Leitsatz (redaktionell)
Zur Frage der Verschiebung von Beiträgen.
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 42 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1443 Abs. 1 Fassung: 1937-12-21; ArVNG Art. 2 § 42 S. 2 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. April 1963 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit es den Rentenanspruch für die Zeit vom 1. Juli 1965 an betrifft. Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Gründe
I.
Für die ... 1897 geborene Klägerin sind als Hausgehilfin von 1914 bis 1919 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet worden. Ihrem Antrag vom September 1953 auf Genehmigung zur freiwilligen Weiterversicherung von 1953 an gab die Beklagte mit Bescheid vom 4. Januar 1956 statt. Daraufhin entrichtete die Klägerin in den Quittungskarten Nr. 6 bis 9 folgende Beiträge:
in der am 18. Mai 1956 aufgerechneten Quittungskarte Nr. 6 für das Jahr 1953 52 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 56,
in der am 17. August 1956 aufgerechneten Quittungskarte Nr. 7 für die Jahre 1954 und 1955 je 52 Wochenbeiträge mit Aufdruck 56,
in der am 1. April 1959 aufgerechneten Quittungskarte Nr. 8 für das Jahr 1956 52 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 1957,
in der Quittungskarte Nr. 9 für das Jahr 1957 9 Monatsbeiträge mit dem Aufdruck 59 und für die Jahre 1958 und 1959 je 9 Monatsbeiträge mit dem Aufdruck 60.
Auf den Antrag der Klägerin vom 24. Mai 1960 gewährte die Beklagte ihr mit Bescheid vom 30. August 1960 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Mai 1960 an in Höhe von monatlich 6,40 DM. Die Rente war dabei nach neuem Recht berechnet worden. In dem Bescheid teilte die Beklagte mit, die vor dem 1. Januar 1924 zurückgelegten Versicherungszeiten könnten nicht berücksichtigt werden, weil in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1924 und dem 30. November 1948 nicht mindestens ein Beitrag für die Zeit nach dem 31. Dezember 1923 entrichtet worden sei.
Die Klägerin begehrt aufgrund des Art. 2 § 42 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I 45) die Berechnung ihrer Rente nach den vor dem 1. Januar 1957 geltenden und für sie günstigeren Vorschriften über die Zusammensetzung und die Berechnung der Rente einschließlich des Sonderzuschusses des § 36 Abs. 1 dieses Artikels aus den bis zum 31. Dezember 1956 zurückgelegten Versicherungszeiten. Das Sozialgericht (SG) Münster hat ihre dahingehende Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat in seinem Urteil vom 19. April 1963 ausgeführt, eine Berechnung nach altem Recht gemäß Art. 2 § 42 ArVNG setze zunächst voraus, daß der Versicherungsfall in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1961 eingetreten sei, daß die Anwartschaft aus den vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen zu diesem Zeitpunkt nach den bis dahin geltenden Vorschriften erhalten gewesen sei und daß die Klägerin vom 1. Januar 1957 an für jedes Kalenderjahr vor dem Jahr des Eintritts des Versicherungsfalles mindestens neun Monatsbeiträge entrichtet habe. Der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit sei bei der Klägerin im Jahre 1960 eingetreten. Die Anwartschaft aus den Beiträgen für die Zeit von 1914 bis 1919 sei nach § 1249 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verfallen. Über die für die Erfüllung der vorgeschriebenen gesetzlichen Wartezeit erforderlichen 60 Monatsbeiträge verfüge somit die Klägerin erst mit den für 1953 bis 1957 entrichteten Beiträgen zuzüglich dreier Monatsbeiträge für 1958. Die günstigere Berechnung der Rente nach altem Recht sei nach Art. 2 § 42 ArVNG nur zulässig, wenn bei Eintritt des Versicherungsfalles die Wartezeit erfüllt sei mit Beiträgen, die für die Zeit nach dem 31. Dezember 1956 entrichtet seien und solchen Beiträgen, die vor dem 1. Januar 1957 entrichtet seien und aus denen die Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt erhalten sei. - Durch sogen. Halbdeckung (§ 1265 RVO aF) sei die Anwartschaft aus allen Beiträgen am 31. Dezember 1956 nicht erhalten gewesen, weil hierbei nicht nur die Zeit der freiwilligen Versicherung von 1953 an, sondern die gesamte Zeit seit dem ersten Eintritt in die Versicherung zugrunde zu legen sei. Daß mit einer Beitragslücke von 1920 bis 1952 keine Halbdeckung vorhanden sei, bedürfe keiner weiteren Ausführungen. - Aber auch aus den seit 1953 entrichteten Beiträgen sei die Anwartschaft nicht zum Ende des Jahres 1956 erhalten gewesen. Hierbei müßten nämlich die in der Quittungskarte Nr. 8 für das Jahr 1956 ausgewiesenen 52 Wochenbeiträge außer Betracht bleiben, weil sie, wie der Aufdruck "57" erweise, unzweifelhaft erst im Jahre 1957 entrichtet seien. Allerdings habe die Klägerin 1956 für die Jahre 1953 bis 1955 jeweils 52 Wochenbeiträge entrichtet, obwohl zur Erhaltung der Anwartschaft nach § 1264 RVO aF die Entrichtung von jährlich 26 Wochenbeiträgen genügt hätte. Ferner hätte in einem ähnlich gelagerten Fall das Bundessozialgericht (BSG) eine von der Entwertung der Beitragsmarken abweichende Aufteilung vorgenommen, indem es ua für 1955 zur Anwartschaftserhaltung nicht mehr erforderliche 26 Beiträge für das Jahr 1956 angerechnet habe, so daß damit die Anwartschaft zum 31. Dezember 1956 erhalten gewesen sei. Eine solche Aufteilung der im Jahre 1956 ua für das Jahr 1955 entrichteten 52 Wochenbeiträge auf die Jahre 1955 und 1956 sei jedoch nicht möglich, da die Klägerin offensichtlich damals ihre Beiträge habe für das Jahr 1955 bestimmt wissen wollen, um so schnell als möglich die gesetzliche Wartezeit für eine Rente zu erfüllen. Damit sei die Berechnung der Rente nach den günstigeren Bestimmungen des alten Rechts nicht möglich.
Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen. Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel, nachdem ihr das nachgesuchte Armenrecht durch Beschluß vom 18. Juli 1963, zugestellt am 31. Juli 1963, verweigert worden war, am 13. August 1963 formgerecht eingelegt, indem sie sinngemäß beantragt hat,
1. ihr wegen der Versäumung der Revisionseinlegungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,
2. unter Abänderung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG Münster vom 19. Oktober 1961 sowie unter teilweiser Aufhebung des Rentenbescheides vom 30. August 1960 die Beklagte zu verurteilen, die Vergleichsberechnung gemäß Art. 2 § 42 ArVNG durchzuführen, die daraus sich ergebende höhere Rente zu bewilligen und hierüber einen Bescheid zu erteilen.
Die Klägerin wiederholt ihr Vorbringen, daß die im Jahre 1956 für das Jahr 1955 entrichteten 52 Wochenbeiträge mit je 26 auf die Jahre 1955 und 1956 zu verteilen seien, womit die Anwartschaft aus ihren seit 1953 entrichteten Beiträgen zum 1. Januar 1957 erhalten gewesen sei. Außerdem behauptet sie unter Bezugnahme auf die sogen. Härtenovelle, daß sie die in der Quittungskarte Nr. 8 für das Jahr 1956 nachgewiesenen 52 Wochenbeiträge mit dem Aufdruck 57 Anfang Januar 1957 entrichtet habe.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen, da das angefochtene Urteil richtig sei.
Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II.
Zwar war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben, da die Klägerin ohne ihr Verschulden verhindert war, die Revisionseinlegungsfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Nach Ablehnung ihres Armenrechtsgesuchs ist die versäumte Rechtshandlung fristgemäß nachgeholt worden.
Die Revision ist jedoch im wesentlichen nicht begründet. Das angefochtene Urteil entspricht der nunmehr ständigen Rechtsprechung des BSG. Insbesondere hat es das LSG aus zutreffenden Gründen abgelehnt, die im Jahre 1956 entrichteten 52 Beitragsmarken, die ausweislich der am 17. August 1956 aufgerechneten Quittungskarte Nr. 7 für das Jahr 1955 bestimmt und aufgerechnet worden sind, nachträglich anders zu verrechnen, nämlich mit jeweils 26 Beiträgen für die Jahre 1955 und 1956. Zwar ist in der Regel anzunehmen, daß der mutmaßliche Wille des Versicherten bei der Verwendung von Beitragsmarken zur Weiterversicherung dahin geht, die versicherungsmäßigen Voraussetzungen zu erfüllen, insbesondere die Anwartschaft zu erhalten; dies gilt selbst dann, wenn der Versicherte auf der Beitragsmarke einen abweichenden Entwertungstag eingetragen hat (BSG SozR Art. 2 § 42 ArVNG Nr. 15 und 16). Im vorliegenden Fall ist der Tatbestand indes anders als in den Fällen, die diesen Entscheidungen des erkennenden Senats zugrunde lagen. Für die Klägerin mußte nämlich, wie das LSG richtig erkannt hat, vor allem die Erwägung ausschlaggebend sein, daß sie erst im Jahre 1956 mit 59 Jahren ihre Versicherung wieder aufgenommen hatte und das größte Interesse daran haben mußte, noch vor Eintritt des Versicherungsfalles der Invalidität die gesetzliche Wartezeit von 60 Beitragsmonaten zurückzulegen, da sie andernfalls nach altem Recht überhaupt keine Ansprüche gehabt hätte und auch keinerlei Beiträge mehr hätte entrichten können (§ 1443 Abs. 1 RVO aF). Mit Rücksicht hierauf verbot sich die jetzt von der Klägerin gewünschte Verschiebung der Beiträge. Zugleich war damit die Anwartschaft aus den für die Jahre 1953 bis 1955 entrichteten Beiträgen zum Ende des Jahres 1956 nicht mehr erhalten, weil die Klägerin in diesem Jahre keine Beiträge für 1956 entrichtet hat (§ 1264 Abs. 1 RVO aF). Das bedeutete zugleich, wie das LSG im einzelnen richtig ausgeführt hat, daß sie nicht nach Art. 2 § 42 ArVNG aF die Vornahme einer Vergleichsberechnung beanspruchen konnte.
Durch Art. 2 § 1 Nr. 9 des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) ist jedoch Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG mit Wirkung vom 1. Januar 1957 an geändert worden (Art. 5 § 10 Abs. 1 Buchst. a RVÄndG). Nunmehr findet die Berechnung der Renten nach dem günstigeren alten Recht auch dann statt, wenn aus den bis zum 28. Februar 1957 entrichteten Beiträgen die Anwartschaft zum 31. Dezember 1956 nach den bis dahin geltenden Vorschriften erhalten war, wobei jedoch die höhere Leistung erst vom 1. Juli 1965 an zu gewähren ist (Art. 5 § 6 RVÄndG). Diese Vorschriften muß der erkennende Senat beachten, da die Revisionsgerichte Rechtsänderungen zu berücksichtigen haben, wenn das streitige Rechtsverhältnis von ihnen erfaßt wird (BSG 16, 257, 260; 19, 260, 261).
Die Klägerin behauptet, die in der Quittungskarte Nr. 8 enthaltenen, für das Jahr 1956 bestimmten Beitragsmarken mit dem Jahresaufdruck 57 Anfang 1957 entrichtet zu haben. Da der Senat dies nicht selbst feststellen kann, muß insoweit, als es um den Rentenanspruch für die Zeit vom 1. Juli 1965 an geht, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden, während im übrigen die Revision keinen Erfolg haben konnte.
Nach alldem war zu erkennen, wie aus der Urteilsformel ersichtlich. Im übrigen wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen