Leitsatz (amtlich)

1. Der Anspruch auf Waisenrente nach RVO § 1258 Abs 2 Nr 5 aF setzt die natürliche Vaterschaft des verstorbenen Versicherten voraus.

Bei der Feststellung dieser blutsmäßigen Vaterschaft sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht dadurch gebunden, daß ein rechtskräftiges Unterhaltsurteil gemäß BGB § 1717 die Zahlvaterschaft jenes Versicherten festgestellt hat.

 

Normenkette

BGB § 1717 Fassung: 1896-08-18; RVO § 1258 Abs. 2 Nr. 5 Fassung: 1939-04-19

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Mai 1956 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die am 9. August 1937 geborene Klägerin ist ein voreheliches Kind der Witwe G... S..., deren verstorbener Ehemann der Klägerin seinen Namen erteilt hat.

Am 13. Dezember 1949 beantragte der gesetzliche Vertreter der Klägerin bei der Beklagten die Gewährung der Waisenrente aus der Invalidenversicherung des seit Januar 1945 verschollenen Uhrmachers K... R... aus Berlin. In dem Antrag war angegeben, daß R... durch Urteil des Amtsgerichts Berlin-Wedding rechtskräftig zur Unterhaltsleistung verurteilt worden war.

Durch "Mitteilung" vom 5. März 1951 bewilligte die Beklagte vom 1. Januar 1950 an eine "vorläufige Fürsorge" nach den Bestimmungen des Bayerischen Staatsministers für Arbeit und soziale Fürsorge vom 20. Mai 1949. Bei dieser Bewilligung war der Beklagten nicht bekannt, daß der Kindesmutter während der Empfängniszeit noch ein anderer Mann, G... beigewohnt hatte, gegen den eine Unterhaltsklage aber rechtskräftig abgewiesen worden war, weil er nach einem Blutgruppengutachten als Erzeuger ausschied. Als die Beklagte von einer eidlichen Aussage der Kindesmutter in einer Versorgungssache erfuhr, in der diese zugegeben hatte, daß sie auch mit einen anderen Mann verkehrt habe, stellte die Beklagte Ende März 1953 die Zahlung der vorläufigen Fürsorge ein. Mit Bescheid vom 16. Oktober 1953 lehnte sie den Rentenantrag ab und forderte die bis März 1953 gezahlten 1118,-- DM zurück.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Berufung ein, die mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Augsburg überging. Sie beantragte in der mündlichen Verhandlung die Gewährung der Waisenrente, nachdem sie in der Berufungsschrift auch die Aufhebung des Bescheides beantragt hatte.

Das SG. hob durch Urteil vom 17. Mai 1956 den Bescheid der Beklagten insoweit auf, als die Beklagte damit eine Rückforderung von 1118.-- DM geltend macht; in übrigen wies es die Klage ab und ließ die Berufung zu. Das SG. war der Ansicht, daß die Klägerin keinen Anspruch auf die Waisenrente aus der Versicherung des R... habe, weil nicht feststehe, daß der Versicherte ihr Vater sei. Zwar sei er rechtskräftig zur Unterhaltsleistung verurteilt worden. An dieses Urteil, das nicht alle möglichen Beweismittel erschöpft habe, sei das SG. nicht gebunden. In Sozialversicherungsrecht sei der § 1717 BGB nicht anwendbar. Es genüge nicht die Feststellung der Zahlvaterschaft, sondern es müsse die blutsmäßige Vaterschaft festgestellt werden. Zwar müsse G... als Erzeuger der Klägerin ausscheiden. Aus den Umständen ergebe sich jedoch, daß die Kindesmutter während der Empfängniszeit höchstwahrscheinlich noch mit anderen Männern verkehrt habe. Deshalb könne das Gericht sich nicht davon überzeugen, daß der Versicherte R... der Erzeuger der Klägerin sei. Die Überzahlung von 1118.-- DM sei weder von dem gesetzlichen Vertreter der Klägerin noch von der Beklagten verschuldet worden. Zwar habe die Beklagte deshalb einen Rückforderungsanspruch, jedoch sei die Geltendmachung dieses Anspruchs unzulässig, weil sie wegen der Einkommensverhältnisse der Klägerin zur Zeit gegen Treu und Glauben verstoße.

Gegen dieses Urteil, das ihr durch eingeschriebenen Brief vom 5. Juli 1956 zugestellt wurde, legte die Klägerin am 4. August 1956 Sprungrevision mit dem später wiedergegebenen Antrag ein und begründete das Rechtsmittel gleichzeitig. Der Revisionsschrift fügte sie eine Einwilligungserklärung der Beklagten bei.

Die Klägerin ist der Ansicht, daß sie einen Anspruch auf Waisenrente habe. Es komme nicht darauf an, ob der Versicherte R... ihr leiblicher Vater sei, sondern es genüge die Feststellung der Zahlvaterschaft, weil die Waisenrente nach ihren Zweck den weggefallenen Unterhalt ersetzen solle. Es müsse deshalb auch das Vorliegen eines Unterhaltsurteils genügen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Mai 1956 insoweit aufzuheben, als dieses den Nachweis der blutsmäßig festgestellten Vaterschaft zum Bezug der Invalidenwaisenrente für die Klägerin fordert,

2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Invalidenwaisenrente bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres nach dem verstorbenen Versicherten K... R... zu zahlen,

3. hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, daß das angefochtene Urteil im Ergebnis richtig sei. Zwar könne nicht der Beweis der blutsmäßigen Vaterschaft verlangt werden, jedoch müsse wie im Versorgungsrecht die blutsmäßige Vaterschaft wahrscheinlich sein. Im vorliegenden Fall sei sie aber nur möglich.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden.

Das Bundessozialgericht (BSG.) hat zunächst die Frage der Statthaftigkeit der Sprungrevision geprüft und bejaht. Da die sonstigen Voraussetzungen für die Statthaftigkeit - Zulassung der Berufung nach § 150 SGG und ordnungsmäßige Zustimmungserklärung des Revisionsbeklagten - vorlagen, kommt es allein darauf an, ob es sich um einen Fall handelt, in dem die Berufung nach den §§ 144 bis 149 SGG nicht zulässig war. Dabei kann es im vorliegenden Fall, in dem die Sprungrevision noch vor dem Inkrafttreten des Zweiten Änderungsgesetzes zum SGG eingelegt worden war, dahingestellt bleiben, ob die §§ 144 bis 149 in ihrer vor oder nach jener gesetzlichen Änderung geltenden Fassung anzuwenden sind. In Urteil des SG. ist über zwei verschiedene selbständige Ansprüche (Rentengewährung und Aufhebung des Bescheides über Rückzahlung schon empfangener Rentenleistungen) entschieden; die Revision ist jedoch allein auf den erstgenannten Anspruch beschränkt; auch wenn noch die alte Fassung der §§ 144 bis 149 SGG zugrunde gelegt würde, wäre für die Prüfung der Statthaftigkeit der Sprungrevision nur der Anspruch, der allein noch mit einem Rechtsmittel verfolgt wird, maßgebend, wie der Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des 5. Senats (Beschluß vom 14.10.1957 Az. 5 RKn 22/57 ) entschieden hat. Da die Klägerin bereits vor dem Erlaß des sozialgerichtlichen Urteils ihr 18. Lebensjahr vollendet hatte und irgendwelche Merkmale, die nach der damaligen Rechtslage die Gewährung einer Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus hätten zulassen können, nicht vorliegen, ist davon auszugehen, daß das sozialgerichtliche Urteil mit der Ablehnung des Waisenrentenanspruchs nur über vergangene Zeiträume entschieden hat; ebenso wie die Revision selbst auch nur diesen Anspruch betrifft. Dann war aber insoweit die Berufung nach § 146 SGG in beiden Fassungen ausgeschlossen und demnach die Sprungrevision statthaft.

In der Sache selbst handelt es sich allein um die Frage der Rechtmäßigkeit der Versagung der beantragten Waisenrente; eine Nachprüfung der vorherigen Einstellung der "vorläufigen Fürsorge" ist mit der Klage nicht begehrt und hat daher außer Betracht zu bleiben.

Auf den vorliegenden Fall ist noch das alte Recht anzuwenden; die Vorschrift des neuen Rechts ( § 1267 Reichsversicherungsordnung - RVO -) gilt nach § 20 des Art. 2 Arbeiterrentenversicherungs- Neuregelungsgesetz (ArVNG) zwar auch für früher eingetretene Versicherungsfälle, ist jedoch auf diese erst vom 1. Januar 1957 ab anzuwenden, zu welchem Zeitpunkt die Klägerin das 18. Lebensjahr bereits vollendet hatte; überdies würde § 44 des Art. 2 a.a.O., der den § 20 nicht in Bezug nimmt, ohnehin einer Anwendung der Vorschriften des neuen Rechts durch das BSG. entgegenstehen.

Da es sich um eine Fremdrente handelt (der Versicherte, als dessen Waise die Klägerin angesehen werden will, hatte lediglich zur LVA. Brandenburg Beiträge gezahlt), ist nach § 2 Fremdrentengesetz (FremdRG) beziehungsweise für die Zeit vor dem 1. April 1952 nach § 20 Abs. 3 FremdRG in Verbindung mit § 1 des Bayerischen Flüchtlingsrentengesetzes vom 3. Dezember 1947 die RVO in der Fassung vom 1. Februar 1956 anzuwenden, d.h. im vorliegenden Falle § 1258 RVO a.F.

Da das SG. unangefochten festgestellt hat, daß der Versicherte R... seit Januar 1945 verschollen ist ( § 1259 in Verbindung mit § 1260 RVO a.F.), ist die Waisenrente an die Klägerin als uneheliches Kind dann zu gewähren, wenn die Vaterschaft R... festgestellt ist.

Eine allgemein bindende Feststellung dieser Vaterschaft könnte einzig durch ein Statusurteil erfolgt sein. Das amtsgerichtliche Urteil, auf das die Klägerin sich beruft, stellt jedoch nur im Sinne des § 1717 BGB die sog. "Gilt- oder Zahlvaterschaft" R... fest. Das im § 1258 RVO a.F. für die Gewährung der Waisenrente vorgesehene Erfordernis, die Vaterschaft müsse festgestellt sein, verlangt nach Auffassung des Senats über diese Zahlvaterschaft hinaus jedoch die Feststellung der blutsmäßigen Vaterschaft.

Auch das bürgerliche Recht kennt nur einen einheitlichen Begriff der unehelichen Vaterschaft im Sinne der tatsächlichen Erzeugerschaft (vgl. BGHZ. 5 S. 390 ff.). Durch § 1717 BGB wird einzig eine im Rahmen der Unterhaltsansprüche nur beschränkt widerlegbare Vermutung dafür aufgestellt, daß die Beiwohnung während eines bestimmten Zeitraums zur Erzeugung des Kindes geführt hat; aus der solcherweise vermuteten biologischen Vaterschaft wird alsdann die Unterhaltsverpflichtung abgeleitet.

Im sozialgerichtlichen Verfahren kann diese Vermutung dagegen nicht ohne weiteres zugrunde gelegt werden, da sie ihrem Wesen nach der aus der Amtsermittlungspflicht abzuleitenden Verpflichtung der Sozialgerichte, die absolute Wahrheit zu ermitteln, widerspricht.

Wenn das Gesetz weiter den Begriff "Feststellung" gebraucht, so wird damit der wirkliche Beweis der Vaterschaft gerade im Gegensatz zur "Glaubhaftmachung" im Versorgungsrecht gefordert (vgl. RVA. in AN. 1925 S. 386 und 1926 S. 204). Die Feststellung jener Vaterschaft hatte das SG. als Vorfrage selbständig im Wege der Amtsermittlung zu klären und zu entscheiden, wobei es eine entsprechende Feststellung nur dann treffen durfte, wenn es von der blutsmäßigen Vaterschaft voll überzeugt war. Bei dieser Entscheidung wird die Würdigung eines auf Grund des § 1717 BGB ergangenen Unterhaltsurteils stets eine besondere Bedeutung haben und recht oft ausreichen, dem Gericht bereits die Überzeugung von der blutsmäßigen Vaterschaft zu verschaffen. Im vorliegenden Falle hat das SG. dagegen auf Grund der von ihm gewürdigten Beweise, zu denen auch jenes Unterhaltsurteil zählte, die blutsmäßige Vaterschaft nicht als erwiesen angenommen. An diese tatsächliche Feststellung ist das BSG. gebunden, da die Klägerin diese Feststellung als solche nicht angegriffen hat.

Das angefochtene Urteil läßt demnach, da davon ausgegangen werden muß, daß die Vaterschaft im Sinne des § 1258 RVO a.F. nicht festgestellt werden konnte, keine Rechtsverletzung erkenn; unter diesen Umständen ist der erhobene Waisenrentenanspruch unbegründet.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG .

 

Fundstellen

Haufe-Index 2324177

BSGE, 193

BSGE, 8, 193-195 (Leitsatz 1 und Gründe)

NJW 1959, 838

NJW, 838 (Leitsatz 1 und Gründe)

RegNr, 798

MDR 1959, 432

MDR, 432 (Leitsatz 1 und Gründe)

Mitteilungen. Ruhrknappschaft Bochum, 97 (Leitsatz 1 und Gründe)

SozR, (Leitsatz)

SozR, Nr 3 zu § 1258 RVO aF (Leitsatz)

ZfF, 187 (Leitsatz 1 und Gründe)

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