Leitsatz (redaktionell)
Zur Frage der Berufsausbildung eines Beamtenanwärters mit Beschäftigungsauftrag und monatlicher Vergütung.
Normenkette
RVO § 1267 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 4 . November 1960 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben .
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen .
Von Rechts wegen .
Gründe
Der Streit der Parteien geht darum , ob der Kläger in der Zeit vom 1 . Februar bis zum 31 . Dezember 1959 noch in Berufsausbildung stand und deshalb gemäß § 1267 Abs . 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) waisenrentenberechtigt war .
Der am 12 . Januar 1939 geborene Kläger bezog von der Beklagten Waisenrente aus der Invalidenversicherung . Seit dem 12 . Januar 1957 war er Dienstanwärter des mittleren nicht-technischen Verwaltungsdienstes bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse für A ... und Umgebung. Die Beklagte bewilligte ihm daraufhin durch Bescheid vom 15. April 1957 die Waisenrente nach § 1267 RVO über die Vollendung des 18 . Lebensjahres hinaus , weil er noch in Berufsausbildung stehe , die voraussichtlich am 12 . Januar 1960 enden werde .
Mit Wirkung vom 1 . Februar 1959 an erhielt der Kläger einen Beschäftigungsauftrag mit einer monatlichen Vergütung von 200 DM unter Wegfall des vorher gewährten Unterhaltszuschusses . Hierauf stellte die Beklagte die Zahlung der Waisenrente ein und teilte dem Kläger unter dem 3 . Juli 1959 mit , mit der Erteilung des Beschäftigungsauftrags sei die Berufsausbildung beendet; die Zahlung der Waisenrente hätte daher schon mit dem Ende des Monats Januar 1959 eingestellt werden müssen; die damit für die Monate Februar bis Juli 1959 überzahlte Waisenrente werde zurückgefordert .
Hiergegen hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Würzburg Klage erhoben und sich zur Begründung auf die Verordnung über die Vorbildung , Ernennung und die Laufbahnen der bayerischen Beamten (Laufbahnverordnung) vom 23 . Juni 1952 (GVBl S . 199) berufen , nach der das Ausbildungsverhältnis erst mit der Aushändigung des Zeugnisses über die Anstellungsprüfung ende; der Beschäftigungsauftrag ermögliche lediglich eine höhere Vergütung während der Ausbildung; ihm stehe , da ihm erst Ende Dezember 1959 das Prüfungszeugnis ausgehändigt worden sei , bis zum 31 . Dezember 1959 die Waisenrente zu.
Das SG hat der Klage stattgegeben , im wesentlichen mit der Begründung , nach § 3 Abs . 3 Satz 4 der bayer . Laufbahnverordnung ende das Beamtenanwärterverhältnis - in einem solchen habe der Kläger sich befunden - erst an dem Tage , an welchem dem Beamtenanwärter das Zeugnis über die Anstellungsprüfung ausgehändigt werde; dies sei bei dem Kläger am 31 . Dezember 1959 geschehen; erst damit sei die Berufsausbildung abgeschlossen gewesen; aus der Erteilung des Beschäftigungsauftrags könne nicht geschlossen werden , daß die Berufsausbildung beendet gewesen sei .
In dem Urteil ist gemäß § 150 Nr . 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Berufung zugelassen worden .
Gegen das Urteil hat die Beklagte mit Einwilligung des Klägers Sprungrevision eingelegt . Sie beantragt , zu erkennen:
1 . Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 4 . November 1960 wird aufgehoben .
2 . Die Klage gegen den Bescheid vom 3 . Juli 1959 wird abgewiesen .
3 . Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten .
Sie rügt Verletzung des § 1267 Abs . 1 Satz 2 RVO und trägt dazu vor , die Erteilung des elf-monatigen Beschäftigungsauftrags beweise , daß der Kläger für fähig erachtet worden sei , als volle Arbeitskraft eingesetzt zu werden; dies aber könne nur sein , wer eine entsprechende Ausbildung mit Erfolg hinter sich gebracht habe; ein Anwärter mit einem solchen Beschäftigungsauftrag arbeite nicht mit dem Ziel , sich weiter auszubilden , sondern mit dem Ziel , einen bestimmten Arbeitsauftrag zu erfüllen; schon das Wort "Vergütung" im Gegensatz zum Unterhaltszuschuß beweise das Vorliegen eines echten Arbeitsverhältnisses .
Der Kläger beantragt ,
die Revision zurückzuweisen .
Er führt aus , mit der Gewährung einer Vergütung im 3 . Ausbildungsjahr , in dem der Anwärter mit dem praktischen Dienst vertraut gemacht und an ein gewisses selbständiges Arbeiten gewöhnt werden solle , sei keineswegs die Ausbildung abgeschlossen und der Anwärter könne nicht als volle Arbeitskraft angesehen werden; der Beschäftigungsauftrag habe neben dem eigentlichen Zweck der Heranführung an die praktischen Arbeiten noch die Bedeutung , den Anwärter vergütungsmäßig etwas besser als den Anwärter im zweiten Ausbildungsjahr zu stellen; wäre er bereits eine volle Arbeitskraft gewesen , so hätte er tariflich oder besoldungsmäßig ganz anders eingestuft werden müssen , was jedoch durch § 12 der Unterhaltszuschußverordnung vom 18 . Oktober 1960 verboten sei .
Die Revision ist zulässig . Sie hatte auch teilweise Erfolg.
Mit Recht rügt die Beklagte unrichtige Anwendung des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO .
Für die Beantwortung der Frage , ob eine Berufsausbildung im Sinne dieser Vorschrift vorliegt , ist maßgebend , ob die Beschäftigung überwiegend der Ausbildung für einen zukünftigen Beruf oder überwiegend der Verwertung der Arbeitskraft dient , und dies kann nur von Fall zu Fall entschieden werden , wobei es auf die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse ankommt (so schon das frühere Reichsversicherungsamt in ständiger Rechtsprechung , zu vergleichen AN 1929 S . 159; auch Verbandskomm ., 6 . Aufl ., Anm . 8 zu § 1267 RVO , Anm . 16 c am Ende zu § 1267 RVO) .
Nicht entscheidend kann deshalb im vorliegenden Falle - entgegen der Meinung des SG - sein , daß § 3 der bayerischen Laufbahnverordnung vorschreibt , das Beamtenanwärterverhältnis ende erst an dem Tag , an welchem dem Beamtenanwärter das Zeugnis über die Anstellungsprüfung ausgehändigt werde . Dieser den beamtenrechtlichen Status des Klägers regelnden Vorschrift kommt keine ausschlaggebende Bedeutung für die Anwendung des § 1267 RVO zu .
Anderseits kann aber auch der Meinung der Beklagten nicht gefolgt werden , die Erteilung des Beschäftigungsauftrags beweise den Einsatz als volle Arbeitskraft , und die Gewährung einer Vergütung an Stelle des bisherigen Unterhaltszuschusses beweise das Vorliegen eines echten Arbeitsverhältnisses . In der Regel wird zwar während der Dauer eines solchen Beschäftigungsauftrages ein echtes Beschäftigungsverhältnis und kein Ausbildungsverhältnis vorliegen . Es muß jedoch nicht stets so sein . Sicherlich spricht im vorliegenden Falle für die Annahme eines echten Beschäftigungsverhältnisses der Umstand , daß nach § 12 der Bekanntmachung über die Unterhaltszuschüsse und Vergütungen bei Beschäftigungsaufträgen für Beamtenanwärter des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 6 . Juli 1953 (GVBl S . 104) statt der Unterhaltszuschüsse den Beamtenanwärtern Vergütungen bei Beschäftigungsaufträgen nur dann gewährt werden dürfen , wenn der Anwärter als volle Arbeitskraft verwendet wird . Auch hier bleibt jedoch möglich , daß ein Beschäftigungsauftrag erteilt worden ist , obwohl die vorgeschriebenen Voraussetzungen hierfür nicht in vollem Umfang erfüllt waren , etwa aus dem von dem Kläger angedeuteten Beweggrund , den Anwärter wirtschaftlich etwas besser als im zweiten Ausbildungsjahr zu stellen.
In dem hiernach maßgebenden Umstand , ob die Beschäftigung des Klägers in der strittigen Zeit vom 1 . Februar bis 31 . Dezember 1959 nach der tatsächlichen Gestaltung der Verhältnisse überwiegend seiner Ausbildung für seinen zukünftigen Beruf diente oder überwiegend der Verwertung seiner Arbeitskraft , etwa zur Stellvertretung , Aushilfe oder Erledigung besonderer Dienstgeschäfte mangelt es an tatsächlichen Feststellungen , die eine Entscheidung ermöglichen . Da das Bundessozialgericht als Revisionsgericht diese Feststellungen nicht selbst zu treffen vermag , war die Sache gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen , und zwar ist die Zurückverweisung an das SG erfolgt , da zu der nach § 170 Abs . 3 SGG zulässigen Zurückverweisung an das Landessozialgericht , das für die Berufung zuständig gewesen wäre , kein Anlaß besteht . Das SG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben .
Fundstellen