Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Heilung von Zustellungsmängeln setzt voraus, daß die Zustellung gewollt gewesen ist.

2. Ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt vor, wenn dem Prozeßbevollmächtigten der Termin lediglich durch Übersendung eines einfachen Briefes formlos mitgeteilt wird; dies gilt auch dann, wenn die Partei selbst ordnungsgemäß geladen wurde.

 

Normenkette

VwZG § 9 Abs. 1; SGG § 110 Fassung: 1958-06-25

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 12. November 1970 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Kläger begehrt die Vorverlegung des Beginns seiner Rente und die Erhöhung der persönlichen Bemessungsgrundlage. Seine Klage hatte teilweise Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. März 1967). Die Berufung des Klägers wurde als unzulässig verworfen, auf die Berufung der Beklagten hin die Klage in vollem Umfange abgewiesen (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Hamburg vom 14. August 1969).

Der erkennende Senat hat das genannte Urteil des LSG aufgehoben und den Rechtsstreit zurückverwiesen (Urteil vom 13. Mai 1970 - 4 RJ 363/69 -). Im fortgesetzten Berufungsverfahren ist durch Verfügung des Vorsitzenden vom 15. Oktober 1970 Termin zur mündlichen Verhandlung und zur Beweisaufnahme (Anhörung eines Sachverständigen) auf den 12. November 1970 bestimmt und die Ladung hierzu dem Kläger in Argentinien am 2. November 1970 zugestellt worden. Dem für das Berufungsverfahren bestellten Prozeßbevollmächtigten des Klägers ist die Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung und die Ladung des Klägers durch einfachen Brief vom 15. Oktober 1970, abgesandt am 21. Oktober 1970, mitgeteilt worden. Mit Schriftsatz vom 2. November 1970 hat sich der Prozeßbevollmächtigte gegen das Beweisthema gewandt.

Im Termin vom 12. November 1970 ist der Kläger weder anwesend noch vertreten gewesen. Nach Anhörung des ärztlichen Sachverständigen hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen und seine Klagen - in vollem Umfange - abgewiesen (Urteil vom 12. November 1970).

Mit der Revision rügt der Kläger, sein Prozeßbevollmächtigter habe keine Ladung erhalten; jedenfalls sei ihm keine Terminsladung zugestellt worden. Außerdem sei an den Prozeßbevollmächtigten keine Mitteilung ergangen, daß auch im Falle seines Ausbleibens entschieden werden könne. Das rechtliche Gehör sei versagt worden, weil er sich zu dem Sachverständigenbeweis nicht habe äußern können.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Die Revision hat Erfolg.

Sie ist statthaft, weil der Kläger einen wesentlichen Mangel des Verfahrens gerügt hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Das LSG hat den Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht ordnungsgemäß geladen. Darauf, ob die Ladungsfrist dem Kläger selbst gegenüber eingehalten worden ist, kommt es nicht an. Nach § 73 Abs. 3 Satz 1 SGG sind die Mitteilungen des Gerichts an den Prozeßbevollmächtigten zu richten.

Terminsbestimmungen und -ladungen sind zuzustellen (§ 63 Abs. 1 SGG). Zugestellt wird nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - (§ 63 Abs. 2 SGG). Keine der dort erwähnten Zustellungsarten ist eingehalten worden. Die Übersendung des einfachen Briefes vom 15. Oktober 1970 hat keine Zustellung bewirken können.

Eine Heilung von Zustellungsmängeln (§ 9 Abs. 1 VwZG) scheidet aus. Sie setzt voraus, daß die Zustellung gewollt gewesen ist (Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur SGb., 4. Aufl., Anm. zu § 63 SGG, § 9 VwZG (S. 186/68 - 1 -)). Ein Zustellungswille ist nach dem Akteninhalt zu verneinen. Der Kläger ist förmlich - durch Ersuchen der Deutschen Botschaft in Buenos Aires - geladen worden. Dieser Ladung hätte es nicht bedurft, wenn die Absicht bestanden hätte, den Prozeßbevollmächtigten zu laden. Das "Anschreiben" an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers sollte weder mit Postzustellungsurkunde (PZU) noch gegen Empfangsbekenntnis (EB) übersandt werden. Dies ergibt sich aus der maschinenschriftlichen Streichung in der Verfügung des Vorsitzenden vom 15. Oktober 1970.

Die Revision ist auch begründet; es ist nicht auszuschließen, daß das Berufungsverfahren ohne den angeführten Fehler zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Ob noch weitere Verfahrensmängel vorliegen, ist nicht mehr zu prüfen. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Pflicht zur Kostenerstattung bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658600

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