Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 13.11.1980) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. November 1980 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Verweigerung der Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) wegen Ruhens des Anspruchs gem § 117 Abs. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).
Die Klägerin war seit 1959 bei einem britischen Luftfahrtunternehmen beschäftigt. Wegen auf Alkoholgenuß zurückzuführender Arbeitsunfähigkeit der Klägerin am 15. Juli 1977 sprach die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 25. Juli 1977 mit sofortiger Wirkung die außerordentliche Kündigung aus. Gleichzeitig teilte sie der Klägerin mit, daß sie ihr aus sozialer Überlegung und wegen ihrer langen Betriebszugehörigkeit das Gehalt noch bis zum 31. Dezember 1977 zahlen werde.
Unter dem 10. August 1977 kündigte die Arbeitgeberin nochmals vorsorglich unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31. März 1978.
Mit der Kündigungsschutzklage machte die Klägerin geltend, sie leide an krankhafter Alkoholabhängigkeit, so daß die fristlose Kündigung nicht berechtigt gewesen sei. Am 7. Oktober 1977 schlossen die Parteien vor dem Arbeitsgericht folgenden Vergleich:
- „Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung der Beklagten am 31. Dezember 1977 endet.
- Die Beklagte zahlt an die Klägerin eine Abfindung gem. §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 17.600,– DM (i.W.: siebzehntausendsechshundert Deut sehe Mark) brutto = netto (steuerfrei gem. § 3 Nr. 9 EStG).
- ….”
Am 28. Dezember 1977 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte die Zahlung von Alg ab 1. Januar 1978. Die Beklagte bewilligte das Alg ab 31. März 1978 für 288 Tage (Bescheid vom 28. Februar 1978). Mit zwei Bescheiden vom 10. März 1978 stellte sie einerseits den Eintritt einer Sperrzeit gem § 119 AFG für die Zeit vom 1. Januar bis 28. Januar 1978 und andererseits das Ruhen des Anspruchs gem § 117 Abs. 2 AFG für die Zeit vom 1. Januar bis 30. März 1978 fest. Die nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens gegen den Sperrzeitbescheid erhobene Klage zum Sozialgericht (SG) Hamburg nahm die Klägerin am 12. Februar 1980 zurück.
Der gegen die Verweigerung der Zahlung von Alg wegen Ruhens des Anspruchs gem § 117 Abs. 2 AFG erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. August 1978). Das SG Hamburg hat durch Urteil vom 12. Februar 1980 den Ruhensbescheid vom 10. März 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 1978 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alg für die Zeit vom 30. Januar bis 30. März 1978 nachzuzahlen. Es hat die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, daß die Arbeitgeberin am 25. Juli 1977 einen Grund zur vorzeitigen Lösung des Arbeitsverhältnisses gehabt habe, so daß gem § 117 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AFG der Alg-Anspruch der Klägerin ab 1. Januar 1978 nicht geruht habe. Er habe allerdings wegen Eintritts einer Sperrzeit bis 28. Januar 1978 geruht, so daß der Zahlungsanspruch erst ab Montag, dem 30. Januar 1978 zustehe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. November 1980). In dem den Beteiligten am 21. bzw 22. Mai 1981 zugestellten schriftlichen Urteil hat das LSG zur Begründung ausgeführt: Der Anspruch der Klägerin auf Alg habe in dem in den angefochtenen Bescheiden festgestellten Umfange mit Rücksicht auf die ihr aus dem Vergleich vom 7. Oktober 1977 zustehende Abfindung gem § 117 Abs. 2 iVm Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AFG geruht. Eine Verkürzung der Ruhensfrist auf den Zeitpunkt der fristlosen Kündigung gem § 117 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AFG sei nicht eingetreten. Jene Bestimmung, wonach der Anspruch auf Alg nicht gem § 117 Abs. 2 AFG über den Tag hinaus ruhe, an dem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist hätte kündigen können, greife hier nicht ein. Die Bestimmung, die möglicherweise auf einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers beruhe, könne wesentlich nur in Fällen Anwendung finden, in denen der Arbeitgeber eine Abfindung zahle, obwohl seine fristlose Kündigung rechtswirksam geworden sei. Werde jedoch, wie hier, eine Abfindung nur deshalb gezahlt, um einen Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durchführen zu müssen, könne das Ruhen nach § 117 Abs. 2 AFG nicht davon abhängen, ob sich vielleicht ein wichtiger Kündigungsgrund finde. Für die zur Erfüllung des Prozeßvergleichs gezahlte Abfindung gelte § 117 Abs. 2 Satz 1 AFG mit der Folge, daß die Abfindung in dem sich aus § 117 Abs. 3 AFG ergebenden Umfang der Ablösung sozialer Besitzstände diene und der restliche: Abfindungsbetrag wie Arbeitsentgelt zur Anrechnung führe.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 117 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AFG. Zur Begründung führt sie im Ergebnis aus: Nach dem eindeutigen Wortlaut der genannten Vorschrift komme es für die darin enthaltene Begrenzung der Ruhenswirkung nur darauf an, ob der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grunde hätte kündigen können. Dies habe das SG zutreffend angenommen. Auch die Beklagte sei in ihrem Sperrzeitbescheid vom 10. März 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 1978 hiervon ausgegangen. Das LSG habe es wegen seiner unzutreffenden Rechtsansicht zum Anwendungsbereich des § 117 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AFG zu Unrecht unterlassen, insoweit ausreichende tatsächliche Feststellungen zu treffen. Ergänzend weist die Klägerin auf das Urteil des Senats vom 17. März 1981 – 7 RAr 16/80 – hin.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Februar 1980 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf das ihrer Meinung nach zutreffende Urteil des LSG. Im übrigen habe ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung durch die Arbeitgeberin der Klägerin nicht vorgelegen.
Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß über die Revision durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Dies folgt allerdings nicht schon daraus, daß es dem angefochtenen Urteil überhaupt an verwertbaren Pest Stellungen mangelt, weil zwischen dem Tag der Verkündung des Urteils und der Zustellung des schriftlich abgesetzten Urteils etwas mehr als sechs Monate verstrichen sind. Wie der Senat bereits entschieden hat, reicht eine solche Verzögerung noch nicht aus, von Amts wegen davon ausgehen zu müssen, daß das Urteil im Rechtssinne nicht mit Gründen versehen sei und damit gem § 202 SGG, § 551 Nr. 7 der Zivilprozeßordnung (ZPO) als auf einer Verletzung der Gesetze beruhend angesehen werden müsse (Urteil vom 18. März 1982 – 7 RAr 46/81 –).
Es fehlt jedoch aus anderen Gründen an ausreichenden Feststellungen des LSG für eine abschließende Entscheidung des Senats. Den vorhandenen Feststellungen ist zwar zu entnehmen, daß wegen der der Klägerin zustehenden Abfindung die Voraussetzungen für ein Ruhen des Anspruchs auf Alg gem § 117 Abs. 2 AFG erfüllt sind. Danach hat die Klägerin diese Abfindung wegen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses erhalten, ohne daß dabei die in Betracht kommende ordentliche Kündigungsfrist eingehalten worden ist. Das LSG hat jedoch den rechtlichen Inhalt des § 117 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AFG verkannt, der hier in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des AFG vom 12. Dezember 1977 (BGBl I 2557 – 4. AFG-ÄndG –) anzuwenden ist. Es hat deshalb zu Unrecht die für die Anwendung dieser Vorschrift erforderlichen tatrichterlichen Feststellungen unterlassen.
Nach dieser Vorschrift wird ein nach § 117 Abs. 2 AFG wirksames Ruhen des Anspruchs zeitlich in der Weise begrenzt, daß der Anspruch auf Alg nicht über den Tag hinaus ruht, an dem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist hätte kündigen können. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift kommt es für ihre Anwendung nicht darauf an, ob das Arbeitsverhältnis durch Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist beendet worden ist oder ob überhaupt eine derartige Kündigung Seitens des Arbeitgebers ausgesprochen wurde. Zu dieser Vorschrift, die auf die Erwägung zurückgeht, daß beim Vorliegen eines Rechts zur fristlosen Kündigung eine dennoch gezahlte Abfindung allein der Entschädigung für den Verlust des sozialen Besitzstandes dient, hat der Senat bereits entschieden, daß ihre Anwendung nicht entfällt, wenn – wie auch hier – die Parteien des Arbeitsvertrages sich nach erfolgter außerordentlicher Kündigung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vergleich verständigt haben. Ein Vergleich ist in solchen Fällen allenfalls ein Indiz dafür, daß ein (eindeutiger) Grund zur fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu diesem Zeitpunkt nicht vorlag; er begründet jedoch entgegen der Auffassung des LSG nicht die jede weitere Ermittlung und Prüfung entbehrlich machende Vermutung, ein außerordentliches Kündigungsrecht habe nicht vorgelegen. Vielmehr besteht ungeachtet dessen der Zwang zur Prüfung dieser Frage nach materiellem Recht, wenn sich der Arbeitslose, wie hier die Klägerin, auf das Vorliegen eines außerordentlichen Kündigungsrechts beruft (vgl. Urteil vom 17. Februar 1981 – 7 RAr 94/79 – SozR 4100 § 117 Nr. 5). Der Senat hält an dieser aus Wortlaut, Zweck und verlautbarter Absicht des Gesetzgebers gefolgerten Auffassung zum Inhalt des § 117 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AFG fest, die er auch im Urteil vom 17. März 1981 – 7 RAr 16/80 – bereits bestätigt hat (vgl. SozR 1700 § 31 Nr. 1, insoweit allerdings nicht abgedruckt). Das vom LSG beanstandete Verhalten der Klägerin, nämlich vor dem Arbeitsgericht das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes zu bestreiten, sich im anhängigen Verfahren hierauf aber zu berufen, hat, wie immer man dazu stehen mag, auf die Anwendbarkeit des § 117 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AFG keinen Einfluß; denn es ist für die nach den Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts maßgebliche Frage, ob dem Arbeitgeber ein Recht zur vorzeitigen Kündigung aus wichtigem Grunde zur Seite gestanden hat, ohne Bedeutung. Ebenso vermag der Senat die Auffassung des LSG nicht zu teilen, § 117 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AFG sei in solchen Fällen deshalb nicht anzuwenden, weil dies sonst zu einer nicht erwünschten Erörterung und Überprüfung der arbeitsrechtlichen Vorgänge führte, die Beteiligten zu einem demgegenüber gegensätzlichen – möglicherweise mißbräuchlichen – Verhalten veranlaßte und letztlich solche Arbeitslose bevorzuge, die von ihrem Arbeitgeber mehr Geld erhalten hätten, als ihnen nach Hecht und Billigkeit zustehe. Dies sind rechtspolitische Erwägungen, die den Richter nicht berechtigen, gegen das Gesetz zu entscheiden, wenn sie den Gesetzgeber trotz ihrer Offenkundigkeit nicht veranlaßt haben, von der Bestimmung abzusehen (vgl. dazu das schon erwähnte Urteil des Senats vom 17. Februar 1981 – 7 RAr 94/79 –).
Ob die Arbeitgeberin einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung der Klägerin gehabt hatte, hat das LSG unentschieden gelassen. Die Feststellung, Würdigung und Abwägung aller hierfür maßgeblichen Umstände ist zunächst Aufgabe des Tatsachengerichts. Da es hieran fehlt, kann der Senat die Entscheidung des LSG, daß der Klägerin Alg ab 30. Januar 1978 bis 30. März 1978 nicht zu zahlen sei, nicht bestätigen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen