Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung des Arbeitslosengeldes nach Rehabilitationsmaßnahme in Berufsförderungswerk. Beitragspflicht von Berufsausbildungsverhältnissen in Einrichtungen für Behinderte
Leitsatz (redaktionell)
Die Regelung des § 168 Abs 1 S 2 AFG hat insoweit nur eine klarstellende Funktion für Zweifelsfälle und mag wegen ihres umfassenden Charakters immer dann herangezogen werden, wenn es lediglich um die Beurteilung der Beitragspflicht als solcher geht.
Orientierungssatz
1. Der Annahme einer abgeschlossenen Berufsausbildung iS des AFG § 112 Abs 5 Nr 2 steht nicht entgegen, daß die Berufsausbildung als berufsfördernde Maßnahme in einem Berufsförderungswerk stattgefunden hat.
2. Die Beitragspflicht eines Berufsausbildungsverhältnisses beurteilt sich nach AFG § 168 Abs 1 S 1, auch wenn die Berufsausbildung in einer Einrichtung für Behinderte stattfindet, sofern es sich um eine Ausbildung iS des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) vom 1969-08-14 handelt (Festhaltung BSG 1979-11-15 7 RAr 75/78 = SozR 4100 § 100 Nr 5).
3. Kommt es für den Leistungsanspruch auf die Frage an, auf welcher gesetzlichen Bestimmung letztlich die Beitragspflicht beruht, bleibt AFG § 168 Abs 1 S 1 gegenüber S 2 aaO vorrangig. Die Beitragspflicht nach AFG § 168 Abs 1 S 2 tritt nur ein, wenn Beitragspflicht nach AFG § 168 Abs 1 S 1 nicht gegeben ist.
4. AFG § 168 Abs 1 S 2 erfaßt den Personenkreis derjenigen, die infolge einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung vor Beginn der berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation noch keine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt haben und die auch nicht in der Lage sind, sich eine Berufsausbildung iS des BBiG mit einer Abschlußprüfung (BBiG § 34) zur Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit zu unterziehen (vgl LSG Stuttgart 1978-11-23 L 5 Ar 235/78).
Normenkette
AFG § 112 Abs. 5 Nr. 2 Fassung: 1974-08-07, Nr. 4a Fassung: 1975-05-07, § 168 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1969-06-25, S. 2 Fassung: 1975-05-07; BBiG § 34
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 09.08.1979; Aktenzeichen L 9 Al 64/78) |
SG Landshut (Entscheidung vom 13.02.1978; Aktenzeichen S 8 Al 100/77) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg).
Der am 16. Januar 1957 geborene Kläger ist schwer sehbehindert. Er besuchte nach dem Hauptschulabschluß noch die 11. Klasse einer Sehbehindertenschule. Vom 1. September 1975 bis 22. Januar 1977 nahm er beim Berufsförderungswerk H mit Erfolg an einer Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann für Blinde und Sehbehinderte teil. Während dieser Ausbildung erhielt er von der Beklagten Berufsausbildungsbeihilfe (BAB).
Der Kläger meldete sich am 24. Januar 1977 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Die Beklagte bewilligte ihm daraufhin durch Bescheid vom 3. März 1977 Alg in Höhe von wöchentlich 40,80 DM. Sie ging dabei von einem Einheitslohn in Höhe von wöchentlich 60,-- DM und der Zuordnung des Klägers zur Leistungsgruppe A (nicht verheirateter Arbeitnehmer ohne Kinder) aus. Als Bemessungsentgelt nahm sie den der Beitragsberechnung zur Arbeitslosenversicherung zugrundeliegenden Betrag in Höhe von monatlich 252,-- DM an, der gemäß § 180 Abs 1a der Reichsversicherungsordnung (RVO) als Grundlohn für freie Station (Kost und Wohnung) anzusetzen war. Den Widerspruch des Klägers gegen die seiner Meinung nach zu niedrige Bemessung des Alg wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 1977 zurück.
Durch Urteil vom 13. Februar 1978 hat das Sozialgericht (SG) Landshut die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 3. März 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 1977 verpflichtet, dem Kläger Alg unter Anwendung des § 112 Abs 7 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zu gewähren; die Berufung hat das SG zugelassen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 9. August 1979 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Für die Anwendung des § 112 Abs 7 AFG könne sich der Kläger nicht auf die Regelung in § 112 Abs 5 Nr 4 AFG berufen. Diese Vorschrift sei nur anzuwenden, wenn der Kläger während der Teilnahme an seiner Bildungsmaßnahme Übergangsgeld (Übg) bezogen hätte, wie sich aus der ausdrücklichen Verweisung auf § 168 Abs 1a AFG ergäbe. Nach § 168 Abs 1a AFG seien in der Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig Personen, die wegen einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation Übg nach diesem oder einem anderen Gesetz beziehen. Diese Voraussetzungen lägen beim Kläger nicht vor. Die Beklagte habe ihm vielmehr auf seinen Antrag vom 17. Juli 1975 BAB gewährt. Die Bescheide über die BAB-Gewährung habe der Kläger nicht angefochten, so daß sie für die Beteiligten in der Sache bindend geworden seien. Die materielle Bindungswirkung dieser Bescheide sei auch von den Gerichten zu beachten. Es sei daher davon auszugehen, daß der Kläger im betreffenden Zeitraum kein Übg erhalten habe und demnach auch nicht beitragspflichtig iS von § 168 Abs 1a AFG gewesen sei. Damit entfiele der Tatbestand des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG, so daß auch § 112 Abs 7 AFG nicht zugrunde zu legen sei. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob der Kläger, wie das SG gemeint habe, während seiner Ausbildung Anspruch auf Übg gehabt hätte. Ebenso komme es nicht auf die Frage an, ob der Kläger während seiner Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann noch Jugendlicher oder bereits Erwachsener gewesen sei. Er könne sich nicht darauf berufen, die Beklagte hätte gegen ihre Fürsorgepflicht und damit gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn sie ihm kein Übg gewährt habe. Die Fürsorgepflicht ermächtige die Beklagte nicht, von ihren eigenen rechtsverbindlich gewordenen und mit den Vorschriften übereinstimmenden Entscheidungen abzuweichen. Sei aber die Beklagte davon ausgegangen, daß der Kläger während der Maßnahme als jugendlicher Behinderter nach § 168 Abs 1 Satz 2 AFG beitragspflichtig war, richte sich die Feststellung des für das Alg maßgeblichen Arbeitsentgeltes ausschließlich nach § 112 Abs 5 Nr 4a AFG. Dementsprechend habe die Beklagte der Feststellung des Arbeitsentgeltes für die Berechnung des Alg zutreffend den Betrag zugrundegelegt, der auch für die Beitragsberechnung maßgeblich gewesen sei.
Mit der Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung der §§ 112, 168 AFG durch das LSG. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus: Er habe in der Zeit vor seiner Arbeitslosigkeit eine regelförmige Berufsausbildung erhalten. Der Datenverarbeitungskaufmann sei ein anerkannter Ausbildungsberuf; er habe die dafür vorgesehene Abschlußprüfung vor der Industrie- und Handelskammer abgelegt. Infolgedessen sei er in dieser Zeit Auszubildender iS des Gesetzes gewesen. Die Bemessung des Alg müsse folglich gemäß § 112 Abs 5 Nr 2 AFG nach § 112 Abs 7 AFG erfolgen.
Die Begründung des LSG über die Nichtanwendung des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG sei wohl richtig; zwar habe er - der Kläger - an einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation teilgenommen, in dieser Zeit jedoch kein Übg bezogen. Seine Berufsausbildung sei aber gleichwohl als eine solche iS von § 168 Abs 1 Satz 1 AFG anzusehen. Die Tatsache, daß er nicht Jugendlicher sei, lasse ihn von vornherein nicht unter § 168 Abs 1 Satz 2 AFG fallen. Da es sich bei dem Beruf des Datenverarbeitungskaufmanns, für den er ausgebildet wurde, um einen solchen handele, der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben ist, sei die Ausbildung jedenfalls, unabhängig von seinem Alter, beitragspflichtig nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG gewesen. Dies habe zur Folge, daß er nicht zu dem in § 112 Abs 5 Nr 4 und Nr 4a genannten Personenkreis gehöre, sondern unter die Regelung in § 112 Abs 5 Nr 2 AFG falle. Daraus rechtfertige sich sein Anspruch auf Bemessung des Alg nach § 112 Abs 7 AFG.
Sollte man dieser Auffassung nicht folgen können, rechtfertige sich der Anspruch jedoch jedenfalls aus der Anwendung des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG. Die Beklagte könne sich nämlich auf die Nichtleistung des Übg nicht berufen. Der § 168 Abs 1a AFG sei auch dann anzuwenden, wenn nur ein Anspruch auf Übg bestehe.
Der Kläger sei jedenfalls so zu behandeln, als wenn er rechtmäßig Übg erhalten hätte.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 9. August 1979 aufzuheben und die Berufung
der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Landshut vom 13. Februar 1978 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die ihrer Auffassung nach zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils. Ergänzend führt sie aus: Die Entscheidung des LSG sei schon deshalb zutreffend, weil der Kläger während seiner Berufsausbildung beim Berufsförderungswerk H nicht "beschäftigt" gewesen sei. Infolgedessen scheide die Anwendung des § 112 Abs 5 Nr 2 AFG aus. Der § 112 Abs 5 Nr 4 iVm § 168 Abs 1a AFG komme nicht in Betracht, da der Kläger nicht wegen des Bezuges von Übg beitragspflichtig gewesen sei. Nach den für die Beklagte maßgebenden Vorschriften (§§ 24 Abs 1, 25 Nr 2) der Anordnung über die Förderung der beruflichen Rehabilitation aus dem Jahre 1975 hätte dem Kläger auch nicht, was das LSG offengelassen habe, Übg anstelle von Ausbildungsgeld zugestanden. Die Regelung des § 112 Abs 5 Nr 4a Satz 2 AFG idF des 21. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) komme dem Kläger nicht zugute, da diese Bestimmung erst am 1. Januar 1979 in Kraft getreten sei.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Dem Kläger kann ein höherer Anspruch auf Alg zustehen, als er ihm in dem angefochtenen Bescheid zugebilligt worden ist.
Der Kläger hat dem Grunde nach Anspruch auf Alg. Den Feststellungen des LSG nach, und wie im übrigen zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist, erfüllte er die Voraussetzungen der §§ 100 ff AFG. Fraglich ist lediglich die Höhe des Alg-Anspruchs und hierbei insbesondere, von welchem Bemessungsentgelt dafür auszugehen ist.
Maßgebend sind insoweit die Bestimmungen der §§ 111, 112 AFG. Nach § 112 Abs 2 AFG ist für die Bemessung des Alg grundsätzlich von dem im Bemessungszeitraum zuletzt erzielten Arbeitsentgelt auszugehen. Sofern, wie hier, Arbeitsentgelt iSd § 112 Abs 2 AFG aus einem regelrechten Beschäftigungsverhältnis nicht erzielt wurde, trifft § 112 Abs 5 AFG eine Reihe von Sonderregelungen über das dann zugrundezulegende Arbeitsentgelt. Diese Vorschrift ist im Falle des Klägers in der Fassung anzuwenden, die sie seit dem 1. Oktober 1974 durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (Reha-AnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) und seit dem 1. Juli 1975 durch das Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter vom 7. Mai 1975 (BGBl I 1061 -SVBG-) gefunden hat. Mehrere der darin enthaltenen Bestimmungen weisen insoweit auf die Rechtsfolge aus § 112 Abs 7 AFG hin, wonach das Arbeitsentgelt sich nach dem tariflichen oder ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung richtet, für die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung in Betracht kommt (vgl § 112 Abs 5 Nrn 2, 3, 4).
Zu Recht hat es das LSG abgelehnt, die Anwendung des § 112 Abs 7 AFG zu Gunsten des Klägers aus § 112 Abs 5 Nr 4 AFG zu folgern. Nach dieser Vorschrift ist bei der Feststellung des Arbeitsentgelts für die Zeit, in der der Arbeitslose wegen einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation beitragspflichtig war (§ 168 Abs 1a), das Arbeitsentgelt nach Absatz 7 zugrundezulegen. Diese durch das Reha-AnglG eingefügte Regelung rechtfertigt den Anspruch des Klägers auf höheres Alg deshalb nicht, weil er während der Teilnahme an der Maßnahme im Berufsförderungswerk H kein Übg bezogen hat, sondern, wie das LSG festgestellt hat, BAB. Die Bemessung des Alg nach § 112 Abs 5 Nr 4 AFG setzt aber den Bezug von Übg wegen Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme voraus. Dies wird durch die ausdrückliche Anführung des § 168 Abs 1a AFG - ebenfalls idF des Reha-AnglG - in § 112 Abs 5 Nr 4 AFG deutlich. Nach § 168 Abs 1a Satz 1 AFG sind beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) Personen, die wegen einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation Übg nach dem AFG oder einem anderen Gesetz beziehen. Der Bezug von Übg ist danach Tatbestandsmerkmal für die Beitragspflicht nach § 168 Abs 1a AFG, deren Bestand wiederum die Anwendung des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG voraussetzt. Diese Rechtsfolgen sind auch nach den Motiven des Reha-AnglG nicht zweifelhaft (vgl BT-Drucks 7/1237, Begründung zu § 112 Abs 5 Nr 4 - Seite 78 - und zu § 168 Abs 1a - Seite 79 -). Ob sie auch eintreten, wenn ein dem Grunde nach bestehender Anspruch auf Übg lediglich wegen Anrechnung anderweitiger Leistungen nicht ausbezahlt wird (vgl dazu Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm zum AFG, 4. Ergänzungslieferung, Stand: August 1976, Rdnr 1 zu § 168; siehe ferner § 112 Abs 5 Nr 4b AFG idF des Haushaltsstrukturgesetzes-AFG vom 18. Dezember 1975 - BGBl I 3113 -), kann hier dahinstehen. Dem Kläger war nämlich dem Grunde nach nicht Übg, sondern insgesamt BAB zuerkannt worden. Die Tatbestandswirkung der insoweit bindenden Bescheide (§ 77 SGG) wirkt sich dahin aus, daß der Kläger als Bezieher von BAB, damit nicht als Bezieher von Übg anzusehen ist (vgl BSGE 44, 173, 179 = SozR 4100 § 44 Nr 14; BSG SozR 1500 § 77 Nr 20; siehe ferner Schmitz/Specke/Picard, Komm zum AFG, Anm 2.3 zu § 168 - Seite 168 - 19). Auf die Frage, ob die Bewilligung von BAB an den Kläger sachlich falsch war und ihm in Wahrheit ein Anspruch auf Übg zugestanden hätte, kommt es deshalb nicht an.
Aus § 112 Abs 5 Nr 3 AFG rechtfertigt sich der Anspruch des Klägers auf Bemessung seines Alg gemäß § 112 Abs 7 AFG ebenfalls nicht, da diese Vorschrift nur für bestimmte im Ausland ausgeübte Beschäftigungen gilt.
Der Anspruch des Klägers kann sich jedoch, worauf die Revision zu Recht hinweist, aus § 112 Abs 5 Nr 2 AFG ergeben. Hiernach ist der Bemessung des Alg für die Zeit einer Beschäftigung zur Berufsausbildung mindestens das Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG zugrundezulegen, wenn der Arbeitslose die Abschlußprüfung bestanden hat. Diese Regelung ist zwar durch das 4. Gesetz zur Änderung des AFG vom 12. Dezember 1977 (BGBl I 2557 - 4. AFG-ÄndG) eingeschränkt worden; dies wirkt sich auf den Anspruch des Klägers - sollte er bestehen - jedoch nicht aus (vgl Art 6 Nr 2 iVm Art 8 des 4. AFG-ÄndG).
Der Annahme einer abgeschlossenen Berufsausbildung des Klägers iSd § 112 Abs 5 Nr 2 AFG steht nicht entgegen, daß die Berufsausbildung des Klägers als berufsfördernde Maßnahme in einem Berufsförderungswerk stattgefunden und die Beklagte deshalb die Beitragspflicht dieser Maßnahme aus § 168 Abs 1 Satz 2 AFG idF des SVBG angenommen hat. Nach dieser Vorschrift stehen jugendliche Behinderte, die in Einrichtungen für Behinderte, insbesondere in Berufsbildungswerken, an einer berufsfördernden Maßnahme teilnehmen, die ihnen eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen soll, und Jugendliche, die in Einrichtungen der Jugendhilfe durch Beschäftigung für eine Erwerbstätigkeit befähigt werden sollen, den zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten gleich. Die Beitragspflicht nach § 168 Abs 1 Satz 2 AFG tritt jedoch nur ein, wenn Beitragspflicht nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG nicht gegeben ist. Daß die Verwaltung das Bestehen der Beitragspflicht fälschlich aus § 168 Abs 1 Satz 2 AFG gefolgert hat, bindet insoweit nicht, da es sich nur um die Begründung des Verfügungssatzes handelt.
Der Senat hat bereits im Urteil vom 15. November 1979 (BSG SozR 4100 § 100 Nr 5) ausgeführt, daß sich die Beitragspflicht eines Berufsausbildungsverhältnisses nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG beurteilt, auch wenn die Berufsausbildung in einer Einrichtung für Behinderte stattfindet, sofern es sich nur um eine Ausbildung iS des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) vom 14. August 1969 (BGBl I 1112) handelt. Er hält hieran fest. Weder dem BBiG (vgl dort § 1 Abs 5) noch den Vorschriften des AFG ist zu entnehmen, daß regelförmige Berufsausbildungsverhältnisse zu Berufsförderungs- oder Berufsbildungswerken nicht bestehen können. Der § 48 BBiG zeigt deutlich das Gegenteil, wenn dort für die Berufsausbildung Behinderter erleichterte Bedingungen zugelassen werden (vgl insoweit auch die Begründung zum Entwurf eines BBiG, BT-Drucks V/4260, zu § 48). Die Regelung des § 168 Abs 1 Satz 2 AFG hat insoweit - von seinem weitergehenden Inhalt abgesehen - nur eine klarstellende Funktion für Zweifelsfälle (vgl BSG SozR 4100 § 100 Nr 5) und mag wegen ihres umfassenden Charakters von der Verwaltung immer dann herangezogen werden, wenn es lediglich um die Beurteilung der Beitragspflicht als solcher geht (vgl BSG aaO). Die Grundregel des § 168 Abs 1 Satz 1 AFG, daß Personen, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, als Arbeitnehmer anzusehen und allein deshalb beitragspflichtig sind, wird jedoch dadurch für den hier in Rede stehenden Personenkreis nicht aufgehoben. Kommt es, wie hier für den Leistungsanspruch, auf die Frage an, auf welcher gesetzlichen Bestimmung letztlich die Beitragspflicht beruht, bleibt § 168 Abs 1 Satz 1 AFG gegenüber Satz 2 aaO vorrangig. Für die Renten- und Krankenversicherung hat das SVBG Entsprechendes ausdrücklich bestimmt (vgl dort Art 2 § 1 Nrn 1 u 14, § 2 Nr 1). Für die Beitragspflicht zur BA gilt nichts anderes; denn der in den oa Bestimmungen bestätigte Vorrang der Anwendung allgemein geltender Bestimmungen - sofern deren Tatbestandsmerkmale erfüllt sind - vor den Sonderregelungen für Behinderte wird durch letztere hier nicht aufgehoben. Den Regelungen des SVBG ist nicht eine gegenteilige Absicht zu entnehmen. Aus diesem Grunde hat schon der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) die Beitragspflicht einer Beschäftigung Behinderter in Werkstätten für Behinderte nach allgemeinen Grundsätzen und ungeachtet des SVBG bejaht (vgl BSGE 46, 244 = SozR 4100 § 168 Nr 7).
Folgerichtig wird auch in der Literatur die Auffassung vertreten - und von den Spitzenverbänden der Sozialversicherungsträger im Grundgesetz geteilt -, daß die Bestimmung des § 168 Abs 1 Satz 1 AFG gegenüber der des Satzes 2 im gegebenen Falle Vorrang genießt, wobei es auf die Verhältnisse des Einzelfalles ankommt (vgl Schmitz/Specke/Picard, aaO, Anm 2.2.2 und 2.2.3 zu § 168 - S 168 - 18 und 168 - 19; vgl auch Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der Kranken- und Rentenversicherungsträger sowie der BA vom 29. Juli 1975 zum SVBG, Anm VI zu § 1 SVBG und Anm V zu § 2 SVBG - abgedruckt bei Schmitz/Specke/Picard, aaO, S Ü 139 ff).
Den gleichen Standpunkt hat das LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 23. November 1978 - L 5 Ar 235/78 - eingenommen. Es hat zwei Gruppen von Behinderten unterschieden: Diejenigen, die infolge einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung vor Beginn der berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation noch keine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt haben und die auch nicht in der Lage sind, sich eine Berufsausbildung iS des BBiG mit einer Abschlußprüfung (§ 34 BBiG) zur Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit zu unterziehen. Sie sind nach Auffassung des LSG nach Abschluß der beruflichen Rehabilitation als Arbeitnehmer ohne mit einer Prüfung abgeschlossene Ausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf (§§ 25, 34 BBiG) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf mehr oder weniger behinderungsgerechte Arbeitsplätze angewiesen. Das LSG Baden-Württemberg (aaO) ist davon ausgegangen, daß § 168 Abs 1 Satz 2 AFG diesen Personenkreis erfassen wolle. Von dieser Gruppe der Behinderten seien jedoch zu unterscheiden diejenigen, die trotz ihrer Behinderung wie ein Nichtbehinderter eine Berufsausbildung iS des BBiG durchlaufen können und in dem erlernten Beruf uneingeschränkt vermittlungsfähig sind. Wenn sie sich im Berufsförderungswerk einer normalen Ausbildung iS des BBiG wie ein Nichtbehinderter unterziehen und die Abschlußprüfung bestehen, seien sie als zur Berufsausbildung Beschäftigte iSd § 168 Abs 1 Satz 1 AFG anzusehen und hätten deshalb auch Anspruch auf Alg nach Maßgabe von § 112 Abs 5 Nr 2 AFG. Der Senat tritt dieser Auffassung des LSG Baden-Württemberg im Ergebnis bei (vgl in diesem Sinne auch Urt des LSG Nordrhein-Westfalen vom 7. Dezember 1978 - L 16 Kr 145/76 - in Die Beiträge zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung, 1979 S 178).
Eine andere Auffassung stände im übrigen schwerlich mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 des Grundgesetzes (GG) im Einklang; denn es wäre sachlich kaum zu rechtfertigen, Behinderte bei einer in gleicher Weise wie für Nichtbehinderte durchgeführten Berufsausbildung leistungsrechtlich schlechter zu stellen als jene, eine Folge, die sich ohne weiteres aus den unterschiedlichen Regelungen in § 112 Abs 5 Nrn 2 u 4a AFG ergibt. Inzwischen hat dem auch der Gesetzgeber Rechnung getragen. Durch Art 2 § 7 Nr 1 des 21. RAG vom 25. Juli 1978 (BGBl I 1098) wurde dem § 112 Abs 5 Nr 4a AFG folgender Satz angefügt: "Hat der Arbeitslose nach einer Berufsausbildung die Abschlußprüfung bestanden, gilt Nummer 2 entsprechend". Diese Neuregelung trat jedoch erst am 1. Januar 1979 in Kraft (vgl Art 4 § 3 des 21. RAG) und erfaßt nach diesem zeitlichen Geltungswillen deshalb nicht mehr den hier streitigen Anspruch (so auch Begründung des Reg-Entwurfs eines 21. RAG zu § 112 Abs 5 Nr 4a Satz 2 AFG, vgl BT-Drucks 8/1601 zu § 112).
Die Frage, ob der Kläger während der Maßnahme im Berufsförderungswerk H zur Berufsausbildung beschäftigt war und sich demgemäß sein Alg-Anspruch nach § 112 Abs 5 Nr 2 AFG richtet, ist den Feststellungen des LSG nicht abschließend zu entnehmen. Aus ihnen ergibt sich lediglich, daß der Kläger mit Erfolg zum Datenverarbeitungskaufmann ausgebildet worden ist und hierfür von der Beklagten BAB erhalten hat. Das LSG wird die entsprechenden Feststellungen nachzuholen und alsdann über den Anspruch des Klägers auf Alg neu zu entscheiden haben. Für die Art der Ermittlung wird das LSG in erster Linie von den Anforderungen auszugehen haben, die die Vorschriften des BBiG an eine regelrechte Berufsausbildung stellen, wobei im Falle des Klägers § 48 BBiG einschlägig sein dürfte. Insoweit sei ferner auf die Grundsätze in BSG SozR 4100 § 100 Nr 5 und BSG SozR Nr 5 zu § 165a RVO hingewiesen.
Sofern sich danach allerdings ergeben sollte, daß eine Beschäftigung zur Berufsausbildung iS von § 168 Abs 1 Satz 1 AFG nicht vorlag, steht dem Kläger kein höherer Alg-Anspruch zu, als er ihm bewilligt wurde. Satz 2 des § 112 Abs 5 Nr 4a AFG idF des 21. RAG findet, wie schon ausgeführt, im Falle des Klägers noch keine Anwendung. Die Beitragspflicht seiner Teilnahme an der Ausbildungsmaßnahme kann dann nur aus § 168 Abs 1 Satz 2 AFG idF des SVBG folgen. Auf die Frage, ob der Kläger Jugendlicher iS dieser Vorschrift war, kommt es nicht an; denn er wendet sich nicht dagegen, daß ihm überhaupt Alg bewilligt wurde. Mit seiner Auffassung, § 168 Abs 1 Satz 2 AFG sei in seinem Falle nicht anzuwenden, will er nur darlegen, daß deshalb § 168 Abs 1a AFG bzw § 168 Abs 1 Satz 1 AFG für ihn gelte, folglich auch die Bemessungsregel des § 112 Abs 7 AFG, nicht aber, daß seine Ausbildung insgesamt beitragsfrei und damit nicht anwartschaftsbegründend gewesen sei. Ob die angefochtenen Verwaltungsakte hinsichtlich dieses begünstigenden Inhalts fehlerhaft waren, bedarf somit keiner Entscheidung.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen