Leitsatz (amtlich)

Bezieher von Altersruhegeld können innerhalb der Frist des RVO § 1418 Abs 1 Beiträge zur Weiterversicherung in der Rentenversicherung für eine Zeit vor Beginn der Rente jedenfalls dann noch wirksam entrichten, wenn der das Altersruhegeld bewilligende Bescheid noch nicht bindend geworden ist.

 

Normenkette

RVO § 1233 Fassung: 1957-07-27, § 1419 Fassung: 1957-02-23, § 1418 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. Juni 1961 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die am 1. Juli 1895 geborene Klägerin beantragte am 21. Juli 1960 die Zahlung von Altersruhegeld. Nachdem die Beklagte festgestellt hatte, daß an der gesetzlichen Wartezeit von 180 Beitragsmonaten noch 15 Monatsbeiträge fehlten, entrichtete die Klägerin diese am 29. Juli 1960 nach, und zwar für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. März 1958.

Darauf gewährte die Beklagte das begehrte Altersruhegeld vom 1. August 1960 an.

Auf die von der Klägerin erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg die Beklagte verurteilt, die Rente bereits vom 1. Juli 1960 an zu zahlen. Die von der Beklagten eingelegte (zugelassene) Berufung ist erfolglos geblieben. Die Vorinstanzen waren der Auffassung, nach § 1248 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei Voraussetzung für die Gewährung des Altersruhegeldes die Erfüllung der Wartezeit und die Erreichung der Altersgrenze. Beide Voraussetzungen hätte die Klägerin im Juli 1960 erfüllt. Der Versicherungsfall sei damit im Juli 1960 eingetreten, so daß die Rente gemäß § 1290 Abs. 1 RVO vom 1. Juli 1960 an zu zahlen sei. Demgegenüber könne sich die Beklagte zur Begründung ihrer abweichenden Auffassung nicht auf § 1233 Abs. 1 Satz 2 RVO berufen. § 1233 RVO regele die Berechtigung zur Weiterversicherung; er gestatte einerseits, daß während des Bezuges einer Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit freiwillige Beiträge auch nach Erreichen der Altersgrenze entrichtet werden dürften, er untersage jedoch andererseits die Entrichtung freiwilliger Beiträge, wenn der Versicherte bereits Altersruhegeld beziehe. Der damit verfolgte Zweck ergebe sich aus § 1233 Abs. 2 RVO. Danach solle die Weiterversicherung eines berufsunfähig oder erwerbsunfähig gewordenen Versicherten der Anrechnung auf das Ruhegeld noch dienlich sein können, während der Versicherte, der die Altersgrenze erreicht habe, das ihm zustehende Altersruhegeld mit weiteren Beiträgen nicht mehr solle verbessern dürfen. Der Sinn der Vorschrift bestehe also nur darin, daß das Gesetz mit dem Eintritt des Versicherungsfalles des Alters das Versicherungsverhältnis als abgeschlossen betrachte. Der Vorschrift des § 1233 Abs. 1 Satz 2 RVO komme dagegen nicht die Bedeutung zu, die Grundregel des § 1248 Abs. 1 RVO über die Gewährung des Altersruhegeldes und die allgemeine Vorschrift des § 1290 Abs. 1 RVO über den Rentenbeginn einzuschränken. Ob der Versicherte den Eintritt des Versicherungsfalls auf einen nach der Nachentrichtung liegenden Zeitpunkt verlegen könne, und ob die Rente stets mit dem ersten des Nachentrichtungsmonats beginne, brauche hier nicht entschieden zu werden. Da sämtliche Voraussetzungen des § 1248 Abs. 1 RVO bei der Klägerin im Juli 1960 erfüllt gewesen seien, stehe ihr jedenfalls nach § 1290 Abs. 1 RVO das Altersruhegeld vom 1. Juli 1960 an zu.

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrage,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 23. Juni 1961 sowie das Urteil des SG Oldenburg vom 6. April 1961 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügt Verletzung der §§ 1233, 1290 RVO und wiederholt ihr Vorbringen, daß die Rente, wie bewilligt, erst vom 1. August 1960 an zu zahlen sei, da die Klägerin erst Ende Juli die Wartezeit erfüllt habe. Bei einer Bewilligung der Rente bereits vom 1. Juli 1960 an würden die im Juli 1960 geleisteten Beiträge wegen der Vorschrift des § 1233 RVO nachträglich unwirksam werden und damit der Rentenanspruch rückwirkend entfallen. Das könne nicht angehen. Deshalb könne hier abweichend von § 1290 Abs. 1 RVO das Altersruhegeld nicht bereits mit dem Monat der Beitragsentrichtung beginnen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision der Beklagten kann keinen Erfolg haben. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klägerin das begehrte Altersruhegeld bereits vom 1. Juli 1960 an zugesprochen. Zwar hatte diese im Juli 1960, als sie das 65. Lebensjahr vollendete und die Gewährung von Altersruhegeld beantragte, noch nicht die gesetzliche Wartezeit von 180 Beitragsmonaten (§ 1248 Abs. 4 RVO) erfüllt. Sie hat jedoch am 29. Juli 1960 die fehlenden 15 Monatsbeiträge nachentrichtet, und zwar für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. März 1958.

Diese Nachentrichtung war nach § 1418 Abs. 1 RVO zulässig. Die Wirksamkeit der nachgeholten Beitragsleistung wird auch nicht in Frage gestellt, wenn der Klägerin entsprechend ihrem Antrag das Altersruhegeld schon vom 1. Juli 1960 an zugebilligt wird. § 1248 Abs. 4 RVO nF, wonach die Wartezeit für das Altersruhegeld erfüllt ist, wenn eine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten zurückgelegt ist, enthält keine dem § 1246 Abs. 3 und dem § 1247 Abs. 3 RVO entsprechenden Bestimmungen, wonach die Wartezeit nur erfüllt ist, wenn "vor Eintritt der Berufsunfähigkeit" bezw. "vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit" eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt ist. Allerdings verbietet § 1233 Abs. 1 Satz 2 RVO nach Erreichen der Altersgrenze für die Gewährung des Ruhegeldes eine Weiterversicherung dann, wenn der Versicherte ein Altersruhegeld bezieht. Damit ist jedoch, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 14. Juni 1962 (SozR § 1233 RVO Bl. Aa 3 Nr. 3) klargestellt hat, lediglich eine freiwillige Fortsetzung der Versicherung für Zeiten vom Beginn des Altersruhegeldes an ausgeschlossen. Denn mit der Gewährung des Altersruhegeldes hat das Versicherungsverhältnis für den Versicherten in aller Regel seinen endgültigen Abschluß gefunden; er soll deshalb nicht die Möglichkeit haben, durch weitere Beitragsleistungen risikolos die Höhe seiner eigenen Rente oder der seiner Angehörigen noch zu beeinflussen. Dagegen verbietet jedenfalls § 1233 RVO dem Versicherten nicht, nach Vollendung des 65. Lebensjahres und selbst noch nach der oft rückwirkenden Bewilligung des Ruhegeldes, zumindest solange diese nicht bindend rechtskräftig geworden ist, Beiträge im Rahmen des § 1418 Abs. 1 RVO für solche Zeiten nachzubringen, für die er ein Altersruhegeld nicht bekommt, sei es, daß er es nicht erhalten will, sei es, daß er es nicht beziehen kann, weil diese Zeiten ohnehin noch vor Vollendung des 65. Lebensjahres oder doch wenigstens vor dem Zeitpunkt der Erfüllung der Wartezeit liegen.

Ein solches von der Beklagten angenommenes Verbot ergibt sich auch nicht aus anderen gesetzlichen Bestimmungen oder aus sonstigen allgemeinen versicherungsrechtlichen Erwägungen. Diese Fragen brauchte der Senat in dem bereits genannten Urteil vom 14. Juni 1962 noch nicht zu entscheiden, während es hier auf sie maßgeblich ankommt. Der Senat verweist zunächst auf die in jenem Urteil enthaltene, recht ausführliche Darstellung der beiden in Wissenschaft und Rechtsprechung zunächst für das frühere Recht (§ 1443 RVO aF) entwickelten Auffassungen, die dann auch für § 1419 RVO nF vertreten wurden. Aus den bereits in jener Entscheidung angedeuteten Gründen erkennt der Senat nunmehr die Auffassung ausdrücklich als zutreffend an, die im Ergebnis dem Wortlaut dieser Vorschrift des § 1419 Abs. 1 RVO nF den Vorzug gibt. Danach dürfen freiwillige Beiträge und Beiträge der Höherversicherung lediglich "nach Eintritt der Berufsunfähigkeit, der Erwerbsunfähigkeit oder des Todes für Zeiten vorher nicht mehr entrichtet werden". Der "Versicherungsfall" des Altersruhegeldes ist demnach hier, und zwar, wie der Senat meint, bewußt ausgenommen. Der dem jetzigen § 1419 Abs. 1 RVO nF entsprechende § 1443 aF hatte ursprünglich lediglich nach "Eintritt dauernder oder vorübergehender Invalidität" jede weitere Beitragsleistung ausgeschlossen. Mit dem 1. Januar 1938 hatte § 1443 RVOaF sodann durch § 48 des Gesetzes über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21. Dezember 1937 (RGBl I 1393) die Formulierung erhalten, daß "nach Eintritt des Versicherungsfalls der Invalidität oder des Todes" keine freiwilligen Beiträge mehr entrichtet werden dürfen. Damit war die auch für das frühere Recht vom Reichsversicherungsamt angenommene Sperrwirkung des Versicherungsfalls des Todes ausdrücklich bestätigt, was eine notwendige Klarstellung bedeutete. Das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) vom 23. Februar 1957 brachte schließlich mit § 1419 Abs. 1 RVO die Fassung, daß freiwillige Beiträge "nach Eintritt der Berufsunfähigkeit, der Erwerbsunfähigkeit oder des Todes für Zeiten vorher" nicht mehr entrichtet werden dürfen. Wenn das ArVNG diese Fassung gewählt hat, obwohl dem Gesetzgeber bekannt war, daß die bisherige ständige Rechtsprechung den § 1443 RVO aF unter Anknüpfung an das Wort "Versicherungsfall" ausweitend auch als Verbot der Zahlung freiwilliger Beiträge nach Gewährung der wegen Erreichens des 65. Lebensjahres zu zahlenden Rente ausgelegt hatte, so ist jedenfalls jetzt der Schluß nicht mehr berechtigt, daß der Eintritt des Versicherungsfalls des Altersruhegeldes entsprechend der übrigen in § 1419 Abs. 1 RVO getroffenen Regelung die Nachentrichtung für Zeiten vorher verbietet.

Die von der Klägerin Ende Juli 1960 entrichteten Beiträge sind somit nicht zu beanstanden, falls sie für diesen Monat bereits Altersruhegeld erhält, da diese Beiträge für eine vor Beginn des Altersruhegeldes liegende Zeit gezahlt sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Beiträge - wie hier - zu einer Zeit entrichtet wurden, zu der der das Altersruhegeld festsetzende Bescheid noch nicht ergangen und damit auch noch nicht bindend geworden war. Wie anderenfalls zu entscheiden gewesen wäre, kann hier ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, ob die Rente auch dann bereits mit dem 1. Juli 1960 hätte beginnen dürfen, wenn von den nachentrichteten Beiträgen der letzte für den Monat Juli 1960 bestimmt gewesen wäre.

Nach alledem war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 212

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