Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigungsverhältnis. Beschäftigung des Ehegatten
Orientierungssatz
1. Für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Ehegatten ist eine besondere Prüfung erforderlich. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ehefrau keine Fachkraft ist und die persönliche Abhängigkeit kennzeichnende Weisungsbefugnis des Arbeitgebers gegenüber dem Ehemann als ggf einzigen Meister im Betrieb möglicherweise nicht wahrnehmen kann.
2. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BSG bei der Bestimmung des maßgebenden Gesamtbildes der Tätigkeit auch das Fehlen eines Unternehmerrisikos für die Annahme einer Beschäftigung zu werten (vgl BSG 23.9.1982 10 RAr 10/81 = SozR 2100 § 7 Nr 7). Dies besagt jedoch nicht, daß jemand, der nicht das wirtschaftliche Risiko trägt und nicht Unternehmer des Betriebes ist, zwangsläufig als Beschäftigter des Betriebes anzusehen ist. Eine Tätigkeit für ein Unternehmen kann nicht nur als Unternehmer oder als Beschäftigter ausgeübt werden.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der im Jahre 1920 geborene Kläger ist gelernter Schreiner und hat die Meisterprüfung abgelegt. Nach dem 2. Weltkrieg heiratete er die einzige Tochter und spätere Alleinerbin des am 21. Mai 1980 im Alter von 87 Jahren verstorbenen Schreinermeisters H. P. in dessen Betrieb er von 1948 bis zum Tode seines Schwiegervaters tätig war. Am 12. Juni 1980 wollte er nach der Arbeit der Lehrlinge sehen. Dabei stürzte er zwischen Band- und Kreissäge und brach sich den linken Oberschenkelhals.
Im Durchgangsarztbericht wurde ausgeführt, der Kläger habe angegeben, seit Mai 1980 selbständig tätig gewesen zu sein. In der mit der Firmenbezeichnung H. P. erstatteten Unfallanzeige kreuzte die Ehefrau des Klägers ("im Auftrag") bei der Frage, in welcher Eigenschaft sich der Verletzte betätigt habe, die Antwort "Unternehmer" an. Mit einem der Unfallanzeige beigefügten Schreiben teilte die Ehefrau des Klägers mit, daß ihr Ehemann die Firma seit dem Tode ihres Vaters als neuer Inhaber unter demselben Namen wie bisher mit derselben Betriebsnummer weitergeführt habe und bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Neuwied als Selbstversicherer versichert sei. Die Beklagte lehnte daraufhin eine weitere berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung ab. In dem folgenden Schriftwechsel machte der Kläger geltend, es sei nur die handwerkliche Weiterführung des Betriebes durch ihn gemeint gewesen, die rechtsgeschäftliche Übernahme durch ihn sei nicht erfolgt.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 10. März 1983 Entschädigungsleistungen ab, da der Kläger im Zeitpunkt nicht als Arbeitnehmer beschäftigt und als Unternehmer nicht freiwillig versichert gewesen sei.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. Februar 1984), da der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht beschäftigt gewesen sei.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Oberschenkelhalsbruch des Klägers vom 12. Juni 1980 als Arbeitsunfall zu entschädigen (Urteil vom 24. April 1985). Es hat zur Begründung ua ausgeführt: Es könne nicht auf alle Förmlichkeiten für die Feststellung verzichtet werden, ob und wann Geschäftsübernahmeverhandlungen zwischen Eheleuten zu einer nach außen wirksamen Geschäftsübertragung geführt hätten. Mindestvoraussetzung für einen nach außen wirksam werdenden Unternehmerwechsel sei die Anzeige beim Gewerbeamt. Zwar sei die Ummeldung beim Finanzamt nicht zu fordern, jedoch könne nicht darauf verzichtet werden, daß wenigstens die eine oder andere Ummeldung vorliege, aus der die Öffentlichkeit verläßlich den übereinstimmenden Willen des Erben und des Betriebsübernehmers ersehen könne. Es könne dahingestellt bleiben, ob dafür nicht ebensogut eine Ummeldung bei der Berufsgenossenschaft (BG) ausreichen könnte. Ebenso könne nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, auch schon vor einer behördlichen Ummeldung einen Unternehmerwechsel anzunehmen; eindeutig wäre dies bei Abschluß eines schriftlichen Vertrages mit sachlicher und zeitlicher Festlegung der Übertragung von Rechten und Pflichten. Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt substantiiert, wodurch er nach dem Tode seines Schwiegervaters das Geschäftsrisiko übernommen habe. Die Beklagte könne sich mit keinerlei Einzelheiten nur an substantiierte Äußerungen des Klägers oder seiner Ehefrau nach dem Unfall halten; das sei zuwenig.
Auf die Beschwerde der Beklagten hat der Senat die Revision gegen das Urteil des LSG zugelassen (Beschluß vom 26. September 1986).
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie führt aus: Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß es einer nach außen wirksamen Geschäftsübertragung bedürfe. Dies stände mit § 658 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht im Einklang, wonach es nur auf die tatsächlichen Verhältnisse ankomme und eine in irgendeiner Weise nach außen hin erkennbar gewordene Unternehmereigenschaft nicht gefordert werde. Der Kläger sei auch nicht wie ein nach § 539 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 RVO Beschäftigter, sondern wie ein Unternehmer tätig gewesen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Er habe aus Unkenntnis nicht zwischen fachlichem Leiter und Unternehmer eines Betriebes unterschieden. Er habe sich zwar als Leiter des Unternehmens gefühlt, habe aber nie das Risiko des Betriebes getragen. Ein entsprechender Vertrag zwischen ihm und seiner Frau habe nie existiert. Auch nach außen hin sei er nie als Unternehmer in Erscheinung getreten. Seine Frau habe die alleinige Verfügungsgewalt über das Unternehmen "Schreinerei P. " gehabt. Durch den Tod seines Schwiegervaters habe sich im betrieblichen Ablauf für ihn überhaupt nichts geändert. Selbst bei einer anderen rechtlichen Beurteilung sei jedoch darauf hinzuweisen, daß die Beklagte ihrer Fürsorgepflicht nicht nachgekommen sei, ihn auf die Möglichkeit einer Weiterversicherung hinzuweisen. Außerdem müsse beachtet werden, daß er 32 Jahre lang Mitglied bei der Beklagten gewesen sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Der Senat kann aufgrund der vom LSG bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht entscheiden, ob der Kläger einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.
Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 548 Abs 1 Satz 1 RVO). Die Satzung der Beklagten hat die Unfallversicherung nicht auf Unternehmer erstreckt; der Kläger war auch nicht als Unternehmer freiwillig versichert. Der Versicherungsschutz des Klägers hängt demnach davon ab, ob er im Unfallzeitpunkt als Beschäftigter nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert war. Beschäftigung ist die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 des Sozialgesetzbuches IV -SGB VI-). Ein Beschäftigungsverhältnis hat nach der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) und des Bundessozialgerichts (BSG) im wesentlichen zur Voraussetzung, daß eine persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber gegeben ist (s BSG SozR 2100 § 7 Nr 7 und die zahlreichen Nachweise bei Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 10. Aufl, S 469i). Ob dies der Fall ist, richtet sich nach dem durch die Besonderheiten des Einzelfalles gekennzeichneten Gesamtbild der Tätigkeit und der Stellung des Betroffenen (s ua RVA AN 43, 106; BSGE 45, 199; BSG SozR 2200 § 539 Nr 80, SozR 2400 § 2 Nr 19; Brackmann aaO S 470e mwN). Als Kriterien für das Vorliegen persönlicher Abhängigkeit wurden insbesondere angesehen das Direktionsrecht des Arbeitgebers bzw die Weisungsgebundenheit des Beschäftigten und die Eingliederung in den Betrieb, die sich vornehmlich in der Überwachung, der Arbeitszeit und der Arbeitsfolge sowie der Regelung des Arbeitsverfahrens, insbesondere aber im zweckmäßigen Einsatz der Arbeitskraft und dem Unterworfensein unter Kontrollen ausdrückt; als weitere Zeichen persönlicher Abhängigkeit wurden ua das Arbeiten auf fremder Arbeitsstätte und mit fremdem Material, die Vereinbarung einer festen Vergütung und einer Kündigungsfrist, das Recht auf bezahlten Urlaub, das Fehlen einer Verpflichtung, bei Krankheit eine Vertretung zu stellen, aber auch der Ausschluß einer generellen Vertretungsmacht gewertet (Brackmann aaO; Krasney in: Schrammel, Versicherungs- und Beitragspflicht in der Sozialversicherung, Wien 1985, S 1, 5). Maßgebend ist die Art der tatsächlich geleisteten Arbeit (BSGE 8, 278, 282; 43, 60, 61; Brackmann aaO S 469h). Das LSG hat jedoch keine tatsächlichen Feststellungen darüber getroffen, wie die Tätigkeit des Klägers in dem Betrieb des hochbetagten Schwiegervaters und vor allem nach dessen Tode im Unfallzeitpunkt tatsächlich gestaltet war. Zwar schließen auch verwandtschaftliche Beziehungen oder eine Tätigkeit im Unternehmen des Ehegatten ein Beschäftigungsverhältnis nicht aus. Jedoch hat die Rechtsprechung des BSG insbesondere für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Ehegatten eine besondere Prüfung für erforderlich erachtet (s Brackmann aaO S 471p wiederum mit zahlreichen Nachweisen auf Rechtsprechung und Literatur). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ehefrau keine Fachkraft ist und die die persönliche Abhängigkeit kennzeichnende Weisungsbefugnis des Arbeitgebers gegenüber dem Ehemann als gegebenenfalls einzigen Meister im Betrieb möglicherweise nicht wahrnehmen kann. Die zur Beurteilung der Art der tatsächlich geleisteten Arbeit des Klägers und seiner Stellung im Betrieb zunächst seines hochbetagten Schwiegervaters und dann durch Erbgang seiner Frau erforderlichen tatsächlichen Feststellungen erübrigen sich entgegen der Auffassung des LSG nicht dadurch, daß es zu einer "nach außen wirksamen Geschäftsübertragung" und der Ummeldung beim Gewerbeamt für einen nach "außen wirksam werdenden Unternehmerwechsel" oder, worauf es der Kläger abstellt, zu einer entsprechenden Vertragsgestaltung zwischen den Ehegatten noch nicht gekommen war. Dies wird im Rahmen der Beweiswürdigung darüber, ob der Kläger auch nach dem Tod seines Schwiegervaters als Beschäftigter im Betrieb tätig gewesen ist, bedeutsam sein, rechtfertigt jedoch allein die vom LSG getroffene Entscheidung nicht; denn der Versicherungsschutz des Klägers hängt, wie oben aufgezeigt, nicht davon ab, ob er Unternehmer, sondern ob er Beschäftigter in dem Unternehmen im Unfallzeitpunkt war. Selbst wenn die Ehefrau des Klägers nach dem Tode ihres Vaters Unternehmerin des Betriebes war und für die Verbindlichkeiten haftete, besagt dies allein noch nichts darüber, ob der Kläger in dem Unternehmen weiterhin als Beschäftigter oder als Ehemann und Schreinermeister nicht in persönlicher Abhängigkeit tätig war. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BSG bei der Bestimmung des maßgebenden Gesamtbildes der Tätigkeit auch das Fehlen eines Unternehmerrisikos für die Annahme einer Beschäftigung zu werten (s ua BSGE 35, 20, 21; BSG SozR Nr 7 zu § 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-; SozR 2100 § 7 Nr 7; s auch Krasney aaO). Dies besagt jedoch nicht, daß jemand, der nicht das wirtschaftliche Risiko trägt und nicht Unternehmer des Betriebes ist, zwangsläufig als Beschäftigter des Betriebes anzusehen ist. Eine Tätigkeit für ein Unternehmen kann nicht nur als Unternehmer oder als Beschäftigter ausgeübt werden. Dies zeigt sich nicht nur bei Tätigkeiten eines Ehegatten im Betrieb des anderen. So erübrigt sich nach der ständigen Rechtsprechung des BSG - um nur ein weiteres Beispiel zu nennen - bei einem Geschäftsführer einer GmbH nicht im Einzelfall die Prüfung, ob er in einem Beschäftigungsverhältnis zur GmbH steht, obgleich nicht er, sondern die GmbH Unternehmerin ist (BSG SozR Nr 30 zu § 539 RVO; BSGE 42, 1, 4; 45, 279, 280; 17, 15, 19; BSG SozR 2200 § 723 Nr 7). Vielmehr ist auch hier selbst bei einem nur ganz geringfügig als Gesellschafter oder überhaupt nicht als Gesellschafter an der GmbH beteiligten Geschäftsführer zu prüfen, ob er seine Tätigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hat.
Das LSG hat zwar nicht verkannt, daß es für die rechtliche Beurteilung der Tätigkeit des Klägers in dem Unternehmen zunächst seines Schwiegervaters und im Unfallzeitpunkt seiner Ehefrau nicht allein auf die Angaben des Klägers und seiner Ehefrau nach dem Unfall gegenüber der Beklagten und der AOK ankommt. Sie unterstreichen jedoch die Notwendigkeit eingehender tatsächlicher Feststellungen und sind im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen, wobei nicht nur die Erklärungen des Klägers im Laufe des Gerichtsverfahrens, sondern insbesondere auch die hiervon nicht erfaßte freiwillige Mitgliedschaft in der Krankenversicherung bereits vor dem Arbeitsunfall einzubeziehen sind. Da das BSG weder die notwendigen tatsächlichen Feststellungen treffen noch die Beweiswürdigung vornehmen kann, war der Rechtsstreit insoweit an das LSG zurückzuverweisen. Inwieweit die Tätigkeit des Klägers jedenfalls in den letzten Jahren vor dem Tode seines 87jährigen Schwiegervaters Aufschluß auch für die Tätigkeit nach dem Erbfall geben kann, wird ebenfalls zu erwägen sein.
Die tatsächlichen Feststellungen über die Art und die tatsächliche Gestaltung der Arbeit des Klägers, insbesondere über die persönliche Abhängigkeit und das sie prägende Weisungsrecht der Ehefrau des Klägers, sind schließlich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Beklagte den Kläger nicht auf die Möglichkeit einer freiwilligen Unternehmerversicherung hingewiesen hat. Einen entsprechenden Hinweis hätte die Beklagte überhaupt nicht geben können, wenn ihr - was auch den Akten nicht zu entnehmen ist - der Tod des Schwiegervaters des Klägers im Unfallzeitpunkt noch nicht mitgeteilt war. Jedenfalls sind in den tatsächlichen Feststellungen des LSG und den Verwaltungsakten keine Hinweise dafür zu entnehmen, daß der Beklagten Umstände bekannt waren, daß der Ehemann der Klägerin Unternehmer oder zumindest Mitunternehmer der Schreinerei war. Daß die fehlende Unternehmereigenschaft nicht zwangsläufig zur Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses führt, wurde oben bereits dargelegt. Soweit der Kläger meint, seine Versicherteneigenschaft habe jedenfalls fortbestanden, weil für das Erlöschen des Versicherungsschutzes eine Kündigung erforderlich gewesen sei, ist dies unzutreffend, da der Versicherungsschutz in der Unfallversicherung mit dem Fortfall der gesetzlichen Voraussetzungen endet und es keiner Kündigung bedarf.
Der Rechtsstreit war demnach an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden hat.
Fundstellen