Leitsatz (amtlich)

Zeiten, in denen vor dem 1957-01-01 eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen wurde, können - auch wenn Arbeitsunfähigkeit bestand - jedenfalls dann keine Ausfallzeit nach AVG § 36 Abs 1 Nr 1 (RVO § 1259 Abs 1 Nr 1) sein, wenn der Rentenbezug Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung bewirkte.

 

Normenkette

RVO § 1258 Fassung: 1957-02-23, § 1259 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 36 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23, § 35 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 2. Juni 1961 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Berechnung der Rente des Klägers die Zeit seines früheren Rentenbezugs als Ausfallzeit nach den §§ 35, 36 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu berücksichtigen ist.

Der im Jahre 1898 geborene Kläger war nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) von 1914 bis 1922 in der Invalidenversicherung und von 1940 an in der Angestelltenversicherung pflichtversichert. In der Zwischenzeit bezog er von 1924 bis 1939 von der Landesversicherungsanstalt Hannover Invalidenrente. Die Beklagte gewährt ihm ab Januar 1958 Rente wegen Berufsunfähigkeit und ab Februar 1958 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. In beiden Bescheiden (vom 31. Juli 1958 und 14. Mai 1959) rechnete sie gemäß Art. 2 § 14 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) eine Pauschalausfallzeit von 27 Monaten an. Der Kläger möchte stattdessen die wesentlich längere Zeit seines früheren Rentenbezugs als Ausfallzeit angerechnet haben. Seine Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Stade vom 24. Februar 1959, Urteil des LSG Niedersachsen vom 2. Juni 1961). Nach der Ansicht des LSG steht dem Klagebegehren zwar § 36 Abs. 3 AVG nicht entgegen, weil die Zeit vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles (= 522 Monate) mindestens zur Hälfte (mit 275 Monaten) mit Pflichtbeiträgen belegt ist; die Klage müsse aber daran scheitern, daß die Bezugszeit der Invalidenrente keine Ausfallzeit im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG darstelle, weil sie nicht, wie nach dieser Vorschrift erforderlich, mit einer angerechneten Zurechnungszeit im Sinne von § 37 AVG zusammenfalle; denn bei der Bewilligung der Invalidenrente sei keine Zurechnungszeit angerechnet worden. Ob die Rentenbezugszeit möglicherweise auch als Ausfallzeit im Sinne der Nr. 1 des § 36 Abs. 1 AVG (Arbeitsunfähigkeit) zu werten ist, hat das LSG nicht erörtert.

Der Kläger hat gegen das Urteil des LSG die von diesem zugelassene Revision eingelegt und die Verletzung des § 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG gerügt. Nachdem der erkennende Senat noch vor der Verhandlung des vorliegenden Rechtsstreits in der Sache 1 RA 101/61 durch Urteil vom 23. November 1962 entschieden hatte, daß Bezugszeiten einer vor dem 1. Januar 1957 wieder weggefallenen Rente nicht "mit einer angerechneten Zurechnungszeit (§ 37 AVG) zusammenfallen" und deshalb keine Ausfallzeiten nach der Nr. 5 des § 36 Abs. 1 AVG (Rentenbezug) sein können, hat der Kläger sein Begehren auf die Nr. 1 der Vorschrift gestützt und beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen,

damit dieses die tatsächlichen Feststellungen nachhole, die für die Anwendung der Nr. 1 erforderlich seien.

Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Revision.

Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger kann nicht verlangen, daß ihm statt der Pauschalausfallzeit von 27 Monaten die gesamte Zeit des früheren Rentenbezugs als Ausfallzeit bei der Rentenberechnung angerechnet wird.

Nach §§ 35, 36 Abs. 1 Nr. 5 AVG sind als Ausfallzeiten und damit als anrechnungsfähige Versicherungsjahre die Zeiten eines Rentenbezugs zu berücksichtigen, die mit einer angerechneten Zurechnungszeit zusammenfallen, wenn nach Wegfall der Rente erneut eine Rente zu gewähren ist. Diese Vorschrift (Nr. 5), die im Zusammenhang mit § 37 AVG zu verstehen ist, soll bewirken, daß die durch den frühen Eintritt des ersten Versicherungsfalles bedingte und bei der ersten Rente durch Anrechnung einer Zurechnungszeit ausgeglichene Benachteiligung noch bei einer späteren (zweiten) Rente ausgeglichen wird. Wie der Senat in der Sache 1 RA 101/61 bereits entschieden hat, setzt die Anwendung der Nr. 5 nach ihrem eindeutigen Wortlaut voraus, daß eine Zurechnungszeit in der früheren Rente angerechnet worden ist. Bei der dem Kläger von 1924 bis 1939 gewährten Invalidenrente war das jedoch nicht der Fall, sie fiel noch vor dem 1. Januar 1957 weg und konnte daher von dem seit diesem Tage geltenden neuen Recht, das erstmals den Begriff der Zurechnungszeit in die gesetzliche Rentenversicherung einführte, in keiner Weise mehr erfaßt werden. Das LSG hat deshalb die Rentenbezugszeit von 1924 bis 1939 zu Recht nicht als Ausfallzeit nach der Nr. 5 des § 36 Abs. 1 AVG gewertet.

Die Zeit von 1924 bis 1939 ist aber auch keine Ausfallzeit im Sinne der Nr. 1 der Vorschrift. Hiernach gehören zu den Ausfallzeiten auch diejenigen Zeiten, in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine infolge Krankheit oder Unfall bedingte, länger als sechs Wochen andauernde Arbeitsunfähigkeit unterbrochen worden ist, wenn sie in den Versicherungskarten oder sonstigen Nachweisen bescheinigt sind. Dieser Tatbestand ist ebenfalls nicht erfüllt, ohne daß es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf. Die Rentenbezugszeit von 1924 bis 1939 kann nämlich schon deshalb keine Ausfallzeit im Sinne der Nr. 1 des § 36 Abs. 1 AVG sein, weil der Kläger für die Dauer der Invalidität und des Rentenbezugs nach den §§ 1236 der Reichsversicherungsordnung, 13 AVG - in der seinerzeit geltenden Fassung - versicherungsfrei gewesen ist. Der Tatbestand der Nr. 1 setzt jedoch voraus, daß ohne den Hinderungsgrund der Arbeitsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt (fortgesetzt) worden wäre. Eine Beschäftigung oder Tätigkeit, die der Kläger während des Rentenbezugs aufgenommen hätte, hätte aber wegen der damals bestehenden Versicherungsfreiheit keine Pflicht zur Beitragsleistung bewirkt und damit auch keine Versicherungspflicht begründet.

Die Revision des Klägers war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2379786

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