Leitsatz (amtlich)

Der RAM-Erl vom 1944-10-24 über die Nichtanrechnung von Mehrarbeitsvergütungen auf den Jahresarbeitsverdienst ist auch nach dem Inkrafttreten des AnVNG rechtsgültig geblieben (Ergänzung zu BSG 1962-10-26 3 RK 47/58 = BSGE 18, 65).

 

Normenkette

RVO § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1956-06-12; RAMErl 1944-10-24; AVG § 5 Fassung: 1957-02-23; AnVNG

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. März 1964 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger, Inhaber einer Fahrschule, wendet sich gegen die Nachforderung von Beiträgen zur Angestelltenversicherung (AV) und zur Arbeitslosenversicherung (ArblV) für die beigeladenen neun Fahrlehrer. Diese waren in den Jahren 1958 bis 1960 während jeweils unterschiedlicher Zeiten bei ihm beschäftigt. Als Entgelt erhielten sie - neben einem monatlichen Festgehalt von 200 DM oder im Falle des Beigeladenen H von 250 DM - für jede Fahrstunde, die regelmäßig 45 Minuten dauerte 3,50 DM; außerdem durften sie die vom Kläger gestellten Übungsfahrzeuge in ihrer Freizeit, am Wochenende und im Urlaub unentgeltlich benutzen.

Mit diesen Bar- und Sachbezügen überschritten sie nach Ansicht der beteiligten Versicherungsträger nicht die seinerzeit gültige Versicherungspflichtgrenze in der AV und ArblV von jährlich 15.000 DM (= 1.250 DM monatlich). Die für die Fahrstunden erhaltene Vergütung sei nämlich nur insoweit auf den regelmäßigen Jahresarbeitsverdienst (JAV) anzurechnen, als sie nicht für eine "über die regelmäßige Arbeitszeit von 48 Wochenstunden hinaus geleistete Mehrarbeit" gewährt worden sei (Erlaß des Reichsarbeitsministers - RAM - vom 24. Oktober 1944, AN II 302, Abs. 2). Da die Beigeladenen während ihrer regelmäßigen Arbeitszeit höchstens 60 Fahrstunden hätten abhalten können, sei nur die darauf entfallende Vergütung von 210 DM in der Woche oder 910 DM im Monat auf ihren JAV anrechenbar. Zusammen mit dem Fixum von 200 DM und dem Wert der unentgeltlichen Benutzung der Übungsfahrzeuge, der monatlich mit 100 DM anzusetzen sei, werde die JAV-Grenze nicht erreicht. Das gelte auch für den Beigeladenen H, der zwar ein höheres Fixum erhalten, andererseits aber entsprechend weniger Fahrstunden erteilt habe. Die beklagte Krankenkasse hat demgemäß alle beigeladenen Fahrlehrer während ihrer Beschäftigung beim Kläger in den Jahren 1958 bis 1960 für angestellten- und arbeitslosenversicherungspflichtig gehalten und für die Zeit bis August 1960 Beiträge von insgesamt 9.679,48 DM nachgefordert (Bescheid vom 27. September 1960 und Widerspruchsbescheid vom 25. November 1960).

Der Kläger, der den genannten Erlaß des RAM für den streitigen Zeitraum nicht mehr für anwendbar hält, ist vom Sozialgericht (SG) mit der Klage abgewiesen worden (Urteil vom 22. Mai 1962). Auch seine Berufung ist erfolglos geblieben. Nach Ansicht des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) ist mit dem Bundessozialgericht (BSG 18, 65) von der Fortgeltung des genannten Erlasses auszugehen; auch die darin genannte Zahl von 48 Wochenstunden sei - trotz veränderter Verhältnisse - weiterhin als regelmäßige Arbeitszeit zugrunde zu legen. Innerhalb dieser Zeit hätten die beigeladenen Fahrlehrer keinesfalls mehr als 60 Fahrstunden abhalten können. Mit dem darauf entfallenden Verdienst, ihrem monatlichen Fixum und der höchstens mit 100 DM zu bewertenden privaten Nutzung der Übungsfahrzeuge hätten sie die JAV-Grenze nicht überschritten (Urteil vom 13. März 1964).

Der Kläger hat gegen dieses Urteil die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und gerügt, das LSG habe den fraglichen Erlaß zu Unrecht angewendet. Das Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) vom Jahre 1957 habe die Bestimmungen des Erlasses in den §§ 4 f AVG nicht übernommen, auch enthalte es keine - dem Art. 80 des Grundgesetzes (GG) entsprechende - Ermächtigung zur Schaffung einer gleichartigen Regelung. Seit dem Inkrafttreten des AnVNG sei der Erlaß deshalb nicht mehr anwendbar. Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 13. März 1964, das Urteil des Sozialgerichts (SG) München vom 22. Mai 1962 und den Bescheid der Beklagten vom 27. September 1960 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1960 aufzuheben.

Die beteiligten Versicherungsträger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Nach Ansicht der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte wäre es allerdings richtiger, nicht mehr von einer regelmäßigen Arbeitszeit von 48 Wochenstunden auszugehen, sondern die im Einzelfall jeweils gültige normale wöchentliche Arbeitszeit zugrunde zu legen. Diese Auffassung hatte früher auch die beklagte Krankenkasse vertreten und in den angefochtenen Bescheiden 45 Wochenstunden als regelmäßige Arbeitszeit angesehen.

Die beigeladenen Fahrlehrer haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Das LSG hat die beigeladenen Fahrlehrer, die in den Jahren 1958 bis 1960 vom Kläger beschäftigt wurden, mit Recht als versicherungs- und deshalb beitragspflichtig in der AV und ArblV angesehen. Ihr regelmäßiger JAV überschritt nicht die seinerzeit für diese Versicherungszweige gültige Grenze von 15.000 DM jährlich oder 1.250 DM monatlich (§ 5 Abs. 1 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - i.d.F. des AnVNG; § 56 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG - i.d.F. der Bekanntmachung vom 3. April 1957, BGBl I 321, 706, und des Änderungsgesetzes vom 27. Juli 1957, BGBl I 1069). Die Vergütung, die die Beigeladenen für den von ihnen erteilten Fahrunterricht erhielten, war nur zum Teil - soweit sie nicht für Mehrarbeit im Sinne des RAM-Erlasses vom 24. Oktober 1944 gewährt wurde - auf den JAV anzurechnen.

Der genannte Erlaß ist, wie der Senat in BSG 18, 65 entschieden und näher begründet hat, als Rechtsverordnung wirksam zustandegekommen und auch nach dem Kriege anwendbar geblieben. Daran hat - entgegen der Ansicht des Klägers - des AnVNG vom 23. Februar 1957 nichts geändert.

Dieses hat zwar die JAV-Grenze von bisher 9.000 DM jährlich mit Wirkung vom 1. März 1957 auf 15.000 DM erhöht und die Vorschriften über die JAV-Grenze neu gefaßt (§ 4 Abs. 1 Nr. 1, § 5 AVG nF, Art. 3 § 7 AnVNG). Inhaltlich hat es jedoch den Begriff des JAV unverändert aus dem bisherigen Recht übernommen. Das gilt insbesondere für die Frage, welche Bezüge ausnahmsweise nicht zum regelmäßigen JAV gehören. Diese Frage war vor dem Inkrafttreten des AnVNG nur teilweise durch eine förmliche Gesetzesvorschrift geregelt, nämlich nur für Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden (§ 3 Satz 2 AVG aF, § 1 Abs. 6 AVG i.V.m. § 165 Abs. 4 RVO, beide in der Fassung der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945, RGBl I S. 41). Insoweit hat auch das AnVNG - unter wörtlicher Wiederholung der früheren Vorschriften - eine gesetzliche Regelung getroffen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 AVG). Soweit die Nichtanrechnung von Bezügen dagegen bisher anders als in gesetzlicher Form geregelt war, wie insbesondere für die hier fraglichen Mehrarbeitsvergütungen durch den RAM-Erlaß vom 24. Oktober 1944, hat es das AnVNG dabei bewenden lassen; es hat den genannten Erlaß in Art. 3 § 2 weder ausdrücklich noch stillschweigend aufgehoben (ähnliches gilt für den RAM-Erlaß vom 6. Januar 1943 über die Nichtanrechnung bestimmter Weihnachtszuwendungen auf den JAV, AN 1943, S. 6; vgl. dazu BSG 6, 204; 24, 262; 26, 117). Anscheinend hat bei der parlamentarischen Beratung des AnVNG die Zeit gefehlt, um die erst in der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs wieder eingefügte Vorschrift über eine JAV-Grenze in der AV in eine neue gesetzliche Form zu bringen und dabei auch die bestehenden Erlaßregelungen miteinzubeziehen (vgl. zu Bundestagsdrucksache 3080, 2. Wahlperiode, S. 30 f).

Ob dieser Zustand auf die Dauer befriedigt, kann dahinstehen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Fortgeltung der genannten RAM-Erlasse, auch gegenüber den durch das AnVNG neugefaßten Bestimmungen über die JAV-Grenze, sind jedenfalls nicht begründet. Die formellen Vorschriften des GG über den Erlaß von Rechtsverordnungen (Art. 80 GG) beziehen sich, entgegen der Ansicht des Klägers, nur auf nachkonstitutionelles Recht, lassen mithin die Fortgeltung der genannten Erlasse unberührt (vgl. Leibholz-Rinck, Grundgesetz, 2. Aufl., Einführung S. 20 ff). Ob der RAM-Erlaß vom 24. Oktober 1944 auch insoweit fortgilt, als danach als regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 48 Stunden zugrunde zu legen sind, hat der Senat nicht zu entscheiden brauchen. Wäre die Frage mit dem LSG zu bejahen, so hätten die beigeladenen Fahrlehrer innerhalb ihrer regelmäßigen Arbeitszeit von dann 48 Wochenstunden nach den unangefochtenen Feststellungen des LSG höchstens 60 Fahrstunden von je 45 Minuten Dauer abhalten können. Wäre dagegen für den streitigen Zeitraum (1958 bis 1960) von einer regelmäßigen Arbeitszeit von weniger als 48 Wochenstunden auszugehen - das SG hat 45 Wochenstunden als regelmäßige Arbeitszeit in Fahrschulen angesehen -, so würden entsprechend weniger Fahrstunden auf die regelmäßige Wochenarbeitszeit entfallen. Die beigeladenen Fahrlehrer hätten somit, auch wenn der genannte Erlaß in seiner ursprünglichen Fassung weiter anzuwenden ist, wofür vieles spricht, innerhalb ihrer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit im günstigsten Fall 60 Fahrstunden abhalten, also einen regelmäßigen Verdienst von 210 DM wöchentlich oder 910 DM monatlich erzielen können. Mit diesem Verdienst blieben sie aber auch bei Hinzurechnung ihres monatlichen Festgehalts und des Wertes der unentgeltlichen privaten Nutzung der Übungsfahrzeuge (vgl. dazu BFH in Bundessteuerblatt 1963, Teil III, S. 387) unter der damaligen JAV-Grenze von monatlich 1250 DM in der AV und ArblV. Die Beitragsnachforderung der beklagten Krankenkasse besteht hiernach zu Recht, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben. Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI927528

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