Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweislastverteilung bei der objektiven Beweislast. Sachaufklärungspflicht
Orientierungssatz
1. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast sind die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder des Nichtfestgestelltseins einer Tatsache von demjenigen zu tragen, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will. Welcher Beteiligte dies ist, wie also die objektive Beweislast sich verteilt, ist der für den Rechtsstreit maßgeblichen Norm, dh in der Regel einer Norm des materiellen Rechts zu entnehmen (vgl BSG 1969-10-31 2 RU 40/67 = BSGE 30, 121).
2. Der Grundsatz der objektiven Beweislast findet nämlich erst nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen Anwendung. Er enthebt den Richter nicht seiner insbesondere durch §§ 103 und 128 Abs 1 SGG begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen Würdigung der erhobenen Beweise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles. Erst wenn es nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten nicht gelungen ist, die bestehende Ungewißheit über eine unter den Beteiligten streitige Tatsache zu beseitigen, stellt sich die Frage der Beweislastverteilung (vgl BSG 1980-04-24 1 RJ 54/79 = SozR 1500 § 128 Nr 18).
Normenkette
SGG § 128 Abs 1 Fassung: 1975-09-03, § 103 Fassung: 1974-07-30, § 144 Abs 1 Nr 2 Fassung: 1953-09-03; AFG § 119 Abs 3
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 18.03.1981; Aktenzeichen L 12 Ar 203/78) |
SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 27.10.1978; Aktenzeichen S 4 Ar 154/77) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung von Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Die Beklagte gewährte dem 1939 geborenen ledigen Kläger, der zuletzt als Lagerist (Gehalt 1.430,92 DM brutto) tätig war, ab 15. April 1975 Arbeitslosengeld (Alg) und im Anschluß ab 14. April 1976 Alhi.
Mit Bescheid vom 14. Dezember 1976 stellte die Beklagte das Ruhen der Alhi für die Zeit vom 10. November bis zum 7. Dezember 1976 fest, da der Kläger trotz Belehrung eine ihm am 8. November 1976 angebotene Arbeit in der Ballonproduktion der Firma E (E) nicht angenommen habe; gleichzeitig forderte die Beklagte einen Betrag von 186,60 DM zurück. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 8. März 1977). Der Kläger erhob Klage; gegen die Versäumung der Klagfrist bewilligte ihm das Sozialgericht (SG) Wiedereinsetzung.
Mit Bescheid vom 10. Februar 1977 hob die Beklagte die Bewilligung der Alhi ab 31. Dezember 1976 auf, da der Kläger am 30. Dezember 1976 eine am 3. Januar 1977 anzutretende Beschäftigung in der Produktion von Leichtmetallfensterrahmen einer anderen Firma abgelehnt und damit erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen gegeben habe; gleichzeitig forderte die Beklagte 248,80 DM an Leistungen für die Zeit ab 31. Dezember 1976 zurück. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 22. April 1977). Er erhob eine weitere Klage.
Das SG hat beide Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Einholung eines schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachtens angeordnet. Nachdem der Kläger sein Einverständnis, sich ärztlich untersuchen zu lassen, widerrufen hatte, hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Oktober 1978). Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem Urteil vom 18. März 1981 ausgeführt, die fraglichen Sperrzeiten seien eingetreten. Der Kläger sei anläßlich der Arbeitsangebote jeweils über die Rechtsfolgen einer unbegründeten Ablehnung mündlich belehrt worden. Die ihm unterbreiteten Arbeitsangebote seien ausreichend bestimmt gewesen und hätten der beruflichen Qualifikation des Klägers entsprochen. Die Löhne seien ortsüblich bzw tarifgerecht gewesen. Der Kläger habe keinen Grund, das Angebot E abzulehnen, weil er dort früher beschäftigt gewesen sei. Er habe in einer anderen Abteilung eingesetzt werden sollen, in der er chemisch übersetzten Dämpfen nicht ausgesetzt gewesen wäre. Frühere Differenzen stellten generell keinen wichtigen Grund zur Arbeitsablehnung dar; es gehe nicht an, die Allgemeinheit mit Kosten zu belasten, die aus vergangenen, aber überbrückbaren Querelen entstanden seien. Es lasse sich nicht feststellen, daß dem Kläger die Tätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar seien. Es seien geistig schlichte und körperlich leichte Tätigkeiten ohne Heben und Tragen von Lasten, die kein Bücken erforderlich machten und auch nicht mit der Schaufel auszuführen seien. Zu solchen Tätigkeiten sei der Kläger nach den vorliegenden ärztlichen Gutachten und Äußerungen in der Lage. Der Senat müsse davon ausgehen, daß in der Folgezeit sich hieran nichts geändert habe. Daß sich nicht feststellen lasse, daß der Kläger die angebotenen Arbeiten nicht ausüben könne, gehe zu seinen Lasten. Die allgemeine Regel, daß die Beklagte die Beweislast für die Voraussetzungen einer Sperrzeit trage, gelte nicht, wenn sich jemand auf einen Rechtfertigungsgrund berufe, die Nachprüfung des ausschließlich in seiner Sphäre liegenden Grundes aber durch sein Verhalten verhindert. Die Beklagte sei daher berechtigt, die Bewilligung der Alhi für die Zeit vom 10. November bis 7. Dezember 1976 und ab 31. Dezember 1976 aufzuheben und die schon gewährten Leistungen zurückzufordern. Das LSG hat die Revision wegen der Frage zugelassen, wer die objektive Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes trage.
Der Kläger macht mit seiner Revision geltend, das LSG habe ihm zu Unrecht die Beweislast aufgebürdet. Für eine Beweislastumkehr sei kein Grund ersichtlich. Darüber hinaus leide das Verfahren an dem Mangel, daß er beim SG nicht darauf hingewiesen worden sei, daß der Einholung des Gutachtens entscheidungserhebliche Bedeutung zukomme und er sein Einverständnis vor dem LSG nicht nachholen könne. Wegen der Differenzen mit der Firmenleitung sei das Angebot E unzumutbar; insbesondere in Kündigungsschutzverfahren zeige sich, daß Querelen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zu überbrücken seien.
Der Kläger beantragt,
die ergangenen Urteile sowie die Bescheide vom 14. Dezember 1976
(in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. März 1977) und vom
10. Februar 1977 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
22. April 1977) aufzuheben, und hilfsweise,
den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verweist auf das Urteil des LSG.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist mit der Maßgabe begründet, daß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird.
Die Zulässigkeit der Berufung, die das Revisionsgericht bei einer zulässigen Revision als eine von Amts wegen zu beachtende Verfahrensvoraussetzung zu prüfen hat (vgl für viele BSG SozR 1500 § 150 Nrn 11 und 18 mwN), hat das LSG zu Recht in vollem Umfange bejaht. Soweit der Kläger die Entziehung der Alhi für die streitige Sperrzeit vom 10. November bis 7. Dezember 1976 anficht, betrifft seine Berufung nach der seit BSGE 18, 266 ständigen Rechtsprechung des Senats zwar einen prozessualen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (drei Monaten), der für sich betrachtet dem Berufungsausschluß des § 144 Abs 1 Nr 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unterfällt; jedoch betrifft die Berufung des Klägers auch die Entziehung der Alhi ab 31. Dezember 1976, nachdem der Kläger in der Zwischenzeit bei gleichbleibender Arbeitslosigkeit Alhi gewährt worden ist. In solchen Fällen ist, wie der Senat für das Alg schon entschieden hat, bei der Prüfung der Zulässigkeit der Berufung nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG die Bezugsdauer der einzelnen prozessualen Ansprüche, über die die Vorinstanz nach einer zulässigen Prozeßverbindung einheitlich entschieden hat, zusammenzuzählen (vgl BSG SozR 1500 § 144 Nr 18). Für die Alhi gilt nichts anderes. Die Bezugszeiten der hier streitigen prozessualen Ansprüche überschreiten zusammen die 13 Wochen - (Drei-Monats-)Grenze, da der Kläger über den 31. März 1977 hinaus arbeitslos geblieben ist. Ebenso greift § 149 SGG hinsichtlich der Rückforderung nicht Platz. Für die Rückforderung ist die der Berufung unterliegende Frage vorgreiflich, ob dem Kläger die Alhi zu Recht entzogen worden ist; in solchen Fällen kommt der Berufungsausschluß des abhängigen Anspruchs nicht zum Zuge (BSGE 14, 280, 281 = SozR Nr 3 zu § 185 AVAVG; SozR Nr 14 zu § 149 SGG). Auch im übrigen sind keine verfahrensrechtlichen Bedenken ersichtlich; die dem Kläger wegen Versäumung der Klagefrist gegen den Bescheid vom 14. Dezember 1976 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 1977) gewährte Wiedereinsetzung ist unanfechtbar (§ 67 Abs 4 Satz 2 SGG), dh auch für das Revisionsgericht unüberprüfbar und bindend (vgl BSGE 13, 61).
In der Sache kann dem LSG allerdings nicht gefolgt werden. Nach § 151 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der hier noch maßgebenden ursprünglichen Fassung vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582) werden Entscheidungen, durch die Leistungen nach dem AFG bewilligt worden sind, insoweit aufgehoben, als die Voraussetzungen für die Leistungen nicht vorgelegen haben oder weggefallen sind. Dies ist der Fall, wenn der Anspruch des Klägers auf Alhi gem § 119 Abs 1 Satz 3 AFG wegen einer Sperrzeit vom 10. November bis 7. Dezember 1976 ruht und ab 31. Dezember 1976 nach § 119 Abs 3 AFG (in der 1976 geltenden ursprünglichen Fassung) erloschen ist, weil der Kläger erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen gegeben hat. Nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG, der für die Alhi gem § 134 Abs 2 Satz 1 AFG entsprechend gilt (BSGE 47, 101, 102 = SozR 4100 § 119 Nr 5), tritt eine Sperrzeit von vier Wochen ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt angebotene Arbeit nicht angenommen oder nicht angetreten hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Der Kläger hat die ihm angebotenen Arbeiten trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht angenommen. Nach den zugrunde liegenden Feststellungen des LSG, an die der Senat in Ermangelung entsprechender Verfahrensrügen gebunden ist (§ 163 SGG), waren die Belehrungen wirksam. Auch waren die Arbeitsangebote ausreichend bestimmt. Sie enthielten alle Angaben, deren es bedurfte, damit sich der Kläger über etwaige Ablehnungsgründe schlüssig werden konnte. Die Arbeiten selbst entsprachen der beruflichen Qualifikation und waren tarifgerecht entlohnt. Das alles wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen, die lediglich geltend macht, der Kläger habe für die Arbeitsablehnungen jeweils einen wichtigen Grund gehabt.
Was als wichtiger Grund anzusehen ist, ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, daß die Vielzahl der Lebensumstände, die die Ablehnung eines Arbeitsangebotes gerechtfertigt erscheinen lassen, durch eine Aufzählung nicht vollständig erfaßt werden könne. Nach seinen Vorstellungen soll eine Sperrzeit allgemein nur dann eintreten, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann (vgl BT-Drucks zu V/4110 S 20 f, Vorbemerkung zu § 108a AFG-Entwurf). In allen bisher im Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) aufgezählten Fällen sollte ein wichtiger Grund gegeben sein; im übrigen sollte der den "berechtigten Gründen" des AVAVG zugrundeliegende Rechtsgedanke verallgemeinert, dh weiteren Fallgestaltungen geöffnet werden. Das entsprach sozialpolitischen Forderungen (vgl Rademacher, Soziale Sicherheit 1964, 9, 11). Danach hat das LSG zu Recht keinen wichtigen Grund des Klägers, die Arbeit bei E abzulehnen, darin gesehen, daß bei der mehrere Jahre zurückliegenden Beschäftigung des Klägers bei diesem Arbeitgeber Differenzen entstanden waren. Dies mag anders sein, sofern die Streitigkeiten unüberbrückbar sind und noch anhalten; das ist aber den Feststellungen des LSG nicht der Fall.
Nach § 78 Abs 2 Nr 2 AVAVG lag ein berechtigter Grund zur Ablehnung eines Arbeitsangebotes dann vor, wenn die Arbeit dem Arbeitslosen nach seinem körperlichen oder geistigen Leistungsvermögen nicht zugemutet werden konnte. Anlaß für den Eintritt von Sperrzeiten hat der Kläger demnach nur gegeben, wenn er im Zeitpunkt der Arbeitsangebote gesundheitlich in der Lage war, die angebotenen Arbeiten auszuführen. Ob dies der Fall gewesen ist, hat das LSG nicht festgestellt. Zwar hat es ausgeführt, auf die sich das LSG lediglich stützen könne, die geistig schlichten und körperlich leichten Arbeiten habe ausführen können. Die Urteilsgründe lassen jedoch deutlich erkennen, daß sich das LSG hiervon letztlich nicht überzeugt hat. Andernfalls wären insbesondere die Ausführungen über die Beweislast, die das LSG zur Zulassung der Revision veranlaßt haben, unverständlich; denn hat der Kläger von seinem Gesundheitszustand her die ihm angebotenen Arbeiten ausführen können, steht fest, daß mangelnde Gesundheit keinen wichtigen Grund zur Ablehnung der Arbeiten dargestellt hat. Zu Unrecht hat das LSG jedoch gemeint, nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast entscheiden zu können; es hat den Anwendungsbereich dieses Grundsatzes verkannt.
Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast sind die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder des Nichtfestgestelltseins einer Tatsache von demjenigen zu tragen, der aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will. Welcher Beteiligte dies ist, wie also die objektive Beweislast sich verteilt, ist der für den Rechtsstreit maßgeblichen Norm, dh in der Regel einer Norm des materiellen Rechts zu entnehmen (vgl BSGE 6, 70, 72 f; 15, 112, 114; 19, 52, 53 = SozR Nr 62 zu § 542 RVO aF; BSGE 30, 121, 123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG). Wer im vorliegenden Falle die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder des Nichtfestgestelltseins einer Tatsache zu tragen hat, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl hierzu Wolff, Arbeiterversorgung 1962, 69, 74; Wolff, Sozialreform und Sozialrecht, S 385, 395; ferner Rohwer-Kahlmann, Kommentar zum SGG, § 103 RdNr 110, Stand: 22. Lieferung). Der Grundsatz der objektiven Beweislast findet nämlich erst nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen Anwendung. Er enthebt den Richter nicht seiner insbesondere durch §§ 103 und 128 Abs 1 SGG begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen Würdigung der erhobenen Beweise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles. Erst wenn es nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten nicht gelungen ist, die bestehende Ungewißheit über eine unter den Beteiligten streitige Tatsache zu beseitigen, stellt sich die Frage der Beweislastverteilung (BSGE 19, 52, 53; 27, 40, 42; 30, 121, 123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG; BSG SozR 1500 § 128 Nr 18). Im vorliegenden Falle hat das LSG nicht alle Möglichkeiten zur Sachaufklärung ausgeschöpft.
Daß das LSG die vorhandenen ärztlichen Unterlagen, die den Gesundheitszustand des Klägers vor der hier maßgeblichen Zeit (Ende 1976) betreffen, nicht als ausreichend angesehen hat, hält sich im Rahmen des dem LSG nach § 128 abs 1 Satz 1 SGG zustehenden Rechts der freien Überzeugungsbildung. Dann aber hat das LSG nicht alle Möglichkeiten erschöpft, um die für erforderlich gehaltene weitere Sachaufklärung zu betreiben. Eine fehlende Bereitschaft des Klägers, sich ärztlich untersuchen zu lassen, entbindet das Tatsachengericht nicht von der Pflicht, mögliche Ermittlungen anzustellen. Es ist unzulässig, in solchen Fällen auch von dem Versuch abzusehen, ein Gutachten nach Lage der bereits vorhandenen Untersuchungsbefunde und Gutachten zu erstellen, solange nicht feststeht, daß eine Untersuchung des Klägers unumgänglich ist (BSG SozR Nr 43 und 55 zu § 103 SGG). Dies gilt insbesondere, wenn nicht der derzeitige, sondern ein früherer Gesundheitszustand streitentscheidend ist. Erst wenn ein medizinischer Sachverständiger sich außerstande gesehen hätte, ohne eine Untersuchung des Klägers die Beweisfrage zu beantworten, und der Kläger auf einen Standpunkt beharrt hätte, nachdem er auf die ihm drohenden Folgen hingewiesen worden ist, hätte das LSG das bisherige Gesamtergebnis abschließend würdigen dürfen.
War damit für eine abschließende Sachentscheidung und die Heranziehung des Grundsatzes der objektiven Beweislast kein Raum, beruht das Urteil auf der unrichtigen Anwendung dieses Grundsatzes. Ob der Kläger zweimal Anlaß für den Eintritt von Sperrzeiten gegeben hat, hängt demnach von weiteren tatsächlichen Feststellungen ab, die das Revisionsgericht nicht treffen kann. Das Urteil des LSG ist daher gem § 170 Abs 2 Satz 2 SGG in vollem Umfange aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Für den Fall, daß eine Untersuchung des Klägers unumgänglich ist und dieser bei seiner Weigerung bleibt, wird das LSG darauf hingewiesen, daß die Weigerung eines Klägers und seine Gründe, sich einer erforderlichen und zumutbaren ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, bei der Beweiswürdigung zu beachten sind. Je nach den Umständen kann die Weigerung dazu führen, daß eine umstrittene Tatsache zum Nachteil des Klägers als bewiesen bzw unbewiesen angesehen wird (vgl RVA EuM 22, 139, 141; BVerwGE 8, 29); es gilt insoweit nichts anderes, wie wenn ein Beteiligter schuldhaft die Benutzung eines Beweismittels vereitelt oder erschwert hat (vgl BSG SozR Nr 60 zu § 128 SGG; BSGE 24, 25; 41, 297, 300 = SozR 2200 § 1399 Nr 4; BSG SozR 1500 § 141 Nr 9; BVerwGE 10, 270; 38, 310; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S 244k VII f, Stand: Juni 1965; Rohwer-Kahlmann, Kommentar zum SGG, § 103 RdNrn 47, 93, 107, Stand: 22. Lieferung; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zum SGG, § 103 Anm 3; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 2. Aufl, § 103 RdNr 18). Allerdings muß der Kläger, bevor das Gericht entscheidet, darauf hingewiesen worden sein, daß es aus der Weigerung, sich ärztlich untersuchen zu lassen, für ihn nachteilige Schlüsse ziehen kann (BSG SozR Nr 55 zu § 103; BVerwGE 8, 29; RVA AN 1927, 252).
Fundstellen