Leitsatz (redaktionell)
1. Vergleichsberechnung nur da, wo 1956 die Anwartschaft nach altem Recht erhalten ist und danach die erforderlichen 9 Monatsbeiträge im Jahr entrichtet wurden.
Eine Nachentrichtung im Jahre 1957 für 1956 zum Zwecke der Erfüllung der Anwartschaft ist nicht möglich.
2. ArVNG Art 2 § 42 S 2 ist auch im Hinblick auf entsprechende Fassungen in früheren Vorschriften in dem Sinne zu verstehen, daß es nur auf eine tatsächliche Beitragsleistung bis zum 1956-12-31 ankommt.
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 42 S. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 24 . Mai 1961 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 6 . Dezember 1960 zurückgewiesen .
Kosten sind nicht zu erstatten .
Von Rechts wegen .
Gründe
I .
Die Klägerin hatte in der Zeit von 1921 bis 1934 insgesamt 285 Beitragswochen in der deutschen Invalidenversicherung und 209 Beitragswochen in der holländischen Rentenversicherung zurückgelegt . Im Jahre 1949 setzte sie die Versicherung freiwillig fort . Für die Jahre 1949 bis 1956 sind je 26 Wochenbeiträge der Klasse II entrichtet , und zwar seit 1954 jeweils nachträglich im folgenden Jahr für das vorangegangene . Die Beitragsmarken für das Jahr 1956 tragen somit den Jahresaufdruck 57 . Für das Jahr 1957 liegen nochmals neun Beitragsmarken zu je 14 , -- DM vor .
Nachdem die Klägerin Ende 1958 die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit beantragt hatte , bewilligte ihr die Beklagte die begehrte Leistung vom 1 . Dezember 1958 an. Dabei war die Rente nach neuem Recht , d . h . nach dem Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) vom 23 . Februar 1957 , auf monatlich 7 , 70 DM berechnet worden; die Gewährung der günstigeren Berechnung nach altem Recht wurde abgelehnt , weil die zur Erhaltung der Anwartschaft für das Jahr 1956 erforderlichen 26 Wochenbeiträge erst im Jahre 1957 entrichtet waren . Damit war nach Ansicht der Beklagten die Anwartschaft aus den bisherigen Beiträgen nicht entsprechend der Vorschrift des Art . 2 § 42 Satz 2 ArVNG zum 1 . Januar 1957 erhalten gewesen , da auch die Halbdeckung nicht erreicht war.
Die dagegen von der Klägerin erhobene Klage auf Gewährung der günstigeren Berechnung nach altem Recht hat das Sozialgericht (SG) Detmold abgewiesen . Es hat sich der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) angeschlossen , wonach Beiträge , die für die Zeit vor dem 1 . Januar 1957 bestimmt , tatsächlich jedoch erst nach diesem Zeitpunkt entrichtet sind , bei der Prüfung der Erhaltung der Anwartschaft aus den bisherigen Beiträgen zu dem genannten Stichtag nicht berücksichtigt werden können (BSG 10 , 139) .
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin geltend gemacht , sie habe Ende Dezember 1956 bei der Post in H ... Beitragsmarken der Klasse II kaufen wollen , aber keine mehr bekommen; das habe sie dem Versicherungsamt gemeldet , woraufhin sie auf den dort am Schwarzen Brett aushängenden Pressedienst der Beklagten vom 3 . Dezember 1956 verwiesen worden sei . Sie habe sich mithin rechtzeitig zur Entrichtung der Beiträge bereit erklärt , was der tatsächlichen Entrichtung gleichstehen müsse . Abgesehen hiervon sei ihr Gesundheitszustand auch schon im Jahre 1955 so schlecht gewesen , daß sie eigentlich die Rente schon damals hätte beantragen können . Schließlich ist sie nach wie vor der Auffassung , für die Anwendung des Art. 2 § 42 ArVNG müsse es genügen , daß sie die Beiträge für das Jahr 1956 im Jahre 1957 nachentrichtet habe .
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Beklagte am 24. Mai 1961 unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Bescheides und in Abänderung des angefochtenen Urteils verurteilt , der Klägerin einen neuen Bescheid über die Berechnung ihrer Rente nach den bis zum 31 . Dezember 1956 geltenden Vorschriften (einschließlich des Sonderzuschusses des Art . 2 § 36 ArVNG) aus den für die Zeit bis zum 31 . Dezember 1956 entrichteten Wochenbeiträgen zu erteilen . Es hat zunächst ausgeführt , der Versicherungsfall sei erst im Dezember 1958 eingetreten. Auf Grund der vorliegenden ärztlichen Unterlagen und Beurteilungen ergebe sich kein hinreichender Anhaltspunkt dafür , daß die Klägerin schon vorher berufsunfähig geworden sei . - Weiter hat das LSG auf Grund einer vom Sozialamt der Stadt H ... eingeholten Auskunft festgestellt , daß sich nicht nachweisen lasse , ob die Klägerin sich Ende 1956 dem zuständigen Versicherungsamt gegenüber bereit erklärt habe , Beiträge für das Jahr 1956 zu entrichten . Die auf dem Versicherungsamt (Sozialamt) der Stadt H... beschäftigten Angestellten könnten sich an Vorgänge im einzelnen nicht mehr ausreichend erinnern. - Auf die Frage einer Bereiterklärung sei es indes letztlich nicht entscheidend angekommen , da die vom SG und dem BSG vertretene Auslegung des Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG nicht zu billigen sei. Der Gesetzeswortlaut sei nicht so eindeutig , daß er nur die von den genannten Gerichten aus ihm gezogenen Schlußfolgerungen rechtfertige . Sinn und Zweck des Art . 2 § 42 ArVNG gingen dahin , solche Versicherte von der günstigeren Berechnung nach altem Recht auszuschließen , deren Versicherung bei Fortgeltung des alten Rechts bereits erloschen wäre . Das sei jedoch erst dann der Fall , wenn die Nachentrichtungsfristen des § 1442 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF abgelaufen seien . Bis dahin habe ein Status des bedingten Versichertseins bestanden und sei die Anwartschaft aus den bisherigen Beiträgen jedenfalls nicht endgültig erloschen . Gerade weil jene Übergangsvorschrift einen vorhandenen Versichertenstatus aus sozialen Gründen schützen wolle , hätten auch diejenigen Anspruch auf die günstigere Berechnung nach altem Recht , welche die für die Jahre 1955 oder 1956 zur Erhaltung der Anwartschaft erforderlichen Beiträge im Rahmen des § 1442 RVO aF und des § 1418 RVO nF erst in den Jahren 1957 oder 1958 entrichtet hätten .
Gegen das Urteil vom 24 . Mai 1961 , in welchem die Revision zugelassen worden war , hat die Beklagte Revision eingelegt und das Rechtsmittel gleichzeitig begründet . Ausgangspunkt aller Überlegungen müsse sein , so führt die Revisionsklägerin aus , daß der Gesetzgeber mit den Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen mit Wirkung vom 1 . Januar 1957 an die beitragsgerechte Rente habe schaffen wollen . Dabei habe er eine Verschlechterung durch den Wegfall der bisherigen Mindestrenten in Kauf genommen . Nur ein bestimmter Personenkreis habe für eine gewisse Übergangszeit noch in den Genuß der bisherigen Mindestrente kommen sollen . Nach der eindeutigen Fassung der Übergangsregelung des Art . 2 § 42 Satz 2 ArVNG zählten hierzu aber nur diejenigen , die mit ihren bis zum 31 . Dezember 1956 tatsächlich entrichteten Beiträgen zu diesem Zeitpunkt die Anwartschaft aus ihrer bisherigen Versicherung erhalten hätten . Allein derjenige , der die Wartezeit erfüllt und Beiträge entsprechend § 1264 RVO aF bis zum Ende des jeweils laufenden Kalenderjahres fristgerecht entrichtet hatte , sei zum Ende des Jahres 1956 gegen einen plötzlich eintretenden Versicherungsfall gesichert gewesen. Deshalb könne nur in diesen Fällen von einem zum 1 . Januar 1957 vorhandenen und schutzwürdigen Besitzstand gesprochen werden . Nach Art. 3 § 8 ArVNG sei für die Wirkung einer Beitragsleistung nach dem 1. Januar 1957 allein das neue Recht maßgebend . Da dieses aber die Anwartschaftserhaltungsvorschriften abgeschafft habe; könnten unter der Herrschaft des neuen Rechts entrichtete Beiträge keine anwartschaftserhaltende Wirkungen mehr zeitigen , da solche allein dem alten Recht bekannt gewesen seien. Im Jahre 1957 habe niemand mehr durch Entrichtung von Beiträgen den ihm drohenden Verlust einer Anwartschaft abwenden können , da es entsprechende Vorschriften überhaupt nicht mehr gebe .
Die Beklagte und Revisionsklägerin beantragt ,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24 . Mai 1961 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Detmold vom 6 . Dezember 1960 zurückzuweisen .
Die Klägerin und Revisionsbeklagte beantragt ,
die Revision zurückzuweisen .
Sie beruft sich auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil , die möglicherweise sogar geeignet seien , eine andere Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des Art . 2 § 42 ArVNG herbeizuführen . Im übrigen seien auch die Ausführungen des LSG nicht überzeugend , wonach nicht nachgewiesen sei , daß sie , die Klägerin , Ende 1956 auf dem Versicherungsamt gewesen sei .
II .
Die nach § 162 Abs . 1 Nr . 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte , auch form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision hatte Erfolg .
Entgegen der Ansicht des LSG ist an der Rechtsprechung des BSG (12/4 RJ 122/60 vom 19 . 10 . 1961; BSG 10 , 139) festzuhalten . Nach dieser können für die in Art . 2 § 42 Satz 2 ArVNG vorgeschriebene Prüfung , ob aus den vor dem 1 . Januar 1957 entrichteten Beiträgen die Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt nach den bis dahin geltenden Vorschriften erhalten war , grundsätzlich nur die für die Zeit vor dem 1 . Januar 1957 bestimmten Beiträge berücksichtigt werden , die tatsächlich vor diesem Zeitpunkt entrichtet waren . Die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze unterscheiden grundsätzlich zwischen Versicherungsfällen , die vor dem 1 . Januar 1957 , und solchen , die nach dem 31 . Dezember 1956 eingetreten sind . Für die altem Versicherungsfälle richtet sich die Rentenberechnung nach altem Recht . Für sie kommt lediglich eine Umstellung gemäß Art . 2 §§ 31 ff ArVNG in Betracht . Dies gilt selbst dann , wenn bei einem altem Versicherungsfall zur Zeit seines Eintritts ein Rentenanspruch überhaupt nicht entstanden war , weil zB die Anwartschaft nicht erhalten war . Allerdings kann hier die umzustellende Rente alten Rechts erst mit dem 1 . Januar 1957 beginnen , da erst durch das ArVNG alle Anwartschaftserhaltungsbestimmungen entfallen sind (Art. 2 §§ 5 , 8 , 44 ArVNG; BSG 7 , 282 , 285) . Für neue Versicherungsfälle gilt dagegen grundsätzlich das neue Recht , d . h . hier kommt nur die beitragsbezogene Rente in Betracht .
Lediglich für eine gewisse Übergangszeit billigt Art. 2 § 42 ArVNG gewisse Ausnahmen hiervon zu. Es stand dem Gesetzgeber jedoch frei , an welche besonderen Voraussetzungen er eine solche Vergünstigung knüpfen wollte .Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG verlangt hierfür ua , daß aus den vor dem 1 . Januar 1957 entrichteten Beiträgen die Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt nach den bis dahin geltenden Vorschriften erhalten war . Wie der Senat in dem bereits erwähnten Urteil 12/4 RJ 122/60 vom 19 . Oktober 1961 sowie insbesondere in 12/4 RJ 102/61 vom 23 . November 1961 näher ausgeführt hat , ist diese Vorschrift auch im Hinblick auf entsprechende Fassungen in früheren Vorschriften in dem Sinne zu verstehen , daß es nur auf eine tatsächliche Beitragsleistung bis zum 31 . Dezember 1956 ankommt .
Die Ausführungen des LSG rechtfertigen keine andere Beurteilung. Aus dem Bericht des Abgeordneten S ... im Sozialpolitischen Ausschuß (Bundestagsdrucks . 2 . Wahlperiode Nr . 3080 Anl . III , 25) ergibt sich keineswegs der im angefochtenen Urteil angeführte angebliche Sinn und Zweck des Gesetzes . Insbesondere kennt das Gesetz nicht den Status eines bedingt "Versichertseins" . Denn entweder ist jemand versichert oder er ist es nicht mehr . Ist jemand nicht versichert , so könnte er es zwar noch wieder - durch eine Nachentrichtung von Beiträgen - werden , das ist aber etwas anderes als ein bedingtes Versichertsein . Anderenfalls wäre es nicht verständlich , daß der Eintritt des Versicherungsfalls nach altem Recht die Möglichkeit einer Nachentrichtung freiwilliger Beiträge ausschloß (§ 1443 RVO aF) , so daß alle Ansprüche entfielen , wenn zu diesem Zeitpunkt die Anwartschaft nicht erhalten war und auch nicht über dem Wege der Halbdeckung als erhalten galt . Der "Versicherte" war somit erst von der Nachentrichtung an wieder versichert , während er es bis dahin vom Augenblick des Erlöschens der Anwartschaft an nicht gewesen war , also für diesen Zeitraum keinen Versicherungsschutz genossen hatte . Allenfalls kann man für diesen Zeitraum von einer bedingten Zugehörigkeit zur Versichertengemeinschaft sprechen , und nur in einem dahingehenden Sinne ist die Entscheidung Nr . 1045 des Reichsversicherungsamts (AN 1903 , 371) zu verstehen .
Wie die Beklagte mit Recht ausführt , und worauf auch der 4 . Senat in BSG 10 , 139 , 146 unten bereits hingewiesen hat , kann seit dem 1 . Januar 1957 die Zahlung von Beiträgen nicht mehr zu einem Wiederaufleben einer erloschenen Anwartschaft führen , weil es von diesem Zeitpunkt an ein solches Rechtsinstitut nicht mehr gibt . Deshalb können nach neuem Recht nach dem 31. Dezember 1956 entrichtete Beiträge eine die Anwartschaft wiederherstellende Wirkung nicht mehr entfalten .
Nach den das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG ist der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit im Dezember 1958 eingetreten . Danach handelt es sich um einen neuen Versicherungsfall . Die besonderen Voraussetzungen des Art . 2 § 42 Satz 2 ArVNG sind nicht erfüllt , weil die Klägerin für 1956 nicht rechtzeitig Beiträge entrichtet hatte . Ein anderes Ergebnis läßt sich auch nicht durch eine Umdatierung der entrichteten Beiträge erzielen . Würde man die jeweils 26 Beiträge für die Jahre 1954 bis 1956 nämlich nicht für die Jahre anrechnen , für die sie entwertet sind , sondern für die Jahre , in denen sie entrichtet sind , würden Beiträge für 1954 fehlen und die alsdann in ihrer Anwartschaft erhaltenen Beiträge zusammen mit den neuen Beiträgen nicht die gesetzliche Wartezeit erfüllen . Das aber wäre Voraussetzung , um die günstigere Vergleichsberechnung nach altem Recht zu ermöglichen (12/4 RJ 102/61 vom 23 . November 1961) . Damit kann dahingestellt bleiben , ob eine solche Umdatierung überhaupt möglich wäre .
Schließlich kann auch nicht in dem behaupteten vergeblichen Versuch der Klägerin Ende Dezember 1956 , bei der Post in Höxter Beitragsmarken zu kaufen , eine Bereiterklärung im Sinne des § 1444 Abs . 1 Nr . 2 RVO aF gesehen werden (12/3 RJ 136/60 vom 23 . November 1961). Im übrigen hat das LSG in für den erkennenden Senat bindender Form (§ 163 SGG) insoweit bereits festgestellt , daß der Nachweis dafür nicht erbracht ist , daß die Klägerin im Anschluß an ihren Gang zur Post beim Versicherungsamt wegen ihrer Beitragsleistung vorgesprochen hat . Zwar hat sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gegen diese Feststellung gewendet . Es kann jedoch dahingestellt bleiben , ob ihre dahingehenden Rügen form- und fristgerecht erhoben sind . Denn jedenfalls sind die erhobenen Einwendungen unbegründet , da das LSG die erwähnte Feststellung auf Grund der eingeholten Auskunft treffen konnte , ohne dabei die ihm durch § 128 SGG eingeräumten Grenzen zu überschreiten , wonach es nach seiner freien , aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden hatte . Damit scheidet diese Möglichkeit , der Klägerin auf Grund einer Bereiterklärung gegenüber dem Versicherungsamt die günstigere Vergleichsberechnung zu gewähren , ebenfalls aus .
Nach alledem mußte die Revision zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG führen .
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen