Leitsatz (amtlich)
Auch ein aufgrund Art 10 BEG-SchlussG rechtsgültig verwendeter Beitrag kann nicht für dieselbe Zeit durch zusätzliche Zahlung aufgestockt werden.
Normenkette
RVO § 1407 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1418 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; BEGSchlG Art. 10 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1965-09-14, S. 4 Fassung: 1965-09-14
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Juni 1971 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin ist Verfolgte des Nationalsozialismus. Sie lebt in Argentinien. Vor 1945 waren ihr wegen Heirat Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erstattet worden. Im Juli 1967 überwies sie an die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) 14,- DM. Dieses Geld wollte sie als Beitrag der Klasse A für Januar 1935 verwendet wissen (Art. X Abs. 1 Sätze 3 und 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG-Schlußgesetz) vom 14. September 1965). 1 1/2 Jahre danach erklärte sie gegenüber der Beklagten, daß sie den Beitrag in der Klasse H (= 105,- DM) angerechnet haben wolle; das fehlende Geld - 91,- DM - werde sie überweisen. Dieses Vorhaben führte sie auch aus.
Die Beklagte teilte der Klägerin mit, daß die Zahlung von 14,- DM durch Eintragung in eine Versicherungskarte Nr. 1 als Beitrag der Klasse A für Januar 1935 bescheinigt sei. Die Anhebung dieses Beitrages auf einen solchen der Klasse H sei nicht erlaubt (Bescheid vom 6. Februar 1969; Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 1969).
Der Klage hat das Sozialgericht (SG) stattgegeben; es hat festgestellt, daß die Klägerin für Januar 1935 einen Monatsbeitrag der Klasse H entrichtet habe; die Bescheide der Beklagten hat es, soweit diese mit der getroffenen Feststellung nicht vereinbar waren, aufgehoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat dagegen die Klage abgewiesen. Es ist davon ausgegangen, daß mit dem Eingang der 14,- DM bei dem Versicherungsträger der Beitrag entrichtet worden sei. Danach sei für denselben Monat eine weitere Beitragsleistung nicht mehr gestattet. Diese Rechtsfolge (§ 1407 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) gelte auch für einen freiwilligen Beitrag auf Grund des Art. X BEG-Schlußgesetz. Dieses Gesetz habe die Abweichungen von den allgemeinen Regeln (freiwillige Versicherung auch ohne vorheriges Versichertsein; Nachentrichtung trotz Eintritts des Versicherungsfalles) aufgeführt; damit habe es zugleich auf die allgemeinen Regeln Bezug genommen und deren Geltung im übrigen bestätigt. Diese Rechtsansicht werde zudem bekräftigt durch § 8 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (Fassung vom 22. Dezember 1970 - BGBl I, 1846). Diese Vorschrift, welche die - hier platzgreifende - Bestimmung des BEG-Schlußgesetzes abgelöst habe, lasse die Nachentrichtung von Beiträgen nur für solche Zeiten zu, die "nicht bereits mit Beiträgen belegt" seien. Die Klägerin sei auch nicht im Vertrauen auf eine gefestigte Rechtsprechung zur Wahl einer für sie weniger vorteilhaften Beitragsklasse verleitet worden. Zwar sei vor Jahren die Meinung vertreten worden, Verfolgte könnten damit rechnen, daß ihre Ersatzzeiten ungeachtet der wirklichen Beitragshöhe nach dem Satz der Klasse 4 gutgebracht würden (§ 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 - VerfolgtenG - WiGBl 263). Diese Auffassung sei nach 1957 umstritten gewesen; eine gefestigte Rechtsprechung habe sich zunächst weder in der einen noch in der anderen Richtung verdichtet. Das Bundessozialgericht (BSG) habe aber bereits am 9. Mai 1967 (BSG 26, 251), also vor der Zeit, zu der die Klägerin ihren Beitrag aufgewendet habe, entschieden, daß § 4 des Gesetzes vom 22. August 1949 aufgehoben sei.
Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen. Das Rechtsmittel hat sie wie folgt begründet: "Die Darlegungen im angefochtenen Urteil erscheinen begründet. Es wird jedoch die Besonderheit übersehen, daß es sich im Falle der Klägerin um eine Verfolgte im Sinne des § 1 BEG handelt und daß für die Verfolgten des Ns-Regimes besondere Bestimmungen hinsichtlich einer Beitrags-Nachentrichtung erlassen worden sind, und zwar einmal aufgrund des Art. X BEG-Schlußgesetzes und zum anderen aufgrund der neuerlichen Vorschriften des WGSVG vom 22. Dezember 1970". Weiter hat sie ausgeführt, daß das Gesetz vom 22. Dezember 1970 für den Fall auch nur eines weiteren Beitrages eine Rente von erheblicher Höhe erwarten lasse. Diese Gesetzesgestaltung eröffne den Verfolgten die Möglichkeit sonst unbekannter Manipulationen. Das habe das erstinstanzliche Gericht richtig erkannt. Sie werde nunmehr an die Beklagte nochmals 14,- DM zahlen. Dieses Geld und die noch nicht verbuchten 91,- DM könnten nach dem neueren Gesetz wirksam zu einem Beitrag der Klasse H für einen Monat in den fünfziger Jahren benutzt werden. Diese Tatsache werde sich bei einer künftigen Rentenberechnung vorteilhaft auswirken. Um dieses Ziel zu erreichen, werde die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zu erwägen sein, damit dort über einen geänderten Klageantrag befunden werden könne.
Die Beklagte hat entgegnet, daß die Revisionsbegründung nicht, wie es § 164 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verlange, die verletzte Rechtsnorm bezeichne. Ihres Erachtens habe die Klägerin im Revisionsverfahren die Klage geändert (§ 168 SGG).
Die Revision der Klägerin ist zulässig.
Ihr Revisionsvortrag ist noch als ordnungsgemäße Revisionsbegründung anzusehen. Für die auf einen sachlich-rechtlichen Angriff gestützte Revision verlangt § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm. Diese Vorschrift ist nicht dahin zu verstehen, daß die bloße Anführung der nicht oder unrichtig angewandten Gesetzesvorschrift als ausreichend zu erachten sei (vgl. RGZ 123, 38).
Eine nur formelhafte Paragraphenbenennung ist keine "Begründung" dafür, daß und warum es bei dem angefochtenen Urteil nicht bewenden könne. Vielmehr muß der Revisionsführer erkennen lassen, was er rechtlich an dem für unrichtig gehaltenen Urteil auszusetzen hat. Es wird eine substantiierte Kritik an denjenigen Urteilserwägungen verlangt, von denen der Revisionskläger betroffen ist (vgl. RGZ 117, 168, 170). - Diesem Erfordernis genügt die vorliegende Begründungsschrift, weil sie den gedanklichen Ansatz zu einer Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Berufungsurteils enthält. Die Revisionsausführungen lassen sich in dem Sinn deuten, daß die Sonderbehandlung der Verfolgten nicht an den allgemeinen Regeln der Beitragsentrichtung ausgerichtet werden dürfe. Vielmehr gestehe ihnen das Gesetz ein solches Maß von Freiheit in der Gestaltung ihrer Rentenversicherung zu, daß ihnen gegenüber jede sonst zu beachtende Formstrenge verfehlt sei. - Daß die Vorstellungen der Revision in diese Richtung gehen, ist zwar aus ihren - zum Teil irritierenden - Darlegungen nicht mit der wünschenswerten Klarheit und Gradlinigkeit zu entnehmen. Der Gedankengang der Revision wird aber in Verbindung mit den - ausdrücklich in Bezug genommenen - Überlegungen des erstinstanzlichen Richters deutlicher. Dagegen, daß der Revisionsvortrag durch Bezugnahme auf ein im selben Rechtsstreit vorangegangenes Urteil ergänzt wird, ist nichts einzuwenden.
In der Sache selbst hat die Revision keinen Erfolg.
Das Berufungsgericht hat zutreffend aus § 1407 Abs. 2 Satz 1 RVO das Verbot einer nachträglichen Erhöhung eines einmal wirksam aufgewendeten freiwilligen Beitrages gefolgert. In bezug auf denselben - bereits "belegten" - Zeitabschnitt war weder ein Auffüllen des hier in Rede stehenden Beitrages noch ein weiterer Beitrag gestattet (BSG SozR Nr. 10 zu Art. 2 § 52 ArVNG; Nr. 2 zu § 1407 RVO; zum Ausschluß einer Doppelversicherung: BSG 10. August 1972 - 4 RJ 443/71 -). Da die Klägerin sich im Ausland aufhielt, "galt" ihr Beitrag, wie das Berufungsgericht ebenfalls richtig erkannt hat, mit dem Eingang der Zahlung bei der beklagten LVA "als entrichtet" (§ 1417 RVO iVm § 3 Satz 1 der Verordnung - VO - über die Durchführung der deutschen Sozialversicherung bei Auslandsaufenthalt vom 29. März 1951 - BGBl I, 230). Damit war das Rechtsgeschäft der Beitragszahlung unabhängig von einem Dazutun des Versicherungsträgers abgeschlossen. Im besonderen waren die dadurch ausgelösten Rechtswirkungen nicht - wie die Klägerin meint - solange aufgeschoben, bis die Beklagte den Geldempfang bestätigte. Für einen auf Grund des Art. X BEG-Schlußgesetz bewirkten Beitrag gilt nichts anderes. Dafür geben weder der Wortlaut des Gesetzes noch der systematische Zusammenhang, in dem diese Vorschrift steht, etwas her. Die Gründe dafür hat das Berufungsgericht im einzelnen zutreffend dargelegt.
Allerdings ist noch auf die Überlegungen des erstinstanzlichen Richters einzugehen. Er hat auf die Besonderheit der Versicherungsmöglichkeit aufmerksam gemacht, die den Verfolgten durch Art. X BEG-Schlußgesetz eröffnet wurde. Eine auffallende Milde des Gesetzes hat er in der erheblichen Zeitspanne, für welche die Beitragsbefugnis eingeräumt wurde, und auch in der Anordnung gefunden, daß der Eintritt des Versicherungsfalles der Beitragsleistung nicht entgegenstand. Vor allem fällt seines Erachtens ins Gewicht, daß den Verfolgten eine über den Wiedergutmachungszweck hinausgehende Chance des Machbaren gegeben wurde, indem sie sich unter Umständen mit einem einzigen Beitrag die Anrechnung von Ersatzzeiten und damit von Rentenanwartschaften in einer vorher nicht begründeten Höhe "erkaufen" konnten. In seinem Gedankengang hat er sich durch die Tendenz bestärkt gesehen, die in der Vergünstigung des § 4 Abs. 3 des Verfolgtengesetzes vom 22. August 1949 erkennbar war. Nach dieser Gesetzesbestimmung waren die Ersatzzeiten der Verfolgung mindestens in der vierten Beitragsklasse oder der Gehaltsklasse D gutzubringen. Bei dieser Einstufung habe sich der Gesetzgeber im Interesse der Verfolgten über die Höhe des vorher wirklich erzielten Arbeitsverdienstes hinweggesetzt. Daraus lasse sich nunmehr, nachdem § 4 Abs. 3 VerfolgtenG nicht mehr gelte, folgern, daß eine Verfolgte nicht an einem geringen Beitrag festgehalten werden dürfe, wenn ihr dadurch leicht zu gewinnende und rechtlich zulässige Vorteile entgingen.
Ob diesen Erwägungen überhaupt in allem zuzustimmen ist, kann auf sich beruhen. Auf einen Kernbestand von Förmlichkeit, Bestimmtheit und Klarheit der Beitragsentrichtung kann auch im gegenwärtigen Zusammenhang nicht verzichtet werden. Dazu gehört, daß die Beteiligten bei und nach der Beitragszahlung definitiv wissen müssen, woran sie sind. Dies ist bedeutsam, weil bei Beachtung der gesetzlichen Formerfordernisse die Vermutung der Rechtsgültigkeit für den entrichteten Beitrag streitet (§ 1423 Abs. 1 RVO; hierüber das BSG SozR Nr. 2 zu § 1407 RVO). Eine andere Lösung ist vom rechtspolitischen Zweck des Gesetzes her nicht geboten. Das Ziel der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts wird bereits durch das großzügige Angebot der Versicherungsberechtigung erreicht. Im übrigen kann von einer Verfolgten, die von diesem Recht Gebrauch machen will, wie von jedem anderen, der sich freiwillig zu versichern wünscht, erwartet werden, daß sie sich vor der Beitragszahlung über die für sie beste Art und Weise der Versicherung Gewißheit verschafft. Deshalb vermag die Klägerin nicht nachträglich die Änderung des wirksam entrichteten Beitrages in dem gewünschten Sinn zu fordern.
Die Revision ist hiernach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen