Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 09.06.1988; Aktenzeichen L 5 K 15/88) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Juni 1988 – L 5 K 15/88 – insoweit aufgehoben, als es der Klage stattgegeben hat.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Es ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin die ihr – der Klägerin – die in der Zeit vom 17. Februar 1980 bis 31. Mai 1983 entstandenen Kosten für die wegen einer chronischen Schizophrenie erfolgten Unterbringung der Beigeladenen in der Pfalzklinik Landeck zu erstatten hat.
Das Sozialgericht (SG) Speyer hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin 149.345,69 DM zu zahlen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten die Klage – wegen Verjährung des Erstattungsanspruches bis zum 31. Dezember 1980 – insoweit abgewiesen, als sie den Betrag von 113.856,54 DM überstiegen hat. Die Beigeladene habe während des gesamten streitigen Zeitraums der stationären ärztlichen Behandlung bedurft. Ihre akut-psychotisch bedingten Erregungs-, Agressions-und Verwirrtheitszustände hätten eine ständige, nach den wechselnden Symptomen jeweils angepaßte medikamentöse Behandlung notwendig gemacht, die nicht ambulant, sondern nur mit den spezifischen Mitteln eines Krankenhauses habe durchgeführt werden können. Das Gesamtbild zeige, daß die Beigeladene nicht lediglich wegen ihrer Schizophrenie schlechthin, sondern wegen der besonders schweren akuten Symptomatik – besonders in der streitigen Zeit – auf die Betreuung durch jederzeit rufbereite Ärzte und entsprechend geschultes Pflegepersonal angewiesen gewesen sei. Die Pflegemaßnahmen seien nur untergeordneter Teil der notwendigen ärztlichen Behandlung gewesen. Eine zunehmende Besserung habe sich erst ab März 1983 eingestellt, so daß die Beigeladene Anfang Juni 1983 zunächst versuchsweise auf eine andere Station habe verlegt werden können. Damit seien auch die Voraussetzungen erfüllt, die das Bundessozialgericht (BSG) in den beiden Urteilen vom 12. November 1985, 3 RK 45/83 (BSGE 59, 116) und 33/84 (SozR 2000 § 184 RVO Nr 28) für den Anspruch auf Krankenhauspflege bei Unterbringung wegen einer psychiatrischen Dauererkrankung herausgearbeitet habe. Es müsse prognostisch eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, daß die Krankheit gegenüber dem bisherigen Dauerzustand deutlich gebessert werden könne. Das sei hier der Fall gewesen.
Die Beklagte hat Revision eingelegt.
Sie beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Juni 1988 – L 5 K 15/88 – insoweit aufzuheben, als es der Klage stattgegeben hat, ferner das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 28. April 1986 – S 9 K 46/85 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat sich nicht gemeldet.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Die Revisionsrügen der Beklagten sind insoweit begründet, als sie sich dagegen richten, daß das LSG die Voraussetzungen des streitigen Anspruchs auf Krankenhauspflege bereits aufgrund seiner Feststellungen als erfüllt angesehen hat.
Der Anspruch des Versicherten auf Krankenhauspflege setzt voraus, daß die besonderen Mittel des Krankenhauses benötigt werden, um die Krankheit zu heilen oder zu bessern, eine Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (BSG SozR 2200 § 184 Nr 28 mwN). Nur wenn diese Behandlungsziele den Aufenthalt im Krankenhaus erforderlich machen, ist die Krankenkasse zur Krankenhauspflege verpflichtet. Andere Unterbringungsgründe, selbst wenn sie auf eine Krankheit zurückzuführen sind, reichen nicht aus. Ließe sich eine eventuell erforderliche medizinische Behandlung ohne eine aus anderen Gründen notwendige Unterbringung – zB zur Pflege oder zur Verwahrung – ambulant durchführen, bestünde kein Anspruch auf Krankenhauspflege (BSG aa0).
Der Senat hat in seinem Urteil vom 12. November 1985 – 3 RK 45/83 – ausgeführt, daß die Notwendigkeit einer medikamentösen Versorgung nicht ausreicht, das Ausreichen einer außerklinischen Behandlung zu verneinen, wenn nicht, zumal bei einer Dauermedikation, zugleich die Notwendigkeit einer ständigen ärztlichen Präsenz hinreichend begründet wird.
Das LSG hat zwar ausgeführt, daß die Beigeladene im gesamten streitigen Zeitraum der stationären ärztlichen Behandlung bedurft habe, daß ihre akut-psychotisch bedingten Erregungs-, Agressionsund Verwirrtheitszustände „eine ständige, nach den wechselnden Symptomen jeweils angepaßte unterschiedliche gezielte medikamentöse Behandlung notwendig” gemacht habe, die nicht ambulant, sondern nur mit den spezifischen Mitteln eines Krankenhauses habe durchgeführt werden können, daß nach den Berichten der Nervenärzte Dr. C. … und Dr. H. … -v. B. … an das Landesamt vom 4. Juni 1981 und 11. Februar 1983 „eine hochdosierte neuroleptische Medikation mit ständiger ärztlicher Überwachung und einer intensiven pflegerischen Zuwendung auf einer Wachstation erforderlich” sei, daß nach den Eintragungen zum Krankheitsverlauf die Beigeladene bereits seit September 1979 mit dem Neuroleptikum Leponex behandelt, dessen Dosierung gesteigert und schließlich im Oktober 1980 auf 3 × 100mg täglich erhöht worden sei und daß sie „zusätzlich vorübergehend das Medikament Hardol und auch Valium-Spritzen” erhalten habe.
Damit wird zwar die Symptomatik der Schizophrenie der Beigeladenen näher beschrieben und es werden auch konkretere Angaben zur Medikation gemacht. Die Feststellungen des LSG verbleiben aber im abstrakten insofern, als nicht konkret festgestellt und dargelegt wird, welche spezifischen Umstände es waren, die eine ständige stationär-ärztliche Präsenz erforderten und inwiefern mit diesen Maßnahmen eine Heilungs- und Besserungsaussicht verbunden war. So hätte etwa verdeutlicht werden müssen, warum eine bestimmte Medikamentation nur durch ständige stationärärztliche Präsenz verordnet werden konnte, die nicht auch in einem Pflegeheim oder durch gelegentliches Zuziehen eines Notfallarztes oder durch eine kurzfristige Krankenhauseinweisung möglich gewesen wäre, und inwiefern mit dieser Medikamentation im Verhältnis zu dem Dauerzustand der Beigeladenen eine Heilungs- bzw Besserungsaussicht verbunden werden konnte. Dies zeigt, daß die Feststellungen des LSG schon an sich zu abstrakt, aber auch losgelöst von den gleichzeitig relevanten Rechtsfragen erfolgten und daß das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, die genannten rechtlich relevanten Tatfragen durch ein Sachverständigengutachten klären zu lassen. Diese Mängel, die auf das engste miteinander zusammenhängen, hat die Beklagte mit Recht gerügt. Das LSG hat damit nicht nur – verfahrensmäßig – seine Aufklärungspflicht nach § 103 SGG verletzt, sondern zugleich auch – materiellrechtlich – den Rechtsbegriff der Krankenhauspflege in seinem Gesamtzusammenhang verkannt.
Das LSG wird ohne ein Gutachten eines neutralen Sachverständigen, wie es die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 9. Juni 1988 auch beantragt, vom LSG aber ohne Begründung abgelehnt wurde, nicht auskommen können. Dabei wird es die obengenannten Fragen möglichst konkret, differenziert und umfassend zu stellen haben. Nur bei einer eingehenden gutachterlichen Auseinandersetzung wird das Tatsachengericht auch imstande sein, die bei einer Dauererkrankung der vorliegenden Art erforderliche kritische Überprüfung vorzunehmen, nämlich bei einer Erkrankung, mit der eine gewisse Vermutung verbunden ist, daß sie keiner mit Heilungs- oder Besserungsaussichten verbundenen Behandlung mehr zugänglich war.
Fundstellen