Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 07.05.1991) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 7. Mai 1991 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.
Die Klägerin ist Verwaltungsangestellte bei einer Stadt. Als Mitglied der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) war sie stellvertretende Vorsitzende des Kreisvorstandes der für sie zuständigen Kreisverwaltung.
Am 10. Januar 1986 nahm die Klägerin an einer Sitzung des Kreisvorstandes teil. Tagesordnung dieser Sitzung waren: „1. Eröffnung und Begrüßung, 2. Genehmigung der Niederschrift der letzten Sitzung, 3. Finanzrahmenplan '86, 4. Bildungsprogramm '86, 5. Praktikantenstellen, 6. Mitteilungen und Anfragen.” Auf der Heimfahrt von der Sitzung erlitt die Klägerin bei einem Verkehrsunfall Verletzungen im Bauchraum sowie Brüche der linken Hand und der 10. Rippe links, die eine zweiwöchige stationäre Behandlung erforderten.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26. August 1987 Entschädigungsansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) ab, da die Klägerin bei der Teilnahme an der Vorstandssitzung nicht nach § 539 Abs 1 und 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versichert gewesen sei. Den Widerspruch wies die Beklagte zurück (Bescheid vom 27. November 1987).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, da die Klägerin auch nicht zu den nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO versicherten Personen gehört habe (Urteil vom 15. August 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 7. Mai 1991) und zur Begründung ua ausgeführt: Die Klägerin habe an der Vorstandssitzung nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses teilgenommen. Die Klägerin habe auch schon nach dem eindeutigen Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO nicht zu dem Kreis der dort aufgeführten Personengruppen gehört. Ehrenamtlich tätige Mitglieder einer Gewerkschaft seien grundsätzlich nicht nach § 539 Abs 2 RVO versichert, es sei denn, sie übten eine Tätigkeit aus, die auch im Rahmen einer gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versicherten hauptamtlichen Beschäftigung verrichtet werden könnte. Die Klägerin habe aber nicht wie der hauptamtlich angestellte Geschäftsführer gehandelt, der satzungsgemäß als geborenes Vorstandsmitglied an der Sitzung des Vorstandes teilnehme und zugleich als Vorstandsvorsitzender diese leite. Dies ergebe sich schon daraus, daß der Gewerkschaftssekretär die Aufgaben des Geschäftsführers in der Sitzung im vollen Umfange abgedeckt habe und die übrigen Vorstandsmitglieder einschließlich der Klägerin lediglich und ausschließlich ehrenamtliche Aufgaben erledigt hätten. Diese Auslegung des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO iVm einer sachverhaltsbedingten Nichtanwendbarkeit des § 539 Abs 2 RVO verstoße auch nicht gegen Art 3 Abs 1 und Art 9 Abs 1 und 3 des Grundgesetzes (GG).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin weiterhin geltend, sie sei wie eine Gewerkschaftssekretärin tätig geworden und deshalb nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO versichert gewesen. Darüber hinaus komme ihr auch Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO zugute. Zwar zählten die Gewerkschaften nach ihrer Rechtsstellung nicht zu den in dieser Vorschrift aufgeführten Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts. Indessen seien die Gewerkschaften als Vereinigung nach Art 9 Abs 3 GG verfassungsrechtlich anerkannt, und ihnen werde ein entsprechender verfassungsrechtlicher Status zuerkannt. Da die gewerkschaftliche Tätigkeit durch Art 9 Abs 3 GG verfassungsrechtlich geschützt werde, dürfe es unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes aus Art 3 Abs 1 GG nicht zulässig sein, solche Personen vom Versicherungsschutz auszuschließen, die zur Absicherung des Kernbereichs gewerkschaftlicher Tätigkeit für die Gesamtheit der Bürger tätig seien und insoweit ebenfalls öffentliche Aufgaben wahrnähmen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 7. Mai 1991, das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 15. August 1989 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. August 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ihren Unfall vom 10. Januar 1986 als Arbeitsunfall zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (s § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet.
Die Klägerin hat, wie die Revision nicht verkennt, im Unfallzeitpunkt nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zur ÖTV gestanden und ist deshalb nicht nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert gewesen. Das LSG hat entgegen der Auffassung der Revision ebenfalls zutreffend entschieden, daß die Klägerin bei der Teilnahme an der Sitzung des Kreisvorstandes auch nicht wie eine Beschäftigte tätig geworden und deshalb nicht nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO versichert gewesen ist.
Zwar schließt die Mitgliedschaft in einem Verein nicht von vornherein die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses und damit auch nicht von vornherein eine Tätigkeit wie eine Beschäftigte iS des § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO aus (s ua BSGE 52, 11, 12; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 471b, 476e). Die Anwendung dieser Vorschriften setzt aber voraus, daß die Person wie eine in einem Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnis Stehende tätig wird. Ist für ein Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnis kein Raum, weil die Tätigkeit nicht aufgrund eines solchen Verhältnisses, sondern aufgrund von Mitgliedspflichten ausgeübt worden ist, so entfällt die Anwendung des § 539 Abs 1 Nr 1 und damit auch des § 539 Abs 2 RVO (s BSGE 52, 11, 12; BSG SozR 2200 § 539 Nrn 83, 114, 123; Brackmann aaO S 476e mwN). Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ist damit ua bei allen Tätigkeiten für einen – rechtsfähigen oder nicht rechtsfähigen – Verein grundsätzlich nicht gegeben, die der Erfüllung der Vereinsaufgaben seiner Repräsentanten dienen, zB die Teilnahme an Organsitzungen, Tagungen und ähnlichen Veranstaltungen, bei denen sich die Teilnehmer der Willensbildung und der Zielsetzung des Vereins widmen (BSGE 17, 73, 74; 52, 11, 13). Dies trifft für die Teilnahme der Klägerin an der Sitzung des Kreisvorstandes zu. Die Aufgaben in dem Kreisvorstand hat die Klägerin als Ausfluß ihrer Mitgliedschaftsrechte in der ÖTV und zur Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Repräsentantin der ÖTV und nicht wie eine Beschäftigte wahrgenommen. Die Mitglieder des Kreisvorstandes der ÖTV werden mit Ausnahme des Kreisgeschäftsführers von der Delegiertenversammlung des Kreises gewählt (s § 21 Nr 5 der Satzung der ÖTV). Es kann dahinstehen, ob die Mitglieder der ÖTV verpflichtet sind, eine Wahl in den Kreisvorstand anzunehmen, sofern nicht erhebliche Gründe entgegenstehen. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, weil die damit verbundene Arbeit über den Umfang der allgemeinen Mitgliedspflichten hinausgeht, rechtfertigt dies entgegen der Auffassung der Revision keine andere unfallversicherungsrechtliche Beurteilung. Entscheidend ist, daß die Klägerin dem Kreisvorstand ausschließlich aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der ÖTV und der Wahl durch die Delegiertenversammlung des Kreises angehört hat. Sie hat die damit verbundenen Rechte und Pflichten ausschließlich als in den Kreisvorstand gewähltes Mitglied der ÖTV und nicht als oder wie eine Beschäftigte der ÖTV wahrgenommen; denn bis auf den Kreisgeschäftsführer bildet selbst für ÖTV-Mitglieder, die in einem Beschäftigungsverhältnis zur ÖTV stehen, nicht das Beschäftigungsverhältnis, sondern die Wahl als Mitglied der ÖTV in den Kreisvorstand die Rechtsgrundlage für die Ausübung dieses Amtes. Die Sitzung des Kreisvorstandes hat auch, wie sich aus der Tagesordnung ergibt, der Willensbildung und Zielsetzung des Vereins in dem Bezirk gedient, für den der Kreisvorstand zuständig ist.
Das LSG hat ebenfalls zu Recht einen Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO verneint, weil die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht für eine Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts im Sinne dieser Vorschrift ehrenamtlich tätig gewesen ist. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift kommt nicht in Betracht, da eine Regelungslücke nicht besteht, diese Vorschrift vielmehr bewußt nicht auf privatrechtliche – rechtsfähige oder nichtrechtsfähige – Vereine erstreckt worden ist. Das Bundessozialgericht (BSG) ist bereits davon ausgegangen, daß diese Vorschrift auch bei politischen Parteien trotz der diesen von Verfassungs wegen zukommenden Aufgaben nicht verfassungswidrig ist (BSG SozR 2200 § 539 Nr 114). Der Senat schließt sich dieser Auffassung auch insoweit an, als sie die Gewerkschaften trotz ihrer zum Teil ebenfalls von Verfassungs wegen gesicherten besonderen Aufgaben betrifft. Die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts iS des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO sind Träger der unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung; sie unterliegen besonderen Rechtsvorschriften und überwiegend auch staatlicher Aufsicht. Schon wegen dieser Unterschiede verstößt es weder gegen Art 3 Abs 1 GG noch gegen Art 9 GG, daß ehrenamtlich in privatrechtlich organisierten Vereinen tätige Personen nicht vom Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO erfaßt werden. Auch die Sachverständigenkommission für das Sozialgesetzbuch hat lediglich vorgeschlagen, die bei den privatrechtlich organisierten „Verbänden der Sozialversicherungsträger ehrenamtlich Tätigen” wegen des engen Zusammenhanges mit den unter § 539 Abs 1 Nr 13 RVO fallenden Personenkreisen durch Ergänzung – nicht durch analoge Anwendung – dieser Vorschrift kraft Gesetzes und nicht mehr nur kraft Satzung (s § 544 Nr 2 RVO) zu versichern.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen