Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Krankenpflege und Krankengeld bei Verweigerung oder vorzeitiger Beendigung stationärer Behandlung
Leitsatz (redaktionell)
Hat der Versicherte die ihm von der KK anstelle der Krankenpflege angebotene Krankenhauspflege (RVO § 184) oder die vom Rentenversicherungsträger bereitgestellte Tuberkulose- Heilstättenbehandlung (RVO § 1244a), auf die ihn die KK verweisen kann, ohne triftigen Grund verweigert, von sich aus abgebrochen oder ist er wegen disziplinwidrigen Verhaltens vorzeitig aus dem Krankenhaus entlassen worden, so hat er - jedenfalls unter Geltung des RVO § 184 aF - solange keinen Anspruch auf Krankenpflege und Krankengeld als Krankenhauspflege oder Tuberkulose- Heilstättenbehandlung notwendig ist.
Normenkette
RVO § 184 Fassung: 1924-12-15, § 1244a Fassung: 1959-07-23; BSHG § 136 Abs. 2
Tenor
Auf die Revision der beklagten Krankenkasse werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. November 1969 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25. Oktober 1968 aufgehoben.
Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 2. August 1967 und ihren Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 1967 wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger, der am 23. Juli 1967 wegen Trunkenheit aus einer - ihm vom zuständigen Rentenversicherungsträger wegen Tuberkulose gewährten - stationären Heilbehandlung entlassen worden ist, beansprucht für die Zeit bis zu seiner erneuten Aufnahme in ein anderes Krankenhaus (24. August 1967) Krankengeld von der beklagten Krankenkasse. Er war schon aus der ersten Krankenhausbehandlung im Jahre 1965 aus dem gleichen Grunde vorzeitig entlassen worden.
Seine gegen die Weigerung der Beklagten erhobene Klage hatte vor dem Sozialgericht (SG) Erfolg. Die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten wurde vom Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen: § 136 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), auf den die Beklagte allein die Versagung des Krankengeldes stützen könnte, sei nur anwendbar, solange der Kranke sein Fehlverhalten trotz schriftlichen Hinweises auf die Folgen fortsetze. Daran mangele es im vorliegenden Fall, denn der Kläger habe sich unmittelbar nach der Entlassung wieder um ein neues Heilverfahren bemüht (Urteil vom 6. November 1969).
Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt. Ihrer Ansicht nach hat das LSG den Sinn der genannten Vorschrift verkannt: Diese ermächtige den Versicherungsträger zu einer Versagung von Barleistungen schon dann, wenn der Kranke eine Störung des Heilverfahrens zurechenbar verursache und damit seine Pflicht zur Abwendung oder Minderung eines Schadens (Mitwirkungspflicht) schuldhaft verletze. Zu Unrecht habe das LSG auch keine Feststellungen darüber getroffen, ob die sonstigen tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung des § 136 Abs. 2 BSHG gegeben seien. Im übrigen habe die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Krankengeld wirksam durch Verweisung auf die vom Rentenversicherungsträger bereitgestellte Heilstättenbehandlung ersetzt. Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage gegen ihre Bescheide vom 2. August und 12. Oktober 1967 abzuweisen.
Von den übrigen Beteiligten hat sich im Revisionsverfahren nur der beigeladene Landschaftsverband geäußert. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der beklagten Krankenkasse ist begründet. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen steht dem Kläger für die streitige Zeit kein Krankengeld zu.
Ob die Versagung des Krankengeldes hier auf § 136 Abs. 2 BSHG gestützt werden könnte, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Er kann insbesondere offenlassen, ob nicht bei einem Kranken, der - wie der Kläger - wiederholt wegen grober Verstöße gegen die Hausordnung aus dem Krankenhaus entlassen worden ist, das Fehlverhalten im Sinne der genannten Vorschrift solange "fortgesetzt" wird, bis er seinen Besserungswillen durch die Tat unter Beweis gestellt hat und der zuständige Versicherungsträger für die Aufnahme in ein anderes Krankenhaus hat sorgen können (vgl. dazu Urteil des Senats vom 9. September 1971, SozR Nr. 1 zu § 136 BSHG). Auch das LSG scheint eine solche Auslegung des Gesetzes für möglich zu halten, wie einige Wendungen in seinen Entscheidungsgründen vermuten lassen. Einer abschließenden Erörterung dieser und der weiteren Frage, in welcher - zwar allgemeinen, aber genügend deutlichen - Form der Kranke auf die ihm drohenden Nachteile hinzuweisen ist, damit er sein Verhalten entsprechend einrichten kann, bedarf es indessen nicht; denn selbst wenn § 136 Abs. 2 BSHG hier die Versagung des Krankengeldes nicht gerechtfertigt hätte, ist der angefochtene Bescheid der Beklagten aus anderen Gründen rechtmäßig.
Wie der Senat schon mehrfach ausgesprochen hat, konnte die Krankenkasse jedenfalls nach § 184 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF (die bis zum 31. Dezember 1970 galt), die ambulante Krankenhilfe unter bestimmten Voraussetzungen durch eine von ihr gewährte Krankenhauspflege ersetzen; sie kann ferner den Versicherten auf eine vom Träger der Rentenversicherung nach § 1244 a RVO bereitgestellte Heilstättenbehandlung verweisen. Die Ansprüche des Versicherten auf Krankenpflege und Krankengeld entfallen dann solange, als Krankenhauspflege oder stationäre Heilbehandlung notwendig ist (vgl. das genannte Urteil unter Hinweis auf BSG 29, 149 und 31, 122; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Auflage, S. 404).
Im vorliegenden Fall hatte der Träger der Rentenversicherung dem Kläger bis zum 23. Juli 1967 stationäre Heilbehandlung gewährt und hätte dies auch weiterhin getan, wenn der Kläger nicht durch sein disziplinwidriges Verhalten die Entlassung aus dem Krankenhaus notwendig gemacht hätte. Die Beklagte konnte ihn deshalb auch für die Zeit nach der Entlassung auf die vom Rentenversicherungsträger bereitgestellte Leistung verweisen und das Krankengeld für die streitige Zeit versagen. Es kann für die wirksame Ausübung der Ersetzungsbefugnis der Krankenkasse vernünftigerweise keinen Unterschied machen, ob jemand ohne triftigen Grund eine ihm angebotene Krankenhausbehandlung verweigert oder diese, nachdem er sie angetreten hat, von sich aus abbricht oder aber sich so verhält, daß er aus dem Krankenhaus entlassen werden muß.
Hatte der Kläger somit während der streitigen Zeit keinen Anspruch auf Krankengeld, so ist der angefochtene Versagungsbescheid der Beklagten rechtmäßig. Auf ihre Berufung hat der Senat die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen