Leitsatz (amtlich)

Beitragserstattungen nach RVO § 1303 sind "einmalige Leistungen" im Sinne von SGG § 144 Abs 1 Nr 1; die Berufung ist daher bei Streit über solche Ansprüche ausgeschlossen. SGG § 149 findet keine Anwendung.

 

Normenkette

SGG § 144 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 149 S. 2 Fassung: 1953-09-03, § 149 Hs. 2 Fassung: 1958-08-23; RVO § 1303 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. April 1958 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin hat von September 1951 bis Juli 1954 Beiträge zur Invalidenversicherung geleistet. Am 27. August 1954 hat sie geheiratet, nachdem sie kurze Zeit vorher ihre versicherungspflichtige Beschäftigung aufgegeben hatte. Im Juli 1957 hat sie Erstattung der Hälfte ihrer Beiträge beantragt. Die Beklagte hat dies mit Bescheid vom 26. August 1957 abgelehnt, weil die Klägerin bereits 1954 aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeschieden sei und vor dem 1. Januar 1957 geheiratet habe. Auf ihre Klage hat das Sozialgericht (SG.) die Beklagte durch Urteil vom 13. Dezember 1957 zur Erstattung der Hälfte der Beiträge in Höhe von 175,50 DM verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG.) durch Urteil vom 30. April 1958 - unter Zulassung der Revision - als unzulässig verworfen: Das Rechtsmittel sei nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen, da es sich bei den Erstattungsansprüchen nach § 1303 der Reichsversicherungsordnung (RVO) n. F. um eine Versicherungsleistung handele; § 149 SGG sei nicht anwendbar, diese Vorschrift beziehe sich nur auf die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge.

Gegen das am 3. Juni 1958 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. Juli 1958 die vorliegende Revision eingelegt und begründet. Sie wendet sich gegen die Anwendung des § 144 SGG. Nach ihrer Ansicht betrifft zwar der Erstattungsanspruch der Klägerin eine einmalige Leistung, jedoch findet hier die Sondervorschrift des § 149 Satz 2 Anwendung, da schon nach dem Wortlaut des Gesetzes unter Rückerstattung von Beiträgen auch die Erstattung zu Recht geleisteter, nicht nur die zu Unrecht entrichteter Beiträge gemeint sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG. Niedersachsen vom 30. April 1958 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.

Die Klägerin hat keine Erklärung abgegeben.

II.

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht begründet, da das LSG. zutreffend die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen hat.

Der von der Klägerin verfolgte Anspruch betrifft, wie das LSG. zutreffend entschieden hat, eine Beitragserstattung nach § 1303 RVO n. F., da die Klägerin vor dem 1. Januar 1957 geheiratet hat und ihr deshalb wegen Art. 2 § 28 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) kein Anspruch nach § 1304 RVO n. F. zusteht. Die "Beitragserstattung" nach § 1303 RVO n. F. ist - wie auch die nach § 1304 RVO n. F. - eine Regelleistung des Versicherungsträgers (vgl. § 1235 Nr. 4 RVO n. F.) und damit keine Rückforderung zu Unrecht geleisteter Beiträge. Auch wenn es sich hier um eine anteilige Rückvergütung von Beiträgen handelt, die im Laufe mehrerer Jahre entrichtet wurden, so hat diese Erstattung doch den Charakter einer einmaligen Versicherungsleistung, bei der nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Berufung ausgeschlossen ist. Dagegen ist § 149 SGG hier nicht anwendbar, da sich diese Vorschrift nur auf die Rückerstattung zu Unrecht geleisteter Beiträge bezieht.

Zwar ist der Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig. § 149 SGG spricht schlechthin von der Rückerstattung von Beiträgen, womit die Rückvergütung von Beiträgen aller Art gemeint sein könnte. Die Sozialversicherungsgesetze haben ursprünglich zwischen der Rückerstattung und der Erstattung von Beiträgen unterschieden. Dabei wurde das Wort "Rückerstattung" oder "Rückforderung" hauptsächlich bei der Rückgewähr zu Unrecht oder irrtümlich geleisteter Beiträge verwandt (vgl. § 190 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - a. F., § 131 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKnG - i. Verbdg. mit §§ 1445 c, 1446 RVO a. F.); die Rückgewähr zu Recht geleisteter Beiträge hieß "Erstattung" (vgl. § 1309 a RVO a. F., §§ 46, 47 AVG a. F.). Diese Unterscheidung ist jedoch nicht immer durchgehalten worden (vgl. §§ 1445 b, 1445 c RVO a. F., §§ 397 Abs. 2, 460 Abs. 2 RVO, § 165 a des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG - a. F., § 169 AVAVG n. F.). Für das Gebiet der Rentenversicherung haben die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze nunmehr eine einheitliche Begriffsbestimmung gebracht; sie bezeichnen die Rückgewähr zu Recht entrichteter Beiträge mit "Erstattung" (vgl. z. B. §§ 1303, 1304, 1425 RVO n. F., §§ 82, 83, 147 AVG n. F., §§ 95, 96 RKnG n. F.), während bei der Rückgewähr von zu Unrecht geleisteten Beiträgen die Ausdrücke "Rückforderung" und "Rückzahlung" gebraucht werden. Dieser Neuordnung in der Rentenversicherung hat allerdings die neue Fassung des § 149 SGG im Zweiten Änderungsgesetz zum SGG keine Rechnung getragen. Aus dem Wortlaut kann sonach kein sicherer Anhaltspunkt für die Anwendung des § 144 einer- oder des § 149 SGG andererseits gefunden werden.

Jedoch ergibt sich die Lösung aus der Systematik des SGG in §§ 143 ff. Zunächst besagt § 143 SGG, daß grundsätzlich gegen die Urteile der Sozialgerichte die Berufung gegeben ist. Hiervon werden in den §§ 144 bis 148 eine Reihe von Ausnahmen für Ansprüche auf Leistungen aus den verschiedenen Gebieten der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Kriegsopferversorgung gemacht, also für Ansprüche gegen den Versicherungsträger auf Leistungen aus dem Versicherungsverhältnis und für ähnliche Leistungsansprüche aus der Kriegsopferversorgung. Weitere Berufungsausschließungsgründe enthält der § 149 SGG für andere Ansprüche, die keine Leistungen darstellen und demgemäß nicht durch die vorhergehenden Paragraphen erfaßt werden: Ersatz- und Erstattungsstreitigkeiten zwischen Behörden oder Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, Streitigkeiten wegen Rückerstattung von Leistungen sowie Streitigkeiten wegen Rückerstattung von Beiträgen. Da aber die Ansprüche nach §§ 1303, 1304 RVO n. F. Leistungen aus dem Versicherungsverhältnis betreffen, auf die der Versicherte bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen Anspruch hat, sind sie bereits durch § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG erfaßt, sie können deshalb nicht auch unter § 149 SGG fallen; es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber eine Berufung, die nach der Art des geltend gemachten Anspruchs nach § 144 SGG ausgeschlossen ist, entgegen der Systematik des Gesetzes auf dem Umwege über § 149 SGG wieder zulassen wollte. So gesehen kann sich § 149 SGG, soweit er Streitigkeiten wegen Rückerstattung von Beiträgen betrifft, nur auf Ansprüche auf Rückerstattung zu Unrecht geleisteter Beiträge beziehen.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 186

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