Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten einer stationären Behandlung der Ehefrau des Klägers zu tragen hat.

Der Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger. Er reiste im September 1979 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Er nahm eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf und ist seit dem 1. Januar 1980 Mitglied der Beklagten. Seine Ehefrau reiste im September 1980 zu ihrem Ehemann in die Bundesrepublik. Sie ist ebenfalls ghanaische Staatsangehörige. Der von ihr gestellte Asylantrag wurde rechtskräftig abgelehnt, ihre Aufenthaltserlaubnis wurde jedoch verlängert.

Der Kläger erhielt von der Beklagten ein Krankenscheinheft, das auch Krankenscheine für Familienhilfeansprüche enthielt. Seine Ehefrau begab sich am 4. Januar 1982 in die ambulante Behandlung des Dr. H…. Am 12. Januar 1982 teilte die Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau mit, Ansprüche auf Krankenhilfe beständen während eines laufenden Asylverfahrens nicht; zuständig sei die Sozialbehörde.

Vom 10. bis 13. Mai 1982 wurde die Ehefrau des Klägers auf Veranlassung von Dr. H… stationär im Allgemeinen Krankenhaus A… behandelt, das dem Kläger am 27. Mai 1982 einen Gebührenbescheid über 1.108,20 DM erteilte. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Übernahme dieser Kosten ab (Bescheid vom 29. Juli 1982). Der Kläger habe als Asylbewerber keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich der RVO gehabt. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 6. Oktober 1982 zurück.

Das Sozialgericht Hamburg (SG) hat die Beklagte zur Kostentragung verurteilt (Urteil vom 16. Juni 1983) - Das Landessozialgericht Hamburg (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 5. Dezember 1983). Neben den übrigen von der Beklagten nicht bestrittenen Voraussetzungen eines Familienhilfeanspruchs nach § 205 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) habe die Ehefrau des Klägers während ihres stationären Krankenhausaufenthaltes auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland i.S. von § 30 Abs. 3 Satz 1 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I) gehabt. Die bloße Tatsache eines Verweilens von einer gewissen Dauer und Regelmäßigkeit genüge. Der Wille an diesem Ort den Daseinsmittelpunkt zu begründen, sei nicht einmal in jedem Fall erforderlich. Allein entscheidend sei also hier, daß die Ehefrau des Klägers ihren Wohnsitz in Ghana aufgegeben habe und in der Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Einreise mit einer gewissen Dauer und Regelmäßigkeit tatsächlich verweile. Es sei nicht zu prüfen gewesen, ob eine behandlungsbedürftige, Krankenhauspflege erfordernde Erkrankung bestanden habe. Abgesehen davon, daß die Beklagte den Erstattungsanspruch des Klägers ausschließlich wegen des fehlenden gewöhnlichen Aufenthalts der Ehefrau in der Bundesrepublik abgelehnt habe, reiche es aus, daß die Einweisung vom ärztlichen Standpunkt aus nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft erforderlich gewesen sei. Diese Prüfung werde grundsätzlich von dem behandelnden Kassenarzt - hier Dr. H… - vorgenommen. Durch seine Einweisung habe er die Notwendigkeit bestätigt, wobei die Beklagte kein Nachprüfungsrecht habe.

Mit ihrer von dem LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 205 Abs. 1 Satz 1 RVO i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I. Die Ehefrau des Klägers habe sich als Asylbewerberin nicht gewöhnlich im Bundesgebiet aufgehalten, so daß der Kläger für sie keinen Familienkrankenhilfeanspruch gehabt habe. Im übrigen sei in den Vorinstanzen die Aufklärung unterlassen worden, ob tatsächlich die Voraussetzungen für eine selbstbeschaffte Krankenhauspflege erfüllt gewesen seien. Weiterhin stehe die Rechtswirkung des ablehnenden Bescheides der Möglichkeit entgegen, daß der Kläger sich die Sachleistung (Krankenhauspflege für seine Ehefrau) selbst verschaffe; vielmehr habe er die ablehnenden Entscheidungen mit den zulässigen Rechtsmitteln angreifen müssen. Nachdem der behandelnde Arzt Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit angenommen habe, hätte der Kläger die Kostenentscheidung der Kasse einholen müssen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß, das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 5. Dezember 1983 sowie das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Juni 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Hamburg zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Nach den tatsächlichen Umständen könne nur Hamburg als Daseinsmittelpunkt des Klägers und seiner Ehefrau angesehen werden. Die Ehefrau des Klägers habe bei ihm in Hamburg gelebt. Nach natürlichem Verständnis sei dann davon auszugehen, daß damit der gewöhnliche Aufenthalt bei dem Ehemann in Hamburg begründet worden sei.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht. Ob die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten der Krankenhausbehandlung der Ehefrau des Klägers zu tragen, kann nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend entschieden werden.

Nachdem die Beklagte dem Kläger am 12. Januar 1982 mitgeteilt hatte, er habe keinen Anspruch auf Familienkrankenhilfe für seine Ehefrau, brauchte der Kläger im Mai 1982 die Krankenhausbehandlung als Sachleistung für seine Ehefrau nicht bei der Beklagten zu beantragen; er konnte sie sich vielmehr "selbst beschaffen", weil er davon ausgeben konnte, die Beklagte werde, ihm die Leistung verweigern. Ein Versicherter hat in solchen Fällen Anspruch auf Erstattung der ihm entstandenen Kosten, wenn der Versicherungsträger die Sachleistung rechtswidrig verweigert hätte. Die Anspruchsvoraussetzungen sind dann im Erstattungsstreit zu klären (BSG SozR 2200 § 182 Nr. 86).

Mit der Begründung, der Kläger habe für seine Ehefrau deshalb keinen Familienkrankenhilfeanspruch, weil diese sich als Asylbewerberin nicht gewöhnlich im Geltungsbereich der RVO aufhalte, kann die Beklagte den Erstattungsanspruch des Klägers nicht ablehnen. Der 3. Senat des BSG hat mit seinem (zur Veröffentlichung bestimmten) Urteil vom 28. Juni 1984 (3 RK 27/83) entschieden, daß Asylbewerber ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, jedenfalls im Sinne von § 205 Abs. 1 RVO, haben und deshalb insoweit die Voraussetzungen für den Anspruch des Versicherten auf Familienkrankenhilfe erfüllen. Der erkennende Senat folgt dieser Entscheidung im Ergebnis, das dem aus der Entwicklung des § 205 RVO erkennbaren Sinn dieser Vorschrift entspricht.

Familienkrankenpflege konnte schon nach dem Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883 (RGBl. 73) gewährt werden (§ 21 Nr. 5 des Gesetzes). Mit der Notverordnung vom 26. Juli 1930 RGBl. I, 311, 323 Vierter Abschnitt, Zweiter Teil, Artikel 1, Nr. 19) wurde § 205 Abs. 1 RVO neu gefaßt und damit die Familienkrankenhilfe allgemein als Regelleistung für unterhaltsberechtigte Ehegatten und Kinder eingeführt, die sich gewöhnlich im Inland aufhalten. Seitdem ist dieser Aufenthalt des Familienangehörigen Tatbestandsvoraussetzung geblieben. Lediglich mit Art 1 § 1 Nr. 18 des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes vom 27. Juni 1977 (BGBl. I 1069) wurde u.a. der Begriff "Inland" durch "im Geltungsbereich dieses Gesetzes" ersetzt. Eine sachlich-rechtliche Änderung war damit weder bezweckt noch eingetreten. Die Neufassung entspricht vielmehr der auch in anderen Gesetzen und vor allem im Sozialgesetzbuch verwendeten Definition zur Beschreibung des räumlichen und persönlichen Geltungsbereichs. Ob damit allerdings der gewöhnliche Aufenthalt im Sinne von § 205 Abs. 1 in jeder Hinsicht mit dem in § 30 Abs. 3 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I) definierten gewöhnlichen Aufenthalt übereinstimmt, kann hier dahinstehen. Jedenfalls hält sich jemand nur dort "gewöhnlich" auf, wo er - wenn auch nicht ununterbrochen, so doch vorwiegend - während eines längeren Zeitraums tatsächlich lebt. Ein tatsächlich nur vorübergehender Aufenthalt erfüllt daher nicht die Voraussetzungen des "gewöhnlichen Aufenthalts". Mit dem Tatbestandsmerkmal des "sich gewöhnlich im Inland oder im Geltungsbereich der RVO Aufhaltens" sollte bezweckt werden, daß Familienkrankenhilfeleistungen nicht ins Ausland erbracht werden und auch nicht an Familienangehörige, die im Ausland leben und sich nur kurzfristig im Inland aufhalten, etwa um Familienangehörige zu besuchen oder gar zu dem Zweck, sich eine Leistung der deutschen Krankenversicherung zu verschaffen. Das ist aber nicht der Fall, wenn - wie hier - die Ehefrau eines Versicherten mit diesem zusammen in der Bundesrepublik lebt, nirgendwo sonst einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und das Schicksal des Ehemannes auch weiterhin teilen will. In diesem Fall müssen die aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen des § 205 Abs. 1 RVO als erfüllt angesehen werden, weil insoweit für die Ehefrau keine höheren Anforderungen gelten können als für den Versicherten, für den der gewöhnliche Aufenthalt nicht gefordert wird. Denn der Leistungsanspruch des Versicherten setzt nicht voraus, daß dieser selbst seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich der RVO hat. § 30 Abs. 1 SGB I steht dem nicht entgegen. Die Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung sind nämlich nicht vom Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland abhängig, so daß hier der Vorbehalt des § 30 Abs. 2 SGB I a.F. (jetzt § 37 SGB I) eingreift. Das Vierte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IV) bezieht in die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung, soweit sie eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit voraussetzen, alle Personen ein, die im Geltungsbereich des SGB beschäftigt oder selbständig tätig sind (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV). In allen Zweigen der Sozialversicherung sind Personen versichert, die u.a. gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV). Der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt im Geltungsbereich des SGB als Voraussetzung für die Einbeziehung in die von SGB IV erfaßten Sozialversicherungszweige ist nur erforderlich, soweit die Versicherungspflicht eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht voraussetzt (§ 3 Nr. 2 SGB IV). Der Kläger hatte daher mit dem Beginn seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung alle Ansprüche aus der gesetzlichen Krankenversicherung ohne daß es dabei von Bedeutung war, ob er als Asylbewerber einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte oder nicht, denn dessen Entbehrlichkeit kann nicht nur die Versicherungspflicht betreffen, sondern muß auch für die Leistungen gelten.

Es würde dem Sinn und Zweck der Familienkrankenhilfe als einer Leistung, auch für solche Versicherte, die keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben, nicht gerecht werden, wollte man den Versicherungsschutz verneinen, wenn die mit dem Versicherten zusammenlebende Ehefrau behandlungsbedürftig wird. Es muß in solchen Fällen vielmehr ausreichen, daß der Familienangehörige unter den gleichen Umständen in der Bundesrepublik Deutschland mit dem unterhaltspflichtigen Versicherten lebt, jedenfalls solange der Aufenthalt nicht illegal ist. Der Tatsache, daß bei Asylbewerbern die Dauer ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland ungewiß ist, weil sie bei negativem Ausgang ihres Asylverfahrens mit ihrer Ausweisung rechnen müssen, kann nicht die maßgebliche Bedeutung zukommen, wie sie ihr der 8b und der 10. Senat des BSG im Kindergeldrecht zugemessen haben (BSGE 49, 254, 259; 53, 294), wo der Anspruch beim Berechtigten selbst bereits von seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet abhängt.

Ob ein Familienkrankenhilfeanspruch zu verneinen wäre, wenn der Familienangehörige sich entweder nicht bei dem Versicherten oder aber unerlaubt im Bundesgebiet aufhält, d.h. ohne daß sein Aufenthalt im Sinne des Ausländerrechts geduldet, gestattet oder erlaubt ist, braucht nicht entschieden zu werden, denn solche Sachverhalte liegen nicht vor.

Eine abschließende Entscheidung über den streitigen Anspruch ist jedoch nicht möglich, weil es an notwendigen tatsächlichen Feststellungen fehlt. Mögen auch die weiteren Voraussetzungen der Familienkrankenhilfe im Sinne. von § 205 RVO hier vorliegen, so muß doch festgestellt werden, ob die Krankenhauspflege erforderlich war (§ 184 Abs. 1 RVO). Jedenfalls wenn - wie hier - die Krankenkasse ihre Leistungspflicht grundsätzlich verneint und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hatte, sind alle Anspruchsvoraussetzungen im anschließenden Erstattungsverfahren festzustellen (vgl. SozR 2200 § 182 Nr. 86). Die Bescheinigung der Notwendigkeit durch den behandelnden Arzt kann die Krankenkasse nicht - entgegen der Ansicht des LSG - binden, denn auch die ambulante Behandlung und die damit im Zusammenhang stehende Feststellung einer erforderlichen Krankenhauspflege war nach der Ablehnung jeglicher Familienkrankenhilfeansprüche seitens der Krankenkasse eine von dem Kläger selbst beschaffte Leistung. Der behandelnde Arzt konnte deshalb nicht als zugelassener Kassenarzt im Rahmen seines Beteiligungsvertrages tätig werden, so daß schon aus diesem Grunde keine Bindung der Krankenkasse an seine Feststellungen über die Erforderlichkeit einer Krankenhauspflege für die Krankenkassen eintreten kann.

Das LSG wird mit seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.8 RK 12/84

Bundessozialgericht

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518495

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