Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 15.06.1971)

 

Tenor

Auf die Revision der beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1971 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

In der Sache selbst ist streitig, ob die Beklagte berechtigt ist, von der Klägerin Gesamtsozialversicherungsbeiträge aus Beschäftigungsverhältnissen zu beanspruchen, für die Frau Anneliese R…, die Beigeladene zu 3), gegenüber der Beklagten als Arbeitgeberin aufgetreten ist.

Während die Klage erfolglos geblieben ist, hat das Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 29. Oktober 1970 abgeändert und den Bescheid der Beklagten vom 5. April 1967 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 1968 aufgehoben; es hat die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 15. Juni 1971).

Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die Beigeladene zu 1), hat gleichwohl Revision eingelegt. Sie rügt in erster Reihe Verletzung der §§ 108, 128 Abs. 2 und 136 Abs. 1 Nr. 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie begründet ihre Revision damit, das LSG habe ihr die Berufungsbegründungsschrift der Klägerin nicht, wie durch § 108 SGG vorgeschrieben, von Amts wegen mitgeteilt. Erst bei Zustellung des angefochtenen Urteils habe sie erfahren, daß das LSG der Rechtsansicht der Klägerin gefolgt sei, ein Ergebnis, zu dem das Gericht nach Ansicht der Beigeladenen zu 1) nicht gelangt wäre, wenn sie sich zu dem Inhalt der Berufungsbegründung nach der Mitteilung der Berufungsbegründungsschrift hätte äußern können.

Diese Rüge greift durch. Wenn auch die Beigeladene zu 1) ua die Vorschriften der §§ 108, 128 Abs. 2 SGG als verletzt bezeichnet hat, so ist dies unschädlich, weil aufgrund der unterbliebenen Mitteilung der Berufungsbegründungsschrift der Klägerin vom 9. Juni 1971 (§ 108 SGG) zwar nicht die Vorschrift des § 128 Abs. 2 SGG, wohl aber die des § 62 SGG verletzt ist. Die genannte Schrift enthält nämlich keine Tatsachen und Beweisergebnisse, wovon in § 128 Abs. 2 SGG allein die Rede ist, sondern Rechtsansichten. Der Beigeladenen zu 1) hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, sich hierzu zu äußern. Während § 128 Abs. 2 SGG als besonderer Anwendungsfall des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs nur Tatsachen und Beweisergebnisse betrifft, hier indes es darum ging, wie bestimmte, von den Beteiligten hingenommene Tatsachen rechtlich zu beurteilen sind, ist die allgemeine Vorschrift des rechtlichen Gehörs des § 62 SGG vom Berufungsgericht verletzt worden. Ersichtlich ist der Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 9. Juni 1971, der ausweislich eines Stempels und eines handschriftlichen Vermerks am 11. Juni 1971 beim LSG eingegangen ist, zwar mit 2 Durchschriften vorgelegt, jedoch nicht der Beigeladenen zu 1) – vermutlich auch nicht den übrigen Beteiligten – zugeleitet worden, da ein Vermerk oder eine richterliche Verfügung über eine Absendung oder Übergabe einer Durchschrift der Berufungsbegründung fehlen. Auch die Niederschrift über die Sitzung des 16. Senats des LSG vom 15. Juni 1971 (Blatt 104 ff. der Akten des LSG) gibt darüber keinen Aufschluß. Der Verstoß gegen § 108 SGG liegt auf der Hand. Angesichts dieses Umstandes hätte das LSG, dem durch zwei Zuschriften der Beigeladenen zu 1) vom 7. Juni 1971, die am 11. und 14. Juni 1971 beim LSG eingegangen waren, bekannt geworden war, daß diese nicht mehr mit einer Berufungsbegründung rechnete und zum Termin vom 15. Juni 1972 keinen Terminsvertreter entsenden werde, um diesem Beteiligten das rechtliche Gehör zu gewähren, die Sache vertagen müssen. Was das rechtliche Gehör angeht, ist es in der Tatsacheninstanz nicht ausgeschlossen, daß ein Beteiligter auf Rechtsausführungen eines anderen Beteiligten hin neue Tatsachen vorbringt, so daß auch die Mitteilung von Rechtsausführungen eines Beteiligten an die anderen notwendig ist.

Da dies nicht geschehen ist, ist die angefochtene Entscheidung unter Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) zustande gekommen. Die Revision ist damit an sich statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und begründet. Das angefochtene Urteil ist mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da eine eigene Entscheidung des Revisionsgerichts untunlich ist (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Vor seiner neuen Entscheidung wird das LSG der Beigeladenen zu 1) das bisher versagte rechtliche Gehör durch Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift zu gewähren haben. In der neuen Verhandlung sollte es auch erwägen, ob durch Gegenüberstellung der Eheleute R…, mit dem geschäftsführenden Gesellschafter der Klägerin, Hans II…, dem Gesellschafter Anton I…, und dem Angestellten Sch… die tatsächlichen Verhältnisse einer weiteren Klärung zugeführt werden könnten, wobei insbesondere dem Gesichtspunkt Bedeutung beizumessen sein würde, ob die Beigeladene zu 3) lediglich ihren Namen für das Unternehmen hat hergeben sollen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Unterschriften

Geyser, Burger, Dr. Friederichs

 

Fundstellen

Dokument-Index HI780359

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