Leitsatz (redaktionell)
1. Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nach RVO §§ 1531 ff. Bei Versagen des Krankengeldes nach BSHG § 136 Abs 2.
2. Trotz Abbruchs eines Tuberkuloseheilverfahren kann die KK das Krankengeld nicht nach BSHG § 136 Abs 2 S 2 versagen, wenn sich aus den Umständen ergibt, daß der Rentenversicherungsträger seine "Weisung" zurückgenommen hat.
3. Der Anspruch auf Leistungen gegen einen Versicherungsträger schließt die Hilfebedürftigkeit iS des RVO § 1541 nicht aus, wenn der Versicherungsträger tatsächlich keine Leistungen gewährt.
4. Der Anspruch eines tuberkulosekranken Versicherten auf Krankengeld ist nicht ausgeschlossen, wenn die Notwendigkeit der stationären Behandlung nicht zweifelsfrei feststeht.
5. Bricht ein Versicherter die von einem Rentenversicherungsträger bewilligte stationäre bewilligte stationäre Tuberkulose-Behandlung, deren medizinische Notwendigkeit nicht zweifelsfrei feststeht, ab, so verstößt er damit nicht "in grober Weise oder beharrlich gegen die Weisungen eines Trägers der Sozialversicherung"; die KK kann daher des Krankengeld nicht unter Berufung auf BSHG § 136 Abs 2 S 2 versagen.
Normenkette
BSHG § 136 Abs. 2 S. 2; RVO § 1531 Fassung: 1931-06-05, § 1541 Fassung: 1959-07-23
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. August 1968 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 28. November 1967 zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Betriebskrankenkasse (BKK) dem klagenden Landkreis die Aufwendungen zu erstatten hat, die ihm durch Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt für den bei der Beklagten Versicherten H (H.) in der Zeit vom 26. Juli 1966 bis zum 14. November 1966 in Höhe von 2 719,28 DM erwachsen sind.
Der Versicherte H. wurde am 28. Januar 1966 wegen einer Erkrankung an Lungentuberkulose in das Evangelische Krankenhaus S eingeliefert. Die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) übernahm die Kosten dieser stationären Behandlung, teilte H. mit Bescheid vom 9. März 1966 unter Hinweis auf § 136 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) die Höhe des ihm von der Beklagten auszuzahlenden Übergangsgeldes mit und bewilligte H. außerdem mit Bescheid vom 8. März 1966 ein Heilverfahren in der Fachklinik für Erkrankungen der Atmungsorgane in H-A. H. erklärte sich zunächst mit einer Verlegung nicht einverstanden. Er trat aber am 16. Mai 1966 die stationäre Behandlung in A an, nachdem die Beigeladene mit Schreiben vom 28. März 1966 die Kostenübernahme für die Weiterbehandlung in einer fremden Krankenanstalt abgelehnt hatte. Bei dieser Gelegenheit wurde H. erneut auf die Möglichkeit der Versagung von Barleistungen bei einem Verstoß gegen die Weisung eines Sozialversicherungsträgers hingewiesen. Nachdem ihm in der Fachklinik A zu einer Teilresektion geraten worden war, brach H. die Heilbehandlung am 25. Juli 1966 ab. Unter Hinweis auf diesen Kurabbruch teilte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Juli 1966 dem Versicherten mit, daß sie ihm bis einschließlich 25. Juli 1966 das Übergangsgeld im Auftrage der Beigeladenen, darüber hinaus aber keine weiteren Geldleistungen gewähren könne.
Mit Bescheid vom 2. September 1966 bewilligte die Beigeladene von Amts wegen unter Hinweis auf § 136 BSHG dem Versicherten nochmals eine Kur im Sanatorium H. Diese Kurbewilligung zog die Beigeladene mit Verfügung vom 25. Oktober 1966 zurück, nachdem der behandelnde Arzt des Versicherten, der Facharzt für Lungenkrankheiten Dr. F, dem Gesundheitsamt des Klägers unter dem 15. September 1966 mitgeteilt hatte, daß sich der Versicherte bei einer in Besserung befindlichen Unterlappen-Tbc rechts und sehr gewissenhafter Behandlung zur Zeit nicht zu einer erneuten Heilstättenkur entschließen könne. Am 15. November 1966 bescheinigte der Lungenfürsorgearzt Dr. M, daß gegenüber den früheren Befunden eine Rückbildung der Tuberkuloseerkrankung zu erkennen sei. Er hielt bei der günstigen Entwicklung unter laufender Behandlung durch einen Facharzt eine stationäre Behandlung zur Zeit nicht für erforderlich. Die Beklagte nahm daraufhin ab 15. November 1966 die Zahlung von Krankengeld an den Versicherten wieder auf. Da sie die Zahlung des Krankengeldes für die Zeit vom 26. Juli bis 14. November 1966 weiterhin verweigerte, leitete der Kläger mit Schreiben an die Beklagte vom 3. Februar 1967 den nach seiner Meinung auch für diese Zeit bestehenden Krankengeldanspruch des Versicherten gemäß § 90 BSHG auf das Kreisgesundheitsamt I - Amt für Tbc-Hilfe - als Beauftragten des Landschaftsverbandes W/I über, weil an den Versicherten in diesem Zeitraum Hilfe zum Lebensunterhalt aus öffentlichen Mitteln gezahlt worden war. Mit Bescheid vom 16. Februar 1967 - bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 21. April 1967 - lehnte die Beklagte dem Kläger gegenüber Zahlungen für die Zeit vom 26. Juli bis zum 14. November 1966 mit der Begründung ab, das Krankengeld sei dem Versicherten für diesen Zeitraum gemäß § 136 Abs. 2 BSHG zu Recht versagt worden, weil er, behandlungsbedürftig, arbeitsunfähig und aktiv Tbc-krank, durch den Kurabbruch der Weisung eines Trägers der Sozialversicherung (LVA Westfalen) nicht weiter Folge geleistet und damit auch grob fahrlässig andere Personen und den Erfolg der Heilbehandlung gefährdet habe, obwohl er in dem Einweisungs- bzw. Bewilligungsbescheid der Beigeladenen und deren Schreiben vom 28. März 1966 schriftlich auf die möglichen Folgen eines Kurabbruchs hingewiesen worden sei.
Der gegen diese Bescheide erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) stattgegeben und die Beklagte mit Urteil vom 28. November 1967 unter Aufhebung der Bescheide vom 16. Februar 1967 und 21. April 1967 verurteilt, dem Kläger die von ihm in der Zeit vom 26. Juli 1966 bis 14. November 1966 für den Versicherten H. aufgewendeten Beträge in Höhe von 2 719,28 DM zu erstatten. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG abgeändert, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen: Die §§ 1531 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) räumten dem Fürsorgeträger einen selbständigen gesetzlichen Anspruch gegen den Versicherungsträger ein, bei dessen Geltendmachung sich die beteiligten öffentlich-rechtlichen Körperschaften gleichrangig gegenüberstünden. Da hierbei für die Erteilung eines Verwaltungsaktes durch die Versicherungsträger kein Raum sei, müsse das angefochtene Urteil insoweit bestehen bleiben, als mit ihm die dem Kläger von der Beklagten erteilten Bescheide aufgehoben worden sind. Der nach diesen Vorschriften zu beurteilende Ersatzanspruch des Klägers selbst müsse schon daran scheitern, daß der Lebensunterhalt des Versicherten und der seiner Familie durch die Gewährung der erforderlichen stationären Behandlung und Zahlung von Übergangsgeld gemäß § 1244 a RVO durch die Beigeladene gewährleistet, H. in der streitigen Zeit also nicht hilfsbedürftig gewesen sei; der Kläger hätte H. vor dem Eintreten mit eigenen Leistungen an die beigeladene LVA verweisen müssen. Die Klage sei aber selbst dann unbegründet, wenn man entgegen dieser Auffassung eine Hilfsbedürftigkeit des Versicherten bejahen sollte. Die Beklagte sei nämlich berechtigt, dem Versicherten das Krankengeld gemäß § 136 Abs. 2 Satz 2 BSHG zu versagen, da er trotz eines entsprechenden Hinweises im Bewilligungsbescheid vom 8. März 1966 in Verbindung mit dem Schreiben vom 28. März 1966 die Kur in A eigenmächtig abgebrochen und somit in grober Weise gegen die Weisung der Beigeladenen verstoßen habe.
Mit der zugelassenen Revision wendet sich der Kläger gegen die Auffassung des LSG, der Versicherte H. sei in der streitigen Zeit nicht hilfsbedürftig gewesen bzw. er habe seine Hilfsbedürftigkeit durch seinen eigenmächtigen Kurabbruch selbst verschuldet.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2 719,28 DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision gegen das Urteil des LSG zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist begründet.
Ob der Erstattungsanspruch des Klägers begründet ist, beurteilt sich, wie das LSG insoweit zutreffend angenommen hat, nach §§ 1531 ff RVO. Dabei kann, wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 17. April 1970 (3 RK 62/66 - BSG 31, 112, 114) im einzelnen dargelegt hat, offenbleiben, ob diese Vorschriften hier unmittelbar zur Anwendung kommen oder nur über § 59 Abs. 2 BSHG, der seit dem Inkrafttreten des BSHG am 1. Juni 1962 in Tuberkulosefällen die "vorläufige Hilfeleistung" durch den Sozialhilfeträger regelt. Auch nach § 59 Abs. 2 BSHG in der hier noch anzuwendenden alten Fassung galten für die Erstattungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung die §§ 1531 bis 1543 RVO entsprechend (in gleichem Sinne BSG 31, 122, 124).
Der Senat vermochte der Auffassung des LSG nicht zu folgen, daß der Anspruch nach den vorgenannten Bestimmungen schon daran scheitere, daß der Lebensunterhalt des Versicherten und der seiner Familie durch die Gewährung der erforderlichen stationären Heilbehandlung und Zahlung von Übergangsgeld gemäß § 1244 a RVO durch die Beigeladene gewährleistet, H. in der streitigen Zeit also nicht hilfsbedürftig gewesen sei. Da sowohl die Beklagte als auch die Beigeladene sich nach dem Kurabbruch geweigert hatten, Krankengeld bzw. Übergangsgeld an den Versicherten zu zahlen und der bloße Anspruch auf derartige Leistungen die Hilfsbedürftigkeit des H. nicht beseitigte, war der Kläger als der gerade für solche Fälle nach dem BSHG zuständige Fürsorgeträger verpflichtet, dem Hilfsbedürftigen Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren (vgl. § 59 Abs. 1 BSHG).
Nach § 1531 i.V.m. § 1541 RVO kann der Kläger indes Ersatz nach Maßgabe der §§ 1532 bis 1537 RVO nur verlangen, wenn und soweit der Versicherte H. seinerseits in der Zeit vom 26. Juli 1966 bis zum 14. November 1966 einen Anspruch nach der RVO hatte oder noch hat. Bei abgeschlossener Hilfeleistung hängt der Ersatzanspruch des Fürsorgeträgers mithin davon ab, ob der Unterstützte gleichzeitig einen Anspruch auf Versicherungsleistungen hatte, und zwar auf solche Leistungen, die denen des Fürsorgeträgers entsprechen, da Ersatz nur aus "entsprechenden" Leistungen gefordert werden kann (BSG 29, 87, 91; 31, 112, 114 und 31, 122, 124). Hat der Kläger, wie hier dem Versicherten nach Kurabbruch, im Rahmen der Tuberkulosehilfe Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 51 ff BSHG) gewährt, entspricht seiner Leistung auf Seiten der Beklagten die Gewährung von Krankengeld. Der Versicherte H. ist im maßgeblichen Zeitraum arbeitsunfähig krank gewesen und deshalb für diese Zeit krankengeldberechtigt (§ 182 Abs. 1 RVO). Zu Unrecht hat das LSG angenommen, die Beklagte sei berechtigt gewesen, dem Versicherten das Krankengeld nach § 136 Abs. 2 Satz 2 BSHG zu versagen. Hiernach kann der Träger der Sozialversicherung Barleistungen ganz oder teilweise versagen, wenn u.a. der Kranke "in grober Weise oder beharrlich" gegen dessen Weisung trotz schriftlichen Hinweises auf die Folgen seines Verhaltens verstößt. Der Abbruch der stationären Behandlung in der Fachklinik A, die H. zu einer Teilresektion geraten hatte, deren medizinische Notwendigkeit nach den später erhobenen günstigeren Befunden damals jedenfalls nicht zweifelsfrei feststand, kann H. nicht als ein beharrlicher Verstoß gegen eine Weisung der LVA angelastet werden. Die LVA hatte offenbar selbst den Eindruck gewonnen, daß H. eine Fortsetzung der stationären Behandlung in A nicht zugemutet werden könne, und deshalb mit Bescheid vom 2. September 1966 eine neue Kur im Sanatorium H bewilligt. Aber auch diese "Weisung" ist von der LVA zurückgenommen worden, und zwar auf Grund der Bescheinigung des Kreismedizinalrats a.D. und Facharztes für Lungenkrankheiten Dr. F vom 15. September 1966, in der es u.a. nach der Wiedergabe des Befundes heißt, H. könne sich zu einer erneuten Heilstättenkur zur Zeit nicht entschließen; die Behandlung würde aber von dem Versicherten sehr gewissenhaft durchgeführt. Mit der Aufhebung des Bescheides, in dem H. nochmals eine Kur im Sanatorium H bewilligt worden war, machte die Beigeladene deutlich, daß von einer erneuten Einweisung des Versicherten - auch in eine andere Heilstätte - abgesehen werden sollte. Rückschauend betrachtet ergibt sich daraus, daß die Beigeladene damit auch zu verstehen gab, daß für den Versicherten keine Weisung im Sinne des § 136 Abs. 2 Satz 2 BSHG mehr bestand, sich über den 25. Juli 1966 hinaus einer Heilstättenbehandlung zu unterziehen. Es lag daher für die Beklagte kein Versagungsgrund hinsichtlich der Gewährung von Krankengeld vor.
Der Anspruch des Versicherten auf Krankengeld wäre auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß im Falle einer notwendigen stationären Heilbehandlung die Bereitstellung dieser Heilbehandlung durch den Träger der Rentenversicherung dem Versicherten den Anspruch gegen den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung auf Krankengeld nimmt (BSG 31, 122, 124). Hierbei kann offen bleiben, ob dieser allgemeine Versagungsgrund neben dem besonderen für die Tuberkulosehilfe entwickelten § 136 Abs. 2 BSHG überhaupt zum Zuge kommen kann. Selbst wenn das der Fall wäre, so wäre im vorliegenden Fall die Leistungspflicht der Krankenkasse schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil die Notwendigkeit der stationären Behandlung nicht zweifelsfrei feststand (vgl. BSG 29, 149, 151 zu der hiermit im Zusammenhang stehenden Frage der wirksamen Ausübung des der KK in § 184 RVO verliehenen Ersetzungsrechts).
H. hatte deshalb ab 26. Juli 1966 wieder Anspruch auf Krankengeld gegen die Beklagte. Da der Kläger H. für diese Zeit unterstützt hatte, kann er nach § 1531 i.V.m. § 1541 RVO Ersatz seiner Aufwendungen in Höhe von 2 719,28 DM von der Beklagten verlangen.
Das die Klage abweisende Urteil des LSG vom 15. August 1968 mußte daher aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Dortmund, das die Beklagte zur Leistung des genannten Betrages an den Kläger verurteilt hatte, zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen