Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit der Beitragserstattung

 

Orientierungssatz

Zur Frage des Nachweises der tatsächlichen Auszahlung des Erstattungsbetrages anläßlich einer Heiratserstattung während des 2. Weltkrieges.

 

Normenkette

RVO § 1309a Fassung: 1942-06-22, § 1297 Abs. 1 Fassung: 1937-12-21, § 1304 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 18.01.1972; Aktenzeichen L 2 J 625/71)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 10.05.1971; Aktenzeichen S 16/9 J 485/69)

 

Tenor

Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. Januar 1972 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Zwischen den Beteiligten ist strittig, ob der Klägerin aus Anlaß ihrer Heirat am 25. November 1943 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erstattet worden sind. Der Erstattungsantrag ist von dem Versicherungsamt der Stadt F am 11. Dezember 1943 der damals zuständigen Landesversicherungsanstalt (LVA) H in K übersandt worden. Nach der Sammelkarte, welche die Beklagte für die Klägerin führt, wurden Beiträge "bis 29. Oktober 1943" erstattet. Zugleich ist auf der Karte vermerkt, daß die Versicherungskarten 9 bis 18 am 28. Juli 1944 auszuscheiden seien.

Die Klägerin behauptet, das Geld niemals erhalten zu haben. Sie habe Anfang Januar 1944 ihre Wohnung in F aufgeben müssen und sei nach H verzogen. Trotz eines Postnachsendeauftrags sei ihr niemals eine Postsendung nachgeschickt worden. Im Januar 1946 habe sie sich nach der Erledigung ihres Erstattungsantrags erkundigt. Ihr sei darauf geantwortet worden, Ansprüche auf Beitragserstattung seien auf Anordnung der Militärregierung suspendiert.

Die Beklagte beschied die Klägerin dahin, daß ihr die Hälfte der bis zum 29. Oktober 1943 entrichteten Beiträge erstattet sei (Bescheid vom 4. September 1968; Widerspruchsbescheid vom 29. April 1969). Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat festgestellt, daß die streitigen Beiträge bei einer künftigen Rentenfestsetzung anzurechnen seien. Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. An den Erstattungsvermerk auf der Sammelkarte hat das Berufungsgericht die Vermutung der tatsächlichen Erledigung geknüpft. Diese Vermutung sei - so hat es ausgeführt - durch keine Gegentatsachen angetastet. Im besonderen fehle ein Anhalt dafür, daß im ersten Quartal 1944 der Postverkehr-von Einzelfällen abgesehen - nicht mehr regelrecht funktioniert habe und Postnachsendungen entgegen einem erteilten Auftrag nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden seien. Dafür, daß der Nachsendeauftrag in Verlust geraten sein könnte, spreche ebenfalls nichts. - Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Die Klägerin hat das Rechtsmittel gleichwohl eingelegt. Sie beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Die Revision bringt vor, das LSG habe seine Aufklärungspflicht verletzt; sonst hätte es nicht zu dem Tatsachenschluß gelangen können, die Beiträge seien erstattet worden. Auf die Umstände, die dieser Annahme entgegenstünden, sei das Berufungsgericht nicht zureichend eingegangen. So sei ihm entgangen, daß der Postverkehr in F im ersten Viertel des Jahres 1944 größtenteils zum Erliegen gekommen und daß der von der Klägerin nach ihrem Wegzug von F erteilte Postnachsendeauftrag verlorengegangen sein müsse. Dieser Auftrag sei bei dem Postamt 1 in F zu stellen gewesen. Das Gebäude, in dem dieses Postamt untergebracht gewesen sei, sei am 22. März 1944 zerstört worden. Nach diesem Tage könne eine für die Klägerin bestimmte und an ihre frühere Anschrift gerichtete Brief- oder Geldsendung die Empfängerin nicht mehr erreicht haben. - Von dem Grad der Zerstörungen in F habe sich der Berufungsrichter kein Bild verschafft. Es müsse mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß die Klägerin den Erstattungsbetrag nicht erhalten habe, die Zahlungsanweisung aber auch nicht an den Versicherungsträger zurückgelangt sei. - Das LSG habe sich ferner nicht genügend vor Augen geführt, daß man die Zahlungsanweisung in die Monate zwischen März und Juni 1944 verlegen müsse. Zu dieser Zeit sei aber der Postnachsendeauftrag der Klägerin bereits vernichtet gewesen. - Das LSG habe des weiteren nicht berücksichtigt, daß die Klägerin ihr Gesuch um Beitragserstattung im Januar 1946 wiederholt habe und daß ihr mitgeteilt worden sei, diese Erstattung sei suspendiert. Man sei also von der Nichterfüllung des Erstattungsanspruchs ausgegangen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist zulässig. Mit ihr hat die Klägerin einen wesentlichen Verfahrensmangel formgerecht geltend gemacht (§ 162 Abs. 2 Nr. 2, § 164 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Aus dem Inhalt der auf den Namen der Klägerin lautenden Sammelkarte hat das Berufungsgericht zwar zutreffend die - auf Lebenserfahrung beruhende, jedoch widerlegliche - Vermutung der Beitragserstattung gestützt (hierüber: BSG SozR Nr. 69 zu § 128 SGG). Es ist aber, wie die Revision zu Recht beanstandet, zu wenig auf die Möglichkeit von Tatsachen eingegangen, die geeignet sein konnten, diese Vermutung zu entkräften. Es hat namentlich ohne weitere Prüfung das Vorbringen beiseite geschoben, daß zur Zeit der fraglichen Auszahlung des Erstattungsbetrages - in der ersten Hälfte des Jahres 1944 - der Postverkehr in F erheblich gestört gewesen sei. Wegen dieses Umstands hatte das erstinstanzliche Gericht einen dem Berufungsurteil entgegengesetzten Schluß gezogen. Dies hätte für das LSG Anlaß sein müssen, sich über die postalischen Verhältnisse zur maßgeblichen Zeit in Frankfurt größere Gewißheit zu verschaffen. Aufschluß hätte von einer Auskunft der Postverwaltung über die damaligen Geschehnisse und Erfahrungen im örtlichen Bereich erwartet werden können. Die durch eine solche Erkundigung zutage zu fördernden Fakten wären mit den damals geltenden und praktizierten Vorschriften über Zahlungen von Leistungen der Invalidenversicherung in Verbindung zu bringen gewesen. Für Beitragserstattung galt § 1297 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Gesetzes vom 21. Dezember 1937 § 26 (RGBl I, 1393; ferner: § 2 Abs. 2 des Gesetzes über Zahlungen aus öffentlichen Kassen vom 21. Dezember 1938 - RGBl I, 1899 -). Das Nähere über die Auszahlungsart war in den Ausführungsbestimmungen vom 29. September 1928 (Amtliche Nachrichten 1928, Anhang zu Nr. 11) geregelt. Danach ist nicht ohne weiteres anzunehmen, daß versucht worden ist, der Klägerin das Geld durch Geldbriefträger ins Haus zu bringen. Nach § 2 Abs. 2 der Ausführungsbestimmungen waren einmalige Zahlungen - wie Beitragserstattungen - in Landzustellbezirken durch Zusteller auszuführen. Für Zahlungen in Städten war eine gleiche Regelung nicht getroffen. Für sie kommt, besonders in der Kriegszeit, in Betracht, daß der Empfänger das Geld bei dem Postamt abzuholen hatte. Wenn der Empfänger einer einmaligen Zahlung in den Bezirk einer anderen Postanstalt verzog, waren entweder die Postanstalt oder der Versicherungsträger von der Wohnortänderung in Kenntnis zu setzen (§ 1297 Abs. 1 Satz 2 RVO aF; § 17 der Ausführungsbestimmungen). In jedem Falle war der Versicherungsträger zu benachrichtigen. - Es wäre außerdem zu erforschen, wie die Post damals mit entsprechenden Geldanweisungen verfuhr, wenn der Antrag des Empfängers auf Zahlung durch eine andere "Postanstalt" nicht vorlag, der Adressat aber einen allgemeinen Nachsendeauftrag erteilt hatte. Schließlich wäre zu erfragen, ob Geldanweisungen trotz der auch in jenen Jahren üblichen Kontrollen verlorengegangen sein können.

Die weitere Aufklärung wird es vielleicht gebieten, das Datum der Zahlungsanweisung genauer zu bestimmen. Die Beklagte wird mitzuteilen haben, wo entsprechende Kassenbelege über die hier in Betracht kommende Auszahlung und Bestätigung eines Geldempfangs geblieben sein können. Sie sollte des weiteren anhand von Parallelbeispielen belegen, welcher Rückschluß von dem in die Sammelkarte eingetragenen Aussonderungsdatum auf den Auszahlungstermin erlaubt ist. Es stellt sich die Frage, ob die Sammelkarte nicht - über die in ihr festgehaltene Ankündigung der bevorstehenden Ausscheidung von Quittungskarten hinaus - eine Notiz über die wirklich vollzogene Maßnahme enthalten müßte.

Es ist nicht auszuschließen, daß das Berufungsurteil bei weiteren Ermittlungen anders ausgefallen wäre. Deshalb ist die Revision begründet. Das angefochtene Urteil muß aufgehoben werden, damit die nötigen Beweiserhebungen nachgeholt werden können.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Berufungsgericht vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652752

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