Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Arbeitslosen. Begründung der Krankenversicherung der Arbeitslosen durch tatsächlichen Leistungsbezug. Anwendung der Grundsätze zum "mißglückten Arbeitsversuch"
Leitsatz (amtlich)
Die Mitgliedschaft bei der für die Krankenversicherung der Arbeitslosen zuständigen Krankenkasse beginnt, wenn Leistungen der Arbeitslosenversicherung iS von § 155 Abs 1 AFG - ob zu Recht oder zu Unrecht - für zurückliegende Zeiten bewilligt werden, am ersten Tag des Bewilligungszeitraums (Ergänzung zu BSG 1964-02-13 3 RK 66/59 = BSGE 20, 145; BSG 1983-04-14 8 RK 14/82 = SozR 2200 § 1531 Nr 13; BSG 1983-09-21 8 RK 24/82; BSG 1983-10-19 3 RK 7/82).
Orientierungssatz
Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Rechtsfigur des "mißglückten Arbeitsversuchs" sind weder unmittelbar noch sinngemäß anzuwenden.
Normenkette
AFG § 155 Abs 1 Fassung: 1969-06-25, § 159
Verfahrensgang
SG Koblenz (Entscheidung vom 14.07.1982; Aktenzeichen S 2 K 58/81) |
Tatbestand
Die beteiligten Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK'en) streiten darüber, ob die beklagte AOK der klagenden AOK Krankenpflegeleistungen zu erstatten hat, die diese der Beigeladenen erbracht hat.
Die Beigeladene, die zuvor Mitglied der beklagten AOK war, nahm am 15. Oktober 1980 eine Beschäftigung auf Probe in einer Jugendbildungsstätte auf und wurde Mitglied der zuständigen klagenden AOK. Das Beschäftigungsverhältnis wurde zum 31. Dezember 1980 beendet. Das Arbeitsamt T. gewährte der Beigeladenen auf Grund ihrer Arbeitslosmeldung vom 23. Dezember 1980 für die Zeit ab 1. Januar 1981 Arbeitslosenhilfe.
Dr. B. stellte am 15. Januar 1981 bei der Klägerin Arbeitsunfähigkeit ab 1. Januar 1981 fest. Die Beigeladene wurde in der Folgezeit in verschiedenen Krankenanstalten stationär behandelt. Sie wurde bei der für die Krankenversicherung der Arbeitslosen (KVdA) zuständigen beklagten AOK angemeldet, die jedoch die Mitgliedschaft mit Bescheid vom 12. Mai 1981 verneinte, weil die Beigeladene bereits am 1. Januar 1981 arbeitsunfähig gewesen und eine dauernde Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zu erwarten gewesen sei. Den Widerspruch der Beigeladenen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 1981 zurück. Das Klageverfahren ist ausgesetzt.
Die Klägerin trug zunächst die Behandlungskosten für die Beigeladene, vertrat jedoch den Standpunkt, nicht sie sei für die Krankenversicherung der Beigeladenen ab 1. Januar 1981 zuständig, sondern die Beklagte. Da diese ihre Leistungspflicht weiterhin verneinte, erhob die Klägerin am 28. Oktober 1981 Klage auf Erstattung der vorsorglich übernommenen Behandlungskosten.
Mit seinem Urteil vom 14. Juli 1982 hat das Sozialgericht Koblenz (SG) die Beklagte verurteilt, der Klägerin die ab 1. Januar 1981 gezahlten Leistungen für die Beigeladene zu erstatten. Die Mitgliedschaft der Beigeladenen bei der Klägerin sei mit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses am 31. Dezember 1981 beendet worden. Wegen des Bezuges von Arbeitslosenhilfe sei die Beigeladene ab 1. Januar 1981 Mitglied der Beklagten geworden. Diese sei daher leistungspflichtig gewesen und habe deshalb der Klägerin die von dieser ab 1. Januar 1981 vorsorglich übernommenen Krankenhilfekosten zu erstatten.
Mit ihrer von dem SG zugelassenen (Sprung-)Revision trägt die Beklagte vor, das Arbeitsamt T. habe der Beigeladenen in Unkenntnis der bestehenden Arbeitsunfähigkeit rückwirkend ab 1. Januar 1981 Arbeitslosenhilfe bewilligt. Die Beigeladene habe aber der Arbeitsvermittlung gar nicht zur Verfügung gestanden und deswegen keinen Anspruch auf Leistungen gegen das Arbeitsamt gehabt. Bestehe jedoch bei Beginn des Bezuges von Arbeitslosenhilfe Arbeitsunfähigkeit, stehe also der Bezieher dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, entstehe eine Mitgliedschaft in der KVdA nicht. Nach den auch insoweit anzuwendenden Grundsätzen zum "mißglückten Arbeitsversuch" sei der Versicherte so zu behandeln, als habe zwischenzeitlich keine Versicherungspflicht nach § 155 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) bestanden. Es widerspreche dem Sinn und Zweck der Krankenversicherung der Arbeitslosen, daß ein Versicherter, der der Vermittlung nicht zur Verfügung stehe, Mitglied dieser Krankenversicherung werde.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14. Juli 1982 abzuändern und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14. Juli 1982 mit seinen Feststellungen aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Sozialgerichts Koblenz zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie meint, der Beigeladenen sei zutreffend Arbeitslosenhilfe bewilligt worden, so daß sie Mitglied der Beklagten geworden sei.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin die seit dem 1. Januar 1981 für die Beigeladene erbrachten Krankenhilfeleistungen zu erstatten. Die Beigeladene war seit diesem Zeitpunkt Mitglied der Beklagten, so daß diese, und nicht die Klägerin, leistungspflichtig war. Die Klägerin hat deshalb ohne Rechtsgrund geleistet; die Beklagte ist ihr daher nach den Grundsätzen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs erstattungspflichtig.
Die Beigeladene war nur bis zur Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses am 31. Dezember 1980 Mitglied der Klägerin. Infolge der für die Zeit ab 1. Januar 1981 bezogenen Arbeitslosenhilfe war sie nach § 155 Abs 1 AFG krankenversichert. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des SG war die hierfür zuständige Krankenkasse die Beklagte. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beigeladene schon am 1. Januar 1981 arbeitsunfähig war oder gar der Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für ihr zumutbare Beschäftigungen nicht zur Verfügung stand, so daß die Voraussetzungen für die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe nicht erfüllt waren, oder ob sie erst später arbeits- oder vermittlungsunfähig geworden ist. Die KVdA entsteht schon allein aufgrund des tatsächlichen Bezuges von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgeld. Denn nicht einmal die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung oder die Rückforderung solcher Leistungen berühren das Versicherungsverhältnis der KVdA (§ 155 Abs 2 Satz 3 AFG). Der erkennende Senat hat bereits mehrfach entschieden (Urteil vom 14. April 1983 - 8 RK 14/82; Urteil vom 21. September 1983 - 8 RK 24/82; ebenso neuerdings der 3. Senat des Bundessozialgerichts -BSG-, Urteil vom 19. Oktober 1983 - 3 RK 7/82), daß sich die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über den sogenannten mißglückten Arbeitsversuch auf Fälle der vorliegenden Art weder unmittelbar noch sinngemäß anwenden lassen. Zwar hatte der 3. Senat des BSG (SozR 4100 § 155 Nr 4) die Ansicht vertreten, es bestehe kein sachlicher Grund, die Fälle des faktischen Bezuges von AFG-Leistungen im Sinne von § 155 Abs 1 AFG im Hinblick auf die Grundgedanken des mißglückten Arbeitsversuchs anders zu behandeln als diejenigen der faktischen Beschäftigung gemäß § 165 Abs 2 RVO. Die tragenden Gründe dieser Entscheidung betreffen jedoch die Frage, ob sich die Höhe des Krankengeldes nach § 158 AFG oder nach dem früheren Versicherungsverhältnis zu richten hat. Die zu der Rechtsfigur des sogenannten mißglückten Arbeitsversuchs entwickelten Grundsätze besagen, daß ein Beschäftigter nicht schon mit dem erstmaligen Arbeitsvorgang in eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne von § 306 Abs 1 RVO eintritt. Hinzukommen muß vielmehr, daß er ein Mindestmaß an Eignung besitzt. Wer so krank ist, daß er die von ihm übernommene Arbeit nicht ohne erhebliche Gefährdung für sich, die Allgemeinheit oder den Betrieb leisten kann, ist auch dann arbeitsunfähig, wenn er die Arbeit einige Tage bis zum Eintritt schädlicher Folgen ohne Beanstandungen leistet, aber von vornherein jederzeit damit zu rechnen war, daß die Arbeit abgebrochen werden müsse (BSGE 54, 148 ff - demnächst in: SozR 2200 § 306 Nr 13). Die Mitgliedschaft bei der zuständigen Krankenkasse kommt also deshalb nicht zustande, weil der Betroffene nicht in ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis eingetreten ist. Die Versicherung in der KVdA nach § 155 Abs 1 AFG und damit die Mitgliedschaft bei der nach § 159 AFG hierfür zuständigen Krankenkasse knüpft aber schon an den tatsächlichen Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung an, gleichgültig ob sie zu Recht oder zu Unrecht bewilligt oder sogar später rückgängig gemacht worden sind. Ist ein Bezieher von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (§ 155 Abs 1 AFG) einmal Mitglied der KVdA geworden und besteht die zu der zuständigen Krankenkasse begründete Mitgliedschaft fort, so kann sich der Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung nur gegen diese Kasse richten. Die Leistungspflicht einer neuen Kasse aus bestehender Mitgliedschaft geht grundsätzlich einer eventuellen Leistungspflicht der alten Kasse aus beendeter Mitgliedschaft vor (BSGE 51, 281, 285). Daß durch den Bezug von Arbeitslosengeld usw entsprechend § 155 Abs 1 AFG unter den Voraussetzungen des § 159 AFG eine neue Kassenzuständigkeit begründet werden kann, hat auch der 3. Senat in der zitierten Entscheidung vom 21. März 1978 nicht ausgeschlossen.
Die Versicherung in der KVdA (§ 155 Abs 1 AFG) und die Mitgliedschaft bei der zuständigen Krankenkasse (§ 159 AFG) entstehen aber auch, wenn tatsächlich keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gezahlt werden, aber ein Anspruch darauf besteht. Diese von der Rechtsprechung von jeher vertretene und erkennbar nicht bezweifelte Rechtsansicht (vgl RVA in EuM 27 S 277 Nr 110; EuM 34 S 62 Nr 20; BSGE 20, 145, 147; Hennig/Kühl/Heuer, Arbeitsförderungsgesetz, § 155 Anm 2; Schönefelder/Kranz/Wanka, Arbeitsförderungsgesetz, § 155 Anm 14) teilt der erkennende Senat. Abgesehen davon, daß das Gesetz insoweit inhaltlich unverändert geblieben ist (§ 117 AVAVG aF, später § 107 AVAVG, jetzt § 155 Abs 1 AFG), woraus zu schließen ist, daß der Gesetzgeber diese von der ständigen Rechtsprechung gefundene Auslegung als seinem Willen entsprechend gebilligt hat, entspricht sie auch dem erkennbaren Gesetzeszweck, daß nämlich diejenigen Personen, die Anspruch auf die im Gesetz genannten Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung haben, in der KVdA versichert sein sollen (vgl auch SozR 4100 § 159 Nr 2). Schon der Gesetzgeber des AVAVG wollte unter dem in § 117 genannten Arbeitslosen, der "während des Bezuges der Hauptunterstützung" gegen Krankheit versichert ist, entsprechend der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge vom 16. Februar 1924 alle Erwerbslosen, die zu unterstützen sind, verstanden wissen (vgl Amtliche Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über Arbeitslosenversicherung vom 16. Dezember 1926, RT-Drucks Nr 2885 III. Wahlperiode 1924/27 S 98 zu § 78). Der im Gesetz genannte "Bezug" dieser Leistungen als Tatbestandsvoraussetzung für die Begründung der KVdA dient nur dem Schutz des Vertrauens des Betroffenen in den Bestand seiner Krankenversicherung, solange er tatsächlich solche Leistungen bezieht. Es wäre dagegen nicht gerechtfertigt, etwa bei verzögerter Bearbeitung und Entscheidung über den Leistungsantrag, den Beginn der KVdA von der erstmaligen tatsächlichen Zahlung abhängig zu machen (vgl dazu demnächst Gagel/Jülicher, Arbeitsförderungsgesetz § 155 Anm 7). Das würde zu Zufallsergebnissen führen, so daß das mit der KVdA erstrebte Gesetzesziel nicht erreicht würde. Werden daher, wie offenbar auch im vorliegenden Fall, Leistungen der Arbeitslosenversicherung im Sinne von § 155 Abs 1 AFG für einen zurückliegenden Zeitraum bewilligt, so ist damit der Anspruch auf diese Leistungen für den gesamten Zeitraum anerkannt. Damit steht auch fest, daß die mit dem Anspruch verbundene KVdA für denselben Zeitraum besteht, dh am ersten Tag, für den die Leistung bewilligt worden ist, begonnen hat. Dabei ist es für den Bestand der KVdA ebenso wie bei der tatsächlichen Zahlung solcher Leistungen rechtlich unerheblich, ob die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen tatsächlich bestanden haben, ob die Bewilligung später rückgängig gemacht oder gar Leistungen zurückgefordert worden sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen