Leitsatz (amtlich)

Bei Ermittlung der Punktzahl für die Schwerstbeschädigtenzulage nach BVG § 31 Abs 5 gelten die beiden Funktionsbereiche des Gehirns (Bereich 1: Wesensbildung und geistige Leistung; Bereich 2: zentralnervale Gehirnfunktion) als zwei "innere Organsysteme" iS DV § 31 Abs 5 BVG § 3 Buchst c bzw d vom 1961-04-17 bzw vom 1964-07-17. Demgemäß ist die nach DV § 31 Abs 5 BVG § 2 errechnete Punktzahl um 20 Punkte zu erhöhen, wenn bei einem Beschädigten Schädigungsfolgen an diesen beiden Funktionsbereichen des Gehirns zusammentreffen.

 

Normenkette

BVG § 31 Abs. 5 Fassung: 1960-06-27, Abs. 5 Fassung: 1964-02-21; BVG § 31 Abs 5 DV § 3 Buchst. c Fassung: 1961-04-17; BVG § 31 Abs 5 DV § 3 Buchst. d Fassung: 1964-07-17; BVG § 31 Abs 5 DV § 2 Fassung: 1961-04-17; BVG § 31 Abs 5 DV § 2 Fassung: 1964-07-17

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Dezember 1966 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger erhält Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. für folgende Schädigungsfolgen:

1) großer Knochendefekt im Bereich des linken Schläfenbeins, Narben nach Aufmeißelung des linken Warzenfortsatzes mit Defekt der hinteren oberen Gehörgangswand, Innenohr- bzw. Nervenschwerhörigkeit leichteren Grades rechts, mittleren Grades links, zentrale Gehör-, Sprach- und Gleichgewichtsstörung,

2) defektgeheilte Meningo-Encephalitis (Hirnhautentzündung) mit fortgeschrittenem Persönlichkeitsabbau.

Mit Bescheid des Versorgungsamts vom 6. Juni 1962 wurde der Antrag des Klägers auf Bewilligung der Schwerstbeschädigtenzulage gemäß § 31 Abs. 5 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) abgelehnt, weil die Mindestzahl von 130 Punkten (§ 1 der Verordnung zur Durchführung - DVO - des § 31 Abs. 5 BVG), nicht erreicht werde. Der Widerspruch blieb erfolglos.

Im Klageverfahren haben Dr. H 115 Punkte und Dr. W 132,5 Punkte errechnet; dabei haben beide eine Erhöhung um 20 Punkte nach § 3 c (bzw. d) der DVO vom 17. April 1961 bzw. vom 17. Juli 1964 vorgenommen. Dr. W hat dabei die Auffassung vertreten, daß beim Kläger zunächst ein großer Schädelknochendefekt vorliege und im übrigen zwei Funktionsbereiche des Gehirns, nämlich einmal die Sprache und zum anderen der Bereich der Persönlichkeit (Wesensänderung), geschädigt seien. Infolgedessen hat er für die Schädelhirnverletzung nicht - wie Dr. H 80 Punkte - sondern für den

Schädelknochendefekt 30 v.H.

= 15 Punkte

Gehirnbereich 1 (Wesensänderung) 70 v.H.

= 70 Punkte

Gehirnbereich 2 (Sprachstörung) 25 v.H.

= 12,5 Punkte

angenommen.

Nach Hinzurechnung der

Hör- und Gleichgewichtsstörung (wie Dr. H) 30 v.H.

= 15 Punkte

und der Erhöhung nach § 3 c (bzw. d) DVO

= 20 Punkte

ergaben sich insgesamt

132,5 Punkte.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 28. Oktober 1964 abgewiesen, weil die Punkterhöhung nach § 3 c DVO nur beim Zusammentreffen von Schädigungsfolgen "an zwei oder mehreren inneren Organsystemen" zulässig sei, Hirnverletzungen aber nicht hierunter fielen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten mit Urteil vom 15. Dezember 1966 verurteilt, dem Kläger ab 1. März 1962 Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I zu gewähren. Es ist der Bewertung des Dr. W gefolgt. Der Begriff des "inneren Organsystems" sei in der DVO nicht erläutert; die ärztlichen Erwägungen, die zur vorliegenden Fassung der DVOen geführt hätten, seien aus dem Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 18. Mai 1961 ersichtlich.

Hier sei eine Reihe innerer Organsysteme (Atmung, Herz-Kreislauf, Verdauung, Harnapparat, Geschlechtsapparat) genannt, es sei aber nicht erkennbar, ob diese Aufzählung erschöpfend sein und andere Organsysteme ausschließen solle. Nach den Anhaltspunkten für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen - Neuausgabe 1965 Nr. 19 S. 27 - werde unter "Organsystemen" auch das Gehirn angeführt, und zwar getrennt in seinen Funktionen für die Wesensbildung und geistige Leistung (Bereich 1) und zum anderen in seiner ausgesprochen zentralnervalen Funktion (Bereich 2). Es fehle aber eine begriffliche Abgrenzung zwischen inneren Organsystemen im Sinne der DVO und anderen. Somit sei diese Abgrenzung aus der DVO selbst zu gewinnen. Diese ergebe aber keinen Anhalt dafür, daß mit "inneren Organsystemen" nur solche gemeint sein sollten, die üblicherweise zum Arbeitsgebiet eines Facharztes für innere Krankheiten gehören. Auch der Auffassung des SG, die Erwähnung der Hirnbeschädigung in § 3 Buchst. d der DVO vom 17. April 1961 und in § 3 Buchst. e der DVO vom 17. Juli 1964 schließe ihre Einreihung zu den inneren Organsystemen aus, könne nicht gefolgt werden; denn durch die genannte Vorschrift sei lediglich bestimmt worden, daß die nach § 2 DVO ermittelte Punktzahl um 30 Punkte zu erhöhen sei, wenn Blindheit mit Ausfall eines weiteren Sinnesorgans oder mit Hirnbeschädigung zusammentreffe. Der Verordnungsgeber habe hier - wie auch bei Buchst. e und f der späteren Verordnung - nur die Erhöhung der Punktzahl bei Blinden regeln wollen. Zu der Frage, ob das Gehirn ein inneres Organsystem sei, könne dieser Regelung nichts entnommen werden. Aus der DVO sei aber weiter erkennbar, daß in ihr deutlich zwischen Gliedmaßen und Sinnesorganen einerseits sowie inneren Organsystemen andererseits unterschieden werde. Nach Sprachgebrauch und Verständnis müßten die beiden Funktionen des Gehirns (Bereiche 1 und 2) sowohl von Ärzten wie auch von Laien mit Kenntnissen der ärztlichen Darstellungsweise als "innere Organsysteme" aufgefaßt werden, die nach der DVO im Gegensatz stünden zu Körperteilen, die äußeren Funktionen dienten (Gliedmaßen, Sinnesorgane). Hiernach sei beim Kläger durch die anerkannten Schädigungsfolgen zunächst der Gehirnbereich 1 betroffen, denn eine Wesensänderung liege vor. Weiter sei auch der Gehirnbereich 2 (zentralnervale Funktionen) betroffen, denn er leide an einer zentral bedingten Störung der Sprachbildung. Da das Gehirn wegen seiner besonderen Bedeutung notwendigerweise in zwei Funktionsbereiche zu unterteilen sei, stelle die Schädigung beider Funktionsbereiche ein Zusammentreffen von Schädigungsfolgen an zwei inneren Organsystemen dar. Mithin sei die nach § 2 der DVO errechnete Punktzahl von 112,5 gemäß § 3 Buchst. c bzw. d DVO um 20 Punkte auf zusammen 132,5 Punkte zu erhöhen; deshalb habe der Kläger einen Anspruch auf Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte Verletzung des § 3 c der DVO vom 17. April 1961 bzw. § 3 d der DVO vom 17. Juli 1964. Die Auffassung des LSG sei nicht haltbar, weil eine Beeinträchtigung der Gehirnfunktion sich auf äußere und innere Organsysteme auswirken könne (z.B. Blasenlähmung, Arm- und Beinlähmung). Es sei auch unzutreffend, daß das Gehirn - vom medizinischen Sprachgebrauch ausgehend - den inneren Organsystemen zugeordnet werden müsse. Soweit ihm, dem Beklagten, bekannt sei, würden aus medizinischer Sicht nur die dem Fachgebiet des Internisten eigenen Systeme wie Atmung, Verdauung, Herz-Kreislauf, Leber und Galle usw. hierunter gerechnet, während die Behandlung des Gehirns in der Regel in die Zuständigkeit eines Hirnspezialisten falle; das Gehirn sei bestenfalls ein Organsystem eigener Art. Das LSG habe sich mit der ratio der DVO nicht auseinandergesetzt, sondern sich auf eine grammatikalische Interpretation beschränkt. Wollte man dem LSG folgen, so müßte auch bei geringfügigen Ausfallserscheinungen beider Hirnbereiche der Punktzuschlag gewährt werden; dies würde zu einer sozialpolitisch nicht gerechtfertigten Ausweitung der Bestimmung des § 3 c bzw. d DVO führen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Dezember 1966 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Dem Urteil sei im wesentlichen zuzustimmen. Zu den inneren Organsystemen gehörten vom Wortsinn her alle Organe, die in der Körper- oder Kopfhöhle lägen. Zweifellos sei das Gehirn kein äußeres Organsystem. Die vom LSG getroffene Auslegung entspreche auch der ratio des Gesetzes.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sachlich konnte sie keinen Erfolg haben.

Durch die Vorschrift des § 31 Abs. 5 BVG in der Fassung des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) - aF - wurde bestimmt, daß Schwerstbeschädigte, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen "gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind", eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage unterschiedlich in 3 Stufen erhalten. Die Bundesregierung wurde ermächtigt, durch Rechtsverordnung ua. die Einordnung in die Stufen I bis III zu bestimmen. Das 2. NOG vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85) erhöhte die Zahl der Stufen auf 5 und beschränkte die Berechtigten auf "erwerbsunfähige Beschädigte". Das 3. NOG vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) brachte keine für die vorliegende Streitsache wesentliche Änderung. § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 31 Abs. 5 BVG vom 17. April 1961 (BGBl I 453) - DVO - bestimmte, daß Schwerstbeschädigtenzulage - nach einem besonders geregelten Punktsystem (§§ 2 ff DVO) - nur zustehen, wenn die Schädigungsfolgen mit wenigstens 130 Punkten zu bewerten seien. Die nach § 2 DVO zu errechnende Punktzahl (ab einer MdE um 45 v.H. je Vomhundert 1 Punkt, unter 45 v.H. bis mindestens 25 v.H. je 1/2 Punkt) war nach § 3 Buchst. c DVO um 20 Punkte zu erhöhen, wenn "Schädigungsfolgen an zwei oder mehreren inneren Organsystemen zusammentreffen". Die Verordnung zur Durchführung des § 31 Abs. 5 BVG in der Fassung der Änderungsverordnung vom 17. Juli 1964 brachte keine für den vorliegenden Fall wesentliche Änderung; die fragliche Erhöhung um 20 Punkte ist jetzt in § 3 Buchst. d DVO geregelt.

Die Revision hat die nach § 2 DVO vorgenommene Punktebewertung nicht beanstandet, insbesondere dafür auch keine Verfahrensrügen erhoben. Daher sind die für die somit unstreitige Punktbewertung nach § 2 DVO getroffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG für das Bundessozialgericht (BSG) bindend (§ 163 SGG). Demgemäß ist zunächst davon auszugehen, daß für die Schädigungsfolgen: Schädelknochendefekt eine MdE um 30 v.H. (= 15 Punkte), für die Hör- und Gleichgewichtsstörung eine MdE um 30 v.H. (= 15 Punkte), ferner für die Wesensänderung und die Sprachstörung eine MdE um 70 v.H. + 25 v.H. (= 70 + 12,5 Punkte) = zusammen 112,5 Punkte zugrundezulegen sind. Unstreitig ist auch, daß die Gehirnfunktionsbereiche 1) (Störungen in der Funktion der Wesensbildung und der geistigen Leistung) und 2) (zentral-nervale Funktionsstörung) als zwei selbständige Organsysteme zu werten sind. Der Senat verweist daher insoweit auf das Urteil des BSG vom 28. Oktober 1965 - 8/11 RV 572/63 - (vgl. SozR Nr. 1 zur DVO zu § 31 Abs. 5 BVG Allg., Kriegsopferversorgung (KOV) 1966, S. 49, ferner das Rundschreiben des BMA vom 19. Januar 1962 in Bundesversorgungsblatt (BVBl) 1962, 26 sowie die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen 1965 S.27).

Zu prüfen war sonach nur, ob das Gehirn, d.h. hier die zwei selbständigen Funktionsbereiche des Gehirns, als mindestens zwei innere Organsysteme im Sinne des § 3c bzw. d DVO anzusehen sind. Dies war im Einklang mit dem angefochtenen Urteil zu bejahen (gleicher Ansicht im Ergebnis wohl auch Götz in KVO 1966, 42).

Im vorliegenden Fall haben sowohl Regierungsobermedizinalrat Dr. H als auch der Neurologe Dr. W eine "Punkterhöhung nach § 30", nämlich eine Erhöhung um 20 Punkte für eine "Schädigung an 2 inneren Organsystemen" (Dr. W) vorgenommen. Das Vorbringen der Revision, es sei vom medizinischen Sprachgebrauch aus unzutreffend, das Gehirn den inneren Organsystemen zuzuordnen, erscheint daher nicht hinreichend begründet. Der Senat konnte jedoch unentschieden lassen, ob das Gehirn nach unbestrittenen medizinischen Grundsätzen zu den inneren Organsystemen zu zählen ist oder nicht. Auch der 10. Senat des BSG hat es im Urteil vom 27. Januar 1966 (SozR Nr. 2 zur DVO zu § 31 Abs. 5 BVG § 3) dahingestellt gelassen, ob zu den inneren Organsystemen "nach medizinischem Sprachgebrauch" alle Organe des menschlichen Körpers rechnen, die sich in einer Körperhöhle oder in der Kopfhöhle befinden; denn selbst, wenn dies zuträfe, sei jedenfalls in der DVO der Begriff "inneres Organsystem" nicht nach medizinischem Sprachgebrauch verwendet worden, weil dann die Erwähnung der Sinnesorgane neben den inneren Organsystemen überflüssig und sinnwidrig wäre (aaO Ca 2). Dem ist zuzustimmen. Bedeutung und Tragweite des Begriffs der "inneren Organsysteme" müssen daher aus dem Sinn und Zweck und dem Inhalt der in der DVO getroffenen Regelung über die Schwerstbeschädigtenzulage entnommen werden. Diese bezweckt, die Schwere außergewöhnlicher Schädigungsfolgen möglichst individuell zu erfassen und demgemäß die Leistungen zu differenzieren (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 29. April 1965 - 9 RV 1024/64 - und vom 27. Januar 1967 - 9 RV 728/64). Wie der 10. Senat des BSG aaO auch dargelegt hat, betreffen die Buchstaben a und b des § 3 DVO die Extremitäten - nach der DVO von 1964 gilt dies nun für die Buchstaben a bis c - und die restlichen Buchstaben die inneren Organsysteme und die Sinnesorgane (Blindheit). Das Gehirn ist als besonderes Organsystem sonach nicht erwähnt; die Hirnbeschädigung wird zwar in Buchstabe d, wenn sie mit Blindheit zusammentrifft, berücksichtigt (jetzt Buchstabe e), jedoch nicht bei einem Zusammentreffen mit den sonstigen in § 3 DVO genannten Schädigungen der Extremitäten, der "inneren Organe" und der Sinnesorgane (außer Blindheit). Es kann aber nicht der Sinn der in § 31 Abs. 5 BVG getroffenen Regelung sein, die Hirnbeschädigung, die zu einer erheblich höheren Beeinträchtigung nicht nur der Erwerbsfähigkeit, sondern auch des Allgemeinbefindens und der gesamten Lebensweise des Beschädigten führen kann als etwa eine Harnblasen- oder Verdauungsstörung (vgl. BSG in KOV 1966 S. 50), grundsätzlich überhaupt unberücksichtigt zu lassen. Zutreffend hat der 8. Senat des BSG im Urteil vom 28. Oktober 1965 (KOV 1966, S. 50) betont, daß Hirnbeschädigte selbst dann, wenn sie - ohne weitere Schädigungsfolgen - erwerbsunfähig seien, grundsätzlich nicht in den Genuß einer Schwerstbeschädigtenzulage kommen könnten, wenn man das Gehirn des Menschen als ein "einheitliches Organsystem" ansehen wollte. Diese BSG-Entscheidung bringt, obwohl sie nicht die Punkterhöhung nach § 3 DVO, sondern die Punktbewertung nach § 2 DVO betrifft, bereits zum Ausdruck, daß die Hirnbeschädigung im Rahmen der DVO angemessen berücksichtigt werden muß. Wollte man daher aus dem Rundschreiben des BMA vom 18. Mai 1961 (BVBl 1961, 70) entnehmen, daß nur Atmung, Herz-Kreislauf, Verdauung, Harnapparat, Geschlechtsapparat innere Organsysteme darstellten, (obwohl kein Anhalt dafür besteht, daß die hier genannten Systeme erschöpfend aufgezählt werden sollten), so könnten die meist schwerwiegenden Folgen von Hirnverletzungen und -erkrankungen, wie hier z.B. die Wesensänderung des Klägers, die mit einer MdE um 70 v.H. bewertet wird, nicht berücksichtigt werden, soweit sie mit anderen Schädigungen als mit Blindheit zusammentreffen, und das, obwohl sich aus Buchst. d (bzw. e) ergibt, daß die Hirnbeschädigung, wenn sie z.B. mit Blindheit zusammentrifft, ohne weiteres einen Zuschlag von 30 Punkten rechtfertigen soll. Da dies dem Sinn und Zweck des § 31 Abs. 5 BVG bzw. § 3 DVO zuwiderlaufen würde, müssen Gehirnschädigungen wie Schädigungen an inneren Organen behandelt werden; sie müssen, wenn das Gehirn in seinen beiden - selbständigen - Funktionsbereichen betroffen ist, als Schädigungen zweier "innerer Organsysteme" im Sinne des § 3 DVO verstanden werden, zumal sich aus der in § 3 DVO getroffenen Regelung eindeutig ergibt, daß der Fall einer außergewöhnlichen gesundheitlichen Betroffenheit im Sinne des § 31 Abs. 5 BVG insbesondere beim Zusammentreffen von Schädigungsfolgen an mehreren Organsystemen gegeben sein soll; in diesen Fällen soll zusätzlich zu den sich nach § 2 DVO ergebenden Punkten ein besonderer Zuschlag erfolgen. Von dieser Regelung können aber unter Würdigung des Sinnes und Zweckes des § 31 Abs. 5 DVO gerade die Gehirnbeschädigungen (in zwei Funktionsbereichen) nicht ausgeschlossen werden. Dieser Auslegung kann nicht das Argument der Revision entgegengehalten werden, daß dann auch bei geringfügigen Ausfallerscheinungen beider Hirnbereiche der Punktzuschlag gewährt werden müßte; denn einmal bleiben Schädigungsfolgen, die eine MdE um weniger als 25 v.H. bedingen, überhaupt außer Betracht (vgl. § 2 Abs. 3 i.V.m. § 3 letzter Satz DVO), und andererseits müßte dieses Argument in gleicher Weise bei geringfügigen Ausfallerscheinungen an sonstigen "inneren Organsystemen" eingewendet werden; trotzdem sieht die DVO hier einen Punktzuschlag ausdrücklich vor, wenn § 3 letzter Satz DVO beachtet wird.

Wenn im übrigen Wilke, BVG 2. Aufl. S. 230, der Ansicht ist, daß unter Organsystemen auch Sehen, Gehör, Geruch und Geschmack (also die Sinnesorgane) zu verstehen seien, so kann dem nur zugestimmt werden, wenn er dabei nicht nur die "inneren" Organsysteme, sondern alle Organe (außer den Extremitäten) im Auge gehabt haben sollte. Bei der Prüfung nämlich, ob ein "inneres Organsystem" beteiligt ist, scheiden alle die Schädigungsfolgen aus, die entweder die Extremitäten oder die Funktionen der Sinnesorgane betreffen; im übrigen ist jede Schädigungsfolge darauf zu untersuchen, ob die Fehlleistung unter die Funktion eines inneren Organsystems fällt, wobei - wie dargelegt - auch die beiden Bereiche des Gehirns als zwei selbständige innere Organsysteme anzusehen sind.

Da das angefochtene Urteil nach alledem die Wesensänderung und die Sprachstörung des Klägers zutreffend als Schädigungsfolgen angesehen hat, die an zwei "inneren Organsystemen" zusammentreffen, mußte die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2374864

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge