Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederkehrende Sonderleistung (hier: Tantieme). beitragsrechtliche Behandlung. Beiladung der gesetzlichen Krankenkasse sowie der Träger der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten bei Streit über den Einzug von Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträgen durch Ersatzkassen
Orientierungssatz
Zur Frage, wann eine wiederkehrende Sonderleistung (hier: Tantieme), die nur einmal jährlich ausgezahlt wird, als eine monatlich erdiente Leistung anzusehen ist.
Normenkette
RVO § 160 Abs 3 Fassung: 1941-07-01, § 1399 Abs 2 S 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 121 Abs 2 S 1 Fassung: 1957-02-23; AFG § 176 Abs 3 Fassung: 1969-06-25; SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 09.05.1979; Aktenzeichen L 4 Kr 37/77) |
SG München (Entscheidung vom 14.04.1977; Aktenzeichen S 18 Kr 71/76) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, für welche Zeiten die den Beigeladenen zu 1) und 2) zustehende Gewinnbeteiligung beitragsrechtlich zu berücksichtigen ist.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) waren ua in den Jahren 1973 und 1974 bei der Klägerin beschäftigt. Sie wurden in dieser Zeit bei der Beklagten als pflichtversichert geführt. Neben einer monatlichen Vergütung, die für die Beigeladene zu 1) um 1.100,-- DM und für den Beigeladenen zu 2) um 1.800,-- DM lag (zuzüglich Urlaubs- und Weihnachtsgeld), stand den Beigeladenen aufgrund einer schriftlichen Vereinbarung noch eine Tantieme zu:
"... erhält für das abgelaufene Rechnungsjahr
eine Tantieme, deren Höhe vom erwirtschafteten
Ertrag abhängig ist, jedoch höchstens 10.000,-- DM
beträgt. Die Auszahlung erfolgt erst nach
Bilanzvorlage".
Aufgrund dieser Vertragsbestimmung wurde den Beigeladenen zu 1) und 2) zusammen mit der Weihnachtsgratifikation am 1. Dezember 1973 und am 1. Dezember 1974 jeweils ein Betrag von 10.000,-- DM ausgezahlt.
Mit Bescheid vom 4. Dezember 1975 forderte die Beklagte von der Klägerin für die Beigeladenen zu 1) und 2) Beiträge zur Krankenversicherung, Angestelltenversicherung und Arbeitslosenversicherung für die Jahre 1973 und 1974 nach. Sie vertrat die Auffassung, daß die Tantiemen nicht - wie die Klägerin dies getan hatte - beitragsrechtlich allein dem Auszahlungsmonat zuzurechnen seien, sondern wie laufende Bezüge auf die Kalendermonate des Rechnungsjahres zu verteilen seien.
Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 1. März 1976, Urteil des Sozialgerichts -SG- München vom 14. April 1977, Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts -LSG- vom 9. Mai 1979).
Das LSG ist davon ausgegangen, daß nach § 160 Abs 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 30. Juni 1977 geltenden Fassung (§ 160 Abs 3 RVO aF) einmalige Zuwendungen in dem Zeitabschnitt zu berücksichtigen seien, in welchen sie gewährt werden. Bei den den Beigeladenen zu 1) und 2) gewährten Tantiemen handele es sich jedoch nicht um solche einmaligen Zuwendungen. Unter diesen Begriff seien nur Bezüge zu rechnen, die nicht in ständiger Wiederholung zu zahlen seien. Hervorstechende Merkmale seien die Unregelmäßigkeit und Unzuverlässigkeit derartiger Bezüge. Diese Merkmale träfen aber für die den Beigeladenen zu 1) und 2) gewährten Zahlungen nicht zu. Zwar seien Höhe und Fälligkeitszeitpunkt unbestimmt. Trotzdem hätten nach der besonderen Lage des Falles die Beigeladenen zu 1) und 2) mit der erforderlichen Sicherheit damit rechnen können, daß ihnen über die tariflichen Vergütungen hinaus alljährlich auch eine Gewinnbeteiligung zufließen würde. Dies gelte besonders, da es sich bei der Beigeladenen zu 1) um die Tochter und bei dem Beigeladenen zu 2) um den Schwiegersohn des Hauptgesellschafters der Klägerin handele und der Sinn der vereinbarten Tantiemen darin bestanden habe, ihnen wegen dieser verwandtschaftlichen Stellung zum Hauptgesellschafter ein übertarifliches Entgelt einzuräumen. Die Beigeladenen zu 1) und 2) hätten daher damit rechnen können, daß ihnen nur unter ganz besonderen Umständen der im Vertrag vorgesehene Höchstsatz nicht ausgezahlt würde. Hinzu komme, daß sie als zukünftige Nachfolger der Firmenleitung über den Geschäftsgang der Firma stets unterrichtet gewesen seien.
Der Einwand der Klägerin, die 1973 gezahlten Tantiemen seien in Wahrheit 1972 verdient worden und die auf sie entfallenden Beiträge damit verjährt, sei unzutreffend, denn die Verjährungsfrist beginne erst im Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge zu laufen. Die auf die Tantiemen entfallenden Beiträge seien erst mit deren Auszahlung, frühestens mit der Bilanzerstellung, fällig geworden.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend: Bei den Tantiemen habe es sich nicht um Leistungen gehandelt, mit denen die Beigeladenen zu 1) und 2) hinreichend sicher hätten rechnen können. Das einzige, was durch die Anstellungsverträge festgestanden habe, sei das Datum der Fälligkeit der Tantiemen, nämlich der Zeitpunkt nach Erstellung der Bilanz. Ob überhaupt eine Auszahlung erfolgen würde und wenn, in welcher Höhe, habe nicht festgestanden. Die verwandtschaftlichen Beziehungen und die Informationen über den Geschäftsgang, die den Beigeladenen zu 1) und 2) zur Verfügung gestanden hätten, änderten an dem Charakter der Zahlung nichts.
Im übrigen beruft sich die Klägerin erneut auf die Verjährung der Beiträge für das Jahr 1972. Die Tantieme für das Jahr 1972 sei im Dezember 1972 fällig gewesen. Der Beitragsanteil sei deshalb bei Erlaß des Bescheides im Jahre 1975 bereits verjährt gewesen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den
Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 1975
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
1. März 1976 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil und die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).
Zur Frage der Verjährung weist sie darauf hin, daß die Beitragsforderungen für die 1973 und 1974 ausgezahlten Beträge noch nicht verjährt seien. Selbst wenn der 1973 ausgezahlte Betrag die Tantieme für das Jahr 1972 gewesen sein sollte, könne eine Verjährung nicht eingetreten sein, da der hierauf entfallende Beitragsanteil erst mit der Auszahlung fällig geworden sei.
Die Beigeladenen zu 3) und 4) beantragen ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.
Der Senat kann noch nicht abschließend entscheiden, weil das LSG notwendige Beiladungen und Feststellungen unterlassen hat.
Das LSG hat nicht eindeutig festgestellt, ob es sich bei den Beigeladenen zu 1) und 2), für die die Beiträge erhoben werden, um Arbeiter oder Angestellte handelt. Die Verträge, die zwischen den Beigeladenen und der Klägerin abgeschlossen worden sind, sind mit "Arbeitsvertrag für Arbeiter" überschrieben. Sollte diese Überschrift den Charakter des Beschäftigungsverhältnisses der beiden Beigeladenen zu 1) und 2) richtig wiedergeben, oder sollte sich ergeben, daß diese Frage unklar oder streitig ist, so hätte statt oder neben der in diesem Verfahren beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte die zuständige Landesversicherungsanstalt gem § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beigeladen werden müssen.
Sollte es sich bei den Beigeladenen zu 1) und 2) entgegen dem Vertragstext wegen der Art der Tätigkeit jedoch um Angestellte gehandelt haben, dann wäre die Allgemeine Ortskrankenkasse möglicherweise anstelle der Beklagten ganz oder teilweise für den Beitragseinzug zuständig (eine Frage, die gegenüber beiden Kassen nur einheitlich entschieden werden kann). Deshalb ist außer den bisherigen Beigeladenen auch noch die zuständige Allgemeine Ortskrankenkasse gemäß § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen.
Die Zuständigkeit der Beklagten ist einmal deshalb fraglich, weil nicht geklärt ist, ob sie die Beigeladenen zu 1) und 2) als Mitglieder führen durfte. Die Beklagte ist eine Arbeiterersatzkasse. Sie darf deshalb nach § 4 Abs 1 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung (12. Aufbau VO) vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) idF der Verordnung vom 1. April 1937 (RGBl I 439) nur Arbeiter als Mitglieder aufnehmen. Sollten die Beigeladenen zu 1) und 2) also im Zeitpunkt der Aufnahme Angestellte gewesen sein, so könnten sie nicht Mitglieder der Beklagten sein, und diese wäre für die Erhebung der Beiträge nicht zuständig.
Auch Angestellte können allerdings nach § 4 Abs 1 Satz 4 der 12. Aufbau VO Mitglieder der Arbeiterersatzkasse bleiben, der sie bisher angehört haben, wenn sie im Zeitpunkt der Begründung der Mitgliedschaft Arbeiter waren. Falls die Beigeladenen zu 1) und 2) Angestellte sind, wäre also außerdem zu prüfen, ob sie im Zeitpunkt der Begründung der Mitgliedschaft in einem Beschäftigungsverhältnis als Arbeiter gestanden haben.
Selbst wenn sich aber aufgrund dieser Ermittlungen herausstellt, daß die Beigeladenen zu 1) und 2) wirksam Mitglieder der Beklagten geworden sind, so steht deren Zuständigkeit zunächst nur für die Einziehung der Krankenversicherungsbeiträge fest. Für die Einziehung der Beiträge zur Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung wäre sie hingegen nicht zuständig, wenn ihre Auffassung zutrifft, daß die streitigen Tantiemen zu je einem Zwölftel den einzelnen Monaten des betreffenden Jahres hinzuzurechnen sind. In diesem Fall würde - soweit ersichtlich - in allen Monaten die Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung (§ 165 Abs 1 Nr 2 RVO) überschritten. Dies hätte dann zur Folge, daß nach §§ 121 Abs 2 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG- / 176 Abs 4 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG- für den Beitragseinzug die Allgemeine Ortskrankenkasse zuständig wäre, bei der die Beigeladenen zu 1) und 2) ohne Rücksicht auf die Mitgliedschaft bei einer Ersatzkasse krankenversicherungspflichtig wären. Dabei ist unbeachtlich, ob - wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung behauptet hat - sie in der Praxis diese Vorschriften aus Vereinfachungsgründen im Einvernehmen mit den anderen Versicherungsträgern nicht anwendet.
Die für die Klärung der Zuständigkeiten erforderlichen Feststellungen kann der erkennende Senat - auch soweit dies zur Klärung von Verfahrensfragen erforderlich wäre - nicht von sich aus treffen (§ 163 SGG), denn es fehlt auf jeden Fall die notwendige Beiladung der zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse, uU auch die der zuständigen Landesversicherungsanstalt. Das Unterlassen notwendiger Beiladungen ist ein Verfahrensmangel, der von Amts wegen zu beachten ist (vgl dazu BSG SozR 1500 § 75 Nr 4 und Nr 10) und im Revisionsverfahren nicht behoben werden kann (§ 168 SGG). Die notwendig Beizuladenden müssen Gelegenheit haben, zu allen das Verfahren betreffenden Fragen vor der Entscheidung Stellung zu nehmen.
Schließlich muß das LSG, wenn es zu der Überzeugung gelangt, daß die Beklagte ganz oder teilweise zu Recht Beiträge nachfordert, noch Feststellungen darüber treffen, für welches Jahr jeweils die Tantiemen gezahlt wurden; denn, sofern sie für die Jahre 1972 und 1973 gezahlt wurden, ergäbe sich ein Unterschied in der Beitragsberechnung, da die Beigeladenen zu 1) und 2) offenbar das Beschäftigungsverhältnis erst Mitte 1972 begonnen haben.
Bei seiner neuen Sachentscheidung wird das LSG berücksichtigen müssen, daß wiederkehrende Sonderleistungen, auf die zwar ein Rechtsanspruch besteht, die aber nicht jeden Monat, sondern wie hier nur jährlich einmal gezahlt werden, im Gesetz keine besondere Regelung gefunden haben. Für die beitragsrechtliche Behandlung solcher Entlohnungsformen könnte bedeutsam sein, inwieweit eine nur einmal jährlich zu zahlende Gewinnbeteiligung nach dem Vertragsinhalt als eine monatlich erdiente Leistung anzusehen ist, was sich meist daran ablesen läßt, ob sie auch bei vorzeitigen Ausscheiden im Laufe des Jahres zumindest anteilig gewährt wird (vgl dazu Urteil des erkennenden Senats vom 9. Juli 1980 - 12 RK 44/79 -; aA Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger und Bundesanstalt für Arbeit, Besprechungsergebnis vom 21./22. August 1979, DOK 1979, 948 = ErsK 1979, 468) oder ob für jeden Lohnabrechnungszeitraum Vorschüsse gezahlt werden (BSGE 29, 105). Bei diesen Überlegungen könnte auch die Änderung des § 112 Abs 2 AFG durch Art II § 2 Nr 10 Buchst a des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) herangezogen werden. Nach dieser Vorschrift wird das wöchentliche Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG um den auf eine Woche entfallenden Anteil mindestens jährlich wiederkehrender Zuwendungen erhöht, sofern diese Zuwendungen jeweils anteilig gezahlt werden, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Fälligkeitstermin aufgrund ordentlicher Kündigung des Arbeitgebers endet.
Ferner wird das LSG - falls es zu dem Ergebnis kommt, daß die Beigeladenen zu 1) und 2) Angestellte sind und ihr Arbeitsverdienst zusammen mit der Tantieme die Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung übersteigt - zu prüfen haben, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Pflicht zur Zahlung von freiwilligen Beiträgen besteht, wenn sich rückwirkend herausstellt, daß die irrtümlich angenommene Versicherungspflicht nicht besteht.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen