Leitsatz (amtlich)
1. Die Nachfrage nach Beitragsmarken bei der Post stellte keine Bereiterklärung zur Nachentrichtung von Beiträgen im Sinne des RVO § 1444 Abs 1 Nr 2 aF dar.
2. Der vergebliche Versuch zum Ende des Jahres 1956, noch Beitragsmarken mit dem Jahresaufdruck 56 bei der Post zu erwerben, kann daher für die in ArVNG Art 2 § 42 S 2 vorgeschriebene Prüfung, ob die Anwartschaft aus den vor dem 1957-01-01 entrichteten Beiträgen zu diesem Zeitpunkt erhalten war, der tatsächlichen Entrichtung von Beiträgen vor dem 1957-01-01 (Vergleiche BSG 1959-07-01 4 RJ 249/58 = BSGE 10, 139) nicht gleichgestellt werden.
Orientierungssatz
Bereiterklärung iS des § 1444 Abs 1 Nr 2 RVO aF:
Die Bereiterklärung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung von erheblicher Bedeutung, aus der für ihren Empfänger vor allem ersichtlich sein muß, für wen Beiträge entrichtet werden sollen und für welchen Zeitraum.
Normenkette
RVO § 1444 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1937-12-21, § 1420 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 42 S. 2 Fassung: 1957-02-23; BGB § 133
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29 . Februar 1960 wird zurückgewiesen .
Kosten sind nicht zu erstatten .
Von Rechts wegen
Gründe
I
Für die am 10 . Juni 1892 geborene Klägerin sind nach den Quittungskarten Nr . 1 bis 7 für die Zeit von 1911 bis Ende 1943 insgesamt 590 Wochenbeiträge zur Invalidenversicherung abgeführt worden . Sie war zunächst als Hausgehilfin und später als Heimarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt .
Im Jahre 1949 versicherte sie sich freiwillig weiter . Nach den Quittungskarten Nr . 8 bis 10 hat sie jeweils 26 Wochenbeiträge der Klasse II für die Jahre 1949 bis 1955 entrichtet .
In der am 12 . Januar 1956 ausgestellten Quittungskarte Nr . 11 entrichtete sie schließlich 26 Beitragsmarken der Klasse II mit dem Jahresaufdruck 57 für das Jahr 1956 , weitere 6 Harken dieser Art für Anfang 1957 und eine Beitragsmarke zu 14 ,-- DM ebenfalls für das Jahr 1957 .
Am 11 . Juni 1957 beantragte die Klägerin Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des 65 . Lebensjahres . Durch Bescheid vom 3 . Oktober 1957 bewilligte ihr die Beklagte die begehrte Leistung vom 1 . Juni 1957 an , und zwar in Höhe von 24 , 60 DM , da die Rente nach neuem Recht berechnet worden war , d . h . nach den Vorschriften des am 1 . Januar 1957 in Kraft getretenen Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23 . Februar 1957 . Daraufhin hat die Klägerin Klage erhoben , mit der sie die für sie günstigere Berechnung ihrer Rente nach den Vorschriften des alten Rechts gemäß Art . 2 § 42 ArVNG begehrt .
In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) vom 11 . Februar 1958 ist sie durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr . S ... ärztlich untersucht worden . Er hat sich in seinem Gutachten vom selben Tage dahin geäußert , bei der Klägerin sei eine Gesundheitsstörung nicht festzustellen , sie sei noch sehr rüstig; auch im Jahre 1956 seien die Voraussetzungen der Invalidität nicht erfüllt gewesen .
Durch Urteil vom 13 . Mai 1958 hat das SG die Klage abgewiesen . Es ist davon ausgegangen , Berufsunfähigkeit liege noch nicht vor . Der Versicherungsfall des Alters sei im Juni 1957 eingetreten. Danach sei die Rente nach neuem Recht zu berechnen. Nach Art. 2 § 42 ArVNG komme es darauf an , ob die Anwartschaft aus den bisherigen Beiträgen nach den früheren Vorschriften zum 1. Januar 1957 erhalten gewesen sei. Die Klägerin habe die für das Jahr 1956 bestimmten 26 Wochenbeiträge erst im Januar 1957 entrichtet , wie der Aufdruck auf diesen Marken beweise . Die Beiträge seien daher zwar innerhalb der Frist des § 1442 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF und des § 1418 RVO nF nachentrichtet und somit wirksam. Sie könnten jedoch im Rahmen des Art. 2 § 42 ArVNG nicht berücksichtigt werden , weil bei der hier vorgeschriebenen Prüfung , ob die Anwartschaft erhalten ist , nur die tatsächlich vor dem 1 . Januar 1957 entrichteten Beiträge berücksichtigt werden könnten. Darin liege weder ein Verstoß gegen das Grundgesetz noch eine Unbilligkeit. Die Beklagte habe deshalb mit Recht die Rente nicht nach dem hier günstigeren alten Recht berechnet.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie hat sich nunmehr vor allem darauf gestützt , daß sie sich in den letzten Tagen des Jahres 1956 vergeblich bemüht habe , die für die Anwartschaftserhaltung im Jahre 1956 erforderlichen Beitragsmarken zu bekommen. Sie habe beim Postamt Illertissen keine Marken mehr erhalten; vielmehr sei ihr dort erklärt worden , daß sie noch im Jahre 1957 die Beiträge für das Jahr 1956 entrichten könne . Dazu hat sie eine Bestätigung des Zweigpostamts Illertissen vom 29 . Mai 1958 vorgelegt , wonach bei diesem infolge der starken Nachfrage nach Invalidenmarken gegen Ende des Jahre 1956 keine Marken mehr vorhanden gewesen seien .
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung durch Urteil vom 29 . Februar 1960 zurückgewiesen. Es hat sich der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG 10 , 139) angeschlossen , wonach bei der Prüfung der Anwartschaftserhaltung im Rahmen des Art . 2 § 42 Satz 2 ArVNG nur die vor dem 1 . Januar 1957 tatsächlich entrichteten Beiträge zu berücksichtigen sind . Die Beiträge für das Jahr 1956 seien somit nicht rechtzeitig geleistet worden , so daß die Anwartschaft zum Ende dieses Jahres nicht erhalten gewesen sei . Es lägen auch keine sonstigen anwartschaftserhaltenden Ersatztatsachen vor . Die sog . Halbdeckung sei ebenfalls nicht erreicht . Das Vorbringen der Klägerin , sie habe sich Ende 1956 auf dem zuständigen Postamt vergeblich bemüht , die fehlenden Beitragsmarken zu erwerben , sei unbeachtlich. Der 18 . Senat des Bayerischen LSG habe bereits ausgeführt (Breithaupt 1956 , 1033) , gegenüber einer Dienststelle der Deutschen Bundespost könne eine Bereiterklärung im Sinne des § 1444 Abs . 1 RVO aF nicht abgegeben werden , sofern der Versicherte nicht bei der Bundespost beschäftigt sei . Der gegenteiligen Auffassung des Hessischen LSG (Breithaupt 1957 , 48) sei nicht zu folgen .
Gegen dieses Urteil , in welchem die Revision zugelassen worden war , hat die Klägerin Revision eingelegt . Sie rügt Verletzung des Art . 2 § 42 ArVNG . Für die Anwendbarkeit dieser Übergangsregelung müsse es genügen , wenn die zur Erhaltung der Anwartschaft aus den bisherigen Beiträgen erforderlichen späteren Beiträge innerhalb der Fristen des § 1442 RVO aF entrichtet seien . Sie , die Klägerin , habe mit einer rückwirkenden Inkraftsetzung der nachträglich geschaffenen Bestimmung des Art . 2 § 42 ArVNG weder rechnen können noch rechnen müssen . Insoweit liege ein Verstoß gegen das Grundgesetz vor. Es könne nicht Sinn und Zweck des Gesetzes sein , jemandem die für ihn günstigere Berechnung nach altem Recht lediglich wegen einer geringfügigen Überschreitung einer Frist oder auf Grund eines Formmangels zu versagen. Die Ansicht der Vorinstanzen sei auch deswegen nicht gerechtfertigt , weil zum Ende des Jahres 1956 die erforderlichen Beitragsmarken beim Postamt Illertissen nicht mehr vorhanden gewesen seien , da sie ausgegangen seien. In der Nachfrage nach diesen Marken liege eine sog. Bereiterklärung , so daß die im Jahre 1957 nachentrichteten Beiträge noch als rechtzeitig geleistet angesehen werden müßten .
Die Klägerin und Revisionsklägerin beantragt ,
die Urteile des SG Augsburg vom 13 . Mai 1958 und des Bayerischen LSG vom 29 . Februar 1960 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen , ihr in Abänderung des Bescheides vom 3 . Oktober 1957 die gemäß Art . 2 § 42 ArVNG sich ergebende höhere Rente nach altem Recht zu gewähren.
Die Beklagte und Revisionsbeklagte beantragt ,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil .
II
Die Revision ist nicht begründet.
Nach Art . 2 § 42 Satz 1 ArVNG ist bei Versicherungsfällen , die in der Zeit vom 1 . Januar 1957 bis zum 31 . Dezember 1961 eintreten , die Rente nach den vor dem 1 . Januar 1957 geltenden Vorschriften über die Zusammensetzung und die Berechnung der Renten einschließlich des Sonderzuschusses des § 36 Abs . 1 dieses Artikels aus den bis zum 31 . Dezember 1956 zurückgelegten Versicherungszeiten zu berechnen , wenn dies für den Berechtigten gegenüber der Berechnung der Rente nach den vom 1 . Januar 1957 an geltenden Vorschriften günstiger ist . Dies gilt jedoch nach Satz 2 nur dann , wenn aus den vor dem 1 . Januar 1957 entrichteten Beiträgen die Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt nach den bis dahin geltenden Vorschriften erhalten war. Hierzu hat der 4 . Senat des BSG bereits entschieden , daß Beiträge , die zwar für die Zeit vor dem 1 . Januar 1957 , jedoch tatsächlich erst nach diesem Zeitpunkt entrichtet worden sind , bei der Prüfung der Frage , ob jene Anwartschaft erhalten war , nicht zu berücksichtigen sind (BSG 10 , 139) . Dieser Rechtsprechung hat sich der erkennende Senat angeschlossen (vgl . die Urteile 12/4 RJ 122/60 vom 19 . Oktober 1961 und 12/4 RJ 102/61 vom 23 . November 1961) . Dort ist auch ausgeführt , daß die Regelung des Art . 2 § 42 ArVNG und die darauf fußende Rechtsprechung des BSG nicht gegen das Grundgesetz verstößt .
Nicht entschieden hat dagegen das BSG bisher , ob eine im Jahre 1956 abgegebene Bereiterklärung zur Beitragsnachentrichtung gegenüber einer zuständigen Stelle der tatsächlichen Entrichtung gleichzustellen ist , wenn die Beiträge demnächst in einer angemessenen Frist entrichtet werden (§ 1444 Abs . 1 Nr . 2 RVO aF) , und ob in der vergeblichen Nachfrage nach Beitragsmarken bei der Post am Ende des Jahres 1956 eine solche Bereiterklärung zu sehen ist .
Der erkennende Senat neigt dazu , die erste Frage im Anschluß an BSG 6 , 85 zu bejahen . Im vorliegenden Falle bedarf es jedoch einer Entscheidung dieser Frage nicht , weil die zweite in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht zu verneinen ist .
Nach § 1444 Abs . 1 RVO aF stand der Beitragsentrichtung gleich
1 . die von einer zuständigen Stelle an den Arbeitgeber gerichtete Mahnung ,
2. die Bereiterklärung des Arbeitgebers oder des Versicherten zur Nachentrichtung gegenüber einer solchen Stelle ,
wenn demnächst die Beiträge in einer angemessenen Frist entrichtet wurden .
Die Bereiterklärung mußte danach gegenüber einer "zuständigen Stelle" abgegeben werden. Allerdings dürften hierunter , wenn es sich , wie im vorliegenden Falle , um freiwillige Beiträge handelt , nicht nur die Stellen fallen , die nach Nr . 1 jener Vorschrift zu einer Mahnung an den Arbeitgeber befugt sind (EuM 40 , 219 , 221) , d . h . insbesondere die Einzugsstellen und die Träger der Rentenversicherung , vielmehr kommen auch andere Stellen in Betracht , die Aufgaben der Sozialversicherung wahrnehmen , vor allem die Quittungskarten-Ausgabestellen (vgl. Verb . Komm ., 5 . Aufl .,§ 1444 RVO aF Anm . 3; Hanow/Lehmann , Invalidenversicherung , 4 . Aufl .,§ 1444 RVO aF Anm . 3 und 3 c; Jantz/Zweng , Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten ,§ 1420 RVO nF Anm . I; Eicher/Haase , Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten , 2 . Aufl .,§ 1420 RVO nF , Anm . 2) . Die Post ist indes - abgesehen von dem Sonderfall , daß sie als Ausgabestelle für die bei ihr Beschäftigten tätig wird (RAM-Erlaß vom 17 . April 1939 , EuM 44 , 465) - auf dem Gebiet der Beitragsentrichtung nur mit dem Verkauf der Beitragsmarken beauftragt (§ 1412 RVO aF , § 1410 Abs . 2 RVO nF) , während sie sonst auf diesem Gebiet keine Befugnisse hat . Der Markenverkauf schafft außerdem nur eine der Voraussetzungen für eine wirksame Beitragsentrichtung , da diese erst durch das gesondert von dem Erwerb der Beitragsmarken vorzunehmende Einkleben der Marken in die Quittungskarte (Versicherungskarte) des Versicherten erfolgt (§ 1413 RVO aF , 1409 RVO nF) . Zudem steht selbst mit dem vollzogenen Kauf der Beitragsmarken noch nicht einmal fest , ob und für wen und für welche Zeit sie tatsächlich verwendet werden . Kann mithin nicht einmal der vollzogene Kauf der Marken ihrer endgültigen Verwendung gleich behandelt werden , so ist das noch weniger bei einer vergeblichen Nachfrage nach Marken möglich. Schließlich ist die Bereiterklärung eine empfangsbedürftige Willenserklärung von erheblicher Bedeutung , aus der für ihren Empfänger vor allem ersichtlich sein muß , für wen Beiträge entrichtet werden sollen und für welchen Zeitraum. Die Post und insbesondere ihr Schalterbeamter , der die Beitragsmarken verkauft , interessieren sich jedoch weder dafür , ob und wie die Beitragsmarken verwendet werden sollen , noch können sie in der Regel erkennen , für welche Zwecke im einzelnen die Marken bestimmt sein sollen. Damit kann die Post auch aus diesem Grunde keine zuständige Stelle sein (ebenso Eicher/Haase aaO; Hoernigk/Jorks , Rentenversicherung , § 1419 RVO Anm . 2) . Nach alledem geht es nicht an , in der Nachfrage nach Beitragsmarken bei der Post eine Bereiterklärung gegenüber einer zuständigen Stelle zu sehen (vgl. im übrigen noch Koch/Hartmann , Komm . z . Angestelltenversicherungsgesetz , 2 . Aufl .§ 190 AVG aF Anm . 2 a zu § 1444 RVO aF) .
Wie der vom Hessischen LSG (Breithaupt 1957 , 48) entschiedene Fall zu beurteilen ist , bei dem die Post für die Fälle des Fehlens der gewünschten Beitragsmarken vorbereitete Vordrucke hatte , die sie ausfüllen ließ und an den Versicherungsträger weiterleitete , braucht hier nicht entschieden zu werden (vgl . hierzu auch EuM 5 , 275 , 278) , da im Falle der Klägerin nicht in dieser Weise verfahren worden ist. Immerhin handelte es sich dabei um für den Versicherungsträger bestimmte und ihm gegenüber in der Folgezeit auch abgegebene Erklärungen.
Damit haben die Vorinstanzen zu Recht der Klägerin die für sie günstigere Berechnung ihrer Rente nach altem Recht auf Grund des im Juni 1957 eingetretenen Versicherungsfalles des Alters versagt , weil sie die Anwartschaft aus ihren bisherigen Beiträgen zum Ende des Jahres 1956 nicht erhalten hatte , da sie die Beiträge für dieses Jahr erst im Jahre 1957 entrichtet hat , und da sie sich auch nicht rechtzeitig zur Entrichtung dieser Beiträge gegenüber einer zuständigen Stelle bereiterklärt hatte . Die von der Revision angeführten Billigkeitserwägungen rechtfertigen schon deswegen keine andere Beurteilung , weil die Klägerin , nachdem die von ihr nach ihrer Angabe gewünschten Beitragsmarken bei der Post fehlten , nicht gehindert war , eine der nach den obigen Ausführungen zur Entgegennahme einer Bereiterklärung zur Beitragsentrichtung zuständigen Stellen aufzusuchen , um dort eine ordnungsgemäße Bereiterklärung abzugeben .
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
Fundstellen