Entscheidungsstichwort (Thema)
Zusatzversorgungssystem. Besitzgeschützter Zahlbetrag. Versorgungsfall. Revisionsbegründung
Leitsatz (amtlich)
§ 4 Abs. 4 AAÜG ist nur dann anwendbar, wenn nach den leistungsrechtlichen Bestimmungen des Versorgungssystems der Versorgungsfall bis zum 30. 06. 1995 eingetreten wäre.
Normenkette
AAÜG § 4 Abs. 4; SGB X § 44 Abs. 1-2; SGG § 54 Abs. 1, 4, § 164 Abs. 2 S. 3; EV Nr. 9b S. 5; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. August 2004 wird als unzulässig verworfen, soweit dieser die Rücknahme der bisherigen Rentenhöchstwertfestsetzung und Neufeststellung des Rentenhöchstwerts unter Anrechnung höherer Rangstellenwerte für die Jahre 1991, 1993 und 1994 begehrt.
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der am 12. Juni 1932 geborene Kläger begehrt die Rücknahme der bisherigen bestandskräftigen Rentenhöchstwertfestsetzung und die Neufeststellung eines höheren Werts seines Rechts auf Altersrente (wegen Arbeitslosigkeit) ab dem 1. Januar 1995 unter Zugrundelegung eines durch den Einigungsvertrag (EV) “besitzgeschützten Zahlbetrages” oder eines “weiterzuzahlenden Betrages” nach § 4 Abs 4 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) sowie unter Anrechnung höherer Rangstellenwerte (Entgeltpunkte – EP) für die in den Jahren 1991, 1993 und 1994 erzielten beitragspflichtigen Einkommen unter Hochrechnung auf “West-Entgelte” im Verhältnis der jeweiligen Werte der Anlage 2 zu den Werten der Anlage 2a zum Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Der Kläger war in der DDR als Hochschuldozent in die zusätzliche Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR (AVIwiss) einbezogen worden (Urkunde vom 23. Februar 1972). Seit 1978 war er ordentlicher Professor an der H…-Universität zu B…. Dieses Beschäftigungsverhältnis endete am 31. Dezember 1992. Ab 1. Januar 1993 bezog der Kläger Altersübergangsgeld.
Die Beklagte erkannte dem Kläger antragsgemäß ein Recht auf Altersrente (wegen Arbeitslosigkeit) zu (Bescheid vom 30. Mai 1995). Den monatlichen Wert dieses Rechts bei Rentenbeginn am 1. Januar 1995 setzte sie auf der Grundlage der Vorschriften des SGB VI auf DM 2.474,32 fest.
Den Antrag des Klägers vom 8. März 2001, die bestandskräftige Rentenhöchstwertfestsetzung im Bescheid vom 30. Mai 1995 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für Bezugszeiten ab 1. Januar 1995 zurückzunehmen und für die Zeit ab 1. Januar 1995 einen höheren Wert seines Rechts auf Altersrente unter Zugrundelegung eines durch den EV “besitzgeschützten Zahlbetrages” oder eines “weiterzuzahlenden Betrages” sowie höherer Rangstellenwerte (EP) für die Jahre 1991, 1993 und 1994 neu festzustellen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2002 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 11. November 2002). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 23. August 2004) und ua ausgeführt:
Der Kläger könne von der Beklagten nicht verlangen, den “Rentenbescheid” teilweise zurückzunehmen und “im Wege der Überprüfung nach § 44 SGB X höhere Altersrente zu gewähren”. Denn der Kläger habe keinen Anspruch auf eine “Besitzschutzrente” nach § 4 Abs 4 AAÜG idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-ÄndG) vom 27. Juli 2001 (BGBl I 1939). Er sei zwar in der DDR in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen worden und habe am 18. Mai 1990 seinen Wohnsitz bzw gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet gehabt. Er hätte jedoch, wenn die Regelungen der Versorgungssysteme weiter anzuwenden gewesen wären, im maßgeblichen Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis 30. Juni 1995 keinen Anspruch aus dem Versorgungssystem gehabt, weil er einen Anspruch auf Zusatzversorgung ebenso wie einen Rentenanspruch aus der Sozialversicherung der DDR erst nach Ablauf dieses Zeitraums mit Vollendung des 65. Lebensjahres erworben hätte. Nach dem Rentenrecht der DDR habe es keine vorgezogenen Altersrenten und Versorgungen gegeben. Auf eine etwaige außergesetzliche Verwaltungspraxis in der DDR komme es nicht an. Nach Sinn und Zweck des § 4 Abs 4 Satz 2 AAÜG könnten in den Genuss eines Besitzschutzes nur diejenigen Zusatzversorgten gelangen, die in dem Übergangszeitraum einen Renten- und Versorgungsanspruch nach DDR-Recht erworben hätten. Nach DDR-Recht hätte der Kläger einen Anspruch auf Altersrente und Zusatzversorgung erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres im Juni 1997 erworben.
Der Kläger habe auch kein Recht auf Berücksichtigung höherer EP für die Jahre 1991, 1993 und 1994. Die Beklagte habe die EP zutreffend nach § 256a SGB VI iVm Anlage 10 ermittelt. Für die Ansicht des Klägers, die Umrechnungswerte der Anlage 10 seien zu gering, weil sie nicht dem Quotienten aus “Beitragsbemessungsgrenze (West)” und “Beitragsbemessungsgrenze (Ost)” entsprächen, gebe es keine rechtliche Grundlage. Zu Unrecht berufe sich der Kläger für seine gegenteilige Ansicht auf § 275a SGB VI.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung von § 4 Abs 4 Satz 2 AAÜG iVm Anlage II Kap VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9 Buchst b Satz 5 EV (EV Nr 9 Buchst b Satz 5). Das LSG habe seine Ansicht, in den Genuss eines Besitzschutzes gelangten nur diejenigen, die im Übergangszeitraum einen Renten- und Versorgungsanspruch nach DDR-Recht erworben hätten, nicht weiter unterlegt. Anzuknüpfen sei, wie sich aus den Feststellungen des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 26. Oktober 2004 ergebe, an das Überführungsprogramm des EV. Dort werde auf die Leistungsberechtigung abgestellt. Aus dem ursprünglichen Versorgungsverhältnis sei zum 1. Januar 1992 ein rentenversicherungsrechtliches Leistungsverhältnis nach Bundesrecht geworden. Die Erstarkung des Anwartschaftsrechts zum Vollrecht vollziehe sich auf der Grundlage von Bundesrecht. Nach § 4 Abs 4 Satz 1 AAÜG müssten drei Voraussetzungen erfüllt sein: Wohnsitz des Berechtigten am 18. Mai 1990 im späteren Beitrittsgebiet; Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem (hier zur AVIwiss); Beginn einer Rente nach dem SGB VI bis 30. Juni 1995. Diese lägen hier vor. Des Weiteren bestimme § 4 Abs 4 Satz 2 AAÜG, dass der Berechtigte einen Anspruch hätte haben müssen, wenn die Regelungen des Versorgungssystems weiter anzuwenden gewesen wären. Durch diese Bestimmung hätte der durch den EV garantierte Bestandsschutz gewahrt werden sollen. Für die Erfüllung der letztgenannten Voraussetzung könne nur auf eine Altersrente- oder Invalidenrente nach dem SGB VI abgestellt werden. Dabei könne es nicht auf eine bestimmte Altersrente ankommen, denn jede Altersrente führe zum Ausscheiden aus dem aktiven Arbeitsleben mit der Folge, dass für den Betroffenen keine Möglichkeit mehr bestehe, seine Altersversorgung günstig zu beeinflussen. Das Urteil des LSG verstoße auch gegen das Grundgesetz (GG), denn der Garantiebetrag des EV Nr 9 Buchst b Satz 5 stehe unter dem Schutz des Art 14 Abs 1 Satz 1 GG. Zudem sei auch Art 3 Abs 1 GG verletzt, denn Bezieher von Regelaltersrente und Bezieher von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit würden ohne hinreichenden Grund unterschiedlich behandelt. Das LSG habe den durch den EV garantierten Zahlbetrag auch von der Dynamisierung ausgeschlossen. Dies widerspreche der verfassungskonformen Auslegung der Systementscheidung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). § 4 Abs 4 Satz 5 AAÜG sei mithin verfassungswidrig. Die Dynamisierung des garantierten Zahlbetrages müsse in gleicher Weise erfolgen wie bei den Rentnern des Beitrittgebiets, die nur Ansprüche aus der Sozialpflichtversicherung und der freiwilligen Zusatzrentenversicherung geltend machen könnten.
Auch die Differenz zwischen den in den neuen und den alten Ländern erreichbaren EP sei mit Art 3 Abs 1 GG nicht vereinbar, denn dafür seien keine sachlichen Gründe ersichtlich. Er beanspruche deshalb für das Jahr 1991 die volle EP-Zahl, wie sie in den alten Ländern erreichbar gewesen sei, und für die Jahre 1993 und 1994 die sich für ihn aus dem Verhältnis der Anlage 2 zur Anlage 2a ergebende EP-Zahl.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. August 2004, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 2002 sowie die ablehnende Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 27. September 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2002 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verpflichten, die Rentenhöchstwertfestsetzung im Bescheid vom 30. Mai 1995 für Bezugszeiten ab 1. Januar 1995 zurückzunehmen,
3. die Beklagte zu verpflichten, den monatlichen Wert des Rechts auf Altersrente für die Zeit ab 1. Januar 1995 mit folgenden Maßgaben neu festzustellen: Der Gesamtanspruch auf Rente und Altersversorgung der Intelligenz ergibt sich aus § 4 Abs 4 Satz 1 AAÜG und ist zum 31. Dezember 1991 um 6,84 % zu erhöhen, ab 1. Januar 1992 zu den Anpassungsterminen “Ost” mit den Anpassungsfaktoren “Ost” zu dynamisieren und ab 1. Mai 1999 unter weiterer regelmäßiger Anpassung zu gewähren, soweit er die Rente nach dem SGB VI übersteigt; ferner sind für die in den Jahren 1991, 1993 und 1994 erzielten beitragspflichtigen Einkommen Entgeltpunkte unter Hochrechnung auf “West-Entgelte” im Verhältnis der jeweiligen Werte der Anlage 2 zu den Werten der Anlage 2a zum SGB VI zu Grunde zu legen,
4. die Beklagte zu verurteilen, ab 1. Januar 1995 entsprechend höhere Beträge zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen
Sie ist der Auffassung, auf den Kläger sei § 4 Abs 4 AAÜG schlechthin nicht anwendbar, denn einen Anspruch auf Versorgungsleistungen wegen Alters hätte der Kläger nach der Verordnung über die AVIwiss (VO-AVIwiss) erst im Kalendermonat der Vollendung des 65. Lebensjahres erworben, also am 1. Juni 1997. Deshalb könne weder ein statisch “weiterzuzahlender Betrag” noch ein “anzupassender Betrag” iS des § 4 Abs 4 Satz 1 bis 3 AAÜG berücksichtigt werden. Diese Auslegung des § 4 Abs 4 AAÜG bleibe nicht hinter den Vorgaben des EV Nr 9 Buchst b Satz 5 zurück. Danach dürfe bei Personen, die in der Zeit vom 4. Oktober 1990 bis 30. Juni 1995 leistungsberechtigt würden, der für Juli 1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem fiktiv zu erbringende Zahlbetrag nicht unterschritten werden. Nach den Vorstellungen der Partner des EV, die das am 3. Oktober 1990 im Beitrittsgebiet geltende Recht vor Augen gehabt hätten, hätte der Kläger nicht bis zum 30. Juni 1995 “leistungsberechtigt” werden können. Dass dieser Stichtag verfassungsgemäß sei, habe der erkennende Senat bereits im Urteil vom 10. April 2003 – B 4 RA 41/02 R (SozR 4-2600 § 260 Nr 1) unter Bezugnahme auf das Urteil des BVerfG vom 28. April 1999 – 1 BvL 32/95 (BVerfGE 100, 1 = SozR 3-8570 § 10 Nr 3) festgestellt. Soweit der Kläger höhere EP für die Jahre 1991, 1993 und 1994 begehre, genüge die Revision nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und sei deshalb insoweit unzulässig.
Entscheidungsgründe
II
1. Die Revision des Klägers ist – wie die Beklagte zutreffend rügt – unzulässig, soweit der Kläger mit der Revision die Rücknahme der bisherigen bestandskräftigen Rentenhöchstwertfestsetzung und die Neufeststellung des Rentenhöchstwerts unter Anrechnung höherer Rangstellenwerte (Summe der EP) für die in den Jahren 1991, 1993 und 1994 erzielten beitragspflichtigen Einkommen unter Hochrechnung auf “West-Entgelte” im Verhältnis der jeweiligen Werte der Anlage 2 zu den Werten der Anlage 2a zum SGB VI begehrt. Die Revisionsbegründung genügt, soweit sie in der Begründungsfrist eingereicht wurde, insoweit nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG.
In der Revisionsbegründung muss nach ständiger Rechtsprechung (vgl stellvertr BSG Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 62/02 R, veröffentlicht in JURIS mwN) sorgfältig sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt werden, weshalb die Vorinstanz eine Vorschrift des materiellen Rechts nicht oder nicht richtig angewandt hat. Die Angabe der verletzten Norm ist insoweit notwendig, aber nicht hinreichend. Es ist darzulegen, dass und weshalb die Rechtsansicht der Vorinstanz nicht geteilt wird; dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen geschehen. Die Revisionsbegründung muss sich deshalb – zumindest kurz – mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinander setzen und erkennen lassen, dass und warum das LSG die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Rechts nicht oder nicht richtig angewandt hat.
In der Revisionsbegründung vom 27. Dezember 2004 vertritt der Kläger die Auffassung, das LSG habe die gesetzlichen Bestimmungen zwar zutreffend angewandt, es bestehe jedoch eine Differenz zwischen den in den neuen und alten Ländern erreichbaren EP. Diese Differenz sei mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar, weil es für ihn auf Grund der gesetzlichen Regelungen keine Möglichkeit gebe, die gleiche Höchstzahl an EP zu erreichen wie ein Angestellter in den alten Bundesländern. Dafür seien keine sachlichen Gründe ersichtlich. Demgemäß beanspruche er für das Jahr 1991 die volle EP-Zahl, wie sie in den alten Ländern erreichbar gewesen sei, und für die Jahre 1993 und 1994 die sich für ihn proportional aus dem Verhältnis der Anlage 2 zu der Anlage 2a zum SGB VI ergebende EP-Zahl.
Mit diesem Vorbringen hat er zwar die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Rechts (Art 3 Abs 1 GG) aufgezeigt, jedoch nicht dargetan, dass diese vom LSG nicht oder nicht richtig angewandt worden ist. Der Kläger hat sich insbesondere nicht mit den umfangreichen Ausführungen des LSG zum einfachen Recht und auch nicht mit dessen verfassungsrechtlicher Würdigung auseinander gesetzt. Er hat auch nicht substantiiert aufgezeigt, weshalb die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts durch das LSG ihn in seinem Grundrecht aus Art 3 Abs 1 GG verletzen könnte. Der Hinweis auf die unterschiedlichen Beitragsbemessungsgrenzen in Anlage 2 und Anlage 2a genügt insoweit nicht.
2. Im Übrigen ist die Revision des Klägers unbegründet. Das Urteil des LSG verletzt insoweit Bundesrecht nicht (§ 162 SGG).
a) Gegenstand des zulässigen Teils der Revision ist das Urteil des LSG, mit dem dieses die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen hat. Dieser verfolgt im Revisionsverfahren sein Klagebegehren (§ 123 SGG) vor dem SG und LSG weiter. Er begehrt sinngemäß, erstens die ablehnende Entscheidung der Beklagten über seinen Antrag nach § 44 SGB X im Bescheid vom 27. September 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2002 aufzuheben (Anfechtungsklage), zweitens die Beklagte zu verpflichten, die bisherige bindende Rentenhöchstwertfestsetzung im Bescheid vom 30. Mai 1995 für Bezugszeiten ab 1. Januar 1995 zurückzunehmen (Verpflichtungsklage) und drittens die Beklagte zu verpflichten, für die Zeit ab Januar 1995 einen höheren Wert seines Rechts auf Altersrente unter Zugrundelegung eines dynamisierbaren “besitzgeschützten Zahlbetrages” neu festzustellen sowie viertens die Beklagte zu verurteilen, für diese Zeit entsprechend höhere monatliche Geldbeträge zu zahlen (eine die Verpflichtungsklage auf Neufeststellung konsumierende Leistungsklage). Die Kombination von Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklagen ist zulässig (§ 54 Abs 1 und Abs 4 SGG; vgl auch BSG Urteil vom 10. April 2003 – B 4 RA 56/02 R, SozR 4-1300 § 44 Nr 3 RdNr 8).
b) Die Anfechtungsklage ist unbegründet. Es ist nicht rechtswidrig, dass die Beklagte einen Rücknahmeanspruch des Klägers für Bezugszeiten ab 1. Januar 1995 abgelehnt hat. Denn die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 und 2 SGB X für einen Anspruch auf Rücknahme der bindenden Rentenhöchstwertfestsetzung für das Recht auf Altersrente nach dem SGB VI im Bescheid vom 30. Mai 1995 sind nicht erfüllt, weil die Rentenhöchstwertfestsetzung, deren Rücknahme begehrt wird, im Zeitpunkt ihres Erlasses, dh ihrer Bekanntgabe, nicht rechtswidrig war. Dem Kläger stand jedenfalls sein Recht auf Altersrente nicht in Höhe des durch EV Nr 9 Buchst b Satz 5 iVm § 4 Abs 4 Satz 1 und 2 AAÜG in der damals geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Renten-Überleitungsgesetzes ≪RÜG≫ vom 18. Dezember 1991 (BGBl I 2207) garantierten Zahlbetrages oder des sog “weiterzuzahlenden Betrages” zu, denn § 4 Abs 4 AAÜG war auf ihn nicht anwendbar. Der Geldwert seines Rechts auf Altersrente war nach den allgemeinen Bestimmungen des SGB VI richtig festgestellt.
c) Nach § 44 Abs 1 und 2 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, stets mit Wirkung für die Zukunft und grundsätzlich für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Zu Recht hat die Beklagte im Bescheid vom 30. Mai 1995 den Wert des vom Kläger aus eigenem Entschluss frühzeitig in Anspruch genommenen Rechts auf Altersrente (wegen Arbeitslosigkeit) nicht auf der Grundlage des von EV Nr 9 Buchst b Satz 5 iVm § 4 Abs 4 Satz 1 und 2 AAÜG idF des Gesetzes vom 18. Dezember 1991 garantierten Zahlbetrages oder des “weiterzuzahlenden Betrages” festgestellt, denn diese Zahlbetragsgarantien standen dem Kläger nicht zu, weil die Anwendbarkeitsvoraussetzung des § 4 Abs 4 AAÜG, der Eintritt eines fiktiven Versorgungsfalles vor dem 1. Juli 1995 (Satz 2 aaO), nicht erfüllt war; der Kläger hat sein 65. Lebensjahr erst im Juni 1997 vollendet, ohne vor dem 1. Juli 1995 berufsunfähig geworden zu sein.
d) EV Nr 9 Buchst b, der nur einige der Maßgaben zu den Versorgungssystemen regelte, garantierte im Rahmen der dort ausschließlich geregelten Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen in das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebiets zum 31. Dezember 1991 (dazu grundlegend: BSGE 72, 50, 61 ff = SozR 3-8570 § 10 Nr 1 S 13 ff) den Personen, die am 3. Oktober 1990 aus dem Versorgungssystem “leistungsberechtigt” waren, also irgendein Vollrecht auf eine Versorgung aus einem Versorgungssystem hatten (sog Bestandsrentnern), den vollen Bestandsschutz, nämlich als Mindestbetrag den Zahlbetrag, der für Juli 1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem zu erbringen war (Satz 4). Denjenigen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht aus dem Versorgungssystem “leistungsberechtigt” waren, also nur eine Versorgungsanwartschaft innehatten, und erst ab 4. Oktober 1990 wegen Eintritts des Versorgungsfalls ein Vollrecht auf Versorgungsrente erwerben würden (sog Zugangsrentner), wurde nur ein zeitlich limitierter Bestandsschutz eingeräumt, nämlich nur, wenn sie bis zum 30. Juni 1995 den Versorgungsfall erlitten und deshalb – fiktiv – leistungsberechtigt geworden wären. Auch diesem Personenkreis wurde der Zahlbetrag garantiert, “der für Juli 1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem zu erbringen gewesen wäre, wenn der Versorgungsfall am 1. Juli 1990 eingetreten wäre” (Satz 5). Bei der Überleitung des SGB VI am 1. Januar 1992 auf das Beitrittsgebiet wurde zu Gunsten der Inhaber von überführten Rechten durch § 307b SGB VI (dazu: BSG Urteil vom 26. Oktober 2004 – B 4 RA 27/04 R, SozR 4-2600 § 307b Nr 5) und zuvor bei der Überleitung von Versorgungsanwartschaften in das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebiets durch § 4 Abs 4 AAÜG die Zeitgrenze zwischen den “leistungsberechtigten” Bestandsrentnern und den noch nicht “leistungsberechtigten” Zugangsrentnern der Versorgungssysteme vom 3./4. Oktober 1990 auf den 31. Dezember 1991/1. Januar 1992 verlegt. Dadurch gelangten auch Inhaber einer erst zum 31. Dezember 1991 überführten bloßen Versorgungsanwartschaft zusätzlich und sie nur begünstigend in den erstmals durch das RÜG (1991) geschaffenen Schutz des sog “weiterzuzahlenden Betrages”.
Die als Schranke der im EV der Bundesregierung erteilten Verordnungsermächtigung ausgestaltete Zahlbetragsgarantie des EV Nr 9 Buchst b Satz 5, die dem “besitzgeschützten Zahlbetrag” Eigentumsschutz vermittelt hat (vgl BVerfGE 100, 1, 51 f = SozR 3-8570 § 10 Nr 3), schützte das Vertrauen der “rentennahen” Inhaber einer Versorgungsanwartschaft in den Erhalt des Werts dieser Anwartschaft nach dem im Juli 1990 maßgeblichen Versorgungsrecht der DDR, soweit es nach dem EV zu Bundesrecht wurde, sowie (bei Zusatzversorgten) den Wert der Anwartschaft auf Sozialpflichtversicherungsrente (vgl BSG SozR 3-8570 § 4 Nr 3 S 11 und Nr 4 S 28). Wenn der fiktive Versorgungsfall nach der Versorgungsordnung vor dem 1. Juli 1995 eintritt, wird er so behandelt, als wäre er am 1. Juli 1990 eingetreten. Maßstab für die Höhe des fiktiven Gesamtanspruchs aus Sozialversicherung und Zusatzversorgung sind dann die leistungsrechtlichen Regelungen des am 1. Juli 1990 im Beitrittsgebiet geltenden Rentenversicherungs- und Versorgungsrechts, soweit es am 3. Oktober 1990 zu Bundesrecht wurde. Ausgehend hiervon ist zu prüfen, welche Ansprüche in welcher Höhe dem Berechtigten nach den im Juli 1990 maßgeblichen Bestimmungen zugestanden hätten. Da den Zugangsrentnern nur ein zeitlich limitierter Bestandsschutz garantiert wurde, ist – als Anwendungsvoraussetzung des § 4 Abs 4 AAÜG – stets vorab zu prüfen, ob nach den leistungsrechtlichen Bestimmungen des Versorgungssystems der Versorgungsfall bis zum Ablauf des 30. Juni 1995 eingetreten wäre, also die Versorgungsanwartschaft innerhalb dieses Zeitraums zu einem Vollrecht auf Versorgung erstarkt wäre.
An dieser Rechtslage hat im Übrigen auch das 2. AAÜG-ÄndG verfassungsgemäß nichts rückwirkend geändert. Inhaltlich unverändert blieb insbesondere der – auch vom BVerfG nicht beanstandete – § 4 Abs 4 Satz 2 AAÜG. Danach war und ist – entgegen der Ansicht des Klägers – grundlegende Voraussetzung für die Maßgeblichkeit des “besitzgeschützten Zahlbetrages” oder des “weiterzuzahlenden Betrages”, dass der Berechtigte einen “Anspruch aus dem Versorgungssystem” gehabt hätte, wenn die Regelungen des Versorgungssystems (auch nach dem 30. Dezember 1990 noch) weiter anzuwenden wären; ein Recht auf Rente aus dem SGB VI reicht also nicht. In dem vom Kläger angesprochenen Urteil des BSG vom 31. Juli 2002 (B 4 RA 2/02 R = SozR 3-8570 § 4 Nr 4) hatte der damalige Kläger ab November 1993 Regelaltersrente (wegen Vollendung des 65. Lebensjahres) erhalten, sodass auch der fiktive Versorgungsfall iS von § 4 Abs 4 Satz 2 AAÜG offensichtlich vor dem 1. Juli 1995 vorgelegen hatte.
e) Nach EV und AAÜG stand also dem am 12. Juni 1932 geborenen Kläger, der nicht berufsunfähig geworden war, kein Recht auf einen “besitzgeschützten Zahlbetrag” oder auf einen “weiterzuzahlenden Betrag” zu, denn er hatte bis zum Ablauf des 30. Juni 1995 keinen fiktiven “Anspruch” aus dem Zusatzversorgungssystem nach Nr 4 der Anlage 1 zum AAÜG (AVIwiss), dem er früher (bis zum 31. Oktober 1991) angehört hatte, erworben. Nach § 8 Buchst a der VO-AVIwiss vom 12. Juli 1951 (GBl 675) hätte ihm erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres, also ab dem Zeitpunkt, ab dem ihm auch kraft Gesetzes ein Recht auf Regelaltersrente nach dem SGB VI (wie in BSG SozR 3-8570 § 4 Nr 4 – dort ab November 1993) zustand, hier also im Juni 1997, und damit erst nach Ablauf des zeitlich limitierten Bestandsschutzes ein Recht auf zusätzliche Altersversorgung zugestanden. Aus demselben Grunde stand er auch nicht unter dem Schutz des sog “weiterzuzahlenden Betrages”.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1446002 |
SGb 2005, 582 |