Beteiligte
Klägerin und Revisionsbeklagte |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um den Anspruch auf Konkursausfallgeld (Kaug) bei Betriebseinstellung ohne Konkurs.
Die Klägerin hat für die Monate Februar und März 1978 aufgrund eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom 10. Mai 1978 einen nicht erfüllten Lohnanspruch von 1.800,- DM. Im Laufe des März 1978 wurde der Betrieb der Arbeitgeberin der Klägerin stillgelegt.
Ihrem Antrag auf Kaug vom April 1978 lehnte die Beklagte ab, weil der Kaug-Versicherungsfall des § 141b Abs. 3 Nr. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG), der allein in Betracht komme, nicht erwiesen sei; die Arbeitgeberin habe zwar die Betriebstätigkeit im Geltungsbereich des Gesetzes vollständig beendet; es sei auch kein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gestellt worden, jedoch sei nicht auszuschließen, daß ein Konkursverfahren noch in Betracht komme; denn die Arbeitgeberin habe wiederholt erklären lassen, es sei beabsichtigt, Löhne und Gehälter zumindest in Raten noch auszuzahlen (Bescheid des Arbeitsamts Ludwigshafen vom 12. Januar 1979, Bescheid der Widerspruchsstelle des Arbeitsamts vom 12. Februar 1979).
Das Sozialgericht (SG) Speyer hat die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, an die Klägerin für die Monate Februar und März 1978 Kaug zu zahlen. Wenn die Einwendungen der Beklagten begründet wären, so hätte sie selbst bereits im April 1978 Antrag auf Konkurseröffnung stellen müssen. Entweder sei im März 1978 der Kaug-Versicherungsfall des § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG eingetreten oder die Beklagte habe die Klägerin so zu stellen, als ob aufgrund eines Konkurseröffnungsantrages der Kaug-Versicherungsfall des § 141b Abs. 1 AFG oder des § 141b Abs. 3 Nr. 1 AFG eingetreten wäre (Urteil vom 4. September 1979).
Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Berufung der Beklagten mit desselben Begründung zurückgewiesen (Urteil des LSG vom 16. März 1980).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 141b Abs. 3 Nr. 2 und des § 141m Abs. 1 AFG.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Mai 1980 und des Sozialgerichts Speyer vom 4. September 1979 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Die Vorinstanzen haben die Beklagte im Ergebnis zutreffend verurteilt, der Klägerin Kaug für die Monate Februar und März 1976 zu zahlen. Freilich hätten sich die Vordergerichte nicht darauf beschränken dürfen, die Beklagte lediglich dem Grunde nach zu dieser Zahlung zu verurteilen. Sie hätten vielmehr unmittelbar zur Zahlung von 1.800,- DM verurteilen müssen. Denn diese Summe ist der Klägerin für die Zeit vor der Betriebsstillegung als Lohn durch arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 10.Mai 1978 zugesprochen worden. In dieser Summe ist kein Ausgleich für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses enthalten. Deshalb war es auch nicht notwendig, zu ermitteln, an welchem Tag im März 1978 die Betriebstätigkeit tatsächlich endgültig beendet worden ist.
Um die unmittelbare Verurteilung der Beklagten zur Zahlung deutlich zum Ausdruck zu bringen, ist der Entscheidungsausspruch dieses Urteils entsprechend gefaßt worden.
Mit Recht haben es die Vorinstanzen der Beklagten verwehrt, sich darauf zu berufen, daß nicht eindeutig zu klären war, ob ein Konkursverfahren, wie dies § 141b Abs. 3 Nr. 3 AFG verlangt, "mangels Masse nicht in Betracht" kam. Es durfte aber nicht offenbleiben, ob der Kaug-Versicherungsfall des § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG dennoch vorlag oder ob die Beklagte verpflichtet war, den Kaug-Versicherungsfall der Konkurseröffnung (§ 141b Abs. 1 AFG) oder den der Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse (§ 141b Abs. 3 Nr. 1 AFG) selbst herbeizuführen und die Folgen der Nichterfüllung dieser Pflicht entsprechend dem Urteil des 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Juli 1979 - 12 RAr 15/78 - (BSGE 48, 269 = SozR 4100 § 141b Nr. 11 = SGb 1980, 82 mit Anmerkung von Hess; vgl. auch Stellungnahmen von Kautza, SozVers 1980, 40 und Birk, SGB 1981, 82) als sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu tragen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Voraussetzungen des § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG nach der Sachlage indes erfüllt. Die Zweifel, ob ein Konkursverfahren mangels Masse nicht in Betracht kam, schließen diesen Kaug-Versicherungsfall nicht aus.
Nach dem Sinn und Zweck des Kaug-Rechts beschreibenden Vorschrift des § 141a AFG haben die Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers Anspruch auf Ausgleich ihres ausgefallenen Arbeitsentgelts. Diese allgemeine Insolvenzversicherung ist jedoch nach § 141b AFG auf die Fälle beschränkt, in denen sich die Insolvenz durch besondere Umstände konkretisiert. Dies hat der erkennende Senat in seinen Vorlagebeschlüssen vom 17. September 1981 (10/8b 12 RAr 2/79 und neun weitere) deutlich hervorgehoben (vgl. auch BSGE 50, 1741= 176). Nach § 141b Abs. 1 AFG ist die Insolvenzversicherung davon abhängig, daß ein Konkursverfahren eröffnet wird. Nach § 141b Abs. 3 Nr. 1 AFG steht der Eröffnung des Konkursverfahrens die Abweisung des Konkurseröffnungsantrages mangele Masse gleich. In diesen beiden Fällen ist im Verfahren über das Kaug die Insolvenz nicht zu prüfen, weil sie bereits in einem anderen Verfahren - nämlich durch das Konkursgericht - als zumindest glaubhaft (§ 105 Konkursordnung) festgestellt worden ist.
Anders jedoch als in diesen beiden Kaug-Versicherungsfällen ist es aber in dem dritten, hier zu behandelnden Kaug-Veraicherungsfall des § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG. Nach dieser Vorschrift steht der Eröffnung des Konkursverfahrens gleich "die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Geltungsbereich dieses Gesetzes, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt". In diesen Kaug-Versicherungsfall ist die Insolvenz nicht fachkundig durch das Konkursgericht zu prüfen, sondern im Verfahren über das Kaug durch das jeweilige Arbeitsamt festzustellen. Die Prüfung, die von dem in Insolvenzangelegenheiten nicht fachkundigen Arbeitsamt verlangt wird, muß nicht dazu führen, daß über die Frage der Insolvenz letzte Klarheit geschaffen wird. Es reicht vielmehr aus, daß andere Tatsachen festgestellt werden, die regelmäßig den Schluß zulassen, daß der Arbeitgeber insolvent geworden ist. Das Gesetz verlangt folgende Tatsachen:
Die Betriebstätigkeit muß vollständig eingestellt worden sein; ein Antrag auf Konkurseröffnung darf nicht gestellt worden sein die Lohnzahlung muß mit dem Hinweis auf die Insolvenz unterblieben sein. Soweit § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG vom Arbeitsamt verlangt, festzustellen, "daß ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt", obliegt es ihm nicht, Tatsachen festzustellen. Vielmehr hat es Tatsachen zu werten, zu beurteilen und zu würdigen. Kommt das Arbeitsamt aufgrund seiner sachgerechten und sorgfältigen Tatsachenwertung zu dem Schluß, daß ein Konkursverfahren mangels Masse nicht in Betracht kommt, ist die Insolvenz hinreichend konkretisiert.
Fraglich ist nur, ob außer den Tatsachen der Aufgabe des Betriebs, des fehlenden Konkurseröffnungsantrags und der behaupteten Insolvenz noch weitere Tatsachen festzustellen sind, die den benannten Schluß zulassen, daß ein Konkursverfahren "offensichtlich" mangels Masse nicht in Betracht kommt. Weitere Tatsachen, etwa erfolglose Pfändungsversuche, wären dann zu verlangen, wenn das Wort "offensichtlich" "zweifelsfrei" bedeuten würde. "Offensichtlich" heißt aber nicht in jedem Fall "zweifelsfrei" wie etwa in § 87 Abs. 2 Bundesbeamtengesetz (vgl. BVerwG, ZBR 1968, 183), sondern in anderem Zusammenhang auch lediglich "anscheinend" (vgl. Duden, Bedeutungswörterbuch, Mannheim 1970; Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Gütersloh 1972). Dies gilt besonders dann, wenn es -wie hier - adverbial gebraucht wird (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Mannheim 1980). Das Wort "offensichtlich" hat in dem Zusammenhang, in dem es im Kaug-Recht steht, den Sinn, darauf hinzuweisen, daß der sich aus den äußeren Tatsachen ergebende Eindruck eines unvoreingenommenen Betrachters ausreicht.
Aufgrund dieses Verständnisses des Wortes "offensichtlich" fügt sich der dritte Kaug-Versicherungsfall unschwer in die Programmvorschrift des § 141a AFG und die anderen Kaug-Versicherungsfälle ein. § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG ist dann ein Auffangtatbestand für die Fälle, in denen der Arbeitnehmer wegen der behaupteten und nicht leicht zu widerlegenden Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers keinen Lohn erhalten hat. "Offensichtlich" bedeutet in diesem Verständnis nicht nur eine Erleichterung für die Verwaltung der Beklagten (Begründung des Regierungsentwurf BT-Drucks 9/74 S. 12), sondern auch eine Erleichterung für die Arbeitnehmer. Denn die Beklagte darf einen Antrag auf Kaug nunmehr nicht schon deshalb ablehnen, weil keine Tatsachen vorliegen, die den zwingenden Schluß auf die Masseunzulänglichkeit nahelegen. Sie muß vielmehr Kaug schon gewähren, wenn alle äußeren Tatsachen und insofern der Anschein für die Masseunzulänglichkeit sprechen. Damit wird Sinn und Zweck des Kaug genügt:
Kaug soll den laufenden Lebensunterhalt der Arbeitnehmer sicherstellen und deshalb schnell, notfalls durch Vorschuß (§ 141f AFG), geleistet werden. Zweifel an der Masseunzulänglichkeit berechtigen die Beklagte also nicht, einen Antrag auf Kaug abzulehnen. Das wird auch dadurch bestätigt, daß sie nicht geschädigt ist, wenn sich später heraus stellen sollte, daß die Masse entgegen ihrer Annahme tatsächlich dennoch zulänglich war. Die über Lohnansprüche gehen nämlich auf sie gemäß § 141m AFG über. Sie kann dann entscheiden, ob sie im Wege Einzelvollstreckung oder des Konkurseröffnungsantrages vorgeht, um sich für ihre Leistung schadlos zu halten. Ob durch einen Konkurseröffnungsantrag der Beklagten der Zeitpunkt des Versicherungsfalls verschoben werden könnte, ist hier nicht zu entscheiden (vgl. dazu: Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen -L 12 Ar 147/79- vom 20. Mai 1981).
Mit dieser Auslegung des Begriffs "offensichtlich" stimmt der Senat zudem im Ergebnis mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) überein. Das BAG hat in seinem Urteil vom 11. September 1980 (-3 AZR 544/79-, zur Veröffentlichung in der amtl. Sammlung vorgesehen) den dem § 141b Abs. 3 Nr. 2 AFG wörtlich entsprechenden § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz) vom 19. Dezember 1974 (BGBl. I 3610) angewendet und den dortigen Träger der Insolvenzsicherung, den Pensionssicherungsverein, als "Auffangstation für Arbeitnehmeransprüche" beurteilt. Es hat diesen Tatbestand schon dann als erfüllt angesehen, wenn die Versorgungsleistungen unter Hinweis auf die Vermögenslosigkeit eingestellt sind und der Träger der Insolvenzsicherung von den gesamten Umständen unterrichtet wird.
Mit dieser Lösung gibt der erkennende Senat die entgegenstehende Rechtsprechung des früher für das Kaug-Recht zuständigen 12. Senats des BSG (vgl. Urteil vom 17. Juli 1979, a.a.O.) auf. Die hier vom erkennenden Senat dem Wort "offensichtlich" gegebene Auslegung erübrigt demnach die Prüfung, ob es sachgerecht ist, von den Arbeitnehmern zu verlangen, einen mit Kosten und sonstigen Schwierigkeiten verbundenen Konkurseröffnungsantrag zu stellen, um die Voraussetzungen des Kaug-Anspruchs zu erfüllen. Es kann zudem offenbleiben, ob die Beklagte verpflichtet ist, anstelle des Antragstellers dafür zu sorgen, daß der Kaug-Versicherungsfall des § 141b Abs. 1 AFG oder des § 141b Abs. 3 Nr. 1 AFG herbeigeführt wird. Insbesondere kommt es nicht mehr auf den Einwand der Beklagten gegen die bisherige Rechtsprechung des 12. Senats an, es werde dadurch entgegen dem Gesetz ein vierter Kaug-Versicherungsfall geschaffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen