann den Besonderheiten des Einzelfalles besser Rechnung getragen werden. Ein bloßes Ausreiseverbot genügt nicht.
Normenkette
UBG § 2 Abs. 2 Fassung: 1952-04-30
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Juni 1961 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Während der Schlacht um Kiew und nach dem Vorstoß der deutschen Truppen zum Asowschen Meer erging im September 1941 an die Männer zwischen 16 und 68 Jahren in Alexanderfeld bei Melitopol am Asowschen Meer (Ukraine), soweit sie russische Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit waren, die Aufforderung, sich im Rathaus zu melden. Von dort aus wurden sie, darunter auch der Ehemann der Klägerin (B) mit unbekanntem Ziel abtransportiert; seitdem fehlte von B zunächst jede Spur. Die Klägerin wurde mit ihren Kindern 1943 nach Deutschland umgesiedelt. Hier erhielt sie ab August 1948 antragsgemäß Verschollenheitsrente nach dem Körperbeschädigten- Leistungsgesetz und ab 1. Oktober 1950 nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Im Januar 1957 traf ein erster Brief des B aus Akjuberske-Oblast im Ural bei der Klägerin ein. Daraus und aus den folgenden Briefen geht hervor, daß B zum Mähen eingesetzt ist, sich grundsätzlich innerhalb eines Gebiets von 25 km aufhalten muß und die Hoffnung hat, bald wieder mit seiner Familie vereint zu sein. Alle Bemühungen um seine Ausreiseerlaubnis scheiterten jedoch bisher. Die Klägerin teilte diese Umstände dem Versorgungsamt (VersorgA) mit. Darauf wurde durch Bescheid vom 25. November 1957 ihre Rente ab 1. Februar 1957 eingestellt, für die Zeit vom 1. Februar 1957 bis 31. Dezember 1957 eine Überzahlung von 1975,- DM festgestellt und letztere mit Schreiben vom 7. Februar 1958 zurückgefordert. In ihrem Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. November 1957 bat die Klägerin, ihre Rente in Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen umzuwandeln. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 5. Dezember 1957 abgelehnt, da B die Voraussetzungen des § 2 des Gesetzes über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen (UBG) in der Fassung vom 30. April 1952 (BGBl I 262) nicht erfülle. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Auf die Berufung der Klägerin hob das Landessozialgericht (LSG) den Bescheid vom 5. Dezember 1957 und das Urteil des Sozialgerichts (SG) Karlsruhe vom 16. Mai 1958 auf, verurteilte den Beklagten, der Klägerin ab 1. November 1957 Unterhaltsbeihilfe zu zahlen und ließ die Revision zu. Das LSG stellte fest, B werde in Sibirien festgehalten. Er befinde sich zwar seit 1957 nicht mehr in einem Gewahrsam, sondern könne frei wohnen und arbeiten, sich in einem 25 km großen Gebiet unbeaufsichtigt bewegen und mit Genehmigung auch dieses Gebiet verlassen; ausdrücklich verboten sei ihm die Rückkehr an seinen früheren Wohnort ( Alexanderfeld ) und die Heimkehr zu seiner jetzt in der Bundesrepublik wohnenden Familie. In diesem Sachverhalt erblickte das LSG den Tatbestand der Verschleppung im Sinne des § 2 Abs. 2 UBG. Dazu gehöre zunächst die zwangsweise Ortsveränderung. Diese brauche nicht in der Verbringung in ein ausländisches Staatsgebiet zu bestehen, da dies vom UBG - im Gegensatz zum Heimkehrergesetz (HKG) und zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz (KgEG) - nicht ausdrücklich gefordert werde. Die Verschleppung umfasse nicht nur die Verbringung an einen anderen Ort, sondern auch die Aufrechterhaltung dieses Zwangszustandes über den 31. März 1950 hinaus. Unterbringung auf eng begrenztem Raum und dauernde Bewachung seien zwar für die Tatbestände der Festhaltung und Internierung, nicht aber für die Verschleppung notwendig, da sonst Verschleppung und Festhaltung identisch wären. Die persönliche Lage des Verschleppten in seinem Gewahrsamsland sei für den Anspruch seiner Angehörigen auf Unterhaltsbeihilfe nicht entscheidend. Für diesen Anspruch genüge es, daß sich die gegen den Verschleppten aufrechterhaltenen Zwangsmaßnahmen in der Verweigerung der Ausreisegenehmigung und damit in der Verhinderung der Heimkehr an den Wohnort der Familie in der Bundesrepublik erschöpfen. Dafür spreche auch § 5 UBG, wonach der Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe grundsätzlich mit der Heimkehr erlösche. Entschädigungstatbestand sei die durch die kriegsbedingte Verschleppung herbeigeführte und noch fortbestehende Familientrennung. Diese sei bei der Klägerin gegeben.
Mit der Revision rügt der Beklagte Verletzung des § 2 Abs. 2 UBG. Das LSG habe den Begriff der Verschleppung im Sinne dieser Vorschrift verkannt. Wie der Bundesminister für Vertriebene (BMVt) im Rundschreiben vom 20. März 1957 (BVBl 1957, 68) ausgeführt habe, setze eine Verschleppung die zwangsweise Verbringung in ein ausländisches Staatsgebiet voraus; sie sei beendet, wenn der Verschleppte ungehindert dieses Gebiet verlassen könne. Die Auffassung des LSG, das UBG wolle die zwangsweise Aufrechterhaltung der Familientrennung entschädigen, finde im Gesetz keine Stütze, denn die Trennung des mutmaßlichen Ernährers von den übrigen Familienangehörigen sei nicht schlechthin, sondern nur dann Versorgungstatbestand, wenn sie auf einem der im Gesetz aufgeführten Tatbestände beruhe. Auch aus § 5 UBG, wonach der Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe grundsätzlich mit der Heimkehr erlösche, folge nicht, daß der Trennungstatbestand an sich schon zur Versorgung berechtige; es sei damit nur die Beendigung des nach § 2 Abs. 2 UBG anspruchsbegründenden Sachverhalts gemeint. Heimkehr bedeute, wie dem Rundschreiben des BMVt vom 5. März 1958 (III 4 c 3401-306/58) zu entnehmen sei, nicht die Rückkehr zu den Angehörigen, sondern die Rückkehr in das Staatsgebiet, aus dem der Betreffende stammte oder aus dem er verschleppt worden sei. Auch dieses Rundschreiben besage unter Nr. 3, daß eine Verschleppung im Sinne des UBG nur dann und solange vorliege, als eine Person zwangsweise in ein ausländisches Staatsgebiet verbracht worden und an seiner Rückkehr gehindert sei. Die Verhinderung der Familienzusammenführung könne nicht als Fortdauer der Verschleppung angesehen werden. Dies stimme mit dem Rundschreiben des BMVt vom 29. März 1954 (BVBl 1954 S. 46 Nr. 29) überein, wonach Kriegsgefangene aus den Oststaaten, die in ihre frühere Heimatorte in den jetzt unter fremder Verwaltung stehenden Ostgebieten zurückkehren und an der weiteren Ausreise verhindert sind, als Heimgekehrte gelten, obwohl die Trennung von den Angehörigen noch bestehe. Die Auffassung des LSG würde zur Entschädigung nach dem UBG auch dann führen, wenn nur der Familie, nicht aber dem Ernährer die Umsiedlung oder Flucht nach Deutschland gelang, und er an dem früheren Wohnort verblieben und nur an der Ausreise verhindert ist. Diese Fälle wolle das UBG nicht erfassen. Im vorliegenden Fall sei B auch nicht als Internierter oder Festgehaltener nach § 2 UBG anzusehen, weil er sich mindestens seit 1957 nicht mehr in einem den Tatbestand der Internierung erfüllenden Gewahrsam befinde und an seinem jetzigen Aufenthaltsort frei wohnen, arbeiten und sich auch relativ frei bewegen könne. Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen. Sie ist der Auffassung, das LSG habe die - alternativen - Tatbestandsmerkmale der Verschleppung und Festhaltung in § 2 UBG zutreffend bejaht.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sachlich ist sie nicht begründet.
Die Revision greift das angefochtene Urteil allein unter dem Gesichtspunkt an, es sei der Begriff der Verschleppung im Sinne des § 2 Abs. 2 UBG zu weit ausgelegt und deshalb die Vorschrift unrichtig angewendet worden (§ 162 Abs. 2 SGG). Würde die Nachprüfung der Entscheidung des LSG die von der Revision behauptete Gesetzesverletzung ergeben, so wäre damit allein der Erfolg der Revision noch nicht gesichert. Nach § 170 Abs. 1 Satz 2 SGG ist die Revision auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung ergeben, die Entscheidung selbst sich aber aus anderen Gründen als richtig darstellt. Selbst wenn also die Auffassung der Revision zutreffend und für den Begriff der Verschleppung in § 2 Abs. 2 UBG stets auch die Verbringung in ein ausländisches Staatsgebiet Voraussetzung sein sollte, so wäre doch noch zu prüfen, ob der Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt begründet und das Urteil des LSG aus diesem Grunde im Ergebnis richtig ist. Der Senat trägt hier keine Bedenken, diese Prüfung vorzunehmen, zumal die zweite Alternative des § 2 Abs. 2 UBG (Tatbestand der Festhaltung) das gegenwärtige Schicksal der deutschen Staats- und Volksangehörigen in der Sowjetunion erfaßt, während der unter den Beteiligten streitige Verschleppungstatbestand der ersten Alternative die Klärung eines in der Vergangenheit liegenden Geschehens erfordern und außerdem voraussetzen würde, daß dieser Tatbestand im Zeitpunkt der Antragstellung noch fortbestand.
Bei Anwendung der zweiten Alternative des § 2 Abs. 2 UBG ergibt sich, daß der Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe begründet ist, weil der Ehemann der Klägerin (B) nach dem 31. März 1950 von einer ausländischen Macht festgehalten wurde und noch festgehalten wird. Die Klägerin gilt als unterhaltsberechtigte Angehörige des B. im Sinne des § 1 Abs. 2 UBG, weil sie als Kriegshinterbliebene (Witwe) des B nach geltendem Recht Anspruch auf Versorgung hätte. Sie gehört auch zu dem vom UBG geschützten Personenkreis (§ 1 Abs. 3 Buchst. a). Da ihr Ehemann nicht als Kriegsgefangener über den 31. März 1950 hinaus in der UdSSR festgehalten wurde und noch festgehalten wird, hängt der Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe davon ab, ob B zu den den Kriegsgefangenen nach § 2 Abs. 2 UBG gleichgestellten Personen gehört.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher gemäß § 163 SGG für den Senat bindenden Feststellungen des LSG darf B seit 1957 das Gebiet von 25 km um seinen Aufenthaltsort in Sibirien ohne besondere Genehmigung nicht verlassen und weder an seinen früheren Wohnort in Alexanderfeld zurückkehren noch zu seiner Familie in die Bundesrepublik einreisen. Zu prüfen ist somit, ob B, der russischer Staatsangehöriger deutscher Volkszugehörigkeit ist, in der UdSSR von einer ausländischen Macht im Sinne des § 2 Abs. 2 UBG festgehalten wird, und ob der gelockerte Freiheitsentzug, dem er jetzt unterliegt, den Begriff des Festgehaltenwerdens i.S. dieser Vorschrift noch erfüllt.
Für B, der die russische Staatsbürgerschaft besitzt, ist zwar staatsrechtlich der Sowjetstaat keine ausländische Macht; das UBG stellt aber nicht auf das staatsrechtliche Verhältnis zwischen dem Festgehaltenen und der festhaltenden Macht ab, sondern geht ersichtlich vom Standpunkt des deutschen Gesetzgebers aus, der alle nicht-deutschen Mächte als ausländische ansieht. (Durch § 2 Abs. 3 UBG aF war für die sowjetisch besetzte Zone insoweit eine besondere Regelung getroffen.) Das ergibt sich schon aus der in § 2 Abs. 2 UBG verwendeten allgemeinen Formulierung "von einer ausländischen Macht", die in keiner Weise auf das Verhältnis der verschleppten oder festgehaltenen Personen zu dieser Macht Bezug nimmt. Das Gesetz stellt nur klar, daß es sich um Personen handeln muß, deren Ehefrau und sonstige unterhaltsberechtigte Angehörige deutsche Staats- oder Volkszugehörige sind. Der gleiche Schluß ist auch aus § 1 Abs. 3 Buchst. a UBG aF zu ziehen. Denn hier sind die deutschen Volkszugehörigen - der Begriff ist offenbar in Anlehnung an Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verwendet - mit Rücksicht auf das Schicksal, das dieser Personenkreis im Ausland während und nach dem Kriege erlitten hat, ausdrücklich in den Schutz des UBG einbezogen worden. Die deutschen Volkszugehörigen sind neben den deutschen Staatsangehörigen erst durch Art. 116 Abs. 1 GG unter der Voraussetzung ihrer Aufnahme im ehemaligen Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Deutsche im Sinne des GG geworden. Demgemäß spricht § 1 Abs. 3 Nr. 1 des UBG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes nur noch von "Deutschen", ohne daß damit eine sachliche Änderung eingetreten ist. Deutsche Volkszugehörige unterscheiden sich von Personen deutscher Staatsangehörigkeit dadurch, daß sie in aller Regel die Staatsangehörigkeit ihres Aufenthaltsstaates besitzen, soweit nicht besondere gesetzliche Regelungen (vgl. § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit - StAngRegG vom 22. Februar 1955 - BGBl I 65) bestehen. Deshalb wäre es sinnwidrig gewesen, die deutschen Volkszugehörigen in den Schutz des UBG einzubeziehen, wenn beabsichtigt gewesen wäre, diesen Schutz ihnen wieder dadurch zu nehmen, daß ihr Heimatstaat nicht als ausländische Macht zu gelten hat, d.h. als Macht, die den Ernährer der deutschen Volkszugehörigen verschleppt hat oder festhält und ihnen dadurch die Unterhaltsleistungen entzieht. Dann würde der in § 1 Abs. 3 Buchst. a UBG statuierte Schutz der deutschen Volkszugehörigen ohne inneren Grund entfallen, obwohl doch gerade dieser Personenkreis wegen seines Volkstums von dem ausländischen Staat verschleppt und festgehalten worden ist bzw. wird. In dieser Frage ist schließlich auch ein Vergleich mit § 2 Abs. 2 Nr. 1 KgfEG naheliegend: Hier ist durch die Gegenüberstellung der Begriffe deutsche und ausländische Macht deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es für die Frage der ausländischen Macht nicht auf die Staatsangehörigkeit der betroffenen Person, sondern nur darauf ankommt, ob sie Deutscher im Sinne des GG ist (vgl. Draeger, Heimkehrer-Recht, § 2 KgfEG Anm. 2 S. 167).
Nach alledem ist deshalb der Sowjetstaat auch im Verhältnis zum deutschen Volkszugehörigen B. trotz dessen russischer Staatsangehörigkeit als ausländische Macht im Sinne des § 2 Abs. 2 UBG anzusehen (vgl. dazu im Zusammenhang mit dem Begriff der Internierung: BSG in SozR BVG § 1 Ca 19 Nr. 42).
Das weitere Tatbestandsmerkmal des "Festgehaltenwerdens" in § 2 Abs. 2 UBG bedarf der Auslegung. Den gleichen Begriff enthielten bereits § 2 Nr. 2 des Personenschädengesetzes vom 15. Juli 1922 (RGBl I, 620) und § 1 Nr. 2 des Besatzungsschädengesetzes vom 17. Juli 1922 (RGBl I, 624) - vgl. BSG in SozR BVG § 5 Ca 12 Nr. 26 -. Das Reichsversorgungsgericht (RVG) hat in der GE vom 1. Dezember 1923 (RVG-Entsch. Bd. 3, 276, 277, ferner Bd. 4, 224) zu dem Begriff der Festhaltung ausgeführt, diese sei nicht nur der Akt der gewaltsamen Festnahme, sondern die gesamte Dauer des Zustandes, während dessen der Festgenommene durch die Einwirkung der feindlichen Gewalt in der freien Bestimmung seines Aufenthaltsortes gehindert ist. Hieraus ist zu schließen, daß das RVG dem Begriff der Festhaltung eine weite Auslegung gegeben hat.
Der Ausdruck "festgehalten ... werden" wird andererseits auch in § 2 Abs. 2 Nr. 1 KgfEG verwendet. Wie der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 des Zweiten Änderungsgesetzes vom 8. Dezember 1956 (BGBl I, 904) bestimmt hat, ist unter festgehalten werden im Sinne dieses Gesetzes der Freiheitsentzug auf engbegrenztem Raum unter dauernder Bewachung zu verstehen (so auch Häftlingshilfegesetz in der Fassung vom 25. 7. 1960 - BGBl 579 - § 1 Abs. 3). Diese Auslegung ist sehr eng und stellt den Begriff des Festgehaltenwerdens dem der Internierung gleich. Wie der erkennende Senat wiederholt entschieden hat, ist unter Internierung i.S. des § 1 Abs. 2 Buchst. c BVG ebenfalls die Unterbringung auf begrenztem Raum unter ständiger Bewachung (vgl. BSG in SozR BVG § 1 Ca 19 Nr. 42) bzw. die Festhaltung einer Zivilperson durch eine fremde Gewahrsamsmacht auf einem engbegrenzten und überwachten Raum (vgl. aaO Ca 33 Nr. 60) zu verstehen. Da somit der im Kgf EG gesetzlich umrissene Begriff des Festgehaltenwerdens dem der Internierung gleichgesetzt wird, ist zu untersuchen, ob der in § 2 Abs. 2 UBG enthaltene Begriff, da er nicht in dem vorerwähnten sehr engen Sinne gesetzlich definiert wurde, einer anderen Auslegung zugänglich ist, bzw. ob die allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des UBG idF vom 26. August 1952 (BVBl 1952, 134), soweit sie ebenfalls diesen sehr engen Begriff im Sinne einer "Internierung" übernimmt, dem Sinn und Zweck des Gesetzes etwa nicht hinreichend gerecht wird. Der Senat hat dies bejaht. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des UBG 1950 war dem deutschen Gesetzgeber bekannt, daß die deutschen Volkszugehörigen in der Sowjetunion in größtem Umfang nach Trennung von ihren Angehörigen in weitentlegene unwirtliche Gebiete oder Zwangsarbeitslager verbracht und in ihrer Rechtsstellung den feindlichen Ausländern gleichgestellt worden waren. Ihr weiteres Schicksal war von deutscher Seite aus im einzelnen nicht zu übersehen. Hier wollte der Gesetzgeber helfen, soweit es sich um die Rückwirkungen dieses Schicksals auf die Angehörigen der Volksdeutschen in Deutschland handelte. Es war daher genötigt, den Sachverhalt versorgungsrechtlich durch eine elastische, nicht zu enge Formulierung zu erfassen. Er konnte unter diesen Umständen nicht an den völkerrechtlich feststehenden engen Begriff der Internierung anknüpfen; stattdessen hat er den umfassenderen Begriff der Festhaltung gewählt, mit dem zugleich auch eine etwaige spätere Lockerung der Freiheitsbeschränkung erfaßt und den Besonderheiten des Einzelfalles besser Rechnung getragen werden konnte. Daher bestand im Rahmen dieser Versorgung - im Gegensatz zum KgfEG, das den langjährigen Freiheitsentzug unter oft erschwerten Verhältnissen "entschädigen" will - kein Anlaß, den Begriff der Festhaltung auf die Fälle der Unterbringung auf engbegrenztem Raum unter ständiger Bewachung gesetzlich zu beschränken. Bei der hiernach gebotenen weiten Auslegung des "Festgehaltenwerdens" sind unter den Umständen des vorliegenden Falles die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 UBG noch als erfüllt anzusehen.
B. ist 1941 aus seiner Heimat, der Ukraine, weggebracht worden und befindet sich jetzt noch in Sibirien, d.h. in einem Gebiet, das außerordentlich weit von der Ukraine entfernt ist und das nach westlichen Vorstellungen auch ein spezielles Aufenthaltsgebiet für Verbannte und Deportierte ist. In diesem Land von riesenhaften Ausmaßen ist B. nur ein verhältnismäßig kleiner Raum von 25 km im Durchmesser zugeteilt, in dem er sich "frei" bewegen darf. Diese kleine Insel darf er nur mit besonderer Genehmigung verlassen.
Es entspricht einer natürlichen Betrachtungsweise, diese Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf ein verhältnismäßig kleines Gebiet als "festhalten" anzusehen. Auch eine förmliche Bewachung ist hier nicht erforderlich, weil angesichts des sowjetischen Kontrollsystems die Aufenthaltsbeschränkung in Sibirien genügt, um eine "Festhaltung" tatsächlich zu erzwingen. Zwar fordert das BVerwG in seiner zum KgfEG erlassenen Entscheidung vom 8. Mai 1963 (BVerwGE 16, 79 ff) für den Begriff der "dauernden Bewachung" neben dem durch Verbot bedingten psychischen Zwang auch einen physischen Zwang durch Bewachung im Sinne einer ständigen Kontrolle. Dieses Erfordernis ist in § 2 Abs. 2 UBG aber nicht aufgestellt; es wird auch nicht den Verhältnissen gerecht, die etwa in Rußland bestanden und die das Gesetz einbeziehen wollte. Wenn man berücksichtigt, daß es bis 1956 sogar jedem sowjetischen Staatsbürger untersagt war, seinen Arbeitsplatz frei zu verlassen und ein Verstoß hiergegen als Staatsverbrechen behandelt wurde (vgl. Handbuch des Weltkommunismus S. 586), so muß auf das Vorhandensein eines Verwaltungs- und Überwachungsapparats geschlossen werden, der auch für 1957 und danach gegenüber dem in Sibirien zurückgehaltenen B. ohne förmliche Bewachung eine ständige Kontrolle ermöglichte. Dementsprechend hat auch das BSG im Urteil vom 15. Dezember 1959 - 11 RV 296/58 - bei einem Volksdeutschen aus Wolhynien, der nach Sibirien zum Arbeitseinsatz gebracht worden war, sogar die Voraussetzung der Unterbringung auf begrenztem Raum bei ständiger Überwachung - nicht Bewachung - als gegeben erachtet und eine Internierung i.S. des § 1 Abs. 2 Buchst. c BVG angenommen. (Auszugsweise veröffentlicht in SozR BVG § 1 Ca 19 Nr. 42). Zutreffend hat auch der 10. Senat des BSG bereits entschieden, daß der Einwand, bei dem Festhalten handele es sich um eine innerpolitische Maßnahme der Sowjetunion gegenüber ihren eigenen Staatsangehörigen, fehl gehe, jedenfalls der Annahme einer Internierung i.S. des § 1 Abs. 2 Buchst. c BVG nicht entgegenstehe (vgl. BVBl 1959, 92, 93).
Sonach wird B., solange er als Volksdeutscher durch Umstände, die von seinem Willen unabhängig sind, an einer Rückkehr aus Sibirien gehindert wird, im Sinne des § 2 Abs. 2 UBG von einer ausländischen Macht festgehalten. Der Tatbestand dieser Vorschrift ist daher auch insoweit ... erfüllt. Unabhängig hiervon ist der Anspruch der Klägerin aber auch aus einem weiteren Gesichtspunkt zu bejahen.
Das LSG hat - von der Revision nicht angegriffen - festgestellt, daß B. sich mindestens seit 1957 nicht mehr in einem Gewahrsam befindet, sondern sich in einem 25 km großen Gebiet bewegen darf. Damit steht für das BSG bindend auch fest (§ 163 SGG), daß B. bis etwa 1957 sich in festem Gewahrsam befunden hat. Hierzu wird ergänzend auf Maurach, Handbuch der Sowjetverfassung S. 348 ff verwiesen, wonach die Volksdeutschen auf Grund einer Verordnung des Obersten Sowjets der UdSSR über die Umsiedlung der Deutschen des Wolgagebietes vom 28. August 1941 weggebracht worden sind, eine Umsiedlung jedoch in diesem Sinne nicht stattgefunden hat, vielmehr die Volksdeutschen größtenteils in die Wüstengebiete Kasachstans und in Zwangsarbeitslager verbracht worden sind. Dasselbe galt für die in der Ukraine lebenden Deutschen (vgl. Gutachten des Ost-Europa-Institutes 1960 S. 14).
Die etwa 1957 eingetretene Lockerung der Freiheitsbeschränkung ist offenbar auf die am 31. Dezember 1955 erfolgte Aufhebung der "Beschränkungen in der Rechtsstellung der Deutschen und ihrer Familienangehörigen, die sich in Sondersiedlung befinden", zurückzuführen. Hiernach blieb aber immer noch die Rückkehr in die heimatlichen Siedlungsgebiete untersagt (vgl. Gutachten des Ost-Europa-Instituts 1960 S. 19, Heimatbuch der Deutschen aus Rußland 1960 S. 63). Selbst wenn man daher die seitdem bestehende Lockerung nicht mehr als Festhaltung i.S. des § 2 Abs. 2 UBG ansehen wollte, würde der Anspruch der Klägerin zu bejahen sein. Denn nach § 5 UBG erlischt ein einmal begründeter Anspruch erst mit Ablauf des auf die Heimkehr des Kriegsgefangenen folgenden Monats. War aber B. nach dem 31. März 1950 bis etwa 1957 in eigentlichem Gewahrsam und demnach im strengen Wortsinn einer Internierung "festgehalten", so ist er nach § 2 Abs. 2 UBG den Kriegsgefangenen gleichgestellt, und der Anspruch der Klägerin besteht nach § 5 UBG auch bei einer späteren Lockerung des strengen Gewahrsams jedenfalls so lange, bis B. in die Ukraine "heimgekehrt" ist; denn diese muß, nachdem er in dem Lande seiner Staatsangehörigkeit festgehalten worden ist, als seine Heimat i.S. des § 5 UBG angesehen werden. Da ihm diese Rückkehr nach den bindenden Feststellungen des LSG verboten ist, ist der Anspruch der Klägerin auch aus diesem Grunde zu bejahen.
Dieses Ergebnis ist auch nach dem Zweck des Gesetzes sinnvoll. Das UBG will nach seinem § 1 der Ehefrau und den sonstigen unterhaltsberechtigten Angehörigen der in § 2 näher bezeichneten Personengruppe eine Unterhaltsbeihilfe gewähren, d.h. den Unterhalt ersetzen, soweit der zur Unterhaltsleistung an sich Verpflichtete durch eine ausländische Macht wegen seines Militärdienstes bzw. im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen gefangen genommen, verschleppt oder festgehalten worden und damit als Ernährer seiner Angehörigen ausgefallen ist. Eine Bestätigung dieser Auffassung des Senats ergibt sich aus der durch das Zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 21. Februar 1964 (BGBl I, 85, 99) erfolgten Änderung des UBG. Denn nach Art. IV § 1 dieses Gesetzes wird in § 5 UBG ein Absatz angefügt, der bestimmt, daß die Unterhaltsbeihilfe zur Vermeidung unbilliger Härten auch für die Zeit belassen oder gewährt werden kann, in der der ehemalige Kriegsgefangene (§ 2) gegen seinen Willen gehindert ist, im Anschluß an die Heimkehr zu seinen unterhaltsberechtigten Angehörigen (§ 1) zu gelangen. Hieraus ergibt sich nicht nur deutlich die Unterhaltsersatzfunktion des UBG, sondern es ist auch nochmals eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß bis zur Heimkehr ein Rechtsanspruch für Unterhaltsbeihilfe besteht, während für die Zeit danach, d.h. auf den vorliegenden Fall angewandt, von dem Zeitpunkt ab, an dem B. in die Ukraine "heimkehren" könnte, ab 1.1.1964 u.U. eine Kannleistung in Betracht kommt.
Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 i.V.m. § 5 UBG sind allerdings nicht schon dann erfüllt, wenn die Bürger eines Staates nur von einem allgemeinen Ausreiseverbot betroffen sind. Denn die Anwendung des Gesetzes setzt nicht nur voraus, daß der Deutsche oder Volksdeutsche durch eine ausländische Macht in obigem Sinn festgehalten bzw. zumindest im Anschluß daran an der Heimkehr zu seinem Ausgangsort gehindert wird, sondern diese Behinderung muß außerdem auf Maßnahmen, die im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen getroffen worden sind, zurückgeführt werden können. Nach den von der Revision nicht beanstandeten und deshalb für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist B. im Zusammenhang mit dem Vorstoß deutscher Truppen in Rußland abtransportiert worden; dieser vom LSG als "Verschleppungsvorgang" bezeichnete Abtransport hat nach den Feststellungen des LSG die "heute noch fortbestehende Familientrennung" herbeigeführt. Somit ist auch die letztere Voraussetzung des Zusammenhangs mit den Kriegsereignissen, die zumindest sinngemäß auch auf das "Festgehalten werden" bezogen werden muß, erfüllt.
Der Anspruch der Klägerin auf Unterhaltsbeihilfe erweist sich daher als begründet. Auf die vom LSG weiter erörterte Frage, ob B. auch als Verschleppter im Sinne des § 2 Abs. 2 UBG anzusehen war und auch heute noch anzusehen ist, kommt es somit nicht mehr an. Die Revision des Beklagten war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen