Entscheidungsstichwort (Thema)
Freiwillige Weiterversicherung. Berechtigung
Orientierungssatz
Die Ersatzzeiten der Verfolgung können ebensowenig wie die anderen Ersatzzeiten auf die Mindestbeitragszeit von 60 Kalendermonaten angerechnet werden, die nach § 10 Abs 1 AVG (= § 1233 Abs 1 RVO) Voraussetzung für die Berechtigung zur freiwilligen Weiterversicherung ist (vgl BSG 1966-06-28 11 RA 106/65 = BSGE 25, 90).
Normenkette
AVG § 10 Fassung: 1957-02-23, § 28 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1233 Fassung: 1957-02-23, § 1251 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 15.06.1965) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 11.06.1964) |
Tenor
1. Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 15. Juni 1965 wird aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 11. Juni 1964 wird zurückgewiesen.
3. Kosten sind auch im Berufungs- und im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger, geboren ... 1920, entrichtete in den Jahren 1935 bis 1938 insgesamt 33 Pflichtbeiträge zur deutschen Angestelltenversicherung. 1938 wanderte er, weil er aus rassischen Gründen verfolgt wurde, aus Deutschland aus; er kehrte 1957 aus Israel in die Bundesrepublik zurück. Die Zeit von Mai 1938 bis Dezember 1949 wurde von der Beklagten als Ersatzzeit im Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) anerkannt.
Mit Bescheid vom 19. April 1963 und Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 1963 stellte die Beklagte fest, daß der Kläger zur Weiterversicherung in der Angestelltenversicherung nicht berechtigt ist. Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) Frankfurt am 11. Juni 1964 ab; das Hessische Landessozialgericht (LSG) gab dagegen der Berufung des Klägers statt (Urteil vom 15. Juni 1965). Das Recht zur Weiterversicherung ergebe sich zwar nicht aus Art. 2 § 5 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG), aber aus § 10 AVG, weil die Verfolgten aus Gründen der Wiedergutmachung in der Rentenversicherung wie während der Verfolgungszeit versicherungspflichtig Beschäftigte zu behandeln seien; dieser Grundsatz müsse sich auch auf das Recht zur Weiterversicherung nach § 10 AVG auswirken.
Mit der zugelassenen Revision rügte die Beklagte eine Verletzung des § 10 AVG. Sie beantragte,
das Urteil des LSG aufzuheben.
Der Kläger beantragte die Zurückweisung der Revision.
II
Die Revision ist zulässig und begründet.
Das LSG hat zutreffend ausgeführt, daß der Kläger sich nicht nach Art. 2 § 5 AnVNG weiterversichern darf. Entgegen der Ansicht des LSG steht ihm das Recht auf Weiterversicherung aber auch nicht nach § 10 Abs. 1 AVG zu, weil er nicht "während mindestens 60 Kalendermonaten Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet hat." Der Kläger hat solche Beiträge nur für 33 Monate entrichtet. Die zur Sozialversicherung in Israel geleisteten Beiträge können hier nicht berücksichtigt werden. Auch die anerkannte Ersatzzeit kann den Fehlbetrag nicht ausgleichen.
In den Urteilen vom 28. Juni 1966 (SozR Nr. 6 zu § 1233 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) und vom 21. September 1966 (11 RA 340/65) und in weiteren Urteilen hat der Senat ständig entschieden, daß auf die nach § 10 AVG für die Weiterversicherung erforderliche Vorversicherungszeit von 60 Pflichtbeitragsmonaten die verfolgungsbedingten Ersatzzeiten im Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG ebensowenig wie andere Ersatzzeiten angerechnet werden können. Hieran hält der Senat fest. Zwar ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber - wie dies in dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. September 1966 (BSG 13, 67, 70) dargelegt ist - die Verfolgten in der Rentenversicherung grundsätzlich so stellen will, als ob sie während der Verfolgungszeit versicherungspflichtig beschäftigt gewesen bzw. geblieben wären. Es ist jedoch Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, inwieweit dieser Grundsatz im einzelnen verwirklicht werden soll. Gerade für den Anwendungsbereich des § 10 AVG ist aber anzunehmen, daß der Gesetzgeber die Verfolgungszeiten nicht den Pflichtbeitragszeiten hat gleichstellen wollen. Er hat sich sowohl bei der Entstehung der Vorschrift (vgl. Urteil des BSG vom 23. März 1961 - BSG 14, 133, 135 ff -) als auch bei ihrer Änderung durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 gegen eine Anrechnung von Ersatzzeiten auf die für die Weiterversicherung erforderlichen Mindestbeitragszeiten entschieden. Hätte er die verfolgungsbedingten Ersatzzeiten (§ 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG) anders behandeln wollen als die übrigen Ersatzzeiten, so hätte er dies ausdrücklich sagen müssen. Dies ist nicht geschehen.
Die Einwände des Klägers gegen diese Rechtsprechung geben dem Senat keinen Anlaß, von ihr abzugehen oder sie zu modifizieren. Es ist nicht richtig, daß der Kläger, wie er sagt, überhaupt keine Gelegenheit gehabt habe, sich vor 1957 in der deutschen Angestelltenversicherung freiwillig weiterzuversichern; die freiwillige Weiterversicherung ist vielmehr auch vom Ausland her möglich gewesen (vgl. VO über die Durchführung der deutschen Sozialversicherung bei Auslandsaufenthalt vom 29. März 1951, BGBl I 230 u. § 12 des Fremd- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953). § 10 AVG verstößt auch nicht aus den vom Kläger behaupteten Gründen gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes; es ist nicht zutreffend, daß in einem gleichgelagerten Sachverhalt dem Kläger die Weiterversicherung in der Arbeiterrentenversicherung nach § 1233 RVO möglich wäre.
Das Urteil des LSG ist daher aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen