Leitsatz (amtlich)

Haben bei einer in der DDR pflichtversicherten Selbständigen nach dem dortigen Beitragssystem die Beitragsleistungen beträchtlich unter denen einer abhängig beschäftigten Vergleichsperson gelegen, so führt das zur Einstufung in eine niedere Leistungsgruppe.

 

Normenkette

FRG § 23 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25, § 22 Anl 1

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 26. Juni 1974 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 1971 wird in vollem Umfang zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagen vom 14. November 1972 wird abgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz sind zu einem Drittel von der Beklagten zu tragen; außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten - noch - darüber, wie die Versicherungszeiten, die die Klägerin vom April 1951 bis Dezember 1953 und vom Januar 1955 bis Juni 1956 als pflichtversicherte Selbständige im Ostsektor von B. zurückgelegt hat, bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen sind.

Die 1906 geborene Klägerin arbeitete von 1932 bis 1942 als Bilanzbuchhalterin in der Praxis ihres Ehemannes (Helfer in Steuersachen). Seit Oktober 1942 war sie selbständige Helferin in Steuersachen in B.-O.; im Mai 1959 siedelte sie nach W.-B. über. Beitragsleistungen für die gesamte streitige Zeit sind durch den Versicherungsausweis nachgewiesen.

Die Klägerin bezieht von der Beklagten seit März 1971 Altersruhegeld (Bescheid vom 17. Februar 1971). Bei der Rentenberechnung legte die Beklagte für die Zeit von Februar 1949 bis Mai 1959 die Leistungsgruppe 3 der Anlage 1 Abschnitt B zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) zugrunde. Die Klägerin begehrte statt dessen auf Grund ihrer langjährigen beruflichen Erfahrung und der Tätigkeitsmerkmale Einstufung in die Leistungsgruppe B 2. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab. Das Landessozialgericht (LSG) verurteilte die Beklagte, bei der Rentenberechnung für die Jahre 1951 bis 1953 und 1955 bis Mai 1959 die Leistungsgruppe B 2 zugrunde zu legen (Urteil vom 15.3.1972).

Im Revisionsverfahren wurde dieses Urteil - nachdem die Klägerin durch den Bescheid der Beklagten vom 14. November 1972 für die Zeit von Juli 1956 bis Mai 1959 klaglos gestellt worden war - insoweit aufgehoben, als es die Zuordnung in die Leistungsgruppen der Anlage 1 zu § 22 FRG für die Jahre 1951 bis 1953 und 1955 bis Juni 1956 betrifft; in diesem Umfang wurde der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen (Urteil des Senats vom 19.12.1973, SozR Nr 4 zu § 23 FRG = Die Angestelltenversicherung 1974, 393). Das LSG hat darauf seine frühere Entscheidung wiederholt, jedoch mit der Einschränkung, daß die Berufung hinsichtlich der Monate Januar bis März 1951 als unbegründet zurückgewiesen wurde (Urteil vom 26.6.1974). Es hat festgestellt, daß die von der Klägerin für die noch streitige Zeit entrichteten Beiträge beträchtlich unter denen lagen, die eine nach den Tätigkeitsmerkmalen vergleichbare, der Leistungsgruppe 2 zuzuordnende unselbständige Buchhalterin zu entrichten hatte; entsprechend (um die Hälfte) niedriger sei auch die aus den Beiträgen zu erwartende Versicherungsleistung (Steigerungsbetrag) gewesen. Die unterschiedliche Beitragshöhe sei die Folge eines Beitragssystems, das bei unselbständig Beschäftigten Beitragsleistungen in Höhe von 20% des Entgelts, bei Selbständigen in Höhe von nur 10% des Einkommens vorsehe. Darin habe das Bundessozialgericht (BSG) früher (SozR Nr 3 zu § 23 FRG) keinen Grund zu einer niedrigeren Einstufung der Selbständigen gesehen. Das LSG meint, der nachgewiesenen Beitragsleistung dürfe im Rahmen des § 23 Abs 1 FRG keine so ausschlaggebende Bedeutung zukommen, zumal sonst Selbständige mit nachgewiesener Beitragsleistung gegenüber anderen ohne derartigen Nachweis benachteiligt seien. Maßgeblich müsse vielmehr das der Beitragsleistung zugrunde liegende Arbeitseinkommen, bei Selbständigen also der Gewinn sein. Dieser habe im noch streitigen Zeitraum erheblich über dem Entgelt einer vergleichbaren Buchhalterin gelegen. Die Einstufung in die Leistungsgruppe 2 sei daher gerechtfertigt.

Mit der - wiederum - zugelassenen Revision beantragt de Beklagte,

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit sie verurteilt wurde, und die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang zurückzuweisen.

Sie rügt - erneut - eine Verletzung des § 23 Abs 1 FRG. Das LSG habe zu Unrecht einen Einkommensvergleich vorgenommen. Das angefochtene Urteil laufe im Ergebnis auf die Nichtberücksichtigung der Beitragsleistung hinaus.

Die Klägerin ist vor dem BSG nicht vertreten; sie hat sich jedoch ebenso wie die Beklagte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Welcher Leistungsgruppe die Klägerin für die jetzt noch streitige Zeit (April 1951 bis Dezember 1953 und Januar 1955 bis Juni 1956) zuzuordnen ist, beurteilt sich nach § 23 Abs 1 FRG. Diese Vorschrift ist auch dann anwendbar, wenn zwar - wie hier - die Höhe des Gesamtbeitrags zur Sozialversicherung, nicht aber die Höhe des Anteils zur Rentenversicherung nachgewiesen ist. Das hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 19. Dezember 1973 klargestellt. § 23 Abs 1 FRG bestimmt, daß bei pflichtversicherten Selbständigen § 22 FRG unter Berücksichtigung der Beitragsleistung entsprechend anzuwenden ist. Hierzu ist nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 24, 99ff; SozR Nr 3 und 4 zu § 23 FRG) zunächst ein nach der Berufstätigkeit vergleichbarer unselbständiger Beschäftigter zu ermitteln. Als solche Vergleichsperson hat das LSG zu Recht eine abhängig beschäftigte berufserfahrene Buchhalterin der Leistungsgruppe 2 herangezogen. Sodann ist zu prüfen, ob sich die Beitragsleistung der Klägerin im Rahmen der Beitragsleistung hält, welche die der Leistungsgruppe 2 zuzuordnende Vergleichsperson im Herkunftsland erbracht hat. Bei erheblichen Beitragsunterschieden ist eine Korrektur der Einstufung nach oben oder unten erforderlich (vgl BSG aaO).

Die Beitragsleistung ist bei pflichtversicherten Selbständigen deshalb von besonderer Bedeutung, weil ihr Versicherungsschutz regelmäßig von der Höhe der Beiträge abhängt. Deshalb durfte das von der Klägerin in B.-O. erzielte beitragpflichtige Einkommen nicht, wie vom LSG im ersten Berufungsurteil geschehen, mit den Tabellenwerten in den Anlagen zum FRG verglichen werden. Der Senat hat bereits im Urteil vom 19. Dezember 1973 hierzu bemerkt, daß es auf die Einkommensverhältnisse der in § 23 Abs 1 FRG genannten Personengruppen nicht ankommt; das Gesetz verlange die Berücksichtigung der Beitragsleistung. Der Senat hatte zwar noch erwogen, daß deren Berücksichtigung zu einem unbefriedigenden Ergebnis führen könne, wenn der pflichtversicherte Selbständige trotz geringerer Beitragsleistung im Ergebnis doch den gleichen oder annähernd gleichen Versicherungsschutz wie die Vergleichsperson erworben habe. Dieser Vorbehalt ist gegenstandslos geworden, nachdem das LSG festgestellt hat, daß auch der Versicherungsschutz der Klägerin im Herkunftsland erheblich (um die Hälfte) geringer gewesen ist.

Das LSG hat gleichwohl in dem angefochtenen Urteil erneut auf das beitragspflichtige Einkommen der Klägerin zurückgegriffen und dieses nunmehr mit dem beitragspflichtigen Entgelt der Vergleichsperson verglichen. Das entspricht wiederum nicht dem Gesetz. Es findet sich dafür keine Rechtfertigung in der früheren Rechtsprechung des BSG. Über einen Fall unterschiedlicher Beitragsleistung zwischen pflichtversicherten Selbständigen und vergleichbaren unselbständigen Beschäftigten war in den vom LSG zitierten Urteilen des BSG nicht zu entscheiden. Das Urteil vom 23. März 1966 (SozR Nr 2 zu § 23 FRG) betraf einen freiwillig Versicherten. Das Urteil vom 15. März 1967 (SozR Nr 3 zu § 23 FRG) betonte, daß dort (Vergleich des pflichtversicherten selbständigen Zahnarztes mit dem unselbständigen Oberarzt der Leistungsgruppe B 2) die Beitragshöhe die gleiche gewesen wäre. Gerade das ist hier nicht der Fall.

Auch aus § 23 Abs 2 FRG läßt sich die Auffassung des LSG nicht herleiten. Diese Vorschrift enthält nur eine Ersatzlösung für den Fall, daß die Höhe der Beitragsleistung nicht nachgewiesen ist. Selbst die in Absatz 2 getroffene Regelung muß sich möglichst noch an Abs 1 ausrichten, nicht umgekehrt. Bei der Beachtung der Einkommensverhältnisse gemäß Abs 2 darf der Zusammenhang mit der Beitragsleistung nicht außer Betracht bleiben; es muß - worauf die Beklagte in der Revisionserwiderung zutreffend hinweist - berücksichtigt werden, wie sich die Einkommensverhältnisse für die Höhe der Beitragsleistung nach dem Recht des Herkunftslandes auswirken. Die Brücke zu § 22 FRG ist auch hier grundsätzlich über die Beitragsleistung zu finden.

Schließlich rechtfertigt sich die Auffassung des LSG nicht aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Wie die Bundestags-Drucksache III/1109 S 44 erkennen läßt, sollte bei pflichtversicherten Selbständigen die Höhe der Beitragsleistung maßgebend sein und der Selbständige wie ein Arbeitnehmer mit vergleichbarer Beitragsleistung behandelt werden.

Die Berücksichtigung der Beitragsleistung muß hier aber für die streitige Zeit entgegen der Ansicht des LSG wegen der beträchtlichen Beitragsdifferenz zu einer Korrektur der Einstufung nach unten führen, nämlich zur Einstufung der Klägerin in die Leistungsgruppe B 3 der Anlage 1 zu § 22 FRG. Daß die Klägerin dabei nur deshalb benachteiligt würde, weil ihre Beitragsleistung nachgewiesen ist, trifft nicht zu; denn auch, wenn § 23 Abs 2 FRG anwendbar wäre, könnte das Ergebnis angesichts des bekannten unterschiedlichen Beitragssystems kein anderes sein.

Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang zurückzuweisen. Ebenso ist die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 14. November 1972 abzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650123

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