Leitsatz (amtlich)
1. Weisen die Anlagen zum FRG 2 Leistungsgruppen das gleiche Bruttojahresarbeitsentgelt zu, so ist die Klage auf Eintragung der höheren Leistungsgruppe in die Versicherungsunterlagen mangels Rechtsschutzinteresse unzulässig.
2. Zur Einstufung von wissenschaftlichen Forschungstätigkeiten auf Spezialgebieten (Raketentechnik).
Normenkette
FRG § 22 Anl 1; SGG § 54 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; VuVO § 11 Abs. 2 Fassung: 1960-03-03
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird die Klage als unzulässig abgewiesen, soweit sie den Zeitraum vom 1. Januar 1951 bis 15. April 1952 betrifft. Insoweit werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. November 1974 und des Sozialgerichts München vom 22. Januar 1973 geändert. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der 1914 geborene Kläger schloß im November 1938 das Hochschulstudium der Physik mit dem Doktorexamen ab. Danach war er bis Februar 1943 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Forschungsanstalt der D. und anschließend bis Kriegsende als Assistent am Institut für angewandte Physik der Universität B. tätig. Ab 15. März 1946 wurde er zum "Institut R." in B./Südharz dienstverpflichtet und von dort am 23. Oktober 1946 in die Sowjetunion verbracht, wo er im Wissenschaftlichen Forschungsinstitut des Bezirks M. bis 15. April 1952 arbeitete.
Mit Bescheid vom 15. Januar 1970 stellte die Beklagte Versicherungsunterlagen für die nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anrechenbaren Zeiten her. Dabei stufte sie den Kläger von März 1946 bis April 1952 in die Leistungsgruppe B 2 der Anlage 1 zum FRG ein. Der Kläger begehrt Höherstufung in B 1.
Nach erfolglosem Widerspruch hat das Sozialgericht (SG) seiner Klage stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat sie dagegen abgewiesen. Es hielt die Klage für zulässig auch für den Zeitraum von Januar 1951 bis April 1952, obgleich die Anlage 9 zum FRG für diese Zeit den Leistungsgruppen B 1 und B 2 denselben Bruttojahresarbeitsentgelt zuweise. In der Sache sei eine Einstufung in die Leistungsgruppe B 1 nicht gerechtfertigt. Die Einstufung der in der Forschung arbeitenden Personen bereite zwar Schwierigkeiten. Indessen erfordere auch bei ihnen die Zuordnung zu B 1 besondere berufliche Erfahrungen. Sie seien nicht mit der wissenschaftlichen Qualifikation gleichzusetzen und nicht schon deshalb zu bejahen, weil die Forschungsarbeit einem Spezialgebiet - hier: der Raketentechnik diene. Der Kläger habe in seinem damaligen Alter noch nicht über die für B 1 vorausgesetzten beruflichen Erfahrungen verfügt. Sie seien auch bei einem wissenschaftlich arbeitenden Akademiker grundsätzlich erst mit 45 Lebensjahren vorhanden. Besonderheiten, die eine Ausnahme rechtfertigen könnten, seien nicht gegeben. Dazu reiche nicht aus, daß der Kläger zuvor schon acht Jahre in der Forschung gearbeitet habe, daß er Leiter einer Arbeitsgruppe gewesen sei und Freiheit in der wissenschaftlichen Arbeitsweise genossen habe. Das LSG hat die Revision zugelassen, weil die Einstufung wissenschaftlich besonders qualifizierter Tätigkeiten eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung sei.
Mit der Revision beantragt der Kläger,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichtes zurückzuweisen.
Er rügt die Verletzung des § 22 FRG. Dem Leistungsgruppenkatalog sei eine so totale Schematisierung, wie sie das LSG vorgenommen habe, fremd. Auf wissenschaftlichem Fachgebiet seien die "besonderen Erfahrungen" nicht von einer Altersgrenze abhängig, wie Beispiele bekannter Naturwissenschaftler zeigten. Er habe mit seinem Gehalt schon ab November 1942 die Versicherungspflichtgrenze und in B. die Verdienste leitender Regierungsdirektoren und höchstbezahlter Angestellten im öffentlichen Dienst überschritten. Daraus folge, daß er über ein besonderes Maß an wissenschaftlicher Befähigung und beruflichem Können verfügt habe. Auch in der Sowjetunion habe er eine Spitzenstellung innegehabt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Soweit es sich um die Zeit von Januar 1951 bis April 1952 handelt, ist die Klage überhaupt unzulässig. Wäre die Klage, wie das LSG meint, als Feststellungsklage iS von § 55 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) aufzufassen, so träfe das schon deshalb zu, weil die Feststellung der zutreffenden Leistungsgruppe keine Feststellung eines Rechtsverhältnisses ist. Aber auch die in Wahrheit anzunehmende Anfechtungs- und Verpflichtungs*-klage muß insoweit als unzulässig angesehen werden, weil dem Höherstufungsbegehren des Klägers für diese Zeit das Rechtsschutzinteresse fehlt. Die Einstufung in die Leistungsgruppen des FRG ist kein Selbstzweck. Sie dient allein der "Ermittlung der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage" (§ 22 Abs 1 Satz 1 FRG). Ist es für diese gleichgültig, ob der Kläger zur Leistungsgruppe B 1 oder B 2 gehört, entfällt das Interesse an solcher Klärung. Der Kläger kann dann nicht verlangen, daß sich die Gerichte mit dem Begehren auf Höherstufung sachlich befassen. Entgegen der Auffassung des LSG gilt das auch dann, wenn die Einstufung schon im Verfahren zur Herstellung von Versicherungsunterlagen nach § 11 Abs 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung streitig wird. Für die Jahre 1951 und 1952 hat die Tabelle der Anlage 9 zum FRG aber den Leistungsgruppen B 1 und B 2 jeweils denselben Bruttojahresarbeitsentgelt zugewiesen.
An der Abweisung der Klage als unzulässig für diesen Zeitraum sieht sich der Senat auch nicht gehindert durch das Urteil des 12. Senats vom 18. Dezember 1974 (SozR 2200 Nr 8 zu § 1251 RVO). Dort hat zwar der 12. Senat das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auf "Anerkennung und Anrechnung" von Ersatzzeiten bejaht, selbst wenn dadurch keine Rentensteigerung bewirkt wird; jeder Versicherte könne verlangen, daß bei der Rentenberechnung alle Rechnungsgrößen seines Falles erfaßt würden, zumal sie für spätere Rechtsänderungen bedeutsam sein könnten. Der erkennende Senat kann dieser Auffassung zwar nicht folgen; er braucht aber hier sich weder näher mit ihr zu befassen noch den Großen Senat des Bundessozialgerichts (BSG) gemäß § 41 SGG anzurufen, weil die Ausführungen des 12. Senats sich auf die Rentenfeststellung beziehen; der vorliegende Rechtsstreit betrifft dagegen die Herstellung von Versicherungsunterlagen.
Im übrigen, dh für die Zeit von März 1946 bis Dezember 1950, ist die Revision unbegründet. Der Kläger kann für diese Zeit nicht in die Leistungsgruppe B 1 eingestuft werden.
Die Leistungsgruppe umfaßt nach ihrer Definition "Angestellte in leitender Stellung mit Aufsichts- und Dispositions*-befugnis". Wiederholt hat der Senat allerdings hervorgehoben, daß diese Definition wie die anderen Gruppendefinitionen auf Arbeitnehmer der Privatwirtschaft (Industrie und Handel) ausgerichtet ist. Selbst dort ist sie nur für Berufssparten gedacht, deren Spitzenstellungen in aller Regel von leitenden, mit Aufsichts- und Dispositions*-befugnis versehenen Angestellten eingenommen werden (vgl dazu SozR Nr 9 zu § 22 FRG, letzter Absatz). Dementsprechend muß die Definition unter Umständen den Eigenarten anderer Berufstätigkeiten angepaßt werden; das ist vornehmlich für Beschäftigungen im öffentlichen Dienst, nicht selten aber auch bei akademischen Berufen, geboten. Mithin bedarf die Definition für wissenschaftliche Forschungstätigkeiten wohl ebenfalls der Anpassung an deren Besonderheiten. Diese Frage kann jedoch weitgehend offenbleiben.
In keinem Falle ist nämlich auf diejenigen Tätigkeitsmerkmale zu verzichten, welche die persönliche Qualifikation kennzeichnen. In den Urteilen vom 20. September 1973 (11 RA 20/73; unveröffentlicht) und vom 29. Januar 1975 (SozR 5050 Nr 1 zu § 22 FRG) ist dargelegt, daß die Leistungsgruppe B 1 immer auch ein hohes Maß an beruflichen Erfahrungen erfordert über die für die Leistungsgruppe B 2 erforderlichen "besonderen Erfahrungen" hinaus. Es ist bei Akademikern vor dem 45. Lebensjahr nur dann erworben, wenn sie zuvor schon berufliche Positionen erreicht haben, die sich aus den allgemeinen Positionen ihrer Berufskollegen deutlich herausheben (SozR aaO).
Dieser Rechtsprechung läßt sich nicht der Vorwurf "totaler Schematisierung" machen. Wenn sie auch Faustregeln bildet, so gibt sie doch für abweichende Eingruppierungen Raum. Sie berücksichtigt allerdings, daß der Gesetzgeber, weil er nicht jedem FRG-Berechtigten ein individuelles Entgelt zuweisen konnte, von vornherein zur Schematisierung gezwungen war (vgl SozR Nr 10 zu § 22 FRG); ferner beruht sie mit auf der Erwägung, da nicht gegenwärtige Berufstätigkeiten im Bundesgebiet, sondern zeitlich oft lange zurückliegende Tätigkeit außerhalb dieses Gebietes zu qualifizieren sind, für die sich ein individuell wirklich zutreffendes Bild meist gar nicht mehr gewinnen läßt. Deshalb kann der Hinweis darauf, daß Personen mit besonders hoher Intelligenz ihre Berufskollegen schon in sehr frühen Jahren überragen können, den Senat nicht zu einer Änderung seiner Rechtsprechung veranlassen. Der Senat hält daran fest, daß die Heraushebung aus den allgemeinen Positionen der Berufskollegen objektiv feststellbar und evident sein muß.
Ein solch deutliches Abheben von Positionen vergleichbarer Berufskollegen ist hier für die Zeit von März 1946 bis Dezember 1950 aus den Feststellungen des LSG nicht zu erkennen. Der Kläger verweist demgegenüber im wesentlichen auf die Höhe seines Gehalts von Ende 1942 bis 1945; er meint, es belege seine hohe wissenschaftliche Befähigung und sein berufliches Können. Dieses Vorbringen ist durchweg tatsächlicher Art und darum vom Senat nicht zu berücksichtigen. Davon abgesehen ist dem LSG zuzustimmen, daß Befähigung und Können noch nicht die erforderliche Voraussetzung hoher beruflicher Erfahrungen erfüllen. Selbst wenn jedoch der Kläger von Ende 1942 bis 1945 rascher und umfangreicher als Berufskollegen berufliche Erfahrungen gesammelt hätte, wäre diese Zeit immer noch zu kurz gewesen, um für die hier streitige Zeit ein deutliches Herausheben aus den Positionen von Berufskollegen zu erkennen. Daran ändert auch nichts, daß der Kläger auf dem Spezialgebiet der Raketentechnik gearbeitet und gerade dieser Forschungsbereich in der Nachkriegszeit höchste Aktualität erlangt hat. Der Kläger unterstand als Leiter einer Planungsgruppe zudem immer noch Abteilungs-, Projekt- bzw. Instituts*-leitern; es ist nicht festgestellt, daß seine Tätigkeit ihm zB Überblicke über größere Teile des Gesamtprojektes, Vergleiche des Entwicklungsstandes im gesamten Projektbereich usw., dh wichtige Einsichten für die Gewinnung hoher beruflicher Erfahrungen vermittelt hätte. Deshalb rechtfertigt sich auch für die letzten Jahre der streitigen Zeit nicht die Höherstufung in B 1.
Hiernach waren die Urteile der Vorinstanzen für die Zeit von Januar 1951 bis April 1952 dahin zu ändern, daß die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen wird (was keine reformatio in peius bedeutet); im übrigen mußte die Revision zurückgewiesen werden.
Fundstellen