Leitsatz (redaktionell)

Zu der Frage, wann ein Schock durch Kampfhandlungen, insbesondere durch die Einwirkung von Kampfmittel (BVG § 5 Abs 1 Buchst a) und damit durch unmittelbare Kriegseinwirkung (BVG § 1 Abs 2 Buchst a) verursacht wurde.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1950-12-20, § 5 Abs. 1 Buchst. a Fassung: 1953-08-07

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. März 1956 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Am 25. März 1945 starb der Ehemann der Klägerin im Alter von 62 Jahren; in der Sterbeurkunde ist Herzschwäche als Todesursache angegeben. Die Klägerin beantragte Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), da ihr Ehemann an den Folgen eines Bombenangriffs gestorben sei.

Das Versorgungsamt (VersorgA.) ermittelte, daß die Wohnung des Verstorbenen am 15. März 1945 nachmittags bei einem Bombenangriff völlig zerstört wurde. Als sie der Verstorbene bei seiner Rückkehr von der Arbeitsstelle in Trümmern vorfand, erlitt er durch den Schreck einen Schlaganfall. Auf Zeugen, die ihm begegneten, machte er den Eindruck eines seiner Sinne nicht mehr mächtigen halbgelähmten Menschen, mit dem man kein vernünftiges Wort mehr sprechen konnte. In diesem Zustand wurde er ins Katholische Schwesternhaus eingeliefert, wo er einige Tage später starb.

Der Facharzt für innere Krankheiten, Dr. G hielt einen Zusammenhang zwischen dem Schock, den der Verstorbene beim Anblick seiner zerstörten Wohnung erlitt, und dem Tod für unwahrscheinlich, da sowohl ein Schlaganfall wie auch eine akute Herzschwäche auf eine Sklerose der Hirn- bzw. Coronargefäße zurückzuführen seien, neben der der Schrecken, den die Zerstörung der Wohnung hervorrief, nur als Gelegenheitsursache anzusehen sei. Das VersorgA. lehnte deshalb den Antrag der Klägerin ab. Ihr Einspruch blieb erfolglos, nachdem der ärztliche Berater des Beschwerdeausschusses, Dr. M sich der Ansicht Dr. G angeschlossen hatte.

Die Berufung der Klägerin ging bei Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG.) über. Dieses holte ein Gutachten des Direktors des pathologischen Instituts der Universität M, Prof. Dr. S ein. Der Gutachter hielt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der seelischen Erschütterung beim Anblick der zerstörten Wohnung und dem Eintritt des Todes grundsätzlich für möglich, da Fälle akuten Herzversagens bei schweren seelischen Erschütterungen auch ohne schwere anatomische Veränderungen der Herzkranzgefäße festgestellt worden seien, betonte aber, daß seiner Darlegung hier mangels ausreichender Unterlagen nur der Wert einer Vermutung zukomme.

Das SG. verurteilte den Beklagten, den Tod als Schädigungsfolge nach § 1 BVG anzuerkennen. Der Tod sei infolge des beim Anblick der zerbomten Wohnung eingetretenen Herzversagens früher eingetreten, als es auf Grund der bestehenden Arteriosklerose der Fall gewesen wäre.

Mit der Berufung machte der Beklagte geltend, der Anblick der zerstörten Wohnung sei allenfalls als mittelbare Kriegseinwirkung anzusehen und auch dann nur als Gelegenheitsursache, da anzunehmen sei, daß jede andere Aufregung die gleiche Wirkung hervorgerufen hätte. Das Landessozialgericht (LSG.) vernahm Zeugen, die den Verstorbenen seit langer Zeit kannten und am bzw. sofort nach dem 15. März 1945 mit ihm zusammen gewesen waren, hörte die Klägerin und holte ein Gutachten des Prof. Dr. W von der Medizinischen Universitätsklinik für Innere und Nervenkrankheiten, B, ein. Dieser nahm ein präformiertes Leiden des Verstorbenen - Cerebralsklerose oder Hypertonie - an und maß dem seelischen Schock beim Anblick der zerstörten Wohnung die Bedeutung einer wesentlichen, den präformierten Krankheitsmechanismus auslösenden Teilursache für den Tod zu. Das LSG. wies mit Urteil vom 8. März 1956 die Berufung zurück und ließ die Revision zu. Es führte aus, der Ehemann der Klägerin sei an einem Schlaganfall gestorben, den er durch einen psychischen Schock in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bombenangriff auf C und mit der Zerstörung seiner Wohnung erlitten habe. Wenn auch nicht mit Gewißheit gesagt werden könne, er habe den Bombenwurf auf seine Wohnung gesehen und unmittelbar miterlebt, so sei er doch zeitlich sofort nach deren Zerstörung dorthin gekommen, da diese nach den Angaben der Klägerin zwischen 17:20 und 17:30 Uhr erfolgt sei und ihr Ehemann bei ihrer Rückkehr gegen 17:50 Uhr bereits sein Essen aus der zerstörten Wohnung geholt und verzehrt hatte. Weiter sei erwiesen, daß der sonst ruhige und besonnene Verstorbene alsbald einen verwirrten Eindruck gemacht und wirr durcheinandergeredet habe. Bei diesem zeitlich engen Zusammenhang des Bombenwurfs mit dem Eintritt des Schocks müsse eine unmittelbare Kriegseinwirkung angenommen werden.

Mit der Revision rügte der Beklagte Verletzung der §§ 1 Abs.2 Buchst. a und 5 Abs. 1 Buchst. a BVG. Das LSG. habe die Unmittelbarkeit der Einwirkung des Bombenangriffs auf die Schädigung des Verstorbenen zu Unrecht bejaht. Insoweit genüge es nicht, daß die Kampfhandlung ursächlich für die Einwirkung gewesen sei. Selbst wenn der Schock ein präformiertes Leiden ausgelöst habe, werde dadurch nicht der Begriff der unmittelbaren Kriegseinwirkung erfüllt. Im übrigen könne der Schlaganfall des Verstorbenen nur sehr leicht gewesen sein; denn er habe zunächst noch vernünftig gehandelt, als er sein Essen aus der zerstörten Wohnung holte, und auch seine Lähmungen und Sprachstörungen seien erst später aufgetreten, weshalb sie nicht mehr in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bombenangriff gebracht werden könnten. Bei dem leichten Schlaganfall habe es sich um eine Gelegenheitsursache gehandelt. Der Beklagte hat beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG). Sachlich ist sie nicht begründet.

Das LSG. hat mit Recht angenommen, der Ehemann der Klägerin habe durch unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne der §§ 1 Abs. 2 Buchst. a und 5 Abs. 1 Buchst. a BVG eine Schädigung erlitten, an deren Folgen er gestorben sei. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG. wurde die Wohnung des Verstorbenen und der Klägerin am 15. März 1945 zwischen 17:20 und 17:30 Uhr durch Sprengbomben zerstört. Die Klägerin ist in ihre Wohnung gegen 17:50 Uhr zurückgekehrt und hat dort ihren Ehemann vorgefunden, der bereits sein Essen aus der zerstörten Wohnung geholt und verzehrt hatte. Er machte schon um diese Zeit einen verwirrten Eindruck. Alsbald stellten sich Sprachstörungen und Lähmungen ein, die bis zu seinem Tode anhielten. Aus diesem Sachverhalt hat das LSG. mit Recht abgeleitet, der Ehemann habe beim Anblick seiner zerstörten Wohnung einen Schock und als Folge davon einen Schlaganfall erlitten, der schließlich zum Tode führte.

Zu der Frage, ob der Schock durch Kampfhandlungen, insbesondere durch die Einwirkung von Kampfmitteln (§ 5 Abs. 1 Buchst. a BVG) und damit durch unmittelbare Kriegseinwirkung (§ 1 Abs. 2 Buchst. a BVG) verursacht wurde, ist zunächst festzuhalten, daß die Kampfhandlung des Bombenabwurfs im naturwissenschaftlichen Sinn mit der Explosion der Bombe beendet war. Die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG. Bd. 2 S. 29) fordert, um Bombenangriffe als Kampfhandlungen im Sinne des § 5 Buchst. a BVG ansehen zu können, daß Bomben so in die Nähe des Beschädigten gefallen sein müssen, daß ihre Explosionen örtlich noch eine unmittelbare Einwirkung - sei es auch nur psychischer Art - ausübten und daß die Einwirkung spontan erfolgte. Diese Auffassung ist in einer späteren Entscheidung (SozR. BVG § 5 Bl. Ca 7 Nr. 19) noch vertieft worden. Nachdem dort dargelegt ist, daß als Einwirkungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG auch unmittelbar auf Kampfhandlungen, insbesondere Kampfmittel, zurückzuführende psychische Einwirkungen (Schockwirkungen) zu verstehen seien, stellt das Urteil fest, daß in dem zur Entscheidung stehenden Fall zwar die Einwirkung auf den Verstorbenen (Schock beim Anblick des brennenden Wohnhauses) nicht von der Explosion einer Bombe ausging, sondern von dem durch die Brandbomben entstandenen Feuer, das als das eigentliche Kampfmittel anzusehen sei.

Daraus ergibt sich, daß auch in jenem Fall auf den Beschädigten nicht die Kampfhandlung im streng naturwissenschaftlichen Sinne unmittelbar eingewirkt hat, weil diese schon mit dem Einschlag der Bombe und dem Abbrennen des Brandsatzes beendet war, sondern das durch die Brandbomben erzeugte Feuer. Im engen naturwissenschaftlichen Sinn kann der Brand oder die Brandwirkung selbst nicht mehr in den Begriff der Kampfhandlung einbezogen werden, denn die Einwirkung des Kampfmittels "Brandbombe" endet mit dem Verbrauch des Zündstoffes; der durch ihn ausgelöste Brand stellt sich bereits als eine - wenn auch unmittelbarste - Folge der Kampfmitteleinwirkung dar. Daß es sich bei dem Brand selbst nicht mehr um das eigentliche Kampfmittel, sondern um den beabsichtigten Kampfzweck als Folge der Kampfmitteleinwirkung handelt, sagt das zitierte Urteil (SozR. BVG § 5 Bl. Ca 7 Nr. 18) selbst: "Der Abwurf von Brandbomben ist die Anwendung eines Kampfmittels zu dem Zweck, Brände zu entfachen und Schäden anzurichten." Damit wollte auch dieses Urteil nicht am Begriff der Einwirkung im engsten naturwissenschaftlichen Sinne festhalten, sondern ihn um die naturnotwendigen Folgen der Einwirkung erweitert wissen, die sich bei lebensnaher Betrachtung als unmittelbar zur Einwirkung gehörend darstellen. Dazu zählt auch nach Auffassung des erkennenden Senats der brennende Zustand eines durch Brandbomben entzündeten Hauses. Dazu gehört aber ebenso der Zustand eines von Sprengbomben zerstörten Hauses jedenfalls unmittelbar nach der Zerstörung; denn ist der Brand eines Hauses nicht die Einwirkung eines Kampfmittels, sondern nur ihre unmittelbare Folge und subsumiert man den Brand gleichwohl unter den Begriff der unmittelbaren Kriegseinwirkung, so muß auch die unmittelbare Folge der Sprengbombeneinwirkung darunter fallen, wenn eine ungleiche Behandlung wesentlich gleicher Tatbestände vermieden werden soll. Wenn der Schock eines Beschädigten beim Anblick seines durch Brandbomben in Brand gesetzten Hauses eine unmittelbare Kriegseinwirkung darstellt, so muß gleiches auch von der Schockwirkung gelten, die einen Beschädigten trifft, der seine durch Sprengbomben zerstörte Wohnung sofort nach der Explosion zu Gesicht bekommt. In beiden Fällen hat der Beschädigte die unmittelbare Kriegseinwirkung selbst - die Explosion der Brand- oder Sprengbomben - nicht wahrgenommen, aber der alsbaldige Anblick ihrer direkten Folgen hat den Schock erzeugt. Die örtliche Unmittelbarkeit der Einwirkung ergibt sich hier daraus, daß der Beschädigte den Schock an der Explosionsstelle durch die psychische Wirkung der Zerstörung erlitt, der enge zeitliche Zusammenhang folgt daraus, daß der Beschädigte sich während des Luftangriffs, den er als allgemeines Kampfgeschehen erlebte, auf seine Wohnung zu bewegte, diese wenige Minuten nach ihrer Zerstörung erreichte und dort spontan durch den Anblick der Zerstörung psychisch betroffen wurde. Der Schock des Ehemannes der Klägerin muß daher in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als Folge einer unmittelbaren Kriegseinwirkung angesehen werden.

Der Schock des Verstorbenen ist auch nicht nur als Gelegenheitsursache anzusehen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG. hat der Schock alsbald Lähmungs- und Störungserscheinungen hervorgerufen, die schließlich zum Tode führten; er hat den Mechanismus eines präformierten Leidens ausgelöst und binnen weniger Tage den Tod verursacht. Selbst wenn die schwere seelische Erschütterung des Verstorbenen beim Anblick seiner zerstörten Wohnung nicht die einzige Bedingung dafür gewesen wäre, sein präformiertes Leiden in diesem Ausmaß hervortreten zu lassen, so fehlt doch jeder Anhalt für eine andere gleichschwere seelische Erschütterung. Es spricht nichts dagegen, daß der Verstorbene ohne diesen Schock noch Jahre am Leben geblieben wäre. Der Schock war somit keine Gelegenheitsursache, sondern eine für den frühzeitigen Tod rechtlich erhebliche, wesentliche Bedingung und damit ursächlich (vgl. RVG. Bd. 9 S. 161 (167)).

Der Versorgungsanspruch der Klägerin ist somit nach § 1 Abs. 5 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Buchst. a und § 5 Abs. 1 Buchst. a BVG gerechtfertigt. Die Revision des Beklagten mußte als unbegründet gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325583

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