Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung. Beurteilungsspielraum. Untersuchungsgrundsatz
Orientierungssatz
1. Der Beurteilungsspielraum der Prüfungsinstanzen ist nicht eng auf die betragsmäßige Schätzung des unwirtschaftlichen Mehraufwands beschränkt. Auch andere Fragen, die die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Behandlungsweise betreffen, lassen sich zum Teil nur im Rahmen einer fachkundigen Beurteilung beantworten. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung über die Besetzung des Prüfungs- und Beschwerdeausschusses (§ 368n Abs 5 RVO) zu erkennen gegeben, daß bei der Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung die medizinische Fachkunde und die ärztliche Berufserfahrung in spezifischer Weise zur Geltung kommen sollen.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG spricht der erste Anschein für eine unwirtschaftliche Behandlungsweise, wenn der durchschnittliche Fallwert des Kassenarztes so erheblich über dem Fallwertdurchschnitt der Fachgruppe liegt, daß zwischen beiden Werten ein offensichtliches Mißverhältnis besteht. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.
3. Zum Untersuchungsgrundsatz im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Normenkette
RVO § 368n Abs 5 Fassung: 1955-08-17; SGB 10 § 20 Fassung: 1980-08-18
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.11.1981; Aktenzeichen L 1 Ka 1068/81) |
SG Reutlingen (Entscheidung vom 17.12.1980; Aktenzeichen S 6 Ka 440/79) |
Tatbestand
Umstritten sind Kürzungen von Kassenarzt-Honorarforderungen für die Quartale III und IV/1976 wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise.
Die Klägerin ist Internistin und war bis Ende März 1979 als Kassenärztin zugelassen. Ihre Abrechnungen für die kassenärztliche Tätigkeit in den Quartalen III und IV/1976 kürzte der RVO-Prüfungsausschuß in der Sparte Laborleistungen um 15 % zu 146 % (Bescheide vom 20. April 1977 und 13. Oktober 1977). Den Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 5. März 1979 zurück und führte aus, die Klägerin habe bei den Laborleistungen den Fachgruppendurchschnitt in III/1976 je Fall mit 26,08 DM zu 14,84 DM um 75 % und in IV/1976 mit 28,43 DM zu 15,73 DM um 80 % überschritten. Es sei eine bekannte Tatsache, daß nahezu alle Internisten in großem Umfang Laborleistungen ausführten, ein statistischer "Ausreißer" gegenüber dem Fachgruppendurchschnitt in dieser Leistungssparte lasse nicht automatisch eine Praxisbesonderheit vermuten. Die Überschreitungen der Klägerin von 75 % und 80 % wiesen deshalb hier vielmehr auf ein offensichtliches Mißverhältnis zum Fachgruppendurchschnitt hin. Eine Besonderheit sei in dieser Leistungssparte nicht zu erkennen. Zwar habe die Klägerin darauf hingewiesen, daß der Mehraufwand bei den Laborleistungen durch Einsparungen bei den Krankenhauseinweisungen, der Arbeitsunfähigkeitsdauer und bei den Arzneikosten wieder ausgeglichen werde. Sie habe aber insoweit den ursächlichen Zusammenhang zwischen Mehr- und Minderaufwand nicht schlüssig dargelegt und für einen solchen Zusammenhang spreche auch keine Vermutung.
Dagegen hat die Klägerin im gerichtlichen Verfahren vorgetragen, die Kürzungen aufgrund des angestellten Fachgruppenvergleichs seien rechtlich unzulässig, zum Vergleich könnten nur die Werte der Fachärzte mit großem Labor herangezogen werden; ein solches großes Labor betrieben wie sie nur etwa ein Viertel der Fachärzte. Höhere Aufwendungen im Bereich des medizinischen Labors für die Zwecke der Diagnostik führten zwangsläufig zu weit höheren Einsparungen in anderen Leistungssparten (Medikamentenaufwand, Krankheitsdauer, Krankenhausaufenthalt); dafür berief sich die Klägerin auf den sogenannten Bayern-Vertrag, die Statistik der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) R. und auf den Beweis durch Sachverständigengutachten. Sie hat weiter vorgetragen, sie habe eine umfangreiche vorstationäre Diagnostik betrieben, die auch von den Krankenhausärzten anerkannt werde; zum Beweis dafür hat sie sich auf das Zeugnis des Chefarztes Dr.H. vom Kreiskrankenhaus R. , des Prof. Dr. F. von den Städtischen Krankenanstalten S. Bad-Cannstatt, des Prof. Dr. L. , Diakonissenkrankenhaus S. , und der Professoren der Medizinischen Universitätsklinik . berufen. Außerdem hat sie die Bescheinigung des Dr. C. , Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses R. , vom 31. März 1977 vorgelegt. Darin wird bestätigt, daß die Klägerin ihre Patienten zur operativen Behandlung bereits untersucht und mit allen notwendigen Befunden, insbesondere auch der Operations- und Narkosefähigkeit, einweise, was zwei bis vier Tage stationären Aufenthalt erspare. Die Klägerin hat auf die im sozialgerichtlichen Verfahren geltende Offizialmaxime verwiesen und daraus gefolgert, daß sie keine Beweispflicht, sondern lediglich eine Darlegungslast treffe; dem Kassenarzt sei es nicht möglich, den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Mehraufwand in der einen Leistungssparte und dem Minderaufwand in einer anderen Leistungssparte anhand der Fälle einzelner Patienten nachzuweisen.
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung ausgeführt: Nach der zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Südwürttemberg und den Verbänden der Krankenkassen abgeschlossenen Prüfvereinbarung bedürfe es keiner individuellen Prüfung der Wirtschaftlichkeit, wenn die Honorarforderungen in offensichtlichem Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten der betreffenden Fachgruppe oder vergleichbarer Praxen stehe. Diese Regelung stehe mit dem Gesetz im Einklang. Die von der Klägerin erbrachten Laborleistungen stünden in einem offensichtlichem Mißverhältnis zu den Durchschnittswerten ihrer Fachgruppe, nämlich der Gruppe der Internisten. Besonderheiten ihrer Praxis, die die Überschreitungen im festgestellten Umfang rechtfertigen würden, lägen nicht vor. Allerdings habe sie vorgetragen, daß sie in großem Umfang prästationäre Untersuchungen, insbesondere präoperative Diagnostik durchführe. Nach den Statistiken der AOK R. unterscheide sich ihre Praxis jedoch insoweit nicht sehr wesentlich von der anderer Internisten. Im Quartal III/1976 habe sie (ohne Rentner) bei einem Durchschnittswert der Fachgruppe von 10,08 % in 25,53 % der Arbeitsunfähigkeitsfälle Krankenhauseinweisungen gehabt. Andererseits habe sie bei den Arbeitsunfähigkeitsfällen mit 15,67 % um annähernd 20 % unter dem Fachgruppendurchschnitt von 19,55 % gelegen. Ein ähnliches Bild ergebe sich für das Quartal IV/1976. Mit der allgemeinen Behauptung, ihre vermehrte Labordiagnostik habe zu Einsparungen von Leistungen auf dem Krankenhaussektor und in sonstigen Sektoren geführt, habe die Klägerin nicht - wie es erforderlich gewesen wäre - die Ursächlichkeit des Mehraufwands für die entsprechenden Einsparungen substantiell dargelegt. Dazu werde es in der Regel unumgänglich sein, daß der Arzt dies anhand des einzelnen Patienten dartut.
Die Klägerin hat Revision eingelegt und macht geltend, nach dem Bayern-Vertrag und der Honorarempfehlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit den RVO-Kassen vom 22. Dezember 1980 sei es im Interesse der Gesamtwirtschaftlichkeit der Praxisführung gelegen, insbesondere durch intensive, gezielte ambulante Labordiagnostik Einsparungen auf anderen Leistungssektoren zu erzielen. Die Einsparungen seien in ihrem Fall zwangsläufig gegeben. Rechtsfehlerhaft habe das LSG die dazu angebotenen Beweise nicht erhoben - Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) -. Die Stellungnahme des LSG zur Frage der Entscheidungserheblichkeit der prästationären Untersuchungen verstoße gegen die Denkgesetze; in den Statistiken der AOK R. fänden die zusätzlichen Aufwendungen der Klägerin für prästationäre Untersuchungen keinen Niederschlag. Ebenso verstoße die Schlußfolgerung aus der Dauer der Arbeitsunfähigkeitsfälle und aus dem Prozentsatz der Krankenhausfälle im Verhältnis zu den Arbeitsunfähigkeitsfällen dahin, daß eine wesentliche Abweichung vom Durchschnitt der Fachgruppe nicht zu erkennen sei, gegen die Denkgesetze. Die der Klägerin zugemutete Beweisführung verstoße gegen Art 20 des Grundgesetzes (GG) sowie gegen §§ 103, 106 Abs 1, 112 Abs 2 SGG. Bei der KÄV solle nämlich der statistische Fachgruppendurchschnitt genügen, den sie selbst ermittele, während vom rechtsuchenden Arzt minutiöse Substantiierung und Beweisführung anhand des einzelnen Patienten verlangt werde.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. November 1981 und das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. Dezember 1980 abzuändern sowie den Bescheid des Beklagten vom 5. März 1979 und die Bescheide des RVO-Prüfungsausschusses bei der KÄV Südwürttemberg vom 20. April 1977 und 13. Oktober 1977 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat insoweit Erfolg, als die Urteile der Vorinstanzen und der Bescheid der Beklagten aufgehoben werden und die Beklagte verurteilt wird, über die Widersprüche der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Eine abschließende Entscheidung in der Sache unter Einbeziehung der von der Klägerin angefochtenen Bescheide des RVO-Prüfungsausschusses kann der Senat nicht treffen. Der Antrag der Klägerin umfaßt für diesen Fall auch das Begehren, den Beklagten zu verpflichten, über die Widersprüche unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig, weil er den besonderen Anforderungen an einen Honorarkürzungsbescheid nicht entspricht. Bei der Honorarkürzung hat nämlich dem Beklagten ein gerichtlich nicht voll nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zugestanden, den der Beklagte fehlerhaft genutzt hat.
Der Beklagte hat gemäß § 368n Abs 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung im einzelnen als zweite Verwaltungsinstanz zu überwachen. Dabei steht ihm nach den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten ein Beurteilungsspielraum mit eingeschränkter Kontrolle durch die Gerichte zu. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in mehreren Entscheidungen anerkannt, daß der Verwaltung bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs in bestimmten Fällen ein derartiger Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (BSGE 38, 282, 289 mwN; vgl auch BVerwGE 39, 197, 204; 59, 213, 216 f; Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht 1982 § 17 RdNr 46; Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht 6. Auflage § 12 II 1; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage § 7 RdNr 20 ff). Bei der Überwachung der Wirtschaftlichkeit nach § 368n Abs 5 RVO handelt es sich um einen solchen Fall.
Der unbestimmte Begriff der "Wirtschaftlichkeit", wie er in § 368n Abs 5 RVO verwendet wird, ist zwar durch gesetzliche und andere rechtliche Bestimmungen weitgehend inhaltlich ausgefüllt (§ 368e iVm § 182 Abs 2 RVO). Aus diesen Vorschriften ergibt sich einerseits, daß der Kassen- und Vertragsarzt grundsätzlich berechtigt ist, die ihm geeignet erscheinenden Untersuchungs- und Behandlungsmethoden anzuwenden; auch in der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung gilt der Grundsatz der Freiheit des Arztes in der Wahl seiner Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BSG SozR 2200 § 368n RVO Nr 19). Andererseits darf aber der Arzt nicht zu Lasten der Krankenkassen Überflüssiges veranlassen oder Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen durchführen, die aufwendiger sind als andere, die denselben Zweck erfüllen. Die Verpflichtung der Prüfungsinstanzen zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung bezieht sich auf die gesamte Behandlungstätigkeit des Arztes und auf alle an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte. Diese Verpflichtung können die Prüfungsinstanzen generell nur durch eine pauschale Prüfung im Rahmen eines allgemeinen Kostenvergleichs erfüllen. Ob und inwieweit ferner die bei dieser Prüfung zu berücksichtigenden Praxisbesonderheiten den Mehraufwand einer Praxis rechtfertigen, werden in der Regel auch die fachkundigen Prüfungsinstanzen nur ungefähr sagen können. Es müssen daher alle Entscheidungen der Prüfungsinstanzen, die sich im Rahmen der ungefähren Richtigkeit halten - die also die "Zweifelszone" nicht erkennbar verlassen (so Bachof, JZ 1972, 641, 644) -, als rechtmäßig angesehen werden. Dementsprechend hat es der Senat schon immer als rechtlich zulässig angesehen, daß die Prüfungsinstanzen den auf die unwirtschaftliche Behandlungsweise zurückzuführenden Mehraufwand lediglich schätzen (BSGE 11, 102, 114 ff; 46, 136, 138). Der Beurteilungsspielraum der Prüfungsinstanzen ist aber nicht eng auf die betragsmäßige Schätzung des unwirtschaftlichen Mehraufwands beschränkt. Auch andere Fragen, die die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Behandlungsweise betreffen, lassen sich zum Teil nur im Rahmen einer fachkundigen Beurteilung beantworten. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung über die Besetzung des Prüfungs- und Beschwerdeausschusses (§ 368n Abs 5 RVO) zu erkennen gegeben, daß bei der Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung die medizinische Fachkunde und die ärztliche Berufserfahrung in spezifischer Weise zur Geltung kommen sollen. Den Prüfungsgremien ist durch das Gesetz eine Entscheidung übertragen worden, die auf einen gerichtlich nicht voll nachprüfbaren Bereich hinauslaufen kann. Für die Zulässigkeit einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle spricht insbesondere, daß den Prüfgremien neben Vertretern der Krankenkassen in gleicher Zahl Vertreter der Ärzte angehören und daß die Prüfgremien Einrichtungen der gemeinsamen Selbstverwaltung der Krankenkassen und der Kassenärzte sind (BSGE 52, 193, 195 = SozR 2200 § 368n RVO Nr 21), und damit die Selbstverwaltungskörperschaft der KÄV, der der geprüfte Arzt regelmäßig als Mitglied angehört, beteiligt ist.
Im Bereich eines derartigen Beurteilungsspielraums ist die Kontrolle der Gerichte auf die Fragen beschränkt, ob die Verwaltung gegen übergeordnete Verfassungs- oder Verwaltungsgrundsätze, gegen zwingende Verfahrensregeln oder Denk- und Erfahrungssätze verstoßen hat, keine wesentlichen entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen hat, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt und nicht von falschen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, ob sie die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs abstrakt ermittelten Grenzen eingehalten und beachtet hat und ob sie ihre Subsumtion so verdeutlicht und begründet hat, daß im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (vgl BSGE 11, 102, 118; 38, 138, 143 ff sowie 282, 289 mwN; BVerwGE 39, 197, 204).
Der Beklagte geht bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise der Klägerin zwar in zulässiger Weise von einem Vergleich der durchschnittlichen Fallkosten der Klägerin mit den durchschnittlichen Fallkosten ihrer Fachgruppe aus. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats spricht der erste Anschein für eine unwirtschaftliche Behandlungsweise, wenn der durchschnittliche Fallwert des Kassenarztes so erheblich über dem Fallwertdurchschnitt der Fachgruppe liegt, daß zwischen beiden Werten ein offensichtliches Mißverhältnis besteht. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest (vgl Urteil vom 23. Mai 1984 - 6 RKa 21/82 -).
Der angefochtene Bescheid ist ferner nicht zu beanstanden, soweit der Beklagte die Klägerin mit der Fachgruppe der Internisten verglichen und wegen der Überschreitung gegenüber dem Fallwertdurchschnitt dieser Fachgruppe um 75 % und 80 % bei den Laborleistungen ein offensichtliches Mißverhältnis angenommen hat. Dem Beklagten hat insoweit ein Beurteilungsspielraum zugestanden. Der Vergleich mit der Fachgruppe der Internisten liegt im Rahmen dieses Beurteilungsspielraums. Die Bildung von engeren Vergleichsgruppen kann zwar zulässig sein, ist aber jedenfalls nicht rechtlich notwendig. Unerläßlich ist nur, daß das Vorbringen der Klägerin, sie betreibe ein großes Labor, überhaupt berücksichtigt wird, sei es schon beim ersten Schritt der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch Bildung einer engeren Vergleichsgruppe, sei es bei der Prüfung, ob eine Praxisbesonderheit vorliegt. Die Überschreitungen gegenüber dem durchschnittlichen Fallwert der Fachgruppe von 75 % und 80 % sind so erheblich, daß die Annahme des offensichtlichen Mißverhältnisses im Rahmen des Beurteilungsspielraums gelegen hat.
Der Beklagte hat hinsichtlich der Praxisbesonderheiten von seinem Beurteilungsspielraum einen fehlerhaften Gebrauch gemacht, denn er hat den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt. Im angefochtenen Bescheid hat er nämlich nicht festgestellt, ob bei der Klägerin eine Praxisbesonderheit besteht. Zutreffend hat der Beklagte in der Begründung des Bescheids allerdings darauf hingewiesen, daß ein statistischer "Ausreißer" gegenüber dem Fallwertdurchschnitt der Internisten in der Sparte Laborleistungen nicht automatisch eine Praxisbesonderheit vermuten läßt. Der Beklagte war damit aber nicht von der Pflicht entbunden, von Amts wegen aufzuklären, ob und inwiefern die Praxis der Klägerin nach Ausstattung, Behandlungsweise oder Krankengut Besonderheiten gegenüber dem Durchschnitt der Fachkollegen aufweist, die einen größeren Umfang der Laborleistungen rechtfertigen. Offenbar hat der Beklagte die Notwendigkeit der Aufklärung des konkreten Sachverhalts insoweit verkannt, denn er weist in der Revisionsbegründung darauf hin, entsprechend der berufsrechtlich vorgeschriebenen Aus- und Weiterbildung hätten alle Internisten eingehende Kenntnisse und Erfahrungen in den Laboruntersuchungen der Inneren Medizin erworben. Eine Praxisbesonderheit könnte mit dieser Begründung nicht ausgeschlossen werden, denn die zu unterstellenden Kenntnisse und Erfahrungen der Angehörigen einer Fachgruppe besagen noch nicht, daß die Ärzte dieser Gruppe ihre Praxis einheitlich ausgerichtet haben.
Zu der Prüfung, ob Praxisbesonderheiten vorliegen, war der Beklagte verpflichtet. Die Prüfgremien haben den offenkundigen und den geltend gemachten Besonderheiten der Praxis nachzugehen. Nach dem im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatz haben sie den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen (vgl jetzt § 20 des Sozialgesetzbuches, Verwaltungsverfahren, - SGB X -). Die erhebliche Überschreitung des Fallkostendurchschnitts der Klägerin gegenüber dem der Fachgruppe in der Sparte der Laborleistungen hätte den Beklagten zu weiteren Ermittlungen veranlassen müssen. Es war festzustellen, ob bei allen internistischen Praxen das Labor die gleiche Bedeutung hat. Zweifel bestehen diesbezüglich unter anderem deshalb, weil sich heute viele Internisten an der Primärversorgung beteiligen, weil ein großes Labor umfangreiche Überweisungsaufträge zur Folge haben kann und eine Spezialisierung innerhalb der Fachgruppe der Internisten in Betracht gezogen werden muß (zB Schwerpunkt der Behandlungstätigkeit in bestimmten Teilgebieten und Fachbereichen, diagnostische Fachausrichtung). Aufgrund der modernen Datenerfassung dürfte es den Prüfgremien möglich sein aufzuzeigen, ob und wie sich die Labortätigkeiten der Internisten unterscheiden. Erst dann läßt sich sagen, ob und inwieweit das Vorbringen der Klägerin hinsichtlich ihrer Labortätigkeit einen höheren Fallwert zu rechtfertigen vermag.
Ein Anlaß zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts bestand insbesondere auch wegen des ausdrücklichen Einwands der Klägerin, sie betreibe ein großes Labor. Wenn etwa ein Internist durch die umfangreiche Ausstattung des Labors Leistungen erbringen kann, die der Durchschnitt seiner Fachkollegen nicht anbietet, so wird sich dies in den abgerechneten Leistungsziffern ausdrücken und auf eine Praxisbesonderheit hindeuten. Einem derartigen Einwand müssen deshalb die Prüfgremien nachgehen. Allerdings hat die Klägerin den Einwand, sie betreibe ein großes Labor, möglicherweise erst im gerichtlichen Verfahren vorgebracht. Dieser Einwand ist deshalb aber nicht unbeachtlich. Nach § 21 Abs 2 SGB X sollen die Beteiligten bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und insbesondere ihnen bekannte Tatsachen angeben. Sie werden aber mit ihrem Vorbringen nicht durch den Erlaß des Verwaltungsakts oder den Abschluß des Widerspruchsverfahrens ausgeschlossen und sind nicht gehindert, noch im gerichtlichen Verfahren neue Tatsachen anzugeben.
Der angefochtene Bescheid ist aus diesen Gründen rechtswidrig. Bei seiner neuen Entscheidung über den Widerspruch der Klägerin wird der Beklagte folgendes zu beachten haben:
Die Angaben der Klägerin über die Durchführung der einer stationären, insbesondere operativen Behandlung unmittelbar vorangehenden Untersuchungen, können nicht ohne nähere Prüfung unbeachtet bleiben. Wenn auch die Verlagerung der sogenannten prästationären oder präoperativen Diagnostik in den ambulanten kassenärztlichen Bereich erst nach den hier streitbefangenen Quartalen in stärkerem Maße empfohlen worden ist, kann ein mit diesen Empfehlungen übereinstimmendes Praxisverhalten nicht allein deshalb als unwirtschaftlich qualifiziert werden, weil im Zeitpunkt der Leistungserbringung der Bedeutung der Gesamtwirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung (unter Einbeziehung aller Kosten der kassenärztlichen Versorgung, also auch der Krankenhausbehandlungskosten) noch nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt worden war. Wird von der Klägerin tatsächlich, wie behauptet, mit Einverständnis der Chefärzte der hier in Frage stehenden Krankenhäuser die notwendige vorstationäre Diagnostik durchgeführt - also unter Übernahme der ambulant erhobenen Befunde und einer damit eventuell verbundenen Einsparung von zwei bis vier Krankenhaustagen - und wird dies von den anderen Internisten nicht praktiziert, ist also die vorstationäre Diagnostik nicht allgemein oder nur gering in den durchschnittlichen Fachgruppenfallwert eingegangen, so wird auch dieser Umstand, soweit er festgestellt werden kann und ins Gewicht fällt, bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise der Klägerin zu berücksichtigen sein (zB durch Herausnahme der Behandlungsfälle mit vorstationärer Diagnostik bei der Berechnung des Fallwertdurchschnitts der Klägerin im Laborbereich). Das Vorbringen der Klägerin darf der Beklagte insbesondere deshalb nicht übergehen, weil sie durch Benennung der jeweiligen Chefärzte dafür Beweis angetreten hat. Das LSG hat allerdings ausgeführt, wie die von der AOK . erstellten Statistiken zeigten, unterscheide sich die Praxis der Klägerin insoweit, nämlich hinsichtlich der prästationären Diagnostik, nicht sehr wesentlich von der anderer Internisten. Dazu bezieht sich das LSG aber auf den statistischen Vergleich der Krankenhauseinweisungen. Für die Frage, ob die prästationäre Diagnostik der Klägerin wirtschaftlich gewesen ist, kommt es indessen entscheidend auf die Dauer des Krankenhausaufenthaltes an. Die prästationäre Diagnostik kann entsprechende Untersuchungen im Krankenhaus überflüssig machen und dadurch zu einer Abkürzung der Dauer des Krankenhausaufenthaltes führen.
Die Pflicht der Prüfgremien, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, gilt auch für die Prüfung, ob und inwieweit sonst ein Mehraufwand durch Einsparungen in anderen Bereichen ausgeglichen wird. Dieser Prüfung dürfen sich die Prüfgremien nicht ohne weiteres mit der Begründung entziehen, der Arzt habe den ursächlichen Zusammenhang zwischen Mehraufwand und Einsparungen nicht schlüssig dargelegt. Wenn ein Mehraufwand in einer Sparte mit bestimmten Einsparungen zusammentrifft, kann für den ursächlichen Zusammenhang eine Vermutung sprechen. Außerhalb solcher Konstellationen werden die Prüfgremien allerdings oft zu dem Ergebnis kommen, daß keine Anhaltspunkte für einen ursächlichen Zusammenhang erkennbar seien. Es ist dann Sache des Arztes, den ursächlichen Zusammenhang aufzuzeigen. Dafür bietet sich eine Darlegung und Beweisführung anhand der Behandlungsweise und der Behandlungsergebnisse in einzelnen mindestens beispielhaft aufgeführten Fällen an.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen