Orientierungssatz
Kein Höhenstreit wenn Arbeitslosengeld statt Arbeitslosenhilfe - Beschränkung der Arbeitszeit durch gesetzliche Vorschrift iS des § 102 Abs 2 Nr 2 AFG:
1. Wird mit der Klage anstelle der bezogenen Arbeitslosenhilfe das höhere Arbeitslosengeld geltend gemacht, handelt es sich nicht um einen Höhenstreit iS des § 147 SGG.
§ 147 SGG greift nur ein, wenn die Berufung die Höhe ein und desselben (einheitlichen) Anspruchs betrifft (vgl BSG 30.1.1975 7 RAr 87/73 = SozR 4100 § 45 Nr 4).
2. Verfahrensrechtlich handelt es sich beim Arbeitslosengeld als einer Leistung der Arbeitslosenversicherung und bei der Arbeitslosenhilfe als einer von der Bedürftigkeit abhängigen und aus Steuermitteln finanzierten Leistung um zwei verschiedene, nach Voraussetzungen, Inhalt und Umfang selbständige Ansprüche.
3. § 27 Abs 1 Halbs 2 HSchulG HA ist keine Rechtsvorschrift, die iS des § 102 Abs 2 Nr 2 AFG eine Beschränkung der Arbeitszeit auf weniger als 20 Stunden wöchentlich vorschreibt.
4. § 102 Abs 2 Nr 2 AFG erfaßt nur solche Rechtsvorschriften, die die wöchentliche Arbeitszeit eines Beschäftigten aus Gründen beschränkt, die auf sachgerechten Erwägungen zum Schutz des Arbeitnehmers vor schädlichen Folgen einer zeitlich längeren Beschäftigung beruhen (vgl BSG 22.8.1984 7 RAr 12/83 = SozR 4100 § 102 Nr 6).
5. Grundsätzlich beurteilt sich die Frage, ob eine Beschäftigung kurzzeitig ist oder nicht nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages, wie aus § 102 Abs 1 S 1 AFG folgt (vgl BSG 15.5.1985 7 RAr 22/84).
6. Von diesem Inhalt allein kann aber dann nicht ausgegangen werden, wenn sich der Natur der Sache nach eine davon abweichende, insbesondere höhere regelmäßige Arbeitszeit ergibt, wie zB durch die Art der Tätigkeit nach erforderliche Vor- und Nacharbeiten (vgl BSG 1.8.1978 7 RAr 12/77 = SozR 4100 § 102 Nr 4).
Normenkette
AFG § 102 Abs. 1, 2 Nrn. 1-2, § 104; SGG § 147 Fassung: 1958-06-25; HSchulG HA § 27 Abs. 1 Hs. 2
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 15.09.1983; Aktenzeichen V ARBf 57/82) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 17.09.1982; Aktenzeichen 2 AR 774/81) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt für mehr als 156 Tage Arbeitslosengeld (Alg).
Er hat 1976 die Diplomprüfung als Chemiker bestanden und war von 1977 bis 1981 als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität H. - mit einer Unterbrechung - teilzeitbeschäftigt. Nach seinen Arbeitsverträgen war für die Zeit vom 1. Oktober 1977 bis 30. September 1979 eine Wochenarbeitszeit von 20 Stunden vereinbart, für die Beschäftigungen vom 1. Oktober 1979 bis 31. März 1980 und vom 1. Oktober 1980 bis 30. September 1981 eine solche von 19 Stunden. Das Landessozialgericht (LSG) hat festgestellt, daß die Universitätsverwaltung in der Arbeitsbescheinigung vom 5. Oktober 1981 angegeben hat, für die Tätigkeit des Klägers ab 1. Oktober 1979 könne unter Berücksichtigung von Vorbereitungs- und Nacharbeitszeit von einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden ausgegangen werden.
Durch Bescheid vom 4. November 1981 bewilligte die Beklagte dem Kläger vom 1. Oktober 1981 an Alg für 156 Wochentage. Den Widerspruch des Klägers, mit dem er Alg für 312 Tage begehrte, wies die Beklagte zurück, weil der Kläger in der Rahmenfrist vom 1. Oktober 1978 bis 30. September 1981 nur bis zum 30. September 1979 beitragspflichtig beschäftigt gewesen sei; die Beschäftigungen zwischen dem 1. Oktober 1979 und 30. September 1981 mit 19 Wochenstunden seien kurzfristig iS des § 102 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und deshalb nicht beitragspflichtig gewesen (Widerspruchsbescheid vom 26. November 1981). Vom 1. April 1982 bis 30. April 1983 bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Mit der Klage hat er geltend gemacht, daß die gesamte Zeit seiner Beschäftigung bei der Universität H. beitragspflichtig gewesen sei. Die Vereinbarung von 19 Wochenstunden in den Zeiten seit 1. Oktober 1979 beruhe auf dem Verbot einer längeren Beschäftigungszeit für wissenschaftliche Hilfskräfte gem § 27 des Hamburgischen Hochschulgesetzes vom 22. Mai 1978 (GVBl S 109 - HmbHG -), so daß sie gem § 102 Abs 2 Nr 2 AFG als beitragspflichtig zu gelten hätten. Im übrigen habe er durch Vor- und Nacharbeitszeiten tatsächlich eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden erreicht.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben und die Beklagte unter entsprechender Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger unter Anrechnung der seit 1. April 1982 gewährten Alhi ab 1. Oktober 1981 Alg für 312 Wochentage zu gewähren (Urteil vom 17. September 1982). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 15. September 1983) und mit näherer Begründung die Auffassung des SG bestätigt, daß die mit 19 Wochenstunden vereinbarten Beschäftigungszeiten seit 1. Oktober 1979 nicht als kurzzeitig gelten, weil diese Beschränkung auf § 27 HmbHG zurückgehe, mithin auf eine Rechtsvorschrift iS des § 102 Abs 2 Nr 2 Alternative 1 AFG. Nach dieser Vorschrift seien wissenschaftliche Hilfskräfte mit weniger als der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit des öffentlichen Dienstes beschäftigt worden. Sie hätten dabei unterstützende Aufgaben in Forschung und Lehre unter der fachlichen Verantwortung eines Professors oder eines Hochschulassistenten zu erfüllen. Infolgedessen sei eine Vereinbarung über eine Wochenarbeitszeit von mehr als 19 Stunden nicht zulässig gewesen. Andere Gründe für die Beschränkung der fraglichen Arbeitszeiten lägen nicht vor. Der Annahme der Beklagten, § 102 Abs 2 Nr 2 AFG betreffe nur Vorschriften, die dem Arbeitsschutz dienten, sei nicht zu folgen. Auch eine Vorschrift wie § 27 HmbHG, die dem Zweck diene, den wissenschaftlichen Assistenten außerhalb ihrer Dienstzeit Gelegenheit zur wissenschaftlichen Weiterbildung und zur Anfertigung einer Dissertation zu geben (§ 27 Abs 1 Satz 2 HmbHG), entspreche dem mit § 102 Abs 2 Nr 2 AFG beabsichtigten Erfolg.
Die Beschäftigungen des Klägers seit 1. Oktober 1979 seien auch nicht gem § 169 Nr 1 AFG beitragsfrei gewesen, da sie weder geringfügig iS des § 168 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 8 Abs 1 Nr 1 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4) gewesen noch in der Eigenschaft eines Studenten (§ 172 Abs 1 Nr 5 RVO) ausgeübt worden seien. Mithin habe er in der Rahmenfrist für mehr als 720 Wochentage in beitragspflichtiger Beschäftigung gestanden und deshalb die Anwartschaft auf Alg für 312 Wochentage erworben (§ 106 Abs 1 Satz 2 AFG). Auch alle übrigen Anspruchsvoraussetzungen seien erfüllt. Die Aufhebung des § 27 HmbHG durch das Änderungsgesetz vom 2. Juli 1981 (GVBl S 161) ändere an diesem Ergebnis nichts.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 102, 106, 169 Nr 6 AFG. Sie trägt vor, daß die streitige Beschränkung der Arbeitszeit des Klägers auf 19 Wochenstunden nicht unmittelbar durch § 27 HmbHG vorgeschrieben werde, sondern lediglich indirekt darauf zurückzuführen sei. Zur Begründung bezieht sie sich auf das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25. Januar 1983 - L 5 Ar 320/81 - zu der ihrer Ansicht nach inhaltsgleiche Regelung in § 83 des Gesetzes über die Universitäten des Landes Baden-Württemberg. Der § 102 Abs 2 Nr 2 AFG sei deshalb nicht anwendbar. Folglich seien die Beschäftigungen des Klägers seit 1. Oktober 1979 gem § 169 Nr 6 AFG beitragsfrei gewesen und begründeten nicht den Klageanspruch. Hinsichtlich einer längeren Arbeitszeit als 19 Wochenstunden habe das LSG keine Feststellungen getroffen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 15. September 1983 und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. September 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des LSG für richtig und führt ergänzend aus, daß weder der Beklagten noch dem LSG Baden-Württemberg darin zu folgen sei, § 27 HmbHG erfülle nicht die Voraussetzungen des § 102 Abs 2 Nr 2 AFG. Auch durch diese Vorschrift erfolge unmittelbar wirksam eine Beschränkung der wöchentlichen Arbeitszeit auf unter 20 Stunden. Sie gelte darüber hinaus nicht nur, wie die Beklagte meine, für Vorschriften, die Arbeitszeitbeschränkungen zum Schutz des Arbeitnehmers enthalten. Der Kläger führt dies des Näheren aus. Im übrigen habe das LSG ausreichend und unangegriffen festgestellt, daß die Arbeitszeit des Klägers tatsächlich 20 Wochenstunden betragen habe.
Die Beteiligten sind auf die Entscheidung des Senats vom 22. August 1984 - 7 RAr 12/83 - hingewiesen worden und haben dazu Stellung genommen. Sie haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Besetzung des Senats mit den beiden mitwirkenden ehrenamtlichen Richtern entspricht dem Gesetz (vgl BSG vom 26. September 1985 - 1 S 12/85).
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die vom SG nicht zugelassene Berufung nach § 143 SGG zulässig war. Der Klageanspruch betrifft wiederkehrende Leistungen für mehr als 13 Wochen, so daß ein Ausschluß der Berufung nach § 144 Abs 1 Nr 2 SGG ausscheidet. Es handelt sich auch nicht um einen grundsätzlich nicht berufungsfähigen Höhenstreit iS des § 147 SGG. Der Kläger macht zwar anstelle der seit 1. April 1982 bezogenen Alhi mit der Klage das höhere Alg (für weitere 156 Tage) geltend, und die Berufung der Beklagten betrifft diesen Anspruch. Der § 147 SGG greift jedoch nur ein, wenn die Berufung die Höhe ein und desselben (einheitlichen) Anspruchs betrifft (BSG SozR 4100 § 45 Nr 4). Verfahrensrechtlich handelt es sich jedoch beim Alg als einer Leistung der Arbeitslosenversicherung und bei der Alhi als einer von der Bedürftigkeit abhängigen und aus Steuermitteln finanzierten Leistung (§§ 134 Abs 1 Nr 3, 188 AFG) um zwei verschiedene, nach Voraussetzungen, Inhalt und Umfang selbständige Ansprüche. Das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß diese Unterschiedlichkeit bereits im Wortlaut des § 147 SGG zum Ausdruck kommt. Wer anstelle von zugebilligter Alhi Alg erhalten möchte, begehrt keine höhere Leistung, sondern eine andere. Die Regelung in § 134 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 AFG idF des Arbeits- förderungs-Konsolidierungsgesetzes vom 22. Dezember 1981 (BGBl I, 1497 - AFKG -), wonach der Anspruch auf Alg und der Anspruch auf Alhi als einheitlicher Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit gelten, steht dem nicht entgegen; diese Regelung greift nur Platz, soweit nichts anderes bestimmt ist. Der § 147 SGG enthält insoweit aber eine abweichende Bestimmung. Da die Beklagte das geltend gemachte Alg schon dem Grunde nach abgelehnt hat, weil insoweit die Anspruchsvoraussetzungen fehlten, liegt auch hinsichtlich des Alg-Anspruchs für weitere 156 Tage kein Höhenstreit vor (BSG SozR 1500 § 147 Nr 9).
In der Sache kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Nach den Feststellungen des LSG erfüllte der Kläger für den Anspruch auf Alg vom 1. Oktober 1981 an zwar die übrigen Voraussetzungen iS des § 100 Abs 1 AFG, insbesondere die Anwartschaftszeit iS des § 104 Abs 1 bis 3 AFG. Er hat danach in der Rahmenfrist von drei Jahren vor der Entstehung des Anspruchs, dh in der Zeit vom 1. Oktober 1978 bis 30. September 1981, mehr als 360 Tage, nämlich vom 1. Oktober 1978 bis 30. September 1979, in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden, weil er insoweit bei einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden als Angestellter gegen Entgelt beschäftigt war (§§ 168 Abs 1, 169 Nr 6 iVm § 102 Abs 1 AFG). Aus den Feststellungen des LSG ergibt sich ferner die zutreffende Folgerung des Berufungsgerichts, daß besondere, die Beitragsfreiheit begründende Tatbestände nicht vorliegen. Aufgrund dieses Sachverhalts stand dem Kläger jedenfalls das von der Beklagten für 156 Tage bewilligte Alg ab 1. Oktober 1981 zu (§ 106 Abs 1 Satz 2 Nr 3 AFG idF des 5. Gesetzes zur Änderung des AFG - 5. AFG-ÄndG - vom 23. Juli 1979 - BGBl I, 1189).
Ob der Kläger jedoch ab 1. Oktober 1981 einen Anspruch auf Alg für mehr als 156 Wochentage besitzt, läßt sich den bisherigen Feststellungen des LSG nicht entnehmen. Dies hängt davon ab, ob der Kläger in der hier maßgeblichen Rahmenfrist vom 1. Oktober 1978 bis 30. September 1981 (§ 104 Abs 1 bis 3 AFG) mehr als 360 Kalendertage beitragspflichtig beschäftigt war, dh für den Anspruch auf insgesamt 312 Wochentage Alg mindestens 720 Kalendertage (§ 106 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG idF des 5. AFG-ÄndG).
Sofern die Beschäftigung des Klägers bei der Universität H. vom 1. Oktober 1979 bis 31. März 1980 und vom 1. Oktober 1980 bis 30. September 1981 auf weniger als 20 Wochenstunden beschränkt war, folgte daraus nicht die geltend gemachte höhere Anspruchsdauer; denn in diesem Falle wäre sie als kurzzeitige Beschäftigung iS des § 102 Abs 1 AFG zu bewerten und deshalb nach § 169 Nr 6 AFG beitragsfrei, mithin nicht geeignet, den Anspruch auf Alg für insgesamt 312 Wochentage zu begründen (§ 106 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG idF des 5. AFG-ÄndG). Daran änderte es nichts, wenn die in den entsprechenden Arbeitsverträgen mit 19 Wochenstunden vereinbarte Arbeitszeit auf die Regelung in § 27 Abs 1 Halbsatz 2 HmbHG zurückging, wie das LSG festgestellt hat. Zwar bestimmt § 102 Abs 2 Nr 2 AFG ua, daß eine Beschäftigung trotz Beschränkung der Arbeitszeit auf weniger als 20 Wochenstunden nicht als geringfügig gilt, wenn die Beschränkung darauf zurückzuführen ist, daß durch Rechtsvorschrift oder behördliche Anordnung eine Arbeitszeit von weniger als 20 Stunden wöchentlich vorgeschrieben ist; § 27 Abs 1 Halbsatz 2 HmbHG ist jedoch keine Rechtsvorschrift, die iS des § 102 Abs 2 Nr 2 AFG eine Beschränkung der Arbeitszeit auf weniger als 20 Stunden wöchentlich vorschreibt.
Da es sich bei dem HmbHG um Landesrecht handelt, ist der Senat zwar an dessen Auslegung durch das Berufungsgericht gebunden (§ 162 SGG). Er hat deshalb von der Auffassung des LSG auszugehen, daß die Beschränkung der Arbeitszeit des Klägers auf 19 Wochenstunden auf § 27 HmbHG zurückzuführen ist und nach dieser Vorschrift die Vereinbarung einer längeren Arbeitszeit nicht zulässig war. Gleichwohl findet § 102 Abs 2 Nr 2 AFG keine Anwendung.
Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß nicht jegliche Rechtsvorschrift, die zu einer Beschränkung der Arbeitszeit bestimmter Arbeitnehmer führt, die Folge aus § 102 Abs 2 Nr 2 AFG auslöst (Urteile vom 15. Mai 1984 - 7 RAr 22/84 - und vom 22. August 1984 - 7 RAr 12/83 - SozR 4100 § 102 Nr 6). Er hat dazu im Urteil vom 22. August 1984 ausgeführt:
"Der § 102 Abs 2 Nr 2 AFG erfaßt nämlich nur solche Rechtsvorschriften, die die wöchentliche Arbeitszeit eines Beschäftigten aus Gründen beschränkt, die auf sachgerechten Erwägungen zum Schutz des Arbeitnehmers vor schädlichen Folgen einer zeitlich längeren Beschäftigung beruhen. Grundsätzlich darf sich durch die angeordnete Beschränkung der Arbeitszeit und die der Anordnung zugrunde liegende Motivation der Charakter der Tätigkeit als einer solchen, die ein Arbeitnehmer im Hauptberuf ausübt, nicht verändern; denn nur ein solcher Ausgangspunkt könnte es hier - wie im Ergebnis übrigens auch bei den übrigen in § 102 Abs 2 Nr 2 AFG aufgeführten Tatbeständen - rechtfertigen, die betreffende Tätigkeit trotz einer Arbeitszeit von weniger als 20 Wochenstunden als Vollzeitbeschäftigung zu werten, die der Beitragspflicht zur BA zu unterliegen hat und die Anwartschaft auf einen versicherungsmäßigen Anspruch im Falle der Arbeitslosigkeit auslösen muß. Dies gilt zB für Einschränkungen durch Arbeits-, Jugend- oder sonstige Schutzbestimmungen.
Diese Auslegung des § 102 Abs 2 Nr 2 AFG folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift; sie ergibt sich jedoch aus ihrer Entstehungsgeschichte und ihrer Funktion im System der Arbeitslosenversicherung. Der § 102 Abs 2 Nr 2 AFG geht zurück auf eine Vorschrift im Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), die durch die Verordnung des Reichspräsidenten vom 26. Juli 1930 zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände eingefügt wurde (vgl RGBl 1930 I, 311). Diese Vorschrift ergänzte § 75a Abs 2 Satz 1 AVAVG, der die geringfügige Beschäftigung definierte, um einen Satz 2 dahin, daß geringfügige Beschäftigungen von der Versicherungsfreiheit nach § 75a Abs 1 AVAVG ausgenommen wurden, wenn ua die kürzere Arbeitszeit durch Gesetz oder behördliche Anordnung vorgeschrieben war. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zu der Notverordnung ergibt (vgl Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des AVAVG, IV. Wahlperiode 1928, Zu Nr 2198, Besonderer Teil, Zu Art I Nr 5 S 8), war dabei nur an vereinzelte Fälle gedacht und zur Erläuterung auf arbeitszeitbeschränkende Bestimmungen für Caisson- oder Bleiarbeiter hingewiesen worden, die wegen der Gefährlichkeit oder besonderen Anstrengung nicht während der vollen üblichen Arbeitszeit diese Tätigkeit ausüben konnten. Diese beispielhafte Aufzählung ist zwar nicht abschließend, zeigt aber, daß der Gesetzgeber bei der Schaffung dieser Vorschrift nur an eine Einschränkung der Arbeitszeit aus schutzrechtlichen Gründen gedacht hat. Die Vorschrift ist - abgesehen von einigen redaktionellen Änderungen - inhaltlich unverändert in das AFG übernommen worden.
Eine nicht in diesem Sinne einschränkende Auslegung des Begriffes "Rechtsvorschrift" würde gegen Sinn und Zweck des § 102 Abs 2 AFG verstoßen. Diese Vorschrift ist eine Ausnahme von Abs 1 des § 102 AFG, der zwar für sich gesehen nur den Begriff der Kurzzeitigkeit definiert, über die Regeln der Beitragspflicht und -freiheit (§§ 168, 169 Nr 6 AFG) und der Anwartschaftszeiterfüllung als Voraussetzung für den Anspruch auf Alg (§§ 100 Abs 1, 104 Abs 1 AFG) aber zugleich von der individuellen Beschäftigungszeit her den Personenkreis abgrenzt, der in das System zum Schutz gegen Arbeitslosigkeit einbezogen sein soll. Neben dem - selbstverständlichen - Ausgleich der Beitragsfreiheit einer kurzzeitigen Beschäftigung dokumentiert das Gesetz die dem kurzzeitig Beschäftigten fehlende Einordnung in den Kreis der versicherten Vollbeschäftigten dadurch, daß er versicherungstechnisch den Arbeitslosen zugerechnet wird (§ 101 Abs 1 Satz 1 AFG), er also neben der kurzzeitigen Beschäftigung die Versicherungsleistung Alg aus einer anderweitigen Anwartschaft beziehen kann, wenn auch unter teilweiser Verdienstanrechnung (§ 115 AFG).
Eine Durchbrechung dieser Grundsätze - dh die Einbeziehung der unter 20 Wochenstunden Beschäftigten in den Kreis der gegen Arbeitslosigkeit versicherten Arbeitnehmer - verlangt die Berücksichtigung der dargestellten Zusammenhänge. Es kann danach der Sinn des § 102 Abs 2 Nr 2 AFG nur darin liegen, diejenigen Arbeitnehmer in den Versicherungsschutz einzubeziehen, die (wegen Vor- oder Nacharbeiten) in Wirklichkeit regelmäßig einen die Kurzzeitigkeitsgrenze übersteigenden Arbeitsaufwand haben oder die auf Dauer eine die Versicherungspflicht auslösende Beschäftigungszeit wegen der besonderen Gefährlichkeit der Arbeit nicht erreichen dürfen bzw wegen besonders anstrengender Arbeit nicht erreichen können. Eine weitere Ausnahme besteht nur noch für die Arbeitnehmer, die nur vorübergehend wegen Arbeitsmangels oder infolge von Naturereignissen nicht "vollzeitig" arbeiten können. Diese Personen üben in der Regel die durch § 102 Abs 2 AFG begünstigten Beschäftigungen als Hauptberuf aus, und es bleibt ihnen daneben grundsätzlich keine Zeit oder Kraft zu einer weiteren versicherungspflichtigen Tätigkeit."
Derartige Erwägungen liegen nach den Feststellungen des LSG der Arbeitszeitbeschränkung durch § 27 Abs 1 Halbsatz 2 HmbHG nicht zugrunde. Zum einen soll den wissenschaftlichen Hilfskräften dadurch gerade Gelegenheit gegeben werden, außerhalb ihrer Dienstzeit eine wissenschaftliche Weiterbildung zu betreiben und eine Dissertation anzufertigen. Zum anderen sollen sie lediglich unterstützende Aufgaben in Forschung und Lehre unter fachlicher Verantwortung eines Professors oder eines Hochschulassistenten erfüllen. Daraus folgt, daß diese Art von wissenschaftlicher Tätigkeit nicht als Hauptberuf im Sinne einer Lebensstellung ausgeübt werden sollte, wie übrigens auch aus ihrer zeitlichen Begrenzung auf höchstens drei Jahre sichtbar wird (§ 27 Abs 2 Satz 2 HmbHG).
Im übrigen besteht, wie der Senat schon für die Teilzeitbeschäftigung als wissenschaftliche Hilfskraft nach § 83 Abs 2 des Gesetzes über die Universitäten im Lande Baden-Württemberg vom 22. November 1977 (GVBl S 473) entschieden hat (Urteil vom 22. August 1984 - 7 RAr 12/83 -), auch für Beschäftigungen unter den Beschränkungen des § 27 Abs 1 Halbsatz 2 HmbHG kein besonderer Anlaß, den davon betroffenen Personenkreis über eine ausdehnende Auslegung des § 102 Abs 2 Nr 2 AFG in den Schutzbereich der Arbeitslosenversicherung einzubeziehen. Das Bestreben nach wissenschaftlicher Weiterbildung und Anfertigen einer Dissertation brauchte der nebenberuflichen Tätigkeit in einer mehr als kurzzeitigen Halbtagsbeschäftigung anderer Art als der einer wissenschaftlichen Hilfskraft an der Universität nicht entgegenzustehen.
War die streitige Tätigkeit des Klägers nicht nach § 102 Abs 2 Nr 2 iVm §§ 169 Nr 6, 168 AFG beitragspflichtig, könnte sie es jedoch deswegen sein, weil sie in Wahrheit nicht nur regelmäßig 19 Wochenstunden umfaßt hat, sondern 20 Stunden. In diesem Falle wäre der Anspruch auf Alg für 312 Wochentage gegeben (§ 106 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG idF des 5. AFG-ÄndG). Das LSG hat zwar festgestellt, daß die vertragliche Arbeitszeit des Klägers 19 Wochenstunden betragen habe. Grundsätzlich beurteilt sich die Frage, ob eine Beschäftigung kurzzeitig ist oder nicht nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages, wie aus § 102 Abs 1 Satz 1 AFG folgt (vgl BSG vom 15. Mai 1985 - 7 RAr 22/84 - mwN). Von diesem Inhalt allein kann aber dann nicht ausgegangen werden, wenn sich der Natur der Sache nach eine davon abweichende, insbesondere höhere regelmäßige Arbeitszeit ergibt, wie zB durch der Art der Tätigkeit nach erforderliche Vor- und Nacharbeiten (vgl BSG SozR 4100 § 102 Nr 4). Eine solche Sachlage ist hier nicht auszuschließen. Nach den vom LSG festgestellten Angaben der Universitätsverwaltung in der Arbeitsbescheinigung vom 5. Oktober 1981 könne unter Berücksichtigung von Vorbereitungs- und Nacharbeitszeiten für die Tätigkeit des Klägers seit 1. Oktober 1979 von einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Wochenstunden ausgegangen werden. Entsprechendes habe auch der Kläger zur Begründung seiner Klage vorgetragen. Das LSG hat eine Feststellung dieses Inhalts selbst nicht getroffen, brauchte es von seinem Rechtsstandpunkt aus auch nicht zu tun. Angesichts der oa festgestellten Angaben der Universitätsverwaltung und des Klägers besteht jedoch Anlaß, gem § 103 SGG den Sachverhalt weiter zu erforschen; denn von der richterlichen Feststellung, ob und ggf welche tatsächlichen Arbeitszeiten vom Kläger abweichend vom Vertragsinhalt nach der Natur seiner Tätigkeiten zu erbringen waren, hängt die Begründetheit des Klageanspruchs nunmehr ab.
Das LSG wird die erforderlichen Feststellungen nachzuholen und bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen