Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 1990 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20. Februar 1989 abgeändert. Der Bescheid vom 17. September 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 1987 wird aufgehoben, soweit darin 26,60 DM als Säumniszuschläge festgesetzt sind.
Im übrigen wird die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die konkursrechtliche Einstufung von Beitragsforderungen aus der freiwilligen Krankenversicherung des Gemeinschuldners.
Der spätere Gemeinschuldner, der Kaufmann M … S …, war bis 14. September 1986 als Selbständiger freiwilliges Mitglied der Beklagten und hatte ab 1. Juli 1986 keine Beitragszahlungen mehr geleistet. Am 15. September 1986 wurde das Konkursverfahren eröffnet; Konkursverwalter ist der Kläger. Die Beteiligten beziffern die rückständigen Beiträge auf 1.339,40 DM. Nach entsprechendem Schriftwechsel machte die Beklagte diesen Betrag zuzüglich 26,60 DM Säumniszuschläge und 4 DM Mahngebühren mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. September 1987 als Masseforderung geltend. Im bisherigen Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren hatte der Kläger keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1987; Urteil des Sozialgerichts vom 20. Februar 1989; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 21. Februar 1990). Das LSG hat weder im Wortlaut, noch im Normzweck, noch in der Entstehungsgeschichte Anhaltspunkte dafür gesehen, daß § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e Konkursordnung (KO) für freiwillige Beiträge nicht gelte. Der im Gesetz verwandte Begriff der „Beiträge” könne nicht auf bestimmte Arten von Beiträgen reduziert werden. Die unveränderte Übernahme der Regelung von § 28 Abs 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis 1. Juli 1977 geltenden Fassung (aF) in § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO durch das Vierte Buch des Sozialgesetzbuchs habe dazu geführt, daß § 59 KO nicht mehr nur den Schutz von Arbeitnehmern, sondern auch den Schutz der Beitragsforderungen von Sozialversicherungsträgern bezwecke. Denn unter § 28 RVO aF habe das Bundessozialgericht – BSG – (BSGE 32, 263 = SozR Nr 5 zu § 28 RVO) auch Beitragsrückstände aus einer freiwilligen Krankenversicherung subsumiert. Nach einer weiteren Entscheidung des BSG (ZIP 1981, 998) sei die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungsträger auch im Interesse des einzelnen Versicherten nicht weniger schutzwürdig als die Sicherheit der Lohn- und Gehaltsansprüche. Da das Beitragsaufkommen der Sozialversicherungsträger nicht nur durch Pflichtversicherte, sondern auch durch freiwillig Versicherte garantiert werde, könne von einer Bevorzugung des Gemeinschuldners in diesem Fall keine Rede sein.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und trägt (erneut) vor, der Schutzzweck von § 59 KO gebiete die Beschränkung auf Beitragsrückstände, die zugunsten von Arbeitnehmern geschuldet würden. Die Motive zu § 28 Abs 3 RVO aF (BT-Drucks 7/1750) sprächen ausschließlich von Beiträgen, die aus Löhnen stammen (Arbeitnehmeranteil) oder die auf Löhne entfallen (Arbeitgeberanteil). Das BSG habe bisher nur über freiwillige Beiträge von Arbeitnehmern (BSGE 32, 263) und nur über den Vorrang der Sozialversicherungsträger gegenüber einfachen Konkursgläubigern, also nicht gegenüber Lohnansprüchen von Arbeitnehmern entschieden (ZIP 1981, 998).
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen und des Sozialgerichts Düsseldorf sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. September 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 1987 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig, aber im wesentlichen nicht begründet.
Die Beklagte hat die Beitragsrückstände aus der freiwilligen Krankenversicherung des Gemeinschuldners im angefochtenen Bescheid zu Recht als Masseforderungen iS von § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO festgestellt. Nach dieser Vorschrift sind Masseschulden die Ansprüche der Träger der Sozialversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit auf Beiträge einschließlich Säumniszuschläge und auf Umlagen, soweit sie Rückstände für die letzten sechs Monate vor der Eröffnung des Konkursverfahrens betreffen. Das LSG ist zu Recht zum Ergebnis gekommen, daß diese Voraussetzungen erfüllt sind, denn die Beklagte ist ein Sozialversicherungsträger und der streitige Beitragsrückstand ist innerhalb des am 15. März 1986 beginnenden 6-Monats-Zeitraums vor dem am 15. September 1986 eröffneten Konkurs, nämlich für die Monate Juli, August und September (zur Hälfte) entstanden. Diese Subsumtion wird vom Kläger nicht in Zweifel gezogen.
Der Senat stimmt der Beklagten und den Vorinstanzen darin zu, daß der Wortlaut von § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO nicht auf den Fall reduziert werden kann, daß der Gemeinschuldner mit den für Arbeitnehmer zu entrichtenden Beiträgen im Rückstand ist, sondern alle Beitragsrückstände, also auch diejenigen aus einer freiwilligen Versicherung des Gemeinschuldners, erfaßt. Zwar hat der Kläger zu Recht darauf hingewiesen, daß der Katalog von § 59 KO ebenso wie derjenige von § 61 KO als in sich geschlossenes System einer Erweiterung durch Auslegung gar nicht oder allenfalls in ganz engen Grenzen zugänglich ist (zu § 61 KO insbesondere Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 65, 182, 191). Dieser Einwand gegen die angefochtene Entscheidung greift aber schon deshalb nicht, weil das Gesetz vom Wortlaut her den hier gegebenen Sachverhalt ausdrücklich erfaßt. Die Beklagte hat § 59 KO also nicht etwa über den Wortlaut hinaus ausgedehnt, sondern der Kläger möchte diesen Wortlaut als zu weit gefaßt einschränken. Diese Einschränkung kann mit dem Hinweis auf den Charakter von § 59 KO als abschließende Regelung nicht begründet werden.
Damit befindet sich der Senat in Einklang mit der bisherigen Rechtspechung. Das BSG hat zu § 28 Abs 3 RVO in der bis 19. Juli 1974 geltenden Fassung entschieden, daß Beitragsrückstände aus der freiwilligen Versicherung des Gemeinschuldners (eines selbständigen Kaufmanns, wie der vollständige Text der Entscheidungsgründe belegt) das in der zitierten Vorschrift durch Verweis auf § 61 Nr 1 KO angeordnete Konkursvorrecht genossen haben (BSGE 32, 263, 266f = SozR Nr 5 zu § 28 RVO). Schon damals war argumentiert worden, die Bezugnahme auf eine Vorschrift über den Vorrang von Lohnrückständen müsse zu einer Einschränkung auf lohnbezogene Beitragsrückstände führen; für eine solche Auslegung vermißte das BSG jedoch eindeutige Hinweise im Wortlaut und in der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (aaO 267). Diese Aussage ist trotz der Höherstufung eines Teils der Lohn- und Beitragsrückstände zu Masseschulden ab 20. Juli 1974 (durch Neufassung von § 59 Abs 1 Nr 3 KO und § 28 Abs 3 RVO) und trotz der Übernahme des (neugefaßten) § 28 Abs 3 RVO in §§ 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e, 61 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO ab 1. Juli 1977 weiterhin gültig geblieben. Denn das BSG hat mehrfach betont, daß die genannten Gesetzesänderungen am einheitlich verwandten Begriff der „Rückstände” inhaltlich nichts geändert haben (BSGE 49, 276, 279f = SozR 2200 § 28 Nr 3; BSG SozR 4100 § 186a Nr 10; SozR 7910 § 59 Nr 13).
Auch der Normzweck spricht nicht für die vom Kläger vertretene Einschränkung von § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO, denn er geht über denjenigen des Arbeitnehmerschutzes hinaus. Die gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherungen sind – anders als private Versicherungen – dadurch gekennzeichnet, daß der Versicherungsschutz unabhängig davon entsteht und aufrechterhalten bleibt, ob Beiträge entrichtet werden oder nicht (§ 186 Abs 1 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung – ≪SGB V≫, § 539 RVO, § 104 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫). In diesen Versicherungszweigen bedeutet der Vorrang von Beitragsforderungen im Konkurs also keinen unmittelbaren Vorteil für die konkret betroffenen Arbeitnehmer; hier bedeutet die Sicherung des Beitragseinkommens vielmehr eine ungezielte Begünstigung aller Versicherten. Als reine Arbeitnehmerschutzvorschrift wäre § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO allenfalls dann zu verstehen, wenn ausschließlich den Beitragsforderungen zur Rentenversicherung ein Vorrecht eingeräumt worden wäre, weil nur in der Rentenversicherung Leistungsansprüche von der tatsächlichen Beitragsentrichtung (und nicht nur von der Beitrags- oder Versicherungspflicht) abhängig sind. Da demnach § 59 KO jedenfalls nicht ausschließlich die vom Konkurs betroffenen Arbeitnehmer, sondern daneben zumindest auch die Versichertengemeinschaft und die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung schützen soll, muß er auch Beiträge zur freiwilligen Versicherung erfassen, denn für die Funktionsfähigkeit der Versicherung macht es keinen Unterschied, ob Beiträge aufgrund freiwilligen Beitritts oder aufgrund der gesetzlichen Versicherungspflicht entrichtet werden.
Schließlich bietet die vom BSG schon mehrfach analysierte Entstehungsgeschichte (insbesondere BSGE 49, 276) keine Handhabe für die vom Kläger vertretene Auslegung. Bei der ursprünglichen Einführung des konkursrechtlichen Vorrangs von Beitragsrückständen (§ 55 Satz 2 des Gesetzes betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883 – RGBl 73 und § 137 Satz 2 des Gesetzes betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 – RGBl 97) mag der rechtliche oder zumindest wirtschaftliche Zusammenhang zwischen Lohn-und Beitragsforderung (auch im Hinblick auf das Fehlen eines Vorrangs für Beitragsrückstände in der Unfallversicherung) eine gewisse Rolle gespielt haben (vgl etwa Rosin, Das Recht der Invaliden- und Altersversicherung 1905, S 605). In diesen Zusammenhang gehört auch die ausschließliche Erwähnung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteilen bei der Änderung von § 28 Abs 3 RVO im Juli 1974 (BT-Drucks 7/1750 S 17). Diese Bezugnahmen auf die Verwandtschaft zwischen Lohn- und Beitragsansprüchen brauchen aber nicht als Auslegungshilfe verstanden zu werden, sondern können auch als Hinweise auf das typische (aber nicht das einzige) von der Regelung erfaßte Beispiel der für Arbeitnehmer zu entrichtenden Pflichtbeiträge gemeint sein. Dafür spricht, daß Beiträge zur freiwilligen Versicherung der Arbeitnehmer ebenfalls nicht erwähnt sind, obwohl sie selbst nach der Auffassung des Klägers von § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e KO erfaßt werden. Unabhängig davon übersieht der Kläger jedoch, daß die Entstehungsgeschichte neben den Hinweisen auf die Verknüpfung von Lohn- und Beitragsforderungen immer wieder Aspekte enthält, die für die vom BSG schon bisher vertretene Auffassung sprechen. Schon bei der Begründung im Jahre 1883 für den konkursrechtlichen Vorrang von rückständigen Beiträgen zur Krankenversicherung spielten neben den Interessen der Arbeiter an einer möglichst starken Sicherung der Beitragsforderungen im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers mögliche Beitragseinbußen bzw Vollstreckungsschwierigkeiten der Krankenkassen eine Rolle (Reichstags-Drucks 1882/83 Nr 211 S 803). Von Anfang an hatte der Gesetzgeber also neben dem Schutz der vom Konkurs betroffenen Arbeitnehmer den Schutz der Versichertengemeinschaft im Auge, die mehrheitlich, aber nicht ausschließlich aus Arbeitnehmern bestand. Auch die Ausdehnung des konkursrechtlichen Vorrangs auf die Beitragsforderungen der Unfallversicherung durch die Einführung von § 28 Abs 3 RVO im Jahre 1911 muß in diesem Sinne verstanden werden (vgl Koch, Beitreibung und Konkursvorrecht der Rückstände nach § 28 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 RVO, Die Arbeiterversorgung, 1916, 697, 700; RGZ 102, 70, 74; BSGE 49, 276, 279). Unter diesen Umständen sieht der Senat keine Möglichkeit, den Wortlaut von § 59 KO unter Berufung auf seine Entstehungsgeschichte in der vom Kläger gewollten Richtung einzuschränken.
Der Bescheid der Beklagten ist auch insoweit rechtmäßig, als darin Mahngebühren für zwei Mahnungen in Höhe von 4 DM festgesetzt wurden; die Beschränkung der Mahngebühr auf 2 DM entgegen § 66 Abs 1 S 1 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) iVm §§ 3 Abs 3, 19 Abs 2 S 1 Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (eins vom Hundert des Mahnbetrags) durch § 22 Abs 5 der Satzung der Beklagten enthält keine Rechtsverletzung zu Lasten des Klägers. Bezüglich der Hauptforderung und dieser Nebenforderung ist die Revision daher zurückzuweisen.
Wegen der geforderten Säumniszuschläge ist der Bescheid jedoch aufzuheben; insoweit sind die vorinstanzlichen Urteile abzuändern. Säumniszuschläge können nach § 24 Viertes Buch des Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften -(SGB IV) nur nach entsprechender Ermessensausübung erhoben werden. Der angefochtene Bescheid enthält keine Ermessenserwägungen, so daß er nach §§ 35 Abs 1 Satz 3, 41 Abs 1 Nr 2, 41 Abs 2, 42 Satz 1 SGB X aufgehoben werden muß (vgl BSG SozR 4100 § 186a Nr 18).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1172984 |
NJW 1993, 2400 |
ZIP 1993, 608 |