Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 16.02.1962) |
Tenor
Die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen Anna Behlmer gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. Februar 1962 werden zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß auf die Klage der Berta Behlmer auch der Bescheid vom 28. April 1960, mit dem die Beklagte der Beigeladenen Anna Behlmer Rente bewilligt hat, aufgehoben wird.
Die Beklagte hat der Klägerin Berta Behlmer die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten. Die Beigeladene Anna Behlmer hat ihre außergerichtlichen Kosten in allen Instanzen selbst zu tragen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I
Die Beigeladene und Revisionsklägerin Anna B… war von 1909 bis 1934 die erste Ehefrau, die Klägerin und Revisionsbeklagte Bertha B… seit 1937 die zweite Ehefrau des Schlossers Hermann B… (Versicherter). Die Ehe des Versicherten mit Anna B… wurde durch Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 26. Juni 1934 aus alleinigem Verschulden des Versicherten geschieden. Das Amtsgericht (AG) Oldenburg verurteilte den Versicherten am 7. August 1937, an Anna B… wöchentlich 7,50 RM Unterhalt zu zahlen. Am 20. Februar 1957 starb der Versicherte, er bezog bei seinem Tod von der Beklagten Altersruhegeld. Mit Bescheid vom 17. Oktober 1958 bewilligte die Beklagte der Berta B… (im folgenden als Witwe bezeichnet) vom 1. März 1957 an die volle Witwenrente nach den §§ 41 und 45 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG); mit Bescheid vom 28. April 1960 gewährte die Beklagte der Anna B… (im folgenden als erste Frau bezeichnet) vom 1. Oktober 1958 an “Geschiedenenrente” nach den §§ 42, 45 Abs. 2 und 4 AVG; mit einem weiteren Bescheid vom selben Tage stellte die Beklagte die Rente der Witwe nach § 45 Abs. 4 Satz 2 AVG vom 1. Juni 1960 an neu fest. Auf die Klage der Witwe hob das Sozialgericht (SG) Oldenburg durch Urteil vom 10. Februar 1961 “den Bescheid der Beklagten vom 28. April 1960” auf und verurteilte die Beklagte, der Witwe die ungeteilte Rente entsprechend dem Bescheid vom 17. Oktober 1958 weiterzugewähren, da der ersten Frau Rente nach § 42 AVG nicht zustehe; die erste Frau war in dem Verfahren beigeladen. Die Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen durch Urteil vom 16. Februar 1962 zurück: Da die sonstigen Voraussetzungen des § 42 AVG nicht vorlägen, habe die erste Frau nur dann Anspruch auf Rente, wenn der Versicherte ihr zur Zeit seines Todes “aus sonstigen Gründen” Unterhalt zu leisten hatte; der Vollstreckungsanspruch der ersten Frau aus dem Unterhaltsurteil des AG Oldenburg sei kein “sonstiger Grund” im Sinne von § 42 AVG; der Versicherte sei seit 1948 außerstande gewesen, seiner ersten Frau Unterhalt zu zahlen, die erste Frau habe deshalb zur Zeit des Todes des Versicherten keinen realisierbaren Unterhaltsanspruch gehabt, sie habe deshalb auch keinen Anspruch auf Rente nach § 42 AVG; damit stehe der Witwe die ungeteilte Rente entsprechend dem Bescheid vom 17. Oktober 1958 weiterhin zu. Das LSG ließ die Revision zu. Das Urteil wurde allen Beteiligten zugestellt, der – beigeladenen – ersten Frau am 13. März 1962, der Beklagten am 15. März1962.
Am 27. März 1962 legte die erste Frau Revision ein, sie beantragte,
- das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Oldenburg vom 10. Februar 1961 aufzuheben und die Klage (der Witwe) gegen den Bescheid der Beklagten vom 28. April 1960 abzuweisen,
- die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Revisionsverfahren der Klägerin (der Witwe) aufzuerlegen.
Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist -begründete sie die Revision am 4. Juni 1962: Sie habe in dem nach § 42 AVG maßgebenden Zeitpunkt einen rechtsgültigen Vollstreckungstitel auf Zahlung von Unterhalt gegen den Versicherten in Händen gehabt, dieser Vollstreckungstitel sei ein “sonstiger Grund” für die Unterhaltspflicht des Versicherten, das LSG habe nicht festgestellt, daß der Versicherte eine Änderungsklage nach § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhoben habe; die Beklagte könne nach dem Tode des Versicherten die Einwendungen, die dem Versicherten etwa nach § 323 ZPO zugestanden hätten, nicht mehr geltend machen.
Am 12. April 1962 legte auch die Beklagte Revision ein, sie beantragte,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie des Urteils des SG Oldenburg vom 10. Februar 1961 die Klage (der Witwe) als unbegründet abzuweisen.
Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist begründete sie die Revision am 14. Juni 1962: Das LSG habe § 45 Abs. 4 AVG unrichtig angewandt, es habe auf die Klage der Witwe gegen den “Rententeilungsbescheid” vom 28. April 1960 nicht die Voraussetzungen des Anspruchs der ersten Frau auf Rente nach § 42 AVG prüfen dürfen, die Witwe sei durch den Bescheid über die Bewilligung von Rente an die erste Frau nur mittelbar beschwert, sie sei mit diesem Bescheid nicht “angesprochen” und zu einer Klage auf Aufhebung dieses Bescheides nicht legitimiert. In dem Zeitpunkt, in dem der Versicherungsträger den Anspruch der ersten Frau zu deren Gunsten und damit für den Versicherungsträger bindend feststelle, liege im Regelfall bereits ein bindender Bescheid zugunsten der Witwe vor, diese Entscheidungen des Versicherungsträgers und gegebenenfalls der Gerichte über die Rentenansprüche der hinterbliebenen Frauen setze § 45 Abs. 4 AVG als gegeben voraus diese Vorschrift regele allein die Verteilung der Gesamtrente auf die hinterbliebenen Frauen entsprechend der Dauer der jeweiligen Ehe, der “Rententeilungsbescheid” könne daher nur wegen der Höhe der Rente angefochten werden. Die abweichende Auffassung des LSG führe dazu, daß einerseits die Wirksamkeit des Bescheids zugunsten der ersten Frau davon abhängen könne, ob dieser Frau die Rente auf Klage durch rechtskräftiges Urteil bewilligt worden sei; andererseits stehe es im “Entscheidungsermessen” der Versicherungsträger und der Gerichte, wie sie den Anspruch der ersten Frau nach § 42 AVG beurteilen, insoweit seien in tatsächlicher Hinsicht verschiedene Auffassungen möglich und es könnten in rechtlicher Hinsicht verschiedene Beurteilungen “richtig” sein, dies zeige auch die lange Zeit schwankende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu der hier strittigen Frage der Bewertung des Anspruchs aus einem vollstreckbaren Unterhaltsurteil als einen “sonstigen Grund” im Sinne des § 42 AVG. Von solchen “Zufälligkeiten” könne die Rechtmäßigkeit des bindend gewordenen Bescheids über den Rentenanspruch der ersten Frau nicht abhängen, die Gerichte seien nicht befugt, im “Rententeilungsverfahren” nach § 45 Abs. 4 AVG nachträglich den Anspruch der ersten Frau dem Grunde nach anders zu beurteilen.
Die Klägerin – die Witwe – beantragte,
die Revisionen der ersten Frau und der Beklagten zurückzuweisen und der Beklagten die Erstattung der außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
Alle Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –) einverstanden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revisionen der Beigeladenen – der ersten Frau des Versicherten – und der Beklagten sind zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, § 164 SGG). Sie sind insoweit, als das LSG über das Begehren der Klägerin – der Witwe – entschieden hat, jedoch nicht begründet. Soweit das LSG – zu Unrecht – nur über einen Teil der von der Klägerin – der Witwe – erhobenen Ansprüche entschieden und damit gegen § 123 SGG verstoßen hat, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden.
Die Beklagte hat am 28. April 1960 zwei Bescheide erlassen, die an verschiedene Adressaten gerichtet sind; mit dem einen Bescheid hat sie der Witwe die – volle – Witwenrente, die ihr durch Bescheid vom 17. Oktober 1958 nach § 41 AVG bewilligt worden ist, mit Wirkung für die Zukunft – ab 1. Juni 1960 – teilweise entzogen, sie hat damit den Bescheid vom 17. Oktober 1958 teilweise zurückgenommen; mit dem anderen Bescheid hat sie der ersten Frau “Geschiedenenrente” nach § 42 AVG vom 1. Oktober 1958 an bewilligt. Beide Bescheide stehen in Beziehung zueinander und enthalten – auch wenn sie nicht an beide Frauen adressiert sind – Regelungen, die beide Frauen betreffen (vgl. die Urteile des BSG vom 16.8.1961, NJW 1961, 2230 = DVBl 1962, 338 und vom 27.9.1961, BSG 15, 118, 122); jeder Bescheid regelt die Frage, ob neben der Witwe, deren Rentenanspruch die Beklagte schon durch den Bescheid vom 17. Oktober 1958 festgestellt hat, auch der ersten Frau ein Anspruch auf Rente zusteht und ob deshalb, wie es die Vorschrift des § 45 Abs. 4 AVG bestimmt, eine “Teilung” der Rente “nach der Dauer der Ehe mit dem Versicherten” vorzunehmen ist; jeder dieser Bescheide ist nur dann rechtmäßig wenn diese Vorschrift richtig angewandt ist; das ist sie aber nur, wenn tatsächlich “mehrere Berechtigte nach den §§ 41 und 42 oder nach § 43 Abs. 1 und 2 AVG vorhanden sind”; macht ein Berechtigter – wie hier die klagende Witwe – geltend, dies sei nicht der Fall, weil außer ihm weitere “Berechtigte” nicht vorhanden seien, so wird damit auch behauptet, der Bescheid, der deren Berechtigung (Rentenanspruch) feststellt, sei rechtswidrig; die Rechtspositionen der mehreren “Berechtigten” sind nach dem Willen des Gesetzes voneinander abhängig und dürfen nur einheitlich beurteilt werden (vgl. dazu auch Urteil des 1. Senats des BSG vom 25.10.1963, Sozialrecht Nr. 3 zu § 1268 RVO). So liegt auch hier in der Klage der Witwe, mit der sie die volle Rente über den 1. Juni 1960 hinaus begehrt, weil nach ihrer Meinung die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer “Teilrente” an die erste Frau nicht gegeben sind, sowohl die Behauptung, es sei der an sie adressierte Bescheid vom 28. April 1960 rechtswidrig, weil ihr damit ein Teil der früher bewilligten Rente zu Unrecht entzogen worden sei, als auch die Behauptung, es sei der an die erste Frau adressierte Bescheid vom 28. April 1960 rechtswidrig, weil der ersten Frau mit diesem Bescheid zu Unrecht Rente bewilligt worden sei; ihre Klage ist damit nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG hinsichtlich beider Bescheide zulässig. Auf diese Klage ist vom SG und vom LSG über die Rechtmäßigkeit beider Bescheide zu entscheiden gewesen, und zwar in vollem Umfange, insbesondere also auch über die Anspruchsberechtigung der ersten Frau überhaupt; die Beklagte hat insoweit keine Regelung getroffen, die zwischen den Beteiligten “bindend” geworden ist. Soweit die Beklagte in dem Bescheid an die erste Frau vom 28. April 1960 festgestellt hat, der ersten Frau stehe Hinterbliebenenrente zu einem “Teil” nach den §§ 42 und 45 Abs. 4 AVG zu, ist dieser Bescheid nicht bindend geworden, weil von diesem Bescheid – wie dargelegt – nicht nur die erste Frau, sondern auch die Witwe betroffen wird und weil die Witwe diesen Bescheid – da er ihr nicht zugestellt worden ist – ohne Rücksicht auf die Anfechtungsfrist des § 66 SGG hat anfechten dürfen und auch angefochten hat. Soweit die Beklagte in dem Bescheid an die Witwe vom 28. April 1960 festgestellt hat, die Witwe habe nur noch Anspruch auf einen Teil der Hinterbliebenenrente, die – volle – Hinterbliebenenrente, die ihr zunächst gewährt worden ist stehe ihr – ab 1. Juni 1960 – nicht mehr zu, hat die Beklagte den darauf bezüglichen ersten Witwenrentenbescheid vom 17. Oktober 1958 teilweise zurückgenommen; insoweit ist sie selbst und zu Recht davon ausgegangen, daß sie durch § 45 Abs. 4 AVG ermächtigt sei, den Bescheid vom 17. Oktober 1958 zu ändern. Wie die Rechtslage zu beurteilen ist, wenn über den Anspruch der Witwe oder der ersten Frau nicht durch einen Bescheid der Beklagten im Verwaltungsverfahren, sondern auf Klage gegen einen zunächst ablehnenden Bescheid der Beklagten – mit oder ohne Beiladung der anderen Frau – durch Urteil entschieden und dieses Urteil rechtskräftig geworden ist, kann hier dahingestellt bleiben; hier ist jedenfalls über den Anspruch der ersten Frau nur im Verwaltungsverfahren entschieden worden; die Rechtskraft eines Urteils hat im vorliegenden Fall einer abweichenden Beurteilung des Anspruchs der ersten Frau durch das LSG nicht entgegengestanden.
Im vorliegenden Fall hat das SG auf die Klage der Witwe – nur – “den” Bescheid der Beklagten vom 28. April 1960 aufgehoben, den die Beklagte an die Witwe adressiert hat; es ist dabei zu Unrecht davon ausgegangen, die Witwe habe mit ihrer Klage nur diesen Bescheid angefochten und nicht auch den Bescheid an die geschiedene Frau, durch den sie (die Witwe) mitbetroffen worden ist; auch das LSG hat hier nur insoweit entschieden, als das SG entschieden hat; auch das LSG hat aber auf die Berufung der Beklagten über die Rechtmäßigkeit beider Bescheide entscheiden müssen. Da das LSG dies nicht getan hat, hat es “über die von der Klägerin erhobenen Ansprüche” nicht in vollem Umfange entschieden, es hat damit gegen § 123 SGG verstoßen; diesen Mangel des Verfahrens hat die Beklagte, die dadurch beschwert ist, auch sinngemäß gerügt.
Durch das Urteil des LSG ist aber nicht nur die Beklagte, sondern auch die Beigeladene, die erste Frau, beschwert; sie hat schon vor dem SG beantragt, die Klage der Witwe, die sich – wie dargelegt – auch gegen den an die erste Frau adressierten Bescheid richtet, abzuweisen und diesem Antrag ist auch vom LSG nicht entsprochen worden.
Der Senat hat daher auf die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen – der ersten Frau – hin zunächst zu prüfen, ob das Urteil des LSG, durch das – nur – über die Rechtmäßigkeit des an die Witwe adressierten Bescheids vom 28. April 1960 entschieden worden ist, insoweit richtig ist. Dies ist der Fall. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht diesen Bescheid als rechtswidrig angesehen. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 45 Abs. 4 AVG der Bescheid vom 17. Oktober 1958 – teilweise – hat zurückgenommen werden dürfen, liegen nicht vor, die erste Frau ist nicht – neben der Witwe – Berechtigte im Sinne dieser Vorschrift, der Versicherte hat der ersten Frau zur Zeit seines Todes nicht “Unterhalt aus sonstigen Gründen” leisten müssen (§ 42 AVG). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Leistungen, die der Versicherte zur Zeit seines Todes an die erste Frau zu erbringen gehabt hat, “Unterhalt” im Sinne von § 42 AVG gewesen sind; dies wäre dann nicht der Fall, wenn der Vollstreckungstitel vom 7. August 1937, der auf Zahlung von Unterhalt in Höhe von 7,50 RM wöchentlich lautete, nach der Währungsreform nicht auf DM umgestellt worden wäre; ohne Umstellung werden nämlich Vollstreckungstitel über RM-Forderungen nur in Höhe von 10 v.H. ihres RM-Betrages in DM vollstreckt (§ 1 der 16. DVO zum Umstellungsgesetz); ist der Vollstreckungstitel nicht auf DM umgestellt worden, so hätte der Versicherte zur Zeit seines Todes an die erste Frau auf Grund des Unterhaltsurteils nur 0,75 DM wöchentlich zu leisten gehabt, dieser Betrag wäre so geringfügig, daß er nicht als “Unterhalt” im Sinne von § 42 AVG angesehen werden könnte (vgl. Urteil des BSG vom 14. Februar 1964 – 1 RA 210/60 – mit weiteren Hinweisen). Auch wenn der Vollstreckungstitel auf DM umgestellt worden wäre, hat nach den Feststellungen des LSG eine Unterhaltspflicht des Versicherten gegenüber der ersten Frau “aus sonstigen Gründen” zur Zeit des Todes des Versicherten nicht bestanden. Zwar begründet, wie in dem Beschluß des Großen Senats des BSG vom 27. Juni 1963 (BSG 20, 1 ff) für die mit § 42 AVG gleichlautende Vorschrift des § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ausgeführt ist, entgegen der Meinung des LSG ein Vollstreckungstitel einen von dem materiellrechtlichen Anspruch verschiedenen Vollstreckungsanspruch. Dieser Anspruch richtet sich gegen den Staat, erzeugt also keine Rechte und Pflichten zwischen Gläubiger und Schuldner; der Vollstreckungsschuldner – hier der Versicherte – hat aber bis zu seinem Tode vom Vollstreckungsgläubiger – hier der ersten Frau – kraft des gegen den Staat gerichteten Vollstreckungsanspruchs zur Leistung gezwungen werden können, der Versicherte hat damit “aus sonstigen Gründen” Unterhalt zu leisten gehabt (ebenso BSG 8, 24 ff; anders BSG 11, 99; 12, 257). Wie in dem Beschluß des Großen Senats weiter dargelegt ist, besteht aber eine Unterhaltspflicht “aus sonstigen Gründen” im Sinne von § 1265 RVO ausnahmsweise dann nicht, wenn der Versicherte bis zur Zeit seines Todes den Titel als solchen oder die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus diesem Titel hätte beseitigen können und wenn er dies vermutlich nur deshalb nicht getan hat, weil er mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung nicht hat rechnen müssen; nach dem Sinn und Zweck des § 1265 RVO besteht kein Anlaß, den Unterhaltsanspruch aus dem nur formell noch gültigen Titel durch Bewilligung einer Rente zu erfüllen. Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des Großen Senats für die mit § 1265 RVO gleichlautende Vorschrift des § 42 AVG an. Das LSG hat festgestellt, der Versicherte sei schon jahrelang vor seinem Tode nicht mehr in der Lage gewesen, der ersten Frau Unterhalt zu zahlen. Gegen diese Feststellung sind Revisionsrügen nicht geltend gemacht, sie ist deshalb für das BSG bindend (§ 163 SGG). Damit haben aber die Voraussetzungen dafür vorgelegen, daß der Versicherte, wenn er nicht gestorben wäre, durch Abänderungsklage (§ 323 ZPO) oder durch Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) die Wirkungen des Titels hätte beseitigen können. Er ist damit der ersten Frau zur Zeit seines Todes im Jahre 1957 nicht mehr “aus sonstigen Gründen” zum Unterhalt verpflichtet gewesen. Die erste Frau ist sonach nicht – neben der Witwe – “Berechtigte” im Sinne von § 45 Abs. 4 AVG gewesen, die Beklagte hat daher die – volle – Witwenrente, die sie der Witwe in dem Bescheid vom 17. Oktober 1958 bewilligt hat, in dem Bescheid vom 18. April 1960 nicht nach § 45 Abs. 4 AVG ermäßigen dürfen. Die Voraussetzungen der “Rententeilung” nach dieser Vorschrift haben nicht vorgelegen. Damit erweist sich auch der Bescheid vom 18. April 1960, den die Beklagte an die erste Frau gerichtet und durch den sie der ersten Frau nach § 42 i.V.m. § 45 Abs. 4 AVG eine “Teilrente” bewilligt hat, als rechtswidrig. Auf die Klage der Witwe, über die das LSG insoweit nicht entschieden hat, ist auch dieser Bescheid aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Haueisen, Sonnenberg, Dr. Schwarz
Fundstellen