Orientierungssatz
1. Wenn das Gesetz eine "Belehrung" über den Rechtsbehelf vorschreibt, so genügt nicht die bloße Bezeichnung des Rechtsbehelfs; vielmehr entspricht die Rechtsmittelbelehrung, die sich im allgemeinen an rechtsunkundige Personen wendet, nur dann ihrem Zweck, wenn sie die Beteiligten über die für sie wesentlichen Einzelheiten des Rechtsmittels unterrichtet (hier: fehlender Hinweis auf Vertretungszwang).
2. Nach SGG § 103 hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Es hat also zur Feststellung, ob die für das Bestehen oder Nichtbestehen des geltend gemachten Anspruchs erheblichen Tatsachen vorliegen, alle geeigneten und notwendigen Ermittlungen anzustellen.
3. Der persönliche Eindruck des Gerichts von dem Gesundheitszustand eines Rentenbewerbers kann, jedenfalls soweit es sich um die Beurteilung innerer Leiden handelt, nicht maßgebend sein.
Normenkette
SGG § 66 Abs. 1, §§ 103, 162 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 22.07.1954) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 22. Juli 1954 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben; die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Schleswig zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I. Die am 26. September 1903 geborene Klägerin hat am 24. November 1952 bei der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA.) die Gewährung der Invalidenrente beantragt. Der behandelnde Arzt Dr. Sch hatte in einem Befundbericht vom 22. November 1952 angegeben, daß er die Klägerin seit etwa 2 Jahren wegen nervöser Beschwerden und stenokardischer Anfälle behandele und daß sie an Myocardschwäche (Herzmuskelschwäche), Stenokardie (Herzbräune), Lungenstauung, Arthrosis im linken Knie, Adipositas (Fettleibigkeit) und Verbrauchtseinserscheinungen leide. Der von der beklagten LVA. gehörte Facharzt für innere Krankheiten Dr. R hatte in seinem Gutachten vom 29. Januar 1953 zum Ausdruck gebracht, daß die Klägerin an einem kompensierten Herzschaden und an Beschwerden des Klimakteriums leide, aber noch leichte Arbeiten im Sitzen und Stehen fortgesetzt verrichten könne. Auf Grund dieses Gutachtens und eines Befundberichtes des Dr. J von der Inneren Abteilung des St. F.-Hospitals in Flensburg vom 23. Januar 1953 wurde der Rentenantrag durch Bescheid vom 24. März 1953 abgelehnt.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin rechtzeitig Berufung beim Oberversicherungsamt (OVA.) Schleswig eingelegt und vorgebracht, daß sie seit Oktober 1952 keine Hausarbeiten mehr verrichten könne; sie sei seit dieser Zeit immer bettlägerig und sei nach einem erneuten schweren Herzanfall im März 1953 wieder im Krankenhaus gewesen. Sie hat eine Bescheinigung ihres behandelnden Arztes Dr. Sch vom 4. April 1953 vorgelegt, wonach der bei der Klägerin bestehende Herzmuskelschaden wohl in Ruhe einen ausgeglichenen Eindruck mache; die Klägerin leide außerdem an starken Wechseljahrsbeschwerden; sie habe seit Herbst 1952 arbeitsunfähig im Bett gelegen und sei auch jetzt, nach einem fast 4-wöchigen Aufenthalt im St. F.s-Hospital, noch nicht in der Lage, ihren Hausstand mit noch 4 schulpflichtigen Kindern selbst zu versehen.
Demgegenüber hat die beklagte LVA. unter Überreichung einer Abschrift des ihr mit Schreiben vom 7. Mai 1953 mitgeteilten Entlassungsberichts des St. F.-Hospitals vom 27. März 1953 geltend gemacht, daß sich bei der Klägerin kein wesentlicher organischer Befund ergeben habe; es handele sich hauptsächlich um eine neurotische Einstellung, die eine Invalidisierung nicht begründe; einer fortgesetzten leichten Arbeit käme sogar eine gesundheitsfördernde Wirkung zu. Das OVA. Schleswig hat nach Anhörung des Dr. S der sich nach Aktenlage gutachtlich geäußert hatte, die Berufung durch Urteil vom 14. August 1953 zurückgewiesen.
Gegen dieses Urteil, das der Klägerin am 22. August 1953 zugestellt wurde, hat diese entsprechend der Rechtsmittelbelehrung am 10. September 1953 (weitere) Berufung beim Oberverwaltungsgericht ( OVerwGer .) Lüneburg eingelegt. Die beim Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes bei diesem Gericht anhängige Sache ist nach § 215 Abs. 8 SGG auf das Landessozialgericht (LSGer.) Schleswig übergegangen. Die Klägerin hatte zur Begründung der (weiteren) Berufung geltend gemacht, sie habe selbst bei leichten Arbeiten an Hustenanfällen und Atembeschwerden zu leiden. Mit Schriftsatz vom 16. Januar 1954 hat sie unter Vorlage einer Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. S vom 8. Januar 1954 eine nochmalige vertrauensärztliche Untersuchung beantragt. In der ärztlichen Bescheinigung vom 8. Januar 1954 hatte Dr. Sch zum Ausdruck gebracht, daß er die Klägerin "dieser Tage" wiederholt wegen ihrer stenokardischen Beschwerden besucht habe und daß eine Verschlimmerung des Gesamtbefundes gegenüber dem Zeitpunkt der Antragstellung eingetreten sei. Das LSGer. hat darauf Dr. Sch mit Schreiben vom 12. Juli 1954 um schriftliche Beantwortung einer Reihe von Fragen ersucht, die sich auf die von der Klägerin geäußerten Beschwerden, die bei ihr festgestellten Befunde, die von ihm gestellte Diagnose, die Untersuchungsmethoden und die Behandlungsweise beziehen. Dr. Sch beantwortete die an ihn gerichteten Fragen mit Schreiben vom 17. Juli 1954 wie folgt:
Er behandele die Klägerin seit etwa 5-6 Jahren, und zwar fortlaufend seit Herbst 1952, abgesehen von einigen mehrwöchigen Unterbrechungen; die Klägerin habe über Herzdruck, Atemnot, Schwindelgefühl, Schwächegefühl sowie über Unfähigkeit, aufzustehen und etwas zu arbeiten, geklagt; er habe sie wegen stenokardischer Beschwerden, Klimakteriumsbeschwerden, Hypotonie, rheumatischer Beschwerden beider Kniegelenke und Herzmuskelschwäche behandelt; die Gesundheitsstörungen bestünden seit 1952. Die Diagnose, die auf eigenen Beobachtungen und Untersuchungen sowie auf einer intern-fachärztlichen Untersuchung des Dr. H in Flensburg und stationärer Untersuchung und Behandlung im St. F.-Hospital in Flensburg beruhe, laute "Stenokardie, Klimakteriumsbeschwerden, Rheuma, neurovegetative und psychische Labilität, Adipositas". Er habe die Klägerin mit Digitalis, Sedativa, Nitro-Präparaten, Antirheumatica , Strophantinkur und Spasmolytica behandelt. Das LSGer. hatte die Klägerin zur mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 1954 mit Verfügung vom 6. Juli geladen und ihr persönliches Erscheinen mit dem Zusatz "zur Untersuchung" angeordnet. Im Termin zur mündlichen Verhandlung, in dem die Klägerin persönlich erschienen war, äußerte sich der von Amts wegen geladene Sachverständige Prof. Dr. G, Facharzt für innere Medizin, nach Durchsicht der Akten, jedoch ohne nochmalige Untersuchung der Klägerin, gutachtlich dahin, daß es sich um Klimakteriumsbeschwerden ohne krankhaft-organische Veränderungen, insbesondere seitens des Herzens, handele und daß Invalidität nicht vorliege.
Das LSGer. hat die Berufung durch Urteil vom 22. Juli 1954 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen folgendes ausgeführt: Es habe sich nach eingehender Befragung der Klägerin und nach der Begutachtung durch Prof. Dr. G sowie nach Würdigung der bei den Gerichts- und Rentenakten befindlichen ärztlichen Gutachten und Beurteilungen nicht davon überzeugen können, daß die bei der Klägerin vorhandenen Leiden ein Ausmaß erreichten, das die Annahme der Invalidität rechtfertige. Hierfür spreche auch der Befundbericht des Hausarztes Dr. Sch vom 17. Juli 1954. Die diesem Arzt mitgeteilten Beschwerden deckten sich im wesentlichen mit den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben. Dabei mache die Klägerin trotz ihrer 11 Geburten und der im geringen Maße vorhandenen Fettsucht einen gesunden Eindruck. Zwar erschienen gewisse mit dem Klimakterium verbundene Beschwerden durchaus glaubhaft. Diese könnten jedoch nicht auf organisch krankhafte Ursachen zurückgeführt werden, die nach den wiederholt aufgenommenen Befunden bei der Klägerin in einem die Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigendem Maße nicht vorlägen. Nach den übereinstimmenden Beurteilungen des Facharztes für innere Krankheiten Dr. R vom 29. Januar und des Dr. J vom St. F.-Hospital vom 23. Januar 1953 sei bei der Klägerin ein elektrokardiographisch festgestellter, aber kompensierter Herzmuskelschaden vorhanden. Dies besage jedoch nicht, daß damit auch körperliche Ausfallserscheinungen verbunden sein müßten. Aus der von Dr. R am 27. Januar 1953 durchgeführten Herzfunktionsprüfung gehe eindeutig hervor, daß bei der Klägerin - selbst nach Belastung - ihrem Alter entsprechend normale Blutdruck- und Pulswerte vorlägen. Daraus ergebe sich, daß der Herzmuskelschaden sich organisch nicht ausgewirkt habe. Zu diesem Ergebnis sei auch Prof. Dr. G gekommen. Selbst wenn man noch gewisse rheumatische Beschwerden berücksichtige, so sei nach der Auffassung des Senats in Übereinstimmung mit den überzeugenden Darlegungen des Prof. Dr. G in der mündlichen Verhandlung das Gesamtkrankheitsbild der Klägerin dahin zusammenzufassen, daß bei ihr auch jetzt organisch-krankhafte Befunde, die ihre Leistungsfähigkeit in einem invaliditätsbegründenden Ausmaß einschränken könnten, nicht vorlägen. Die Klägerin neige in ihrer labilen Mentalität zu einer Überbewertung ihrer Leiden, die sich in der Folgezeit eher nachteilig als förderlich für sie auswirken könnten. Dr. J vom St. F.-Hospital habe daher in seinem Befundbericht vom 7. Mai 1953 mit Recht darauf hingewiesen, daß sich die Klägerin von dem Gedanken ihrer völligen Leistungsunfähigkeit frei machen müsse.
Das LSGer. hat die Revision nicht zugelassen. Das Urteil wurde der Klägerin am 21. August 1954 zugestellt. Es enthält folgende Rechtsmittelbelehrung: "Im übrigen kann die Revision nur wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels nach § 162 Abs. 1 Ziffer 2 SGG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich beim Bundessozialgericht in Kassel eingelegt werden. Die Revision ist binnen eines weiteren Monats zu begründen (§ 164 SGG)".
II. Nachdem zunächst der Ehemann der Klägerin in deren Namen sich mit einem von ihm persönlich unterzeichneten, an das Landessozialgericht gerichteten Schreiben vom 25. Juli 1954, das am 31. August 1954 beim Bundessozialgericht eingegangen ist, gegen das Urteil des Landessozialgerichts gewandt hatte, haben die jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 28. Januar 1955, der am 31. Januar 1955 beim BSGer . eingegangen ist, Revision eingelegt. Sie vertreten die Auffassung, daß die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil nicht den gesetzlichen Vorschriften entspreche und beantragen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist. Zugleich beantragen sie, unter Abänderung des angefochtenen Urteils und des Urteils des OVA. Schleswig vom 14. August 1953 nach dem Antrag der Klage zu erkennen, evtl. das Verfahren an die Vorinstanz zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Revision wird auf die Verletzung wesentlicher Verfahrensmängel gestützt. Die Klägerin habe um Anhörung des behandelnden Arztes Dr. Sch gebeten, der sie seit 1946 behandelt habe. Die Nichtanhörung dieses Arztes verstoße gegen § 109 SGG. Das LSGer. habe aber auch die Vorschrift des § 103 SGG verletzt, weil es den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt habe. Die Klägerin sei zwar in der Ladung darauf hingewiesen worden, daß Prof. Dr. G als ärztlicher Sachverständiger zum Termin geladen sei. Dieser habe die Klägerin aber nicht untersucht und sein Gutachten nur anhand unvollständiger Aktenunterlagen abgegeben. Das LSGer. habe es ferner verabsäumt, die Krankenpapiere der Klägerin vom St. F.-Hospital heranzuziehen, da es dann hätte feststellen können, daß die Klägerin nicht nur einmal - im Januar 1953 - in diesem Hospital zur Beobachtung gewesen sei, sondern sich dort ein zweites Mal - im März 1953 - etwa 3 Wochen zur stationären Behandlung befunden habe. Zur Aufklärung des Sachverhalts wäre es außerdem notwendig gewesen, Dr. Sch persönlich zu hören. Darüberhinaus hätte zur Beurteilung der neurotischen Erkrankung der Klägerin ein Nervenfacharzt als Sachverständiger hinzugezogen werden müssen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zu verwerfen; sie ist der Auffassung, daß das LSGer. den Sachverhalt hinreichend aufgeklärt habe und daß auch der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen Verfahrensvorschriften nicht vorliege.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Zwar kann das vom Ehemann der Klägerin unterzeichnete Schreiben, das innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Urteils beim BSGer . eingegangen ist, nicht als rechtswirksame Revision im Sinne des § 164 Abs. 1 Satz 1 SGG angesehen werden, weil die Beteiligten - abgesehen von Behörden sowie Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts - sich vor dem BSGer . durch einen der in § 166 Abs. 2 SGG genannten Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen müssen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSGer . muß schon die Revisionsschrift, die das Verfahren vor dem BSGer . einleitet, von einem zugelassenen Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet sein (vgl. u. a. Beschluß des erkennenden Senats vom 9.2.1955 - 3 RJ 94/54 - und Urteil des 4. Senats vom 25.8.1955 - 4 RJ 21/54 -). Dagegen ist der von den jetzigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers unterzeichnete Schriftsatz vom 28. Januar 1955, der am 31. Januar 1955 eingegangen ist, als den gesetzlichen Formerfordernissen entsprechende Revision und Revisionsbegründung anzusehen. Dieser Schriftsatz ist zwar erst nach Ablauf der in § 164 Abs. 1 SGG vorgesehenen Frist eingereicht worden; Revision und Revisionsbegründung sind aber trotzdem nicht verspätet eingegangen, weil die Rechtsmittelbelehrung in dem angefochtenen Urteil nicht den Erfordernissen des § 66 Abs. 1 SGG entspricht und daher die Rechtsmittelfrist von einem Monat nicht in Lauf gesetzt worden ist. Wenn das Gesetz eine "Belehrung" über den Rechtsbehelf vorschreibt, so genügt nach der Rechtsprechung des BSGer . (vgl. das oben zitierte Urteil des 4. Senats vom 25. August 1955) nicht die bloße Bezeichnung des Rechtsbehelfs, vielmehr entspricht die Rechtsmittelbelehrung, die sich im allgemeinen an rechtsunkundige Personen wendet, nur dann ihrem Zweck, wenn sie die Beteiligten über die für sie wesentlichen Einzelheiten des Rechtsmittels unterrichtet. Die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil ist schon deswegen als unvollständig anzusehen, weil sie keinen Hinweis darauf enthält, daß sich die Klägerin durch einen vor dem BSGer . zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen muß. Das Rechtsmittel konnte daher noch innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG eingelegt werden. Diese Frist ist gewahrt; damit ist der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegenstandslos.
II. Da das LSGer. die Revision in dem angefochtenen Urteil nicht zugelassen hat, findet sie in dem vorliegenden Rechtsstreit über die Gewährung der Invalidenrente nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG).
Die Revision rügt in erster Linie, daß das LSGer. die Vorschrift des § 109 SGG verletzt habe, weil es einem Antrag der Klägerin auf Anhörung des behandelnden Arztes Dr. Sch nicht stattgegeben und ihn nicht persönlich gehört habe. Diese Rüge ist unbegründet, denn nach dem Inhalt der Akten ist ein Antrag auf gutachtliche Anhörung des Dr. Sch überhaupt nicht gestellt worden. Die Klägerin hatte vielmehr im Schriftsatz vom 14. Januar 1954 unter Vorlage einer Bescheinigung dieses Arztes vom 8. Januar 1954 um "nochmalige vertrauensärztliche Untersuchung" gebeten, also keinen Antrag auf Anhörung eines "bestimmten Arztes" im Sinne des § 109 SGG gestellt.
Dagegen ist die Rüge der Klägerin, das Berufungsgericht habe es an einer hinreichenden Sachaufklärung fehlen lassen, begründet. Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Es hat also zur Feststellung, ob die für das Bestehen oder Nichtbestehen des geltend gemachten Anspruchs erheblichen Tatsachen vorliegen, alle geeigneten und notwendigen Ermittlungen anzustellen. Nun hat dem LSGer. der Befundbericht des Dr. J vom St. F.-Hospital vom 23. Januar 1953 über den dreiwöchigen Aufenthalt im Januar 1953 und der Entlassungsbericht vom 27. März 1953 über die im März 1953 durchgeführte Behandlung im St. F.-Hospital vorgelegen. Diese Beweismittel sind in dem angefochtenen Urteil unter Berücksichtigung des Gutachtens des Dr. R vom 29. Januar 1953 und der von diesem Arzt am 27. Januar 1953 durchgeführten Herzfunktionsprüfung sowie der nach Aktenlage am 22. Juli 1954 abgegebenen gutachtlichen Äußerung des Sachverständigen Prof. Dr. G gewürdigt worden. Aus dem auf Veranlassung des LSGer. abgegebenen Befundbericht des Dr. Sch vom 17. Juli 1954 geht hervor, daß er sich wegen der Knappheit der ihm zur Verfügung stehenden Zeit nur kurz äußern konnte; immerhin ergibt sich aus dieser schriftlichen Äußerung, daß dieser Arzt die Klägerin seit Herbst 1952 - von einigen mehrwöchigen Unterbrechungen abgesehen - fortlaufend behandelt hat, und zwar wegen stenokardischer Beschwerden, Klimakteriumsbeschwerden, Hypotonie, rheumatischer Beschwerden in beiden Kniegelenken sowie Herzmuskelschwäche. Der Auffassung der Klägerin, daß das LSGer. unter diesen Umständen den Sachverhalt durch weitere Ermittlungen hätte aufklären müssen, ist zuzustimmen. Denn das auf Grund der Verhandlung vom 22. Juli 1954 ergangene Urteil stützt sich zur Beurteilung der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehenden Gesundheitsstörungen der Klägerin im wesentlichen auf die fast 1 1/2 Jahre zurückliegenden, oben angeführten Gutachten, wobei zudem der in den Entscheidungsgründen hervorgehobene gesunde Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemacht habe, von mitbestimmender Bedeutung gewesen ist. Der persönliche Eindruck des Gerichts von dem Gesundheitszustand eines Rentenbewerbers kann jedoch, jedenfalls soweit es sich um die Beurteilung innerer Leiden handelt, nicht maßgebend sein; denn die Erkenntnis und Beurteilung derartiger Leiden setzt in aller Regel eine ärztliche Ausbildung und Erfahrung voraus, über die auch ein lebenserfahrener Richter, der keine ärztliche Ausbildung genossen hat, nicht verfügt.
Es kommt hinzu, daß dem Berufungsgericht die Bescheinigung des die Klägerin seit mehreren Jahren behandelnden Arztes Dr. Sch vom 8. Januar 1954 vorlag, in der angegeben ist, daß dies Arzt die Klägerin in den letzten Tagen wiederholt wegen stenokardischer Beschwerden besucht habe und daß eine Verschlimmern des Gesamtbefundes der Klägerin seit der Stellung des Rentenantrags eingetreten sei, so daß eine nochmalige vertrauensärztliche Untersuchung befürwortet werde. Diese Bescheinigung ist in dem angefochtenen Urteil weder erwähnt noch gewürdigt worden. Das Berufungsgericht ist vielmehr auf Grund des persönlichen Eindrucks der Klägerin und des nur nach Aktenlage erstatteten Gutachtens des Prof. Dr. G davon ausgegangen, daß sich der Gesundheitszustand der Klägerin seit der Erstattung des Gutachtens des Dr. R vom 27. Januar 1953 und seit der Beurteilung des Gesundheitszustandes der Klägerin im Schreiben des St. F.-Hospitals vom 7. Mai 1953, das den an Dr. Sch gerichteten Entlassungsbericht vom 27. März 1953 wiedergibt, nicht wesentlich geändert habe. Im Hinblick auf die Bescheinigung des Dr. Sch vom 8. Januar 1954 und seinem Befundbericht vom 17. Juli 1954 wäre aber bei der Art der Leiden zur Erforschung des Sachverhalts, besonders zur Klärung der Frage, ob etwa eine wesentliche Verschlimmerung des Herzschadens eingetreten ist, eine nochmalige ärztliche Untersuchung erforderlich gewesen. Das Verfahren vor dem LSGer. verstößt somit gegen die Pflicht zur hinreichenden Sachaufklärung. Dieser Verfahrensmangel ist auch wesentlich, weil das Urteil bei Durchführung weiterer Ermittlungen anders hätte lauten können.
Die Revision ist somit statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Sie ist auch begründet, weil das Urteil auf den gerügten Verfahrensmangel beruht (§ 162 Abs. 2 SGG).
Da die Entscheidung in der Sache selbst von dem Ergebnis weiterer Ermittlungen abhängt, war das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen